'Ehre' - Seiten 355 - 433

  • Auch Iskender weiß jetzt von Pembes Affäre, wenn man ihre Treffen mit Elias überhaupt so bezeichnen kann, die beiden gehen ja nur zusammen ins Kino.

    Ich kann es ja irgendwie noch ein bißchen nachvollziehen, dass Iskender das Verhalten seiner Mutter als Schande empfindet, Erziehung, falsche Freunde etc.

    Aber dass er das Verschwinden seines Vaters einfach so hin nimmt, ihn sogar um Hilfe bittet, das kann ich einfach nicht verstehen.

  • Ich kann vieles, was die Protagonisten einfach so hinnehmen, nicht nachvollziehen. Erst dachte ich, diese Einstellung ist mir zu platt. Auf der anderen Seite funktioniert diese Erziehungsart nur, wenn man sich unrefklektiert in sein Schicksal fügt. Die Kinder wurden ja von Geburt an auf ihre entsprechende Rolle vorbereitet bzw. hineingedrängt. Esmas Nachfragen, warum Iskender bevorzugt werde, löst in Pembe nur Wut und Verzweiflung aus. Dabei erfährt sie doch gerade in ihrer Freundschaft zu Elias wie ungerecht und radikal das Wertesystem ist, nach dem sie lebt.


    Was mich immer mehr stört, ist, dass die Autorin von ihren Lesern so wenig verlangt. Man muss nicht mitdenken, man kann nur hinnehmen. Das ist mir zu wenig.


    Was mir durch die Lektüre des Buches noch einmal deutlich wurde, ist, dass "Ehre" in dieser Sozialisation keine Privatangelegenheit ist, sondern eine kollektive. Die Frauen müssen die Ehre der Familie rein halten und eine Frau kann zugleich die Ehre der ganzen Familie beschmutzen. Das kam besonders deutlich in der Szene durch, als die ältere Schwester zurückkehrt. Unbegreiflich, dass nur Pembe den Mut hat, sich gegen die Stiefmutter zu stellen, wenn auch nur in Bezug auf das Essen.


    Auch sind es ja vor allem die Frauen, die dieses System aufrecht erhalten. Pembe erzieht ihren kleinen Sultan von Anfang an dazu, ein zukünftiges Oberhaupt zu sein. Er wird verwöhnt nach Strich und Faden, aber eine Auflehnung gegen eine Autorität wird null toleriert. In keinster Weise werden hier Kinder gleichberechtigt erzogen.


    Mit dem Ehr-Begriff habe ich große Probleme. Was rettet Iskender mit dem Mord an seiner Mutter? Hoffentlich wird das noch deutlich, was er sich davon verspricht. Die Ehre einer eh schon zerrütteten Familie? In dieser Familie ist nichts mehr zu retten. Oder ist das Motiv seine Zerrissenheit zwischen den Kulturen, dem fanatischen Prediger und dem Alltag, den er erlebt?


    Ich bin gespannt, ob das noch ausgearbeitet wird.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Du bringst meine Gedanken und alles, was mich gestört hat, sehr gut auf den Punkt. Ich bin sehr gespannt, was du am/zum Ende schreiben wirst.


    Ich frage mich, was Elif Shafak mlt diesem Hinnehmen bezweckt. Soll es eine (Selbst-)Reflexion auslösen oder soll es ein vorgehaltener Spiegel sein? Vielleicht bin ich auch deshalb einfach nicht die richtige "Ansprechpartnerin" für dieses Buch.

  • Ich habe noch vergessen, zu erwähnen, dass mich dieser Yoga-Typ, der neue Zellengenosse, total nervt. Was soll diese Figur? Wenn er Iskender läutern soll, dass finde ich das mehr als platt. Zumal er ja unschuldig zu sein scheint. Diese Figur finde ich total misslungen.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin