'Schlafes Bruder' - Seiten 042 - 092

  • In diesem Abschnitt passiert sehr viel auf engstem Raum.
    Die durch den eigenwilligen Stil erzeugten Bilder sind ausdrucksstark, bis zum Extrem und für mich teilweise bis an die Grenze des Erträglichen. Denn wie ein ungewöhnlicher Junge so aus der Gesellschaft herausgedrängt und sogar von der eigenen Mutter weggesperrt und vernachlässigt wird, ist tragisch. Nur der Junge Peter Elias als treuer Freund hilft da wenig.


    Was mir auch öfter auffällt: Der Erzähler des Romans ist überraschend wenig objektiv, so stellt er Elias Bruder Fritz als uninteressant und unbedeutend dar, ohne wirklich einen Beweis dafür zu liefern.


    Wie die Mutter mit der Situation so überhaupt nicht fertig wird und sich selbst verändert, ist auch sehr traurig. Schade, dass sie offenbar niemand hat, der ihr rät oder sie unterstützt. Sie gerät zeitweilig in den Irrsinn. Und der Vater verstummt, was auch nicht besser ist.


    Aber Elias verroht nicht. Er bleibt Empfindsam und aufnahmefähig und mit Elsbeth Geburt wird schon die Fähigkeit zur Liebe angedeutet:
    „Es war Elsbeths Herzschlagen. Es war der Klang der Liebe.“

  • Die Handlung ist hier in der Tat auf relativ wenigen Seiten sehr verdichtet. Das zentrale Ereignis ist das erste Feuer, wie und warum es entstand und was die Folgen für die Dorfbewohner und insbesondere Elias sind.


    Vater-Sohn-Beziehungen spielen in diesem Abschnitt eine wichtige Rolle. Peter Alder wurde von seinem Vater so grausam misshandelt, dass sein Arm für immer verkrüppelt bleiben wird und er schreckliche Schmerzen leidet. Seine Reaktion darauf ist unbändiger Hass auf den Vater, der so weit geht, dass Peter einen Heustall anzündet, damit sein Vater "verreckt". In der Folge verbrennt das halbe Dorf.
    Es war für mich überraschend, dass ein Kind in Peters Alter mit so viel Wut und Hass auf die Misshandlungen seines Vaters reagiert. Erwartet hätte ich eher große Angst und eine erzwungene Demut dem Vater gegenüber. Hier wird schon deutlich, dass auch Peter ein außergewöhnliches Kind ist, nur auf eine andere Art als Elias. Elias hat in den Augen der Dorfbewohner vielleicht ein "teuflisches" Äußeres, doch Peter ist der "Feuerteufel".


    Eine ähnlich tragische Entwicklung nimmt die Beziehung zwischen Elias und seinem Vater. Bisher war der Vater die einzige Person, die Elias aufrichtige, uneigennützige Liebe entgegenbrachte, die vom Jungen auch erwidert wurde. Daher ist es für Elias ein entsetzlicher Schock, als er miterleben muss, wie sein Vater einen Menschen ermordert. Im Verlauf der weiteren Erzählung wird deutlich, dass sich die Gefühle für seinen Vater nach und nach ändern, zum Schluss ist sogar von Hass die Rede. Man muss den Jungen einfach bemitleiden, da er von da an nur noch auf die zweifelhafte Freundschaft von Peter zurückgreifen kann.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    In diesem Abschnitt passiert sehr viel auf engstem Raum.
    Die durch den eigenwilligen Stil erzeugten Bilder sind ausdrucksstark, bis zum Extrem und für mich teilweise bis an die Grenze des Erträglichen. ...


    Besser kann man es kaum zusammenfassen.
    Elias' bedrückender und unterdrückter Zustand teilt sich mir als Leser eben durch diesen doch sehr speziellen Erzählstil so intensiv mit, als fühle man es selber, was ihm geschieht, und das ist wirklich schwer zu ertragen.
    Er ist allein, allein gelassen, sich selbst überlassen, und vielleicht ist dieser Herzschlag, diese Melodie von Elsbeths Herzen alles, was ihn nicht verrückt werden lässt, weil es die Hoffnung ist. Etwas Reines in allem Schmutz und Elend, aller Brutalität und Gleichgültigkeit und Dummheit.


    Ich lese das Buch zum zweiten Mal, aber es greift auch jetzt wieder nach mir.

  • Zitat

    Original von Vickie
    ... Hier wird schon deutlich, dass auch Peter ein außergewöhnliches Kind ist, nur auf eine andere Art als Elias.
    ... Man muss den Jungen einfach bemitleiden, da er von da an nur noch auf die zweifelhafte Freundschaft von Peter zurückgreifen kann.


    Peter ist für mich so eine Figur, bei deren Erscheinen mir Schauer über den Rücken laufen. Er scheint zwischen absoluter Gefühlskälte und intensivem Gefühl zu schwanken - ein Mensch der Extreme. Er ist mir wirklich unheimlich!

  • Das Adjektiv "unheimlich" beschreibt Peter sehr gut. Das einzige positive Gefühl, zu dem er fähig zu sein scheint, ist seine Zuneigung zu Elias. Mir drängte sich immer die Frage auf, was passieren würde, wenn Elias eine Annäherung seinerseist ablehnen würde. Das Bild der gequälten Katze und des lodernden Feuers kommt mir dann sofort in den Sinn.

  • Zitat

    Original von Vickie
    Das Adjektiv "unheimlich" beschreibt Peter sehr gut. Das einzige positive Gefühl, zu dem er fähig zu sein scheint, ist seine Zuneigung zu Elias. Mir drängte sich immer die Frage auf, was passieren würde, wenn Elias eine Annäherung seinerseist ablehnen würde. Das Bild der gequälten Katze und des lodernden Feuers kommt mir dann sofort in den Sinn.


