Genitalverstümmelung ist Körperverletzung - Landgericht Köln verbietet religiöse Beschneidungen

  • Ich freue mich immer, wenn eine Diskussion möglichst viele Meinungen (möglichst vieler Eulen) präsentiert. Nicht verstehen kann ich, dass offenbar der Eindruck entsteht, bestimmte Denkrichtungen und Äußerungen seien hier nicht erwünscht oder möglich. Letztendlich leben alle Diskussionsthreads von den geposteten Beiträgen und nicht von den Meinungen, die die User für sich behalten oder wieder zurückziehen ...

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Zitat

    Meine Erfahrungen sind andere. Um dem Forum und mir Peinlichkeiten zu ersparen, habe ich - erstmals seit ich in diesem Forum aktiv bin - meinen Beitrag gelöscht


    Schade, dann habe ich etwas verpasst, wobei ich die Motivation nicht nachvollziehen kann:


    Die Tollkühnheit des Schreibers und sein spontanes Bedürfnis nach Wahrheit müssen allemal größer sein als dessen Furcht vor den Konsequenzen seiner Aussagen.
    RAFAEL SELIGMANN

  • Mehrere Interessenverbände erwägen jetzt den Marsch durch die Instanzen, in den allermeisten Fällen ganz offensichtlich verbunden mit der Hoffnung, dass das BVG schließlich den religiös motivierten Praktiken eine Sonderstellung einräumt - allerdings dürfte das mindestens zwei, drei Jahre dauern, bis es zu einem solchen Urteil kommt, da es ja noch nicht einmal ein erstinstanzliches Urteil gibt, von dem aus dieser Marsch gestartet werden könnte (das Kölner Urteil eignet sich hierfür nicht). Ein paar Lobbyisten versuchen offenbar auch, ein Gesetzgebungsverfahren anzustoßen, im Rahmen dessen die Körperverletzungsparagraphen des StGB mit Ausnahmen versehen werden sollen (was ich sehr originell finde, widerspricht es doch dem Grundsatz des Strafgesetzbuchs). Gleichzeitig deutet sich an, dass es kaum Kompromissbereitschaft gibt. Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, meinte, "Da müsste man schon mit dem lieben Gott verhandeln" - vermutlich aus eigener Erfahrung wissend, wie schwierig das ist. ;-) Nach einer Forsa-Umfrage begrüßen 57 Prozent der Befragten Deutschen das Urteil, wobei angenommen werden muss, dass viele dieser Befragten bestenfalls sehr oberflächliche Kenntnisse von Materie und Urteil hatten.


    Ach so. Ich bin sehr gespannt auf den nächsten "Titanic"-Titel. :grin

  • Und ein weiterer Vorschlag kommt aus FDP-Kreisen.
    Der FDP-Abgeordnete Serkan Tören gehört zum Kreis derer die eine gesetzliche "Pro-Beschneidungs-Regelung" anstreben. Er sieht hier aber das Strafrecht nicht als geeigneten Platz für eine mögliche Regelung an.


    Er ist der Ansicht, entsprechende Regelungen gehörten in das Patientenrechtegesetz, welches in nächster Zeit im Bundestag zur Abstimmung ansteht.


    Würden dann die entsprechenden Regelungen Gegenstand eines Gerichtsverfahrens sein, steht es dem Gericht frei, hier durch einen Vorlagebeschluss die Verfassungsmässigkeit einer solchen Regelung überprüfen zu lassen.


    Die rechtlich sauberste Lösung wäre allerdings eine Novellierung des Strafgesetzbuches. Dort könnten die entsprechenden Straftatbestände klar geregelt werden. Natürlich könnten auch Ausnahmen in die Regelungen aufgenommen werden, ein durchaus üblicher Vorgang - nur wäre dann zu prüfen ob dieses Ausnahmen auch verfassungsgemäß sind. Hier könnte auch jedes zuständige Gericht einen Vorlagebeschluss erlassen.


