Depeche Mode, 25. Juli 2018, Waldbühne, Berlin

  • Ich habe Depeche Mode schon ein paar Male live gesehen, zuletzt im Jahr 2013 auf der "Delta Machine"-Tour, damals noch im Berliner Olympiastadion, immerhin Front of Stage. Um ehrlich zu sein, bin ich mit der Band auch ein bisschen durch - die Studioalben werden immer langweiliger, und die "alten Kracher", wie man so schön sagt, von "Enjoy The Silence" über "Personal Jesus" bis "Just Can't Get Enough" habe ich in meiner Zeit als Plattenaufleger so oft gespielt, dass sie mir ein ganz klein wenig zum Schlund heraushängen. Andererseits, dachte ich vor ein paar Monaten, als die beiden Konzerte in der Waldbühne angekündigt wurden, andererseits sind die live auch so gut wie unschlagbar, und wer weiß schon, wie lange man noch die Chance hat, und außerdem Waldbühne, und dann sowieso und tralala: Konzerte sind ja immer ein Spaß. Ohne zu erwarten, auch nur den Hauch einer Möglichkeit zu bekommen, Tickets zu erwerben, loggte ich mich also pünktlich zum Vorverkaufsstart bei Eventim ein und wählte gleich den zweiten Abend - und hatte Glück. Nur Sekunden später waren beide Konzerte, mit der die "Global Spirit"-Tour, die seit Anfang 2017 läuft, beendet werden sollte, ausverkauft. Drei Tage später lagen die Tickets im Briefkasten.


    Und gestern war dann der Auftritt, nach einem Gig zwei Tage vorher, an gleicher Stelle. Wenn sie wollten, könnten sie die Location auch zehn-, zwanzigmal nacheinander ausverkaufen, da bin ich sicher. Aber sie haben bis gestern auch schon über hundert Shows auf der aktuellen Tour gespielt, vor insgesamt fast zwei Millionen Leuten.


    Die Berliner Waldbühne ist ein unfassbar schöner Veranstaltungsort, gelegen mitten in einem Stückchen Wald, in Berlin-Charlottenburg, eigentlich in einem Wohngebiet, in Spuckweite vom Olympiastation entfernt, wo Hertha BSC Jahr für Jahr gegen den Abstieg kämpft, während andere Vereine dort das DFB-Pokalfinale austragen. Das Amphitheater ist - wie das Olympiastadion auch - ein Relikt aus der Hitlerzeit. 1965 wurde die Bühne bei einem Konzert der Stones komplett vom Publikum zerlegt und erst in den Achtzigern wieder als Veranstaltungsort in Betrieb genommen. Depeche Mode habe ich dort schon einmal im Jahr 2009 erlebt, mit Goldfrapp als Support. Den Abend habe ich in guter Erinnerung.

    Okay, wo wir schon beim Thema sind, Mädchen und Jungs, um Herrn Delgado-Lopez zu zitieren: Support war gestern nämlich "DAF", also "Deutsch-amerikanische Freundschaft", eine Elektro-NDW-Band, deren "Der Mussolini" (1981) vielleicht noch bei dem einen oder anderem nostalgische Gefühle weckt. Der sehr minimalistische Auftritt - Halbplayback, dazu Schlagzeug und "Gesang" des deutlich in die Jahre gekommenen Gabi Delgado-Lopez - gehört zum schlechtesten, was ich je auf einer Bühne gesehen habe. Da half auch nicht, dass Delgado-Lopez sein Hemd so weit aufriss, dass beinahe die Sackhaare zu sehen waren. Der Mann kann weder singen, noch ist diese steinalte Grütze irgendwie lustig, gar zeitlos. Einen heftigeren Kontrast zum Hauptact, der ja in der gleichen Epoche angefangen hat, hätte es kaum geben können. Als Gabi - ja, der Mann heißt Gabi - am Ende des Sets sagte, dass sie leider keine Zugaben geben dürften, weil der Zeitplan eng wäre, gab es den bis zu diesem Zeitpunkt stärksten Applaus.


    Aber wieder von vorne. Ich war vor zwei Wochen zuletzt in der Waldbühne, bei Nick Cave & The Bad Seeds, übrigens auch ausverkauft. Da war ich eine gute Stunde vor Beginn (des Supports) vor Ort, die Waldbühne war noch zu zwei Dritteln leer, und das extrem entspannte, teilweise möglicherweise unter leichten Drogen stehende Publikum gab nicht viel darauf, wo es Platz finden würde. Ganz anders gestern Abend. Wir waren gegen fünf - also fast zwei Stunden vor Beginn - am Einlass, zehn Minuten später drin (Tipp für alle, die mal in die Waldbühne wollen: es gibt einen Eingang kurz vor dem Gästelisten-Eingang, und da geht's immer schnell), und da waren die unteren und die mittleren Ränge schon fast voll. Keine halbe Stunde später reichte das Publikum bis in die oberen Ecken - normalerweise hat man das erst kurz vor dem eigentlichen Beginn, also sogar noch nach dem Support. Das liegt daran, dass bei DM-Konzerten wirklich fast nur Fans sind, und dazu Leute, die vermutlich schon alle Auftritte der letzten Monate und Jahre gesehen haben. Das Publikum ist ohnehin ein wesentlicher Faktor bei diesen Shows. Es ist sehr homogen, sehr dicht aneinander, und außerdem extrem textsicher und in Feierlaune.


