Martin Walser - Statt etwas oder Der letzte Rank

  • Kap. 34


    Beim ersten Hören konnte ich diesem Kapitel nicht viel entnehmen, außer Walsers Selbsteinschätzung, dass er für ein Pseudonym zu Ich-bezogen und exhibitionistisch ist. Und das wunderschöne Wort „Sprachgirlanden“! :anbet

    Lange Zeit ging es um Monikas erotische Romane und ihren Garten. Der ist ja schön beschrieben, aber das wars dann auch. Dachte ich.

    Doch dann merkte ich, dass dieser Garten eine Metapher ist für Fantasie, Kreativität, Monikas Ausdrucksfähigkeit für erotische Texte. Besonders wichtig waren die Margariten, von denen im Wind jede in eine andere Richtung neigt. Auch eine Metapher? Um diesen Garten hat er sie sehr beneidet. Er hatte keinen solchen. Das hat ihn beeindruckt, so dass er sie öfter besuchte.


    Doch die Szene im Krankenhaus verwirrt mich nach wie vor. Als er sagte, „die letzte Nachricht aus dem Krankenhaus“, hörte sich das für mich so an, als ob sie kurz darauf gestorben wäre. Während seines Besuches dort, „entschlief“ sie tatsächlich. Ich dachte sofort, sie wäre gestorben. Doch dann war sie wieder lebendig. Und wie! Sie schliefen miteinander. Dann entschlief sie wieder und wachte wieder auf. Sie nahmen Abschied. Es ist von einem Abschiedsverständnis die Rede. Für mich klingt das endgültig. Dann noch ein Brief mit dem Satz, das passiere in den besten Familien.


    Nun, ich gehe davon aus, dass Monika nicht gestorben ist. Oder höchstens um als Carla wiederaufzuerstehen.

  • Ich habe im Moment gar keine Zeit zum Lesen, made.

    Das ging mir die letzten Tage auch so. Aber jetzt bin ich wieder dabei.


    Kap. 35


    Jetzt bin ich verblüfft. Walser entschuldigt sich bei Freunden, Gegner und Feinden.


    Er hat eingesehen, dass jeder so handelt, dass es für sein eigenes Leben Sinn macht, damit er der sein kann, der er gern sein möchte.

    Die Einteilung in Freund, Gegner und Feind sei „krankhaft Ich-bezogen gewesen“.


    Ich kenne auch Menschen, die dazu neigen, das, was ihnen von anderen geschieht, als eine geplante Aktion gegen sich zu sehen, die nur dazu gedacht war, ihnen eins auszuwischen. Sie ziehen nicht in Erwägung, dass es gar nicht um sie ging. Sie waren halt nur auch dabei.

  • Das 36. Kapitel nenne ich mal tragikomisch.

    „Das Leben als Wiederholung des Einmaligen“. Ich kann mir gar nicht vorstellen, worum es in diesem Vortrag gegangen ist. Wobei sicher die erzählte Episode einen Bezug dazu herstellen soll.


    Ellen, mit der er vor einigen Jahren eine Nacht verbracht hatte, erkennt ihn nicht wieder, sondern verwechselt ihn, während für ihn diese Nacht unvergesslich, schicksalhaft gewesen. Wie enttäuschend! Es klingt melancholisch.


    Wenn man sich aber andererseits ausmalt, was passiert wäre, wenn Ellen im allerfalschesten aller Momente, nämlich bei der Wiederholung des Einmaligen, die Erinnerung ans erste Mal gekommen wäre ...:lache


    Und dann erfährt er noch so viel Tolles über jenen Ferdinand, dass er neidisch wird auf ihn. Er wünscht sich ein Menschenrecht auf Vergessen. Dinge, die man nicht ertragen kann, soll man einfach vergessen können.


    Er kann einem wirklich Leid tun.

  • Kap. 37 + 38


    Jetzt geht es ums träumen. Walser erzählt uns einige seiner Träume. Ich vesteh nicht warum, da er selbst nichts von Traumdeutung hält. Er sieