'Das Bildnis des Dorian Gray' - Kapitel 06 - 10

  • Oscar Wilde hats geschafft mich so in seinen Bann zu ziehen, dass ich gestern weiterlesen musste, bis mir die Augen zugefallen sind. Und dieser Teil hat es wirklich in sich....


    Inhaltlich und vom Ausdruck gleichen diese Kapitel irgendwie einer griechischen Tragödie. Mal ein paar Stichworte, die mir so in den Sinn gekommen sind:


    Lord Henry:
    Ist er wirklich so zynisch, fast schon menschenverachtend, oder will er "nur" im Rahmen seines "Experiments" provozieren?


    Dorian Gray:
    Was für eine Wandlung, die da mit diesem Menschen passiert, von der unbekümmerten Unschuld zu einer solchen Skrupellosigkeit... Da frage ich mich, ob das Dorians "wahres" Gesicht ist, dass nur bislang nicht zum Vorschein gekommen ist, oder ob er von den radikalen Ideen Lord Henrys so "verdorben" wurde... Ich habe den Eindruck, er nimmt diese Ideen sehr gerne an...


    Basil Hallward:
    Er, dessen anfängliche Ausführungen über das Bild und seine Zuneigung zu Dorian ich am übertriebensten und unrealistischsten empfunden habe, zeigt nun als einziger menschliche Züge. Als einziger ist er tief betroffen von den Ereignissen und zwar wegen der Ereignisse und nicht wie Dorian ein paar Minuten lang aus einem schlechten Gewissen heraus, dem Lord Henrys Beruhigungen anscheinend sehr willkommen sind. Fassungslos steht er vor den Worten Dorians, kann diese Gefühlskälte und Ignoranz nicht begreifen. Scheinbar ist er der einzige in diesem Trio mit "echten" Gefühlen, der einzige, dem wirklich etwas an Menschen gelegen ist, und nicht wie Lord Henry und Dorian, die mir so vorkommen, als würden sie mit Emotionen und Menschen nur spielen. Sie greifen unbekümmert in das Schicksal anderer Menschen ein, ohne Rücksicht auf Verluste und "rechtfertigen" die Auswirkungen noch auf obskure Weise.


    Ich bin jetzt schon gespannt wie es weitergeht, auf jeden Fall ist es Oscar Wilde jetzt schon gelungen, beim Leser (also zumindest bei mir) Emotionen von Mitleid über tiefe Abneigung hervorzurufen.

  • Zitat

    Original von milla
    Ich bin jetzt schon gespannt wie es weitergeht, auf jeden Fall ist es Oscar Wilde jetzt schon gelungen, beim Leser (also zumindest bei mir) Emotionen von Mitleid über tiefe Abneigung hervorzurufen.


    Ich schließe mich dir uneingeschränkt an.
    Auch deine Ausführungen über die 3 Hauptpersonen treffen meine eingen Empfindungen sehr genau.


    Allerdings hinterfrage ich immer noch ein bißchen mehr und wüßte gerne, welche negativen Ereignisse im Leben von Lord Henry eingetreten sein müssen um in ihm eine solche Abneigung und negative Haltung den Frauen gegenüber zu wecken.
    Ich beziehe mich da speziell auf Kapitel 8 ..... als ich das las wurde ich regelrecht wütend.....


    Toll was so ein Buch mit einem machen kann.

  • Zitat

    Original von Babyjane
    Allerdings hinterfrage ich immer noch ein bißchen mehr und wüßte gerne, welche negativen Ereignisse im Leben von Lord Henry eingetreten sein müssen um in ihm eine solche Abneigung und negative Haltung den Frauen gegenüber zu wecken.
    Ich beziehe mich da speziell auf Kapitel 8 ..... als ich das las wurde ich regelrecht wütend.....


    Absolut! Diese Selbstgefälligkeit bringt mich auch auf die Palme :fetch Und es wird auch noch nicht mal deutlich, worauf er sich etwas einbildet, also warum er sich anscheinend für etwas besseres hält. Wahrscheinlich reicht ihm allein der Titel, sein Geschlecht und seine pseudo-intellektuellen Sprüche ... so Leute kann ich ja leiden....

  • War heute bei der Arbeit nicht soviel los,da konnte ich aufholen :-]


    Auch ich kann Millas Ausführungen nur unterschreiben.