    Nur muss man sich auch die Frage stellen: Bedarf es überhaupt einer neuen Regelung? Nein. Beschneidungen (die bei Jungen in Schweden übrigens seit 2001 per Gesetz zulässig sind) sind nach deutschem Recht Körperverletzungen und damit strafbar.
    Man kann auch ohne Beschneidungen seine Religion in diesem Land frei ausüben. Nächstens fordern die Islamisten noch, man sollte Dieben die Hand abhacken oder ähnlichen Unsinn.....


    Niemand wird zudem gezwungen, wenn ihm die Gesetze dieses Landes nicht passen, hier zu leben.


    Zu bedenken ist aber auch folgendes: Würde man die Beschneidungen gesetzlich legalisieren, könnte dabei ein ähnlicher Zweck wie in Schweden erreicht werden. Da wurden die Beschneidungen legalisiert um zu verhindern, dass die Kinder bei unsachgemäßer Beschneidung schwere gesundheitliche Schäden davontragen könnten. Man wollte damit verhindern, dass die Beschneidungen von ungeeigneten Leuten und unsachgemäß ausgeführt werden.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Tom



    Ach so. Ich bin sehr gespannt auf den nächsten "Titanic"-Titel. :grin


    Ich nicht. Es gab mal Zeiten, da fand ich die Titanic-Titel originell. Klar, Satire darf alles. Aber auch da gibt es gelungene und misslungene Versuche. Und der letzte war einfach nur schlecht ...

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  • Hallo, Voltaire.


    Zitat

    Niemand wird zudem gezwungen, wenn ihm die Gesetze dieses Landes nicht passen, hier zu leben.


    Das ist ein seltsames Argument. Gesetze sind nicht "für das Land" da, sondern für die Bürger, die darin leben; Gesetze sind kein staatlicher Selbstzweck. Es geht hierbei nicht zuletzt um Schutz, aber auch um Interessenausgleich. Wenn eine - wie auch immer geartete - Mehrheit im Bundestag Gesetze erließe, die es vielen Menschen einfach sehr schwer machen würde, hier noch zu leben, wäre diese Lösung nicht unbedingt elegant, auch wenn mit solchen Gesetzen zugleich irgendwas Gutes erreicht würde. Menschen, die etwas auf keinen Fall hinnehmen können, einfach des Landes zu verweisen (zumindest argumentativ), kommt mir etwas absurd vor. Das wäre aktive Ausgrenzungspolitik. Außerdem sagt sich ein solcher Satz leicht, aber es ist außerordentlich schwer, ihn auch zu praktizieren.


    Die Idee, das Strafgesetzbuch hier mit Ausnahmen zu versehen, halte ich nicht für praktikabel, denn es widerspräche sich selbst. Ich stelle mir eine solche Neufassung von § 223 vor:


    § 223 Körperverletzung
    (1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
    (2) Der Versuch ist strafbar.
    (3) (NEU) Von (1) ausgenommen ist die religiöse Zirkumzision bei Kindern von Mitgliedern muslimischer oder jüdischer Glaubensgemeinschaften.


    Damit widerspräche sich § 223 nicht nur selbst, er wäre auch fraglos verfassungswidrig. Außerdem würde ich bei meinen FSM-Ordensbrüdern sofort anregen, die Amputation des rechten Ohrläppchens sofort in die Glaubensgrundsätze aufzunehmen, um - auf den Gleichbehhandlungsgrundsatz, aber auch viele andere Regelungen pochend - darauf zu drängen, einen Absatz 4 anzuhängen, dem dann viele weitere folgen müssten.


    Ach so. Nach meinem Verständnis ist auch die Beschneidung von männlichen Kindern in Schweden verboten.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Nur muss man sich auch die Frage stellen: Bedarf es überhaupt einer neuen Regelung? Nein. Beschneidungen (die bei Jungen in Schweden übrigens seit 2001 per Gesetz zulässig sind) sind nach deutschem Recht Körperverletzungen und damit strafbar.


    Und das ist doch der springende Punkt. Im vorliegenden Fall (Beschneidung) handelt es sich zweifellos um Körperverletzung, Recht auf Ausübung der Religion hin oder her.


    Und rechtlich gesehen ist das Recht an der körperliche Unversehrtheit höher einzustufen als die Religionsfreiheit. Ist ja nicht die einzige Kollision mit Rechtsgütern die sich im Rahmen der Religionsfreiheit ergibt.

