Weit weg von Verona - Jane Gardam

  • Jane Gardam: Weit weg von Verona

    Verlag: Hanser Berlin 2018. 240 Seiten

    ISBN-10: 3446260404

    ISBN-13: 978-3446260405. 22€

    Originaltitel: A Long Way from Verona

    Übersetzerin: Isabel Bogdan


    Verlagstext

    Jessica sagt bedingungslos und in den unmöglichsten Momenten die Wahrheit. Ihr Widerwille gegen Anpassung bringt sie in dem kleinen englischen Badeort ständig in verquere Situationen. Sie hat genau eine Freundin – der Rest ihrer kleinen kriegsüberschatteten Welt begegnet ihr mit einer Mischung aus Faszination und Abscheu. Aber das ist ihr egal, denn eigentlich braucht sie all ihre explosive Kraft, um Schriftstellerin zu werden. Oder ist sie das schon? „Weit weg von Verona“ ist Jane Gardams erster Roman. Doch er enthält bereits all das, wofür sie bewundert wird – die atmosphärische Stärke, den Mut zum Geheimnis und ihren besonderen Witz. Mit Jessica Vye hat sie eine der hinreißendsten Figuren überhaupt geschaffen.


    Die Autorin

    Jane Gardam wurde 1928 in North Yorkshire geboren und lebt heute in East Kent. Für ihr viel bewundertes schriftstellerisches Werk wurde sie mehrfach ausgezeichnet. Ihr deutsches Publikum hat sie spät, aber im Sturm erobert – alle Bände ihrer Trilogie um Old Filth sind hymnisch besprochene Bestseller.. Heute lebt sie in Sandwich in der englischen Grafschaft East Kent.


    Inhalt

    Jessica Vye ist 13 Jahre alt und weiß immer, was andere Menschen denken. Zusammen mit ihrer entwaffnenden Direktheit ist das eine gefährliche Kombination. Doch wer Jessicas reichlich schlagfertigen Vater erlebt, wundert sich über nichts; bei den Vyes fällt der Apfel offensichtlich nicht weit vom Stamm. Als die Schülerin 9 Jahre alt ist, hält kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs in ihrer Schule ein Schriftsteller namens Hanger einen Vortrag darüber, wie man Autor wird. „Wir alle lieben ihre Bücher“, säuselt die Direktorin, obwohl niemand zuvor von dem Mann gehört hat. Jessica fragt sich, ob ihre Lehrerinnen überhaupt lesen können. Vom Schreiben scheinen sie zumindest keine Ahnung zu haben. Sie hat schon immer geschrieben und für sie öffnet sich mit Hangers Besuch ein Fenster zu einer anderen Welt. Mr Hanger schickt Jessica jedenfalls all ihre Texte zurück, die sie ihm am Bahnhof noch schnell in die Hand gedrückt hatte, und ermuntert sie zum Schreiben.


    Als Jessica über ein Ferienerlebnis einen 47 Seiten langen Aufsatz vorlegt, erklärt ihr ihre Lehrerin Mrs Dobbs, sie hätte selbstverliebt einen belanglosen, törichten Text abgeliefert. Eine Schülerin darf offenbar im Aufsatz nichts schreiben, was die Fantasie ihrer Lehrerin übersteigt. Die Auswirkungen des Krieges nehmen die inzwischen 13-jährigen Schülerinnen gleichmütig hin. Auf dem Schulweg haben sie ihre Gasmaske stets dabei und verbringen so manche Nacht im Luftschutzbunker. Nerviger scheint für sie der Terror durch unbequeme Kleider zu sein und der Versuch, die Mädels selbst unter extremen Bedingungen zu echten Ladies zu erziehen. Die Vyes ziehen aus London fort, damit Vater Vye zukünftig als Hilfsgeistlicher arbeiten kann. Erst durch den Ortswechsel erfährt Jessica, dass ihr Vater für seine Artikel im New Statesman bekannt ist und mit dem Kommunismus sympathisiert.