    Ich glaube Elias ist alles, was Peter hat. Er hat ihn ausgesucht und gewartet.
    Elias wird sich so einfach nicht abwenden. Selbst Außenseiter ist Peter sein Mitverschworener, zu dem Zeitpunkt auch der Einzige, der sich mit ihm abgeben will.

  • Bin mit dem Abschnitt erst halb durch. Zunächst wurde Elias zuhause eingesperrt und freundete sich in der Zeit mit Peter an, da dieser ihn oft vorm Fenster besucht. Die Seffin wird depressiv und kümmert sich nicht mehr um ihre Kinder. Elias übt seine Stimme, damit er nicht mehr so auffällt. Und er lernt heimlich das Orgelspielen und komponiert. In diesem Abschnitt bedauert auch wieder der Erzähler, dass niemand kommt und das Talent des Jungen entdeckt und ihn aus dem Dorf holt.

  • Das erste Feuer an Weihnachten, von Peter angezündet aus Rache am Vater. Und Elias Vater wird zum Mörder. Elias entdeckt das beides und hat daran schwer zu tragen. Die Freundschaft zwischen den beiden ist seltsam, man erfährt gar nichts genaueres darüber, die Familien sind ja verfeindet und die beiden können gar nicht viel Zeit miteinander verbringen.

  • Zitat

    Original von Amalia
    Das erste Feuer an Weihnachten, von Peter angezündet aus Rache am Vater. Und Elias Vater wird zum Mörder. Elias entdeckt das beides und hat daran schwer zu tragen. Die Freundschaft zwischen den beiden ist seltsam, man erfährt gar nichts genaueres darüber, die Familien sind ja verfeindet und die beiden können gar nicht viel Zeit miteinander verbringen.


    Peter sucht sich den Außenseiter Elias meiner Meinung nach bewusst aus. Er fasziniert ihn, und ich glaube, dass ein weiterer Grund ist, dass Elias noch weniger Verbindung zu anderen Menschen hat als er, Peter, selbst. Ein anderer Grund dürfte sein, dass Elias den Peter nicht verrät, was ihm noch viel fremder vorgekommen sein dürfte.

  • Zitat

    Original von Zwergin
    Ausgerechnet der Seff wird in diesem Abschnitt zum Mörder, er war für mich der einzige Eschberger, der trotz seiner Sprachlosigkeit das Herz am rechten Fleck (zumindest scheinbar) und auch seinen absonderlichen Sohn geliebt hat.


    Das ist so ein typisches Beispiel dafür, wie groß der Druck der Masse sein kann. Erschreckend. Seff wäre auch für mich einer der Letzten gewesen, von dem ich den Mord erwartet hätte.

  • Zitat

    "bis an die Grenze des Erträglichen"


    ..hatte, glaub ich, Herr Palomar geschrieben. Genauso geht es mir mit diesem Buch. Im Moment bin ich noch nicht sicher, ob ich es weiterlese. Ich muss sagen, dass mich das Schicksal von Elias gar nicht so sehr mitreißt. Die einzige Stelle, die mir bisher richtig gut gefallen und mir irgendwie Zugang zu dieser Figur gebracht hat, war die, an der er die Orgel "entdeckt". Ansonsten finde ich alles düster, kalt, abstoßend. Es ist keine einzige warmherzige Figur dabei. Jeder hat Probleme, Dreck am Stecken, Leichen im Keller. Die Charaktere sind durch die Bank völlig neben der Spur. Alt und debil, jung und sadistisch, wahnsinnig, depressiv. Das ist mir echt ne Spur zu viel.


    Ich hab jetzt nach dem 2. Abschnitt erstmal ne Pause eingelegt und lese in meinem "Zweitbuch" (s.u.) weiter. Wenn ich am Wochenende etwas über die bisherigen 92 Seiten hinweg komme (so rein psychisch gesehen), werde ich mal einen Versuch mit Teil 3 starten. Aber dazu muss es Tag sein - meine Angewohnheit, im Bett noch etwas zu lesen, wird von dieser gruseligen Geschichte wirklich sabotiert. Da kriegt man ja Albträume!


    Tut mir Leid, dass ich im Moment nichts Positiveres beitragen kann. Ich hoffe nur, dass ich mir nienienie diesen Film ansehen muss...


    LG,
    Babs


    Edit: Ups, Fehler ausgebessert.

    :lesend
    Lutz Seiler: Kruso
    Richard Powers: Orfeo
    :bruell
    John Irving: Das Hotel New Hampshire

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  • Hallo Babsbarbara,


    also mir geht es ehrlich gesagt auch so wie dir. Das Buch kann mich zur Zeit so gar nicht zum Weiterlesen locken, es liegt jetzt schon ein paar Tage unberührt hier. Ich lese jetzt erst was anderes zwischendurch, und dann versuche ich mal weiterzukommen. Mir ist es auch zu düster, die Figuren so unsympatisch. Ich melde mich dann nächste Woche wieder...

  • Vielleicht ist das auch so ein Buch, an dem sich die Geister scheiden: entweder man wirft es in die Ecke oder man ist begeistert, berührt oder was auch immer.
    Ich gehöre zur letzteren Kategorie. Ich mag so düstere Stimmung in Romanen, und ich lese auch gerne mal einen Roman, in dem es keine positiven Figuren und keine Sympathieträger gibt, wo nichts gut ausgeht...