  • Mann-im-Mond :


    Die "Religionsfreiheit" wird gerne missinterpretiert. Sie besagt mitnichten, dass religiöse Menschen einfach alles tun können, was ihre Religionen von ihnen verlangen (oder wovon sie auch nur annehmen, dass die Religionen das verlangen). Es geht vielmehr (positive Religionsfreiheit) darum, Glauben frei wählen und ohne Verfolgung, Behinderung, Missachtung, kollektive Schmähung usw. ausüben zu dürfen, und sich auch (negative Religionsfreiheit) gegen jede Art von Glauben entscheiden zu können. Religionsfreiheit ist kein Freibrief für die Mitglieder von Glaubensgemeinschaften: Sie besagt nicht, dass die Religionen "frei" sind, alles zu tun, wonach ihnen gerade ist. Das wird, wie gesagt, gerne so interpretiert, stimmt aber trotzdem nicht. ;-)


    Übrigens gibt es auch ein "Gesetz über die religiöse Kindererziehung" (RelKErzG), das auch die Religionsmündigkeit (Ende des vierzehnten Lebensjahres) und die nichtbindende Wirkung vorheriger elterlicher Entscheidungen regelt. Es enthält aus gutem Grund keine weitere Sonderregelung, die beispielsweise § 223 StGB aushebelt.

  • Für mich stellt sich in der Diskussion immer mehr die Frage nach dem Recht der Kinder. Ich habe den Eindruck (ohne detaillierte juristische Kenntnisse zu haben), dass in unserem Land das Kinderrecht immer noch sehr dem Elternecht hinterherhinkt. Solange Kinder in erster Linie als Eigentum ihrer Eltern betrachtet werden, wird das Kölner Urteil immer auf Unverständnis stoßen.

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Zitat

    Schaust du hier....


    Ah. Da hatte ich dieser Tage wohl zu oberflächlich gelesen. Verboten ist die Zirkumzision durch Laien/Nichtmediziner, und dann hat man auch gleich noch eine Sonderregelung für die Mohels gefunden. ;-) Dort wie jetzt auch hier ist sich aber niemand dafür zu schade, sofort mit einem Nazivergleich zu kommen. :grin

  • Hallo, Churchill.


    Zitat

    Solange Kinder in erster Linie als Eigentum ihrer Eltern betrachtet werden, wird das Kölner Urteil immer auf Unverständnis stoßen.


    Mmh. Aber gerade Du als ... Kirchentyp :grin müsstest auch den faktisch unauflösbaren Konflikt sehen. Mit welchem Ausweg?


  • Die von dir formulierte Fassung des § 223 StGB widerspricht sich nicht durch sich selbst. Abs.3 stellte eine Ausnahme von Abs.1 dar. Im Recht übrigens eine völlig normale und alltägliche Sache. Die Regelung generalis kann immer von der Regelung speciales eingeschränkt werden. Das wäre durchaus verfassungskonform.


    Gesetze regeln das Zusammenleben der Menschen in diesem Land. Und wer sich in diese Gemeinschaft nicht einfügen will, dem steht es doch frei diese Gemeinschaft zu verlassen. Von Ausweisung habe ich nicht gesprochen. Wer aber hier leben will hat sich an die bestehende Ordnung zu halten. Was ist daran falsch?


    Der Gleichheitsgrundsatz greift hier übrigens nicht.

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    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich schließe mich Churchill´s Bemerkung zum Recht der Kinder an und bin froh darüber, dass heute in unserem Lande niemand mehr die Liebe zu seinem Sohn demonstrieren muss, indem er ihn züchtigt.(– Hebr 12,6ff et al.)

    Wissen Sie, Intelligenz ist ein Rasiermesser: Man kann sie sinnvoll nutzen, sich damit aber ebenso gut auch die Gurgel durchschneiden. Im Grunde ihres Wesens ist sie ungesund. Lem


    The farther one travels, the less one knows. George Harrison

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  • Hallo, Voltaire.