    Aus Jessicas Blickwinkel beschreibt Jane Gardam in ihrem bereits 1971 erschienen Coming-of-Age-Roman pointiert das Wesen von Pubertät unter erschwerten Bedingungen mitten im Krieg. Einige Mädchen bleiben ein wenig länger 12 Jahre alt als andere und genau dafür scheint ihre Schulklasse eingerichtet zu sein. Durch die Begegnung mit dem „wundervollen Jungen“ Christian, der schon jetzt wie ein Schriftsteller aussieht, erhält Jessica eine Andeutung, wie es sein könnte, auch die Schwelle zu folgenden Lebensjahren zu überschreiten. Vielleicht ist erst der 14. Geburtstag für eine angehende Autorin entscheidend. Danach darf sie endlich auch offiziell den Bestand für Erwachsene in der Bücherei ausleihen. Neben der keimenden Autorenkarriere ihrer Protagonistin skizziert Jane Gardam so auch meisterhaft den Beginn einer Leserinnenbiografie.


    Fazit

    Eine hinreißende Icherzählerin, deren Erlebnisse für mich gern noch knapper geschildert sein dürften.


    9 von 10 Punkten

  • Ich teile Buchdoktors Eindruck von diesem Roman, der im Original schon 1971 entstand, weitgehend.

    Jessica ist ein fantasievolles, begabtes Mädchen. Sie ist mit 12 Jahren in einem Alter, wo sie zwischen Kind und junge Erwachsene hin- und her pendelt. Die Kriegszeit in England trägt ihren Teil dazu bei.

    Jessicas Gedanken zu folgen, macht Spaß.

    Dann beeindruckt mich auch, wie der Roman von Literatur durchdrungen ist und wie wichtig sie Jessica ist.

    Auch sprachlich ist Weit weg von Verona lebhafter und weniger kühl als Jane Gardams spätere Romane. ich schätze das. Für mich hätte es nicht mehr verknappt sein müssen.


    Mich überrascht jedoch, das auf Wikipedia der Roman als Childrens Book eingestuft wird. Zwar ist die Protagonistin ein Kind, aber der Stil ist nicht unbedingt kindgerecht aufbereitet.


    Gewundert habe ich mich auch über den Titel. Wieso Verona? Habe ich eine Anspielung darauf überlesen?

  • Ich habe es vor kurzem auch gelesen und hatte kein Kinderbuch erwartet. Das ist es scheinbat, aber selbst als solches funktioniert es für mich nicht. Ich fand es belanglos und die Protagonistin eher anstrengend als amüsant oder phantasievoll. Mir haben Gardams Old-Filth-Romane um Welten besser gefallen.


    Wurde "Verona" überhaupt mal erwähnt? Ich habe es nicht gefunden.


    4 Punkte

  • Für mich war Jessica als Person interessant, weil Gardam damit eine weitere Generation/Epoche abdeckt.

    Entdeckt hatte ich sie mit

    The Flight of the Maidens = Beginn des Studiums, Berufslebens, auch mit dem Thema, was bekommt eine bestimmte Generation von aktuellen politischen Ereignissen mit und was sagt das über die persönliche Reife.

    dann kam Old Filth = Lebensbilanz

    und nun die Kindheit vor der Pubertät.

  • Jane Gardam - Weit weg von Verona

    hanser-Verlag, Berlin, 2018

    ISBN 978-3-446-26040-5

    HC, gebunden

    EUR 22,00

    Seiten 238






    "Weit weg von Verona" von Jane Gardam erschien 2018 (HC, gebunden im Hanser-Verlag, Berlin.


    Die 13jährige Protagonistin Jessica Vye ist bereits nach wenigen Seiten eine große Sympathieträgerin:Ein Schlüsselerlebnis mit einem Autor, der in der Schule aus seinen Werken liest und dem sie all' ihre vorhandenen "Kritzeleien" im zarten Kindesalter zuspielt (und dies mit einer ungewöhnlichen Zielstrebigkeit), verändert ihr Leben: Jener Autor, Mr. Hangar (der auch später noch eine Rolle in diesem herrlichen Roman von Jane Gardam (übersetzt von Isabel Bogdan) spielen wird, versichert ihr, dass in ihr bereits eine Schriftstellerin schlummert! (Sie muss, was angeboren scheint, immerzu schreiben...)


