Gaël Faye: Kleines Land
Verlag: Piper. 224 Seiten
ISBN-10: 3492058388
ISBN-13: 978-3492058384. 20€
Originaltitel: Petit Pays
Übersetzer: Brigitte Große/Andrea Alvermann
Verlagstext
»Bevor all das geschah, von dem ich hier erzählen werde, gab es nur das Glück, das nicht erklärt werden musste. Wenn man mich fragte, wie geht es dir, habe ich geantwortet: gut.« Damals traf sich Gabriel mit seinen Freunden auf der Straße, erlebte seine Kindheit wie in einem paradiesischen Kokon. Bis seine Familie zerbrach und fast zur selben Zeit sein kleines Land, Burundi, bei einem Militärputsch unvorstellbare Grausamkeiten erdulden musste. Und seine Mutter den Verstand verlor. Zwanzig Jahre später erst, nach der Flucht mit seiner Schwester in ein fernes, fremdes Frankreich, kehrt Gabriel in eine Welt zurück, die er längst verschwunden glaubte. Doch er findet dort etwas wieder, das er für unwiederbringlich verloren hielt. - »Kleines Land« ist ein überwältigendes Buch, voller Schrecken und Glückseligkeit, Güte und ewiger Verlorenheit - ein Stück französischer Weltliteratur im allerbesten Sinne. Es war das literarische Ereignis des französischen Bücherjahres. Es führte monatelang die Bestsellerliste an, war für alle wichtigen Literaturpreise nominiert und gewann unter anderem den Prix Goncourt des Lycéens.
Der Autor
Gaël Faye, 1982 in Burundi geboren, wuchs als Kind einer ruandischen Mutter und eines französischen Vaters in Burundi auf, bevor er 1995 als Folge des Bürgerkriegs nach Frankreich flüchten musste. Nach dem Ende seines Wirtschaftsstudiums arbeitete er zwei Jahre als Investmentbanker in London, danach als Sänger und Musiker in Frankreich. Seit zwei Jahren lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern überwiegend in Kigali (Ruanda). Sein erster Roman »Kleines Land« war das Ereignis des französischen Literaturjahres 2016. Er war nominiert für den Prix Goncourt und erhielt unter anderem den Prix Goncourt des Lycéens sowie den Prix du roman FNAC.
Inhalt
Eine Kinderfrage entlarvt die Absurdität von Bürgerkrieg und Genozid. Was der Unterschied zwischen Hutu und Tutsi wäre, wollen Gabriel und seine Schwester Ana in Burundis Hauptstadt Bujumbura von ihrem (französischen) Vater wissen. Eure Mama ist Tutsi, antwortet er, und du Gabriel bist auch Tutsi, weil du dich wie einer verhältst. Der Versuch einer Erklärung lässt Gabriel vermuten, der Vater würde den Unterschied selbst nicht verstehen. Vater Michel ist Bauunternehmer und beschäftigt einheimische Tagelöhner auf seinen Baustellen. Die Kinder sind 8 und 11 Jahre, als 1994 ein Völkermord in Ruanda den Konflikt zwischen Hutu und Tutsi beendet. Dass seine Mutter Yvonne Flüchtling aus Ruanda und einer ihrer Brüder bereits im Krieg gefallen ist, hatte Gabriel bis dahin nicht realisiert.
Erste Schatten waren auf eine sorgenfreie Kindheit gefallen, als die Jungen aus dem Nachbarhaus aus den Ferien bei der Großmutter frisch beschnitten zurückkehrten und andere Eltern darauf beharrten, sie wären Franzosen, für sie käme das nicht infrage. Auch wenn in Gabriels kleiner Straße mehrere Jungen französische Väter haben, genügt hellere Haut, um von anderen Kindern verspottet zu werden. Schritt für Schritt nimmt Gabriel wahr, was um ihn herum geschieht und wovor sein Vater die Kinder bewahren wollte, indem er Gespräche mit ihnen über Politik verweigerte. Als sein Fahrrad gestohlen wird, realisiert der Junge, dass nur wenige Kinder in ihrem Leben so viel besitzen werden wie er. Eine Mauer um das eigene Haus schützt nicht vor Aufständen und auch nicht vor rassistischen Übergriffen, erkennt Gabriel - der Krieg ist in ihrer kleinen Gasse angekommen. Im Rückblick erzählt der erwachsene Gabriel Jahre später seine Geschichte, die von Briefen an seine französische Brieffreundin der Kindheit unterbrochen wird.
Fazit
Der Unterschied zwischen Hutu und Tutsi lässt sich noch immer schwer erklären. Warum Menschen nicht in ihren Heimatländern leben können, ist dagegen etwas klarer geworden in einer bei aller Brutalität höchst poetischen Geschichte über das Ende einer Kindheit.
9 von 10 Punkten