    Zitat

    Die von dir formulierte Fassung des § 223 StGB widerspricht sich nicht durch sich selbst


    Doch, das tut sie. § 223 ahndet die körperliche Misshandlung, wobei die von mir gewählte Formulierung ganz klar sagt, dass es sich bei der Zirkumzision um eine solche handelt, sonst wäre diese Ausnahme nicht nötig. Anders als beispielsweise beim Notwehrparagraphen fehlt hier aber eine hinreichende Begründung, um grundlegendes Strafrecht zu beugen - entweder, eine Sache ist strafbar, oder sie ist es nicht. Die religiöse Motivation reicht hierfür nicht aus, zumal hier auch noch bestimmte religiöse Gruppen und bestimmte Misshandlungen ausgenommen würden - ein Unding in einem Rechtsstaat, der sich säkular gibt. Man kann nicht etwas verbieten und zugleich erlauben. Notwehr ist auch nicht "erlaubt", sondern eine nachvollziehbare Begründung für die Nichtstrafbarkeit einer Handlung, die ansonsten ohne Ausnahme strafbar wäre.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Die Regelung generalis kann immer von der Regelung speciales eingeschränkt werden. Das wäre durchaus verfassungskonform.


    Die Lex specialis wird aber niemals in der Lex generalis zu finden sein. Das wäre zum Beispiel der Fall, wenn die Beschneidung in einem anderen Gesetz erlaubt würde, ohne dass eine Änderung im Strafgesetzbuch erfolgt.


    Allerdings finde ich diese Diskussion mühselig, denn meiner Meinung nach geht das Urteil vollkommen in Ordnung und sollte auch nicht durch das Hintertürchen ausgehebelt werden. Religionsfreiheit bedeutet nunmal auch, dass ich als Mensch mir meine Religion und die Form des Auslebens selbst wählen möchte. Und da hat eine Beschneidung im Kindesalter eben nichts zu suchen.


    Zitat

    Original von churchillFür mich stellt sich in der Diskussion immer mehr die Frage nach dem Recht der Kinder. Ich habe den Eindruck (ohne detaillierte juristische Kenntnisse zu haben), dass in unserem Land das Kinderrecht immer noch sehr dem Elternecht hinterherhinkt. Solange Kinder in erster Linie als Eigentum ihrer Eltern betrachtet werden, wird das Kölner Urteil immer auf Unverständnis stoßen.


    Genau das ist der Punkt ;-)

  • Zitat

    Original von Tom
    Hallo, Churchill.



    Mmh. Aber gerade Du als ... Kirchentyp :grin müsstest auch den faktisch unauflösbaren Konflikt sehen. Mit welchem Ausweg?


    Gute Frage. Wüsste ich die Antwort, hätte ich im (kirchen)politischen Bereich bestimmt gute Aufstiegschancen ... :gruebel

    „Streite niemals mit dummen Leuten. Sie werden dich auf ihr Level runterziehen und dich dort mit Erfahrung schlagen.“ (Mark Twain)

  • Juden und Muslime, die ihre Söhne beschneiden lassen, begehen also eine Körperverletzung ? :gruebel


    Wäre ich Muslima oder Jüdin, fände ich das Urteil kurios, um es mal milde auszudrücken.

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."

  • Zitat

    Original von churchill


    Ich nicht. Es gab mal Zeiten, da fand ich die Titanic-Titel originell. Klar, Satire darf alles. Aber auch da gibt es gelungene und misslungene Versuche. Und der letzte war einfach nur schlecht ...


    Die Titanic verwechselt Witz mit Häme...

    "Literatur ist die Verteidigung gegen die Angriffe des Lebens."


    "...if you don't know who I am - then maybe your best course would be to tread lightly."

  • Falsch. Die Eltern stiften einen Täter zur Körperverletzung an. Täter ist der Arzt. Das ist absolut nicht kurios. Juristisch ist jede Spritze, die dir der Arzt setzt eine Körperverletzung, die nur deshalb nicht strafbar ist, weil du (hoffentlich) damit einverstanden bist. In dieser Diskussion geht es darum ob Eltern für ihre minderjährigen Kinder diese Einwilligung geben dürfen, wenn keine medizinische Begründung besteht.