'Zeit der wilden Orchideen' - Kapitel 14 - 17

  • Zitat

    Original von Lipperin
    Wie unterschiedlich man doch diese Geschichte(n) lesen kann!


    Wie Nicole finde ich diese unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten einer Geschichte toll und noch toller finde ich, wenn man sich im Rahmen einer LR darüber auch austauschen kann. Ich finde es wesentlich interessanter, unterschiedliche Betrachtungsweisen kennenzulernen als immer nur zu lesen: Tolles Buch, gefällt mir gut, nette Protagonisten ...


    Von daher: bitte ja nicht schweigen sondern weiterschreiben!


    Zitat


    Und gerade darum habe ich erwartet, dass sie das Wohl der Kinder nicht aus den Augen verliert, wenn sie darüber nachdenkt, zu Raharjo zu gehen.


    Tut sie doch nicht. Zum Beispiel S. 271: "Ich kann nicht", flüstert sie schließlich ... "Ich habe doch meine beiden Jungen." Den "Entschluss", zu Raharjo zu gehen fällt sie ja sehr impulsiv, als sie von Paul so enttäuscht wird. Ohne großes Nachdenken, nur aus dem Gefühl der Verletztheit heraus. Ich glaube nicht, dass sie vorher zu Raharjo gegangen wäre. Sie war sich deiner Einwände sicherlich bewusst und vertraut Raharjo nie wirklich.


    Zitat

    Sie hätte ihm den Laufpass geben sollen, bis sie sich sicher war, dass er sein arrogantes, von maßlosem und verletztem Stolz geprägtes Verhalten geändert hätte, bis sie sich seiner sicher gefühlt hätte und sie nicht auf weitere Verletzungen und Beleidigungen gefasst sein musste.


    Ja, hätte sie. Meine Meinung zu Raharjo habe ich in meinem ersten Posting schon geschrieben. Und auch, dass man im Leben manchmal wohl einfach Unerklärliches tut, aus welchen Gründen auch immer (die mit bei Georgina immer noch nicht klargeworden sind). Auch wenn man genau weiß, dass das eigentlich "falsch" ist und man die Finger davon lassen sollte. Das war Georgina wahrscheinlich auch klar, aber sie hat halt so und nicht anders gehandelt.


    Zitat


    Paul handelt in meinen Augen genau so, wie ich es von ihm erwartet habe. ... Ja, ich finde schon, er handelt zum Wohl seiner Kinder.


    Auch hier kann ich nur auf mein erstes Posting verweisen: Ich verstehe ihn durchaus! Trotzdem finde ich sein Verhalten nicht richtig. Natürlich hätten die Jungs irgendwann nach England aufs Internat gemusst und wohl auch gesollt, das steht völlig außer Frage. Aber findest du es wirklich richtig, dass er Georgina behandelt wie ein kleines Kind oder ein Möbelstück? Sie ohne irgendein voriges Gespräch vor die vollendeten Tatschen stellt und nach Engalnd abschiebt? Noch dazu mit ihrem Hintergrund, so eine dramatische Entwurzelung schon einmal erfahren zu müssen und seinem Versprechen, sie müsse Shanghai nie verlassen? Und dann auch noch als Druckmittel die Jungs einsetzt? Das Ergebnis ist die Lösung für alle, doch heiligt der Zweck wirklich die Mittel?


    Natürlich ist es eine sehr moderne Erwartung von mir, in einer Partnerschaft erstmal zu reden und nicht sofort zu handeln. Mir ist durchaus bewusst, dass damals die Männer das Sagen hatten und die Frauen zu Gehorchen hatten und so eine eigenmächtige Entscheidung wohl eher die Regel als die Ausnahme war. Doch hatte ich bisher den Eindruck, dass die Ehe der beiden von gegenseitiger Achtung und Rücksichtsnahme geprägt war und Paul am Wohl seiner Frau gelegen war. Und gerade deshalb finde ich dieses eigemächtiges Handeln verständlich, aber lange nicht in Ordnung (und er zweifelt ja selber auch ganz schön daran!)


    Zitat

    Ich bin zu alt und vielleicht auch zu müde, um an ein romantisches Happy End für Raharjo und Georgina zu glauben. Sich nach der Decke strecken und trotzdem die Hoffnung auf eine erfüllende Liebe nicht aufzugeben, das ist schwer genug, auch für diese beiden. Glaube ich.


