Ehre - Elif Shafak

  • Inhalt:
    Zwei Zwillingsschwestern - die eine in London, die andere in einem kleinen kurdischen Dorf. Pembe und Jamila verbindet eine tiefe Liebe, und beide kämpfen sie gegen die Widrigkeiten des Lebens. Während Jamila in der Türkei als Hebamme hart arbeiten muss, wird von Pembe in London als Mutter dreier Kinder ein fester Charakter gefordert. Als Pembes Mann sie verlässt, ihre Kinder eigene Wege gehen und sie selbst eine neue Bekanntschaft macht, wird eine Kette von Ereignissen ausgelöst, an deren Ende ein erschütternder Mord steht. (Cover)


    Meine Meinung:
    Ich kannte Elif Shafak vor diesem Buch nicht. Jedoch konnte sie mich schon mit der Leseprobe einfangen und begeistern. Das Buch habe ich genossen und konnte es kaum aus der Hand legen. Shafak hat einen so wunderbaren Schreibstil, der einfach nur einlädt beizubleiben. Die Geschichte ist aus einem Guss ohne Störungen oder Ungereimtheiten (zumindest sind mir keine aufgefallen). Elif Shafak zieht mit ihrer Familiengeschichte den Leser in ihren Bann und verschafft ihm einen Platz als stiller Beobachter und Zuhörer. Man muss sich anfangs daran gewöhnen, dass die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird und vor allem zwischen den Jahren hin und her wechselt. Eine kleine Hilfestellung bieten hier die Kapitelüberschriften. Hat man sich erstmal daran gewöhnt, ist es nicht mehr schwer der Geschichte zu folgen.


    Elif Shafak greift ein Thema auf, welches in Europa eher auf Unverständnis und Entsetzen stößt. Häufig kann man die Gründe für eine solche Tat - Ehrenmord - nicht nachvollziehen. Es fehlt das Wissen über die Religion und das Leben der Menschen und genau hier setzt Elif Shafak an. Sie erzählt von einer Familie, die ihre Wurzeln in einem kurdischen Dorf haben. Die Familie zieht jedoch bald nach Istanbul und schon dort erfährt man von den vielen kleinen und großen Unterschieden und den Problemen unter Kurden und Türken.
    Pembe, ihr Mann und ihre Kinder (Iskender, Esma und Yunus) ziehen weiter nach London und erst hier werden die kulturellen Probleme so richtig sichtbar. Pembe versucht die Traditionen der Heimat mit in das pulsierende Leben von London mitzunehmen und stößt dabei immer wieder an Grenzen. Doch nicht nur ihre Kinder entwickeln sich weiter, auch sie bekommt die Chance das Leben neu zu entdecken mit Elias.


    Während dessen lebt und arbeitet Jamila, ihre Zwillingsschwester weiter in der alten Heimat als Hebamme und (er)lebt die Traditionen des Landes bewusst mit. Das unterschiedliche Leben der Schwestern und doch die enge Verbundenheit, die sie haben, machen das Buch noch interessanter. Elif Shafak schafft es den Spannungsbogen zu halten und immer wieder kleine Impulse zu setzen. Der Sohn von Pembe, Iskender, erzählt sehr eindrucksvoll aus seiner Sicht über das Leben in London, seiner Erziehung und seiner Einstellung zum Verhalten der Familienmitglieder. Er, der Sultan, wie ihn seine Mutter nannte, muss jedoch auch lernen, dass London nicht das Dorf am Euphrat ist.


    Elif Shafaks "Ehre" wird nicht mein letztes Buch von ihr sein, denn sie schreibt mit so viel Liebe zum Detail ihre Geschichte, dass man das Gefühl bekommt, sie hat sie selbst erlebt.


    Edit: Name der Autorin im Threadtitel ergänzt. LG JaneDoe

  • Ein wunderbarer Schreibstil, der einfach nur einlädt beizubleiben? An dem Satz habe ich zu kauen. Fast sechs Wochen habe ich für dieses Buch gebraucht. 524 Seiten, das kann ich auch schon mal in zwei Tagen. Mir hat der eindringliche Schreibstil, der harte Tobak der da erzählt wird, immer wieder Pausen aufgenötigt, zur Entspannung noch ein anderes Buch zwischendurch und trotzdem habe ich dieses Buch nie aus meiner Tasche rausgenommen, es immer mitgeschleppt, damit ich, wenn ich die Kraft und die Konzentration hatte weiterlesen konnte. Vielleicht hätte ich bis zum Urlaub warten sollen im mit freiem Kopf lesen zu können, so fand ich Thema und Buch ausserordentlich fordernd. Eine Herausforderung, die sich lohnt, ein Buch, dass ich jedem empfehlen möchte.

