Beverley Jensen: Die Hummerschwestern

  • Beverley Jensen: Die Hummerschwestern
    btb Verlag 2012. 480 Seiten
    ISBN-13: 978-3442753314. 19,99€
    Originaltitel: The Sisters from Hardscrabble Bay
    Übersetzerin: Beate Brammertz


    Verlagstext
    New Brunswick, Kanada. Ein kleines Haus am Rande einer zerklüfteten Steilküste. Hier leben die Schwestern Idella und Avis nach dem Tod der Mutter allein mit ihrem chaotischen Vater. In einer Welt, die aus nichts als Kartoffelfarmen, Hummerfallen, rauen Männern und harter Arbeit zu bestehen scheint. Wäre da nicht die liebenswerte Maddie, das französischsprachige Dienstmädchen, das sich nach einer Familie sehnt und aus alten Lumpen eine Puppe zusammennäht, die ihr Ein und Alles ist. Und der schrullige Doktor, der ein schreckliches Geheimnis hütet. Und natürlich Avis’ störrische Kuh Bossy, die eines Tages beinahe im Schlamm versinkt. Über sieben Jahrzehnte hinweg begleiten wir die unvergesslichen Schwestern von Kanada nach Neuengland, wo Idella in ihrem Gemischtwarenladen in Maine kauzige Einheimische bedient, während ihr Mann anderen Frauen nachstellt. Und wo Avis an einem stürmischen Wintertag etwas ganz Entscheidendes verliert ...


    Die Autorin
    Beverly Jensen wurde in Westbrook, Maine, geboren. Bevor sie mit dem Schreiben begann, studierte sie Schauspiel an der Southern Methodist University. Zwischen 1986 und 2003 schrieb sie mit Hingabe an den Hummerschwestern, während sie gemeinsam mit ihrem Mann Jay ihre beiden Kinder großzog und halbtags in einem Büro in New York City arbeitete. Als Beverly Jensen im Alter von neunundvierzig an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb, hatte sie noch kein Wort ihres Textes publiziert. Es waren ihre Familie und einige begeisterte Unterstützer, die »Die Hummerschwestern« schließlich als Buch veröffentlichten. Und die so dazu beitrugen, dass Beverly Jensen nach ihrem Tod der literarische Ruhm zuteil wurde, der ihr schon zu Lebzeiten gebührt hätte.


    Inhalt
    Als Ben Hillocks Frau bei der Geburt des vierten Kindes stirbt, sind seine Töchter sechs und knapp acht Jahre alt, der Sohn zwölf. Das Baby, Emma, wird zu Verwandten gegeben. Eddie versucht zunächst, Feldarbeit, Hummerfang und die Erziehung seiner drei Kinder zu stemmen. Die Familie lebt in einer englischsprachigen Region in der Nähe von Salmon Beach in der kanadischen Provinz New Brunswick. Im Mittelpunkt der miteinander verknüpften Geschichten, die siebzig Jahre umspannen, steht Idella, die ältere Tochter, Della genannt. Della fühlt sich für die Familie verantwortlich, schuftet im Haushalt und kann als Kind noch nicht einsehen, dass Vater und Geschwister mehr brauchen als Mahlzeiten und saubere Wäsche. Der einzige Sohn Dalton schläft in der Scheune, um nicht mit dem Vater aneinander zu geraten, und fährt schon allein zum Hummerfang auf See. Eddie reagiert unbeherrscht, wenn er getrunken hat, und ängstigt seine Töchter in diesem Zustand. als ihre Mutter noch lebte, versuchte sie mit großer Güte zwischen den Kindern und dem aufbrausenden Vater zu vermitteln. Im Grunde seines Herzens ist Eddie ein liebevoller Vater mit erstaunlichem Einfühlungsvermögen in Avis und Dellas Mädchenangelegenheiten. Nach mehreren erfolglosen Versuchen mit Hausmädchen aus dem französischsprachigen Teil der Provinz über die Runden zu kommen, gibt Eddie auf. "Ich bin am Ende. Das Leben ist nichts als Arbeit und sonst fast nichts", muss Eddie einsehen. Er entlässt das Hausmädchen Madeleine und schickt Idella und Avis zu Verwandten, die zu dem Zeitpunkt selbst schon sieben Kinder haben. Die Mädchen erhalten drei ruhige Jahre lang die Chance zur Schule zu gehen, ehe Eddie sie zurückruft, weil er nach einem Jagdunfall pflegebedürftig ist. Della wird als Arbeitskraft gebraucht, ein Ende der Plackerei im Haushalt ist für sie nicht abzusehen. Ihren Vater fürchtet sie noch ebenso wie in ihrer Kindheit. Dalton weist durch seine Abgrenzung symbolisch auf die Sprachlosigkeit in der Familie hin. Eifersucht der Geschwister untereinander, auch auf Emma, bei deren Geburt die Mutter starb, Schuldzuweisungen gegenüber Vater und Schwester werden von den Kindern mit großer Anstrengung unterdrückt. Avis Leben wird später eine tragische Wende nehmen, vielleicht geprägt davon, dass sie von den drei Geschwistern die wenigsten Erinnerungen an ihre Mutter hat. Mit 19 vrlässt Della das Haus auf der Klippe und sucht sich in Boston/USA eine Stelle als Hausmädchen.