    Ein romantisches Happy End für die beiden - daran glaube ich auch nicht bzw. wünsche ich das Georgina überhaupt nicht! Nicht mit diesem Mann! Wie du geschrieben hast: da müsste viel passieren um ihn zu ändern und an eine solch grundlegende Veränderung glaube ich momentan überhaupt nicht. Die Frage ist eher, welches Ende wir Georgina stattdessen wünschen sollen: eine Aussöhnung mit Paul, den sie zwar nicht liebt, aber zumindest schätzt? Oder doch ganz was anderes?

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Zitat

    Original von Lese-rina
    Das Ergebnis ist die Lösung für alle, doch heiligt der Zweck wirklich die Mittel?


    Genau das ist die Frage, die ich mit Pauls Entscheidung aufwerfen wollte.
    Objektiv gesehen sicher berechtigt und klug - aber ist es wirklich richtig?

  • Also dieser Roman wird wirklich nicht langweilig. Im Gegenteil. Raharjo und auch Georgina haben sich weiterentwickelt. Das ist auch normal. Von dem jungen verliebten Pärchen ist nichts mehr übrig.


    Raharjo ist immer noch verbittert. Er will es nicht so recht zugeben, aber er scheint Georgina immer noch zu lieben. Er erpresst sie, damit sie ihm wieder näher kommt. Sie beginnen eine Affäre. In den Momenten des Beisammenseins sind sie wieder eins, wie früher. Aber das Thema, warum sie damals nicht auf ihn gewartet hat, das vermeidet er. Wovor hat er Angst?


    Georgina muss mit den Kindern nach England. Pauls einzige Möglichkeit, sie „aus den Fängen“ von Raharjo rauszuholen. Paul kann ich verstehen, aber es macht ihn mir trotzdem mal wieder nicht sympathischer :-(.


    Ich kann mich sehr gut mit Georgina identifizieren, mit der ersten Liebe, den Schmerz, den Verlust, die Beziehung zu Paul. Als die Entscheidung England viel, habe ich richtig den Hass in mir gespürt gegen Paul. In dem Moment hätte ich es auch nicht eingesehen, auch nicht später. Auch wenn es auch bezüglich Raharjo besser war. Es scheint nur eine Hassliebe, jedenfalls von seiner Seite. Die wahren Gefühle von Georgina für Raharjo habe ich noch nicht so richtig rausgefunden.


    Ich hätte mich auch niemals wohl gefühlt in England, weil es keine freiwillige Reise war, sondern ein Muss. Auch, wenn sie es wegen der Kinder getan hat. Georgina ist ein interessanter Charakter und kommt nicht negativ rüber durch die Veränderungen. Im Gegenteil. Es ist der Lauf des Lebens.


    Raharjo: Ihn zu verstehen ist nicht einfach. Zu lange zu verbittert, er konnte sich nie von dem Schock der gesehenen Hochzeit befreien und das hat sein Leben geprägt. Er hat es anders verarbeitet, mit beruflichem Auftrieb und dem Entsagen von Gefühlen. Vielleicht kann das kleine chinesische Mädchen ja endlich sein Herz etwas öffnen. Die Unschuld der Kindheit. Okay, seine Kinder haben es nicht geschafft. Aber deren Mutter liebt er nicht und kann so keine Beziehung aufbauen (alles natürlich nur mein Empfinden).


    Weiterhin faszinierend die Geschichte und Entwicklung Singapurs, vor allem die Bilder hierzu.


    Ich bin sehr gespannt, wie sich die Charaktere weiterentwickeln, wie es überhaupt weitergeht.

    :lesend Derek Meister - Rungholts Sünde

    --------------------
    Hörbuch: Mario Giordano - Tante Poldi und der Gesang der Sirenen

    Hörbuch: Peter Beer - Achtsamkeit statt Angst und Panik

    SuB: 317

  • Zitat

    Original von Schubi
    Raharjo und auch Georgina haben sich weiterentwickelt. Das ist auch normal. Von dem jungen verliebten Pärchen ist nichts mehr übrig.


    Das trifft's für mich absolut: von dem, was sie einmal zusammen hatten, ist nichts mehr übrig; es ist in etwas Ungutes gekippt, von dem sie trotzdem nicht lassen können.