    Nemo tenetur :gruebel


    Ware Vreundschavt ißt, wen mahn di Schreipfelerdes andereen übersiet :grin


    :lesend  :lesend

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  • Ich habe dieses Buch auch gelesen. An den Schreibstil musste ich mich erst gewöhnen, aber dann konnte ich es nicht mehr aus der Hand legen. Es ist allerdings kein Buch für zwischendurch und es hat mich noch sehr lange beschäftigt nachdem ich es fertiggelesen hatte.


    Ich habe auch schon nach weiteren Büchern von Elif Shafak recherchiert und werde mir bestimmt noch welche zulegen.


    Viele Grüße :wave

  • Ich habe vor Kurzem dieses Buch im türkischen Original gelesen und hoffe, dass die wunderbar schlichte aber umso beeindruckende Sprache der Schriftstellerin auch in der Übersetzung gut rübergebracht werden konnte, weil ich genau diese Eigenschaft der Schriftstellerin sehr schaetze. Elif Shafak hat ja mehrere Jahre in Westeuropa sowie in den USA verbracht, versteht es deshalb meiner Meinung nach gut, anatolische Gepflogenheiten auch Außenstehenden gut rüberzubringen. Obwohl ich das Buch absolut großartig fand und obwohl die Schriftstellerin zu meinen Favoriten gehört, konnte ich bei den Kapiteln, die sich am Ufer des Euphrats abspielen, dem Gefühl nicht los werden, dass die Schriftstellerin diese Gegend selber nur flüchtig kennt. Die Beschreibungen des haeuslichen Lebens und des Dorfes waren für mich etwas unvollstaendig. Umso besser gelingt es aber der Schriftstellerin, die Lage der Familie in Istanbul und dann in London darzustellen. Alles in allem ein rundum gelungenes Buch, in dem es nicht nur um Ehrenmord geht, sondern um viel tiefliegendere und universelle menschliche Gefühle und Familienbeziehungen.

  • Ich habe dieses Buch im Frühjahr beim Eulentreffen auf dem Tauschtisch gefunden. Welch ein glücklicher Zu-fall. Wie konnte der- oder diejnige dieses Buch nur hergeben!


    Ich habe keine Schwierigkeiten mit dem Stil gehabt, bin im Augenblick allerdings auch schwere Kost gewöhnt. - Es ist ein außerwöhnliches und außerordentlich dicht erzähltes Buch. Hier wird ohne erhobenen Zeigefinger oder übertriebene Sentimentalität der brutale Alltag einer Auswandererfamilie erzählt. Dieses Nicht-Zurechtfinden und erst mal-Weitermachen und Abdriften des Mannes, der eigentlich die falsche Frau dabeihat, die Erinnerungen der Kinder an die harte Zeit, der Entschluss der Mutter, die Familie dann eben alleine irgendwie durchzubringen... die Verstörtheit des ältesten Sohnes, der meint, eine bestimmte Rolle in der Familie einnehmen zu müssen. ... Man kann sehr deutlich miterleben, dass es für Integration viel, viel mehr braucht als nur ein paar Jahre Zeit, dass es ein Überdenken jahrhundertealter Traditionen bedeutet. Mit denen kann man nicht so einfach brechen...


    Das Seelenleben der handelnden Personen wird in allen Facetten ganz und gar wunderbar beschrieben, mich hat zum Beispiel tief berührt, wie sich Elias, ein wohlmeinender Verehrer, unendlich zart der extrem scheuen Mutter nähert, die mir immer wie ein scheues Reh vorkam. Meine Güte, jeden Hauch eines vorsichtigen Wimpernschlags habe ich genossen.


    Es ist schlüssig, wie jede/r handelt und handeln muss, bis hin zum Ehremord, der ja eigentlich eher aus einem unglücklichen Zufall tödlich verlief. Wunderbar und traumhaft gut erzählt fand ich das. Auch die Gedankenwelt des Täters im Gefängnis. Das Buch ist zwar schon seit sechs Jahren auf dem Markt, aber ich möchte es euch sehr, sehr gerne ans Herz legen. Ganz sicher werde ich mir einen ganzen Stapel davon zulegen und es verschenken, verschenken, verschenken. Aber MEIN Exemplar wird natürlich einen Ehrenplatz im Regal erhalten. Also: Danke an die Spenderin.


    Volle Punktzahl.