Martin Walser - Ein sterbender Mann

  • Titel: Ein sterbender Mann
    Autor: Martin Walser
    Verlag: Rowohlt
    Erschienen: Januar 2016
    Seitenzahl: 286
    ISBN-10: 3498073885
    ISBN-13: 978-3498073886
    Preis: 19.95 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Theo Schadt, 72, Firmenchef und auch als "Nebenherschreiber" erfolgreich, wird verraten. Verraten ausgerechnet von dem Menschen, der ihn nie hätte verraten dürfen: Carlos Kroll, seinem engsten und einzigen Freund seit 19 Jahren, einem Dichter. Beruflich ruiniert, sitzt Theo Schadt jetzt an der Kasse des Tangoladens seiner Ehefrau, in der Schellingstraße in München. Und weil er glaubt, er könne nicht mehr leben, wenn das, was ihm passiert ist, menschenmöglich ist, hat er sich in einem Online-Suizid-Forum angemeldet. Da schreibt man hin, was einem geschehen ist, und kriegt von Menschen Antwort, die Ähnliches erfahren haben. Das gemeinsame Thema: der Freitod.
    Eines Tages, er wieder an der Kasse, löst eine Kundin bei ihm eine Lichtexplosion aus. Seine Ehefrau glaubt, es sei ein Schlaganfall, aber es waren die Augen dieser Kundin, ihr Blick. Sobald er seine Augen schließt, starrt er in eine Lichtflut, darin sie. Ihre Adresse ist in der Kartei, also schreibt er ihr - jede E-Mail der Hauch einer Weiterlebensillusion. Und nach achtunddreißig Ehejahren zieht er zu Hause aus. Sitte, Anstand, Moral, das gilt ihm nun nichts mehr. Doch dann muss er erfahren, dass sie mit dem, der ihn verraten hat, in einer offenen Beziehung lebt. Ist sein Leben "eine verlorene, nicht zu gewinnende Partie"?


    Der Autor:
    Martin Walser, geboren 1927 in Wasserburg/Bodensee, lebt heute in Nußdorf/Bodensee. 1957 erhielt er den Hermann-Hesse-Preis, 1962 den Gerhart-Hauptmann-Preis und 1965 den Schiller-Gedächtnis-Förderpreis. 1981 wurde Martin Walser mit dem Georg-Büchner-Preis, 1996 mit dem Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg und 1998, dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels und dem Corine - Internationaler Buchpreis; Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten 2008 ausgezeichnet. 2015 wurde Martin Walser der Internationale Friedrich-Nietzsche-Preis für sein Lebenswerk verliehen.


    Meine Meinung:
    Walser scheint dann doch noch die Kurve bekommen zu haben. Weg von der Beliebigkeit und Langeweile seiner letzten Bücher, schreibt er jetzt wieder so, dass man als Leser zu keiner Zeit geneigt ist, das Buch aus der Hand zu legen. Es ist ein Roman über die Liebe, das Alter und das Sterben. Relativ kühl beobachtend beschreibt Martin Walser das Handeln und das Fühlen des 72jährigen Theo Schadt.
    Wobei allerdings die völlig übertriebende Euphorie des literarischen Dummschwätzers Dennis Scheck absolut unangebracht ist: „In der schönsten und klarsten Sprache die in Deutschland zurzeit geschrieben wird, verdichtet Martin Walser Erfahrung und Empfindung.“
    Welches Kraut mag dieser Scheck wohl geraucht haben? Oder hat er das Buch vielleicht gar nicht gelesen?
    Wie dem auch sei, Martin Walser hat sich mit diesem Roman auf sein Können besonnen, ist endlich weg von der belanglosen Darstellung irgendwelcher sinnleerer Geschichten. Dieser Roman wirkt insofern auch wie eine Vollbremsung; und so brettert Walser glücklicherweise nicht in einen mit Allgemeinplätzen zugepflasterten Roman.
    Er kann es eben doch noch.
    Ein lesenswerter Roman auch über die Vergänglichkeit des Lebens. 7 Eulenpunkte.