    Zitat

    Original von Schubi
    Ich hätte mich auch niemals wohl gefühlt in England, weil es keine freiwillige Reise war, sondern ein Muss. Auch, wenn sie es wegen der Kinder getan hat. Georgina ist ein interessanter Charakter und kommt nicht negativ rüber durch die Veränderungen. Im Gegenteil. Es ist der Lauf des Lebens.


    Genau diese Veränderungen über die Zeit, diesen Lauf des Lebens wollte ich mit dem Roman schildern.
    Und ich freu mich sehr, dass Du Georgina so empfindest!


    Zitat

    Original von Schubi
    Raharjo: Ihn zu verstehen ist nicht einfach. Zu lange zu verbittert, er konnte sich nie von dem Schock der gesehenen Hochzeit befreien und das hat sein Leben geprägt. Er hat es anders verarbeitet, mit beruflichem Auftrieb und dem Entsagen von Gefühlen. Vielleicht kann das kleine chinesische Mädchen ja endlich sein Herz etwas öffnen. Die Unschuld der Kindheit. Okay, seine Kinder haben es nicht geschafft. Aber deren Mutter liebt er nicht und kann so keine Beziehung aufbauen (alles natürlich nur mein Empfinden).


    Das ist wirklich nicht einfach, ihn zu verstehen - aber meinem Empfinden nach gelingt Dir das sehr, sehr gut. :knuddel1


    Zitat

    Original von Schubi
    Ich bin sehr gespannt, wie sich die Charaktere weiterentwickeln, wie es überhaupt weitergeht.


    Ich bin mit-gespannt ... :-)

  • Danke für deine Anmerkungen. Es gefällt mir, dass meine Gedanken hierzu, deinen Empfindungen entsprechen, die dieses Buch ausmachen. Georgina ist für mich nun mal ein ganz normaler Mensch mit Ecken und Kanten und mit Gefühlen. Ich glaube, Paul könnte sie auf Händen tragen, ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen, sie mit seiner Liebe überschütten ... sie könnte ihn nie wirklich lieben, zuviel Leid hat er in ihr Leben gebracht. Sie kann ihn höchsten sympathisch finden nach einer Zeit, sich arrangieren. Auch seine Zärtlichkeiten besser ertragen, aber sonst ... wird sie an seiner Seite, einfach nur Dahinleben. Sie kann nicht verzeihen und so eine Liebe, wie sie mit Raharjo erlebt hat, die so abrupt endete, kann sie scheinbar nicht nochmal empfinden. Ach ... ich kann sie sooooo gut verstehen. Manchmal denke ich, ich bin Georgina, so gut kann ich mich in sie hineinversetzen.


    Umso gespannter bin ich nun, wie es weitergeht, ob sie sich weiter so entwickelt, wie ich es mir denke.

    :lesend Derek Meister - Rungholts Sünde

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    Hörbuch: Mario Giordano - Tante Poldi und der Gesang der Sirenen

    Hörbuch: Peter Beer - Achtsamkeit statt Angst und Panik

    SuB: 317

  • Zitat

    Original von Schubi
    Danke für deine Anmerkungen. Es gefällt mir, dass meine Gedanken hierzu, deinen Empfindungen entsprechen, die dieses Buch ausmachen.


    Das kann man als Autor natürlich nicht immer haben, da muss man realistisch sein - genau deshalb ist das so unfassbar schön, wenn ein Buch bzw. Aspekte davon so ankommen, wie ich es mir beim Schreiben gewünscht und empfunden habe.



    Zitat

    Original von Schubi
    Georgina ist für mich nun mal ein ganz normaler Mensch mit Ecken und Kanten und mit Gefühlen.


    So schön, dass Du sie so empfindest!
    Über genau solche Personen mag ich schreiben - mit Ecken und Kanten, mit Brüchen, Schattenseiten und manchmal auch Abgründen. Nie nur schwarz oder weiß, dafür mit einer ganzen Bandbreite an Emotionen.



    Zitat

    Original von Schubi
    Ach ... ich kann sie sooooo gut verstehen. Manchmal denke ich, ich bin Georgina, so gut kann ich mich in sie hineinversetzen.


    Da lächel ich jetzt ganz glückselig vor mich hin ... :knuddel1


    Zitat

    Original von Schubi
    Umso gespannter bin ich nun, wie es weitergeht, ob sie sich weiter so entwickelt, wie ich es mir denke.


    Ich freu mich auf Deine Eindrücke! :wave