    Dieses Mal schwitzte es allerdings schon vor Beginn. Gestern herrschten 34°C in der Stadt, die Bühne lag bis um halb acht fast komplett im Sonnenschein, und die ambulanten Getränkeverkäufer waren für lange Zeit die begehrtesten Personen im Halbrund. Wir hatten mit viel Glück und etwas Vitamin B Plätze im Block C ergattert, direkt vor dem Mischpult und sozusagen im Promi-Block. Irgendwelche mittelbekannten Schauspieler mit ihren Familien machten Selfies mit anderen mittelbekannten Schauspielern und deren Familien. Allen lief der Schweiß. Bei einem etwa 15 Jahre alten Mädchen, das zwei Reihen hinter uns saß und in den Fäusten die Eintrittskarte knüllte, liefen außerdem die Tränen - bis zum Ende der Veranstaltung. Ich schätze, die junge Dame hat kurz vorher per Whatsapp irgendeine schlechte Nachricht von ihrem Exfreund bekommen, jedenfalls hat sie zwischen zwei Heulattacken immer wieder verzweifelt ihr Smartphone angestarrt. Dies nur am Rande.


    Um 20.45 erklang dann "Revolution" von den Beatles, und noch bei gutem Tageslicht betraten Gahan, Gore, Fletcher und die zwei anderen Bandmusiker - Christian Eichner und Peter Gordeno - die Bühne, um mit "Going Backwards" vom aktuellen Album "Spirit" den zweieinhalbstündigen Tanz zu eröffnen. Zwei große Videowände links und rechts vom Bühnenaufbau ergänzten eine sehr, sehr große, zweiteilige und ebenfalls als Bühne nutzbare Videoinstallation im Hintergrund. Ein Steg reichte von der Bühne etwa sieben Meter ins Publikum, wir saßen quasi in dessen Verlängerung. Das Licht war toll, aber nicht übermäßig spektakulär, und der Sound war ungefähr ab dem dritten Song exzellent.


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    Die große Frage, die alle am gestrigen Abend umtrieb, war diejenige, ob und wie lange sie nach dieser Tour noch weitermachen würden. Irgendeine Fangruppe hatte auf allen Plätzen A3-Bögen verteilt, auf die in großen Lettern "CU Next Time" gedruckt war, was man nach dem letzten Song hochhalten sollte. Sie sind einfach schon ganz schön lange dabei, Martin Gore ist am Montag 57 geworden, Dave Gahan hat im Mai seinen 56. Geburtstag gefeiert. Gore sieht man das Alter allerdings deutlicher an, dieser immer etwas traurigen Figur, deren Gesang viele ganz hinreißend finden, aber mir gefallen DM besser, wenn Gahan am Ruder steht. Der über die zweieinhalb Stunden gestern geschätzte vierzigtausend Kilokalorien abgearbeitet hat, singend, tanzend, klatschend, Pirouetten drehend. Im Gegensatz zu Montag war die Setlist schon früh mit älteren Songs unterbrochen, was zwar etwas deutlicher zeigte, wie stark sich die Band gewandelt hat, aber auch die Feierlaune im Rund weiter anheizte. Es saß ab der ersten Sekunde sowieso keiner mehr, aber ab "Enjoy The Silence" war auch der letzte Schlüpfer durchgeschwitzt. Nach "Everything Counts", so ungefähr in der Mitte des Sets, sang das Publikum noch minutenlang den Refrain, gefeiert vom auf dem Steg tanzenden Gahan. Okay, solche Elemente gehören zu allem, was man bei diesen Gigs erwarten kann, aber wenn man dabei ist und rund um einen zweiundzwanzigtausend Leute á capella weitermachen, während die Band längst aufgehört hat, das ist schon ein Gänsehauterlebnis. Ein Video hiervon habe ich bei Facebook hochgeladen.


    Was gibt es sonst noch zu sagen? Ja, sie hätten auch vier, fünf Stunden lang spielen können, aber zweieinhalb sind auch in Ordnung. Ja, die alten Kracher machen live auch noch Spaß, obwohl man sie schon tausend Mal gehört hat. Ja, das sind tolle Musiker, und wer Depeche Mode noch nie erlebt hat, aber ein kleines bisschen was mit der Mucke anfangen kann, der hat wirklich was versäumt. Und Waldbühne und über 30 Grad und sowieso. Es war schön, einfach schön. Aber es reicht mir jetzt auch. Ich will Gahan, Fletcher und Gore nicht mit über 60 dabei zusehen, wie sie behaupten, nicht genug bekommen zu können. Deshalb habe ich das kleine Plakat auch nicht hochgehalten, wie das die meisten anderen getan haben. Es wäre ein würdiges Ende, wenn das das Ende wäre.


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  • Super Bericht, vielen Dank Tom!

    Es kommt richtig rüber, dass Du total begeistert warst.


    Ich überlege gerade, wann ich das letzte Mal in der Waldbühne war...

    Muss in einem anderen Leben gewesen sein :grin

    "Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: die Sterne der Nacht, die Blumen des Tages und die Augen der Kinder!" (Dante Alighieri)