    ASIN/ISBN: 3498073885

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Danke für die interessante Rezi, Voltaire. :wave
    Deine Anmerkungen zu D.Scheck haben mir ein diabolisches Grinsen ins Gesicht gezaubert.
    Da könnte man doch glatt auf die Idee kommen, den SuB zu vergrößern, nur um zu gucken, was Denis Scheck sich unter der "schönsten und klarsten Sprache, die in Deutschland zurzeit geschrieben wird", vorstellt.



    Edit: Danke für den Hinweis auf das überflüssige n im Namen. Ich hab's geändert.

  • Auf Deutschlandfunk kann man ganz aktuell ein interessantes Kritikergespräch über "Ein sterbender Mann" hören.


    Büchermarkt


    Mit Julia Schröder, Rainer Moritz, Hubert Spiegel und Denis Scheck


    Spoilergefahr!!





    Edit am 07.02.16:
    Gestern (06.02.16) wurde Martin Walser im Samstagsgespräch im Radio interviewt.
    Es war die Sendung Mosaik bei WDR 3.


    Hier kann man das Gespräch noch nachhören:
    http://www.wdr3.de/literatur/s…ch-martin-walser-100.html

  • Ein sterbender Mann - Martin Walser / Thekla Chabbi


    Mein Eindruck:
    Mit seinem neuen Roman setzt Martin Walser konsequent seine Themen fort und schließt damit an die Vorgängerromane Das dreizehnte Kapitel und Die Inszenierung an. Martin Walser ist sehr produktiv, die Literatur sprudelt aus ihm heraus. Da kann es auch leicht passieren, dass er übertreibt und die Handlung überfrachtet.
    Auch kommt mir der Roman zum Teil sehr verspielt vor, aber wer könnte das dem 88jährigen Autor übelnehmen. Im Gegenteil schätze ich die Ironie gerade dieses Romans, die sich zum Beispiel in den Abschnitt mit der Preisverleihung und der dazugehörigen Gedichtinterpretation zeigt.
    Walser beweist überhaupt viel Einfallsreichtum.
    Bei den Frauenfiguren bin ich am zweifeln. Die Sina Baldauf kaufe ich als Figur nicht so ganz und die göttliche Iris ist reinstes Klischee. Die einzige Figur, die hier lebt ist Theo Schadt.


    Martin Walser setzt einige ungewöhnliche Erzähltechniken ein.
    Zu einen muss der Leser immer aufpassen, ob es sich um unabschickbare Briefe handelt oder ob die Kommunikation wirklich stattgefunden hat. Eindeutig ist das nur bei den Forenbeiträgen.
    Zudem berichtet Theo Schadt ausführlich von einigen seiner Träume, die schnell irreal werden. Ob andere absurde Szenen wirklich stattfanden oder nur in The Schadts Kopf, ist nicht immer einfach zu sagen. Ich denke da nur an die Passage, als Theo in eine Fernsehsendung „entführt“ wird und dort 25.000€ gewinnt oder die lange Laudatio auf den Dichter usw.
    Irgendwann gerät die Handlung fast ins schweben. So macht Walsers Prosa wirklich Spaß.


    Wer den typischen Martin Walser-Sound mag, den ich beim Lesen auch immer im Ohr hatte, wird hier im Übermaß bedient.


    Obwohl ich mit den vielen Zufälligkeiten hadere und die vielen Briefs/E-Mails in ihrer Ausführlichkeit nicht glaubwürdig finden kann, gestehe ich, dass ich das Buch mag. Es ist nicht gerade langweilig! Ich empfehle eine Nominierung für den deutschen Buchpreis 2016.


    Edit: Co-Autorin ergänzt

  • Das mit der Ausführlichkeit ist, glaube ich, eine Frage des Alters.
    Man hat in einem Interview Ann Hathaway und Robert de Niro gefragt, wie sie Mails schreiben - er simuliert Hände auf Tastatur, sie Daumen am Smartphone... "wir" haben uns eher an die Kürze gewöhnt, er stammt noch aus der Generation, wo man gar nicht erst anfing, wenn man das Porto auf dem Umschlag nicht ausnutzte... :grin