    Sich selbst beschreibt Jessica als "nicht ganz normal, wenig beliebt, und als jemand, der nie die Klappe halten kann, sondern IMMER und ÜBERALL die Wahrheit sagt" - die feine Ironie in Gardam's Erstlingswerk, mit dem wir es hier zu tun haben und das in England 1971 erschienen ist, sowie der typisch englische Humor sind bereits zu finden ("Bücher sollen Spaß machen", so ihr Credo; und ich bin überzeugt, dass dieser Roman all jenen LeserInnen gefallen wird, die sich bereits über good old Filth sehr amüsieren konnten (zu denen ich mich ebenfalls zähle).


    "Weit weg von Verona" spielt in einem englischen Badeort an der Nordostküste Englands im Jahr 1940; das Leben der 13jährigen Jessica ist also - wie jenes all ihrer Klassenkameraden und deren Familien - kriegsüberschattet: So bleibt es nicht aus, dass ihr erstes Rendezvous mit dem kritischen Christian, der die Bourgeoisie, der er entstammt, hasst und dem Kommunismus sehr zugetan ist, in den sie sich (ebenfalls erstmals im Leben) verliebte, durch einen Fliegerangriff drastisch endet, wobei beide Glück haben, mit dem Leben davongekommen zu sein.


    Ausser viel Situationskomik (Jessica sitzt der Schalk im Nacken; sie ist gerne lustig, lacht gerne und ist mit großer Fantasie ausgestattet; sie hat die "Gabe", meist zu wissen, was jemand denkt, was sich nicht eben immer einfach für sie selbst erweist, jedoch umso köstlicher zu lesen ist ;), beschreibt der Roman vieles aus dem Schulleben, Lehrerinnen mit viel Verstand (und welche ohne) spielen köstliche Nebenrollen), bleibt dem Leser jedoch auch nicht verborgen, welche Not durch den 2. Weltkrieg auch die englische Bevölkerung litt: Es geht um Nahrungsmittelknappheit und -mangel, Luftangriffe und Deserteure, die in den Roman miteinfließen und die Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen (mit)bestimmt. In der Schule gibt es einen Gedichtwettbewerb und Jessica braucht lange, den ihren abzugeben - annehmend, dass der Briefkasten bei einem weiteren Angriff beschädigt wurde und die Briefe niemals rechtzeitig ankamen, wird sie einige Zeit später bei einer Schulversammlung eines Besseren belehrt.....


    Ein weiterer Lesegenuss ist die Darstellung des Elternhauses und ihrer Eltern, ihre Vorliebe für die Bibliothek, die sicher alle Herzen höherschlagen lassen, die wie ich Bibliotheken lieben sowie die Dialoge zwischen Jessica und ihrer Freundin Florence über Bücher, die sie gerade lesen.....


    Das Romanende ist sehr tiefgründig und auch positiv, da die Protagonistin durch den Erhalt eines Telegramms die Bestätigung erhält, dass "gute Dinge geschehen" (nachdem die Bibliothekarin einen Roman von Thomas Hardy ausmusterte, nachdem sie feststellte, dass dieser Lesestoff Jessica trübsinnig machen würde :)


    Fazit:


    Ein großartiger Roman, dieses Erstlingswerk, mit einer sehr willensstarken und äußerst sympathischen 13jährigen Protagonistin, die sicher jedes Leserherz nur erobern kann: Der witzige, humorvolle und SEHR erfrischende Schreibstil der Autorin ist einzigartig; besonders ihr knochentrockener englischer Humor - und die Prise Ironie ;)
    Der Abschied von der Kindheit in Kriegszeiten, in der auch alle Verunsicherungen einer angehenden Schriftstellerin nicht ausgeklammert werden. Ich kann "Weit weg von Verona" nur eine absolute Leseempfehlung und 5* geben!

    Nicht der Wind bestimmt die Richtung, sondern das Segel (aus China)

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