    Ich fand es gab einige Anspielungen darauf,dass Dorian meint durch das Portrait sozusagen einen Freifahrtschein zu haben.Es scheint so als sage er sich,jetzt erst recht,wenn statt meiner, das Bild die Züge meiner "Sünden" trägt,kann ich tun und lassen,was ich will.


    "Eternal youth,infinite passion,pleasures subtle and secret,wild joys and wilder sins - he was to have all these things.The portrait was to bear the burden of his shame:that was all."


    und


    "Like the gods of the Greeks,he would be strong and fleet,and joyous.What did it matter what happened to the coloured image on the canvas?He would be safe.That was everything."


    Es würde mich nicht wundern,wenn er Victor,von dem er ja vermutet, die Veränderung im Portrait entdeckt zuhaben,bald beseitigt.

  • milla , deine kurze Beschreibung der drei Personen Gray, Wooton und Hallward finde ich sehr zutreffend. Besonders deutlich wird dies wohl darin, wie die drei Männer mit dem Tod von Sybil umgehen.


    Lord Henry unterstützt Dorian Gray dabei, diesen Tod als "Sache" hinzustellen, die romantisch wäre und nicht durch Dorian hervorgerufen, sowie auch nicht wert betrauert zu werden.
    Basil dagegen kann gar nicht verstehen, wie Dorian nach dem Selbstmord seiner Verlobten in die Oper gehen kann.


    Hier zeigt sich meiner Meinung nach deutlich, wer wirklich Gefühle besitzt.

  • Ich bin gestern noch bis zum achten Kapitel gekommen, die Art und Weise, wie Dorian Sybil fertig gemacht hat, weil sie ihn vor seinen Freunden durch die dilettantische Darstellung blamiert hat, fand ich absolut gefühllos. Zuerst diese überaus romantische Liebe, dann die kalte Schulter, Dorian schien nicht in die Person verliebt gewesen zu sein, sondern in die perfekte Darstellerin und Schönheit. Unreif und gefühllos.


    Dann sein Erschrecken, als er feststellen muss, dass sich sein Bild verändert hat, die tiefe Reue über sein Verhalten und der Schock, als Henry ihm vom Tod Sybils unterrichtet.


    Was für eine Achterbahn der Gefühle...


    Das Buch fesselt mich total, leider hab ich nicht soviel Zeit zum Lesen, wie ich gern hätte.

  • Hier nun noch meine Anmerkungen:


    S. 126: Dorian bekommt Besuch von Bail, er will ihm mitteilen, dass Sybil Vane gestorben ist, was DG aber schon weiß. In dem Monolog von DG kommt dann der Abstz vor "Du kommst hierher, mich zu trösten. Das ist sehr lieb von Dir. Du findest mich getröstet und wirst wütend. Wie typisch für einen mitfühlenden Menschen"
    In dem Moment kam es mir so vor, als wäre es im Roman öfters so, dass eigentlich positive Worte negativ besetzt sind. Denn Mitgefühl ist doch etwas schönes, aber DG beschimpft Basil mit dieser Bemerkung.


    S.144: DG liest das Buch, was Henry ihm geschickt hat, ein gelbes Buch. Da habe ich mich gefragt, welches Buch er wohl gelesen hat, das ihn so beeinflussen konnte. Ein Titel wird nicht genannt.

  • Zitat

    Original von milla
    Hm, ok, dann warten wir mal ab, wie es mit dir und dem Buch ausgeht :grin

    ... kein Happy End. Es liegt gerade wie Blei rum und ich habe schon ein anderes angefangen. Irgendwie gibt mir das Buch nichts. Ich werde mich wohl durchkämpfen, aber das war´s dann...

  • Zitat

    Original von GastRedner
    ... kein Happy End. Es liegt gerade wie Blei rum und ich habe schon ein anderes angefangen. Irgendwie gibt mir das Buch nichts. Ich werde mich wohl durchkämpfen, aber das war´s dann...


    Hm ok, aber durchkämpfen??? Ich weiß ja nicht, vielleicht ruft es ja wann anders mal laut "Gib mir noch ne Chance!" wenn du vor dem SUB stehst und dann packts dich. Manchmal ist es eben einfach das richtige Buch zur falschen Zeit, muss aber nicht ;-) Ich bin auf jeden Fall dagegen, sich mit Büchern zu quälen, dafür gibts zu viele passende :grin