    Mehrere Episoden aus der Kindheit der Hillock-Mädchen, die Anfang des 20. Jahrhunderts spielen, sind bereits als Kurzgeschichten veröffentlicht worden. Beverley Jensen konnte ihren Roman selbst nicht vollenden, er wurde erst nach ihrem Tod veröffentlicht.


    Fazit
    Die Entwicklung der Familienbeziehung zwischen dem verwitweten Ben und seinen Kindern hat mich im ersten Drittel des Romans stark gefesselt. Im mittleren Teil des Buches heiratet Della Edward Jensen und lebt zeitweilig mit ihm bei den Schwiegereltern. Dass Della und die Autorin beide Jensen heißen, lässt vermuten, dass die eigene Familiengeschichte die Autorin zu ihrem Roman angeregt haben könnte. Der zweite und dritte Teil des Romans, der Dellas eher banalen Erlebnissen in ihrer Ehe mit Eddie folgt, hat mich weniger gut unterhalten. Avis und Dalton treten im Roman nicht aus dem Schatten ihrer Schwester; ihr Schicksal spielt bis kurz vor dem Ende der Geschichte in den 80er Jahren eine Nebenrolle. Der letzte Teil vereint die Geschwister mitten in einem Blizzard wieder in ihrer Heimat und bringt endlich zur Sprache, über was bei den Hillocks jahrzehntelang geschwiegen wurde. Der Originaltitel "The Sisters form Hardscrabble Bay" trifft die Atmosphäre des Familienromans genauer als der deutsche Titel; denn Hummer spielten zwar eine Rolle in Eddies und Daltons Leben, weniger in dem der Schwestern. Ein Buch wie Aprilwetter, bei dem ich oft nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte.



    Textauszug
    "Nach Hause. Zurück zu dem Haus und der Scheune oben auf der Klippe, von der aus man die Chaleur-Bucht überblicken konnte. Zu den gebogenen Bäumen die in der Nähe des Hauses wuchsen, gekrümmt vom kalten, immerwährenden Wind, der übers Wasser blies. So wurden auch die Menschen, dachte Idella, wenn sie ihr Leben dort oben verbrachten - krumm und knorrig und hart, an dem Ort verwurzelt. Der Wind hatte dieselbe Wirkung auf Menschen wie auf Bäume. Er heulte und biss, besonders im Winter, und krallte sich an einem fest. Man konnte nichts anderes tun als den Kopf einzuziehen und dorthin zu laufen, wohin man wollte, was nie sehr weit war - zur Scheune oder zum Feld oder zur Kutsche nach New Bandon, zwei Meilen die Straße hinab." S. 136


    8 von 10 Punkten


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  • Mein Fazit:


    Eine Familiengeschichte, die seicht dahinfließt. Wunderschön zu lesen, sehr unterhaltsam - obwohl es inhaltlich nicht wirklich aufregend ist... Für die ersten herbstlichen (grauen) Regentage genau die richtige Lektüre.


    Von mir gibts 9 von 10 Punkten.