Anita Brookner: Ein Start ins Leben

  • Anita Brookner: Ein Start ins Leben

    Eisele Verlag 7. September 2018. 256 Seiten

    ISBN-10: 3961610118

    ISBN-13: 978-3961610112. 20€.

    Originaltitel: A Start in Life (1981) US-Titel: The Debut

    Übersetzerin: Wibke Kuhn


    Verlagstext

    “Dr. Weiss, at forty, knew that her life had been ruined by literature.“

    Die mittlerweile vierzigjährige Ruth Weiss ist schön, intelligent – und einsam. Die Literatursüchtige sucht bei Balzacs Heldinnen Antworten auf die Fragen des Lebens und der Liebe und sinnt darüber nach, wo in ihrer Kindheit und Jugend die Ursachen dafür liegen, dass sie zu einer so einzelgängerischen Existenz wurde. Dabei schien doch anfangs alles noch so hoffnungsvoll, als sie als junge Frau in Paris ein neues Leben begann …

    Schon Anita Brookners Romandebüt ist ein vollendetes Stück Literatur. Tessa Hadley zählte ihn im Guardian zu den fünf besten ihrer 24 Romane und nannte ihn „schwarzhumorig, düster, und sehr, sehr witzig.“


    Die Autorin

    Anita Brookner, 1928 als Tochter polnischer Juden in London geboren, studierte Kunstgeschichte am King’s College und promovierte am Courtauld Institute of Art. Im Anschluss absolvierte sie ein dreijähriges postgraduales Studium an der Universität von Paris. Brookner wurde Expertin für französische Kunst des 18. und 19. Jahrhunderts und übernahm 1967 als erste Frau für ein Jahr die Slade-Professur der schönen Künste in Cambridge. Neben ihrer Tätigkeit als Professorin verfasste sie zahlreiche Sachbücher zur französischen Malerei und eine Monografie über die Kunstkritik in den literarischen Werken von Diderot, Stendhal, Baudelaire, Zola u.a.. Sie trug auch zur Fernsehserie 1000 Meisterwerke bei, die noch heute im Fernsehen wiederholt wird. Anfang der Achtzigerjahre begann Anita Brookner ihre schriftstellerische Tätigkeit als Romanautorin. 1981 erschien ihr Debüt „Ein Start“ ins Leben. Ihr Roman Hotel du Lac wurde 1984 mit dem Booker Prize ausgezeichnet und zu einem mit drei BAFTA Awards ausgezeichneten Fernsehfilm. Obwohl Anita Brookner erst in ihren Fünfzigern literarisch zu schreiben begann, verfasste sie bis zu ihrem Tod am 10. März 2016 in London insgesamt 24 Romane. Brookner gilt als meisterhafte Stilistin. Ihre Romane kreisen häufig um intellektuelle Frauen in mittleren Jahren, die mit Einsamkeit und Enttäuschungen in Liebesdingen zu kämpfen haben.


    Inhalt

    Dr. Ruth Weiss ist Literaturwissenschaftlerin und arbeitet am zweiten Band ihres Werks über die Frauenfiguren in Balzacs Romanen. Als es ihren Eltern – für Ruth überraschend – gesundheitlich schlechter geht, wird sie aus Paris in ihr Elternhaus zurückgerufen, um sich um George und Helen zu kümmern. Im Rückblick entfaltet sich Ruths Aufwachsen bei distanzierten Eltern, die in ihren mittleren Jahren zumeist untätig zuhause herumlagen und sich dabei selbst bemitleideten. Ruth mochte keine anderen Kinder und flüchtete sich früh wie besessen in das Familienleben, das zwischen Buchdeckeln stattfindet. Ruth liest über Landbesitzer, Bergarbeiter und Pfarrhäuser; die Bibliothek ist ihr ganz großes Glück. In der Literatur lebt sie ein künstliches Leben, für das sie das Haus nicht verlassen muss. Im wirklichen Leben muss Ruth die Rolle der Erwachsenen ausfüllen, die ihre Eltern verweigern. Ihre Mutter Helen gibt ihre Tätigkeit als Schauspielerin auf, als ihr nur noch Rollen als Mutter der Hauptfigur angeboten wurden. Auch George, der Vater, zieht sich aus seinem Handel mit nicht näher definierten antiquarischen Büchern zurück. Die Familie lebt offenbar vom Erbe von Georges Mutter, das auch Ruth ihr Studium und einen Paris-Aufenthalt ermöglicht. George und Helen liegen in ihrem dekadenten, leicht verstaubten Haushalt meist ermattet herum und lassen sie sich von ihrer Haushälterin Mrs. Cutler bedienen. Nachdem Mrs. Cutler ein spätes Glück gefunden und den Haushalt verlassen hat, wird Ruth abrupt aus der Welt der Literatur gerissen und der Kreis zur Anfangsszene schließt sich.


    Fazit

    Gäbe es bei den Weiss keinen Fernseher und keinen Nierentisch, könnte die Handlung zu einer beliebigen Zeit nach Dickens spielen. Ruth empfand sich schon als Kind als Störenfried im Leben ihrer Eltern und macht für ein ängstliches Kind aus bohèmehaften Verhältnissen eine erstaunliche Karriere. Von George und Helen könnte ich mich selbst ermattet fühlen, wäre da nicht Anita Brookners spitzzüngiger Humor, mit dem sie den Haushalt der Weiss schildert, und wäre da nicht ihre Liebe zum Detail, mit der sie z. B. Ruths Start in ihr Leben in Paris in einem Dienstmädchenzimmer unter dem Dach beschreibt.


    Ein Highlight ist zweifellos das vorangestellte Interview von Julian Barnes mit der Autorin (voller Hochachtung für die Booker-Prize-Trägerin). Barnes spricht unverblümt an, dass Romanen über Frauen Mitte 40, geschrieben von einer Frau Mitte 40, im Literaturbetrieb gern unterstellt würde, der Text sei biografisch und überhaupt könnten Frauen nur biografisch schreiben. Warum das 40 Jahre nach Erscheinen dieses bemerkenswerten Romans noch immer so ist, sollte nach der Lektüre von „Ein Start ins Leben“ dringend diskutiert werden.


    9 von 10 Punkten

  • Ich habe ein wenig gebraucht um in das Buch einzutauchen, v.a. wegen dem ausführlichen "Vorwort".


    Als dann letztendlich die Lebensgeschichte von Ruth Weiß erzählt wird, fand ich das Buch wunderbar. Ruth erzählt von ihrer Kindheit, ihren Eltern, von der Literatur. Lt. Kurzbeschreibung habe ich eine biedere junge, ganz unselbständige Dame erwartet. Glücklicherweise entpuppte sich Ruth nicht ganz so schlicht.


    Sie findet Kontakt zum männlichen Geschlecht, wenn auch vlt jeder so seine Macken hat und nicht immer alles nach Vorstellung läuft.


    Ihr Aufbruch nach Paris, wie sie dort lebt, wie sie sich in ihre Arbeit vertieft hat mir sehr gut gefallen.


    Das Leben zieht weiter, die Eltern werden älter, man hat eine gewisse Verantwortung. Das geht auch Ruth nicht anders.


    Einen Teil aus ihrer Biographie erfahren wir in "Ein Start ins Leben". Wer gerne über den Werdegang von jungen Damen aus vergangenen Zeiten liest, findet hier ein tolles Buch. Man bedenke, dass das Original bereits 1981 erschienen ist.


    Von mir gibt es eine absolute Leseempfehlung. Also 10 von 10 Eulenpunkten.

  • Ich habe diesen Roman über eine junge (und dann etwas ältere) Frau im Literaturbetrieb gern gelesen, obwohl ich ihn unterm Strich als ziemlich düster wahrgenommen habe. Ohne jetzt weitere Details über den Inhalt verraten zu wollen, muss ich sagen, dass ich beim Lesen viel über die Fragen nachgedacht habe, was ein Leben erfüllt und erfüllend macht, wann ein Leben als „gelebt“ bezeichnet werden darf oder wann es einfach in den Startlöchern steckengeblieben ist (und wessen Schuld das dann ggf. ist) und in welcher Hinsicht dies Ansichtssache sein kann oder nicht. Was hat Ruth selbst in der Hand, wo ist sie in Umständen gefangen oder von anderen Menschen getrieben? Welche Anforderungen im Leben kann oder muss man annehmen, welchen darf man sich verweigern – und was ist für wen sinnvoll oder eben nicht? Diese Themen werden mir noch eine Weile nachgehen…


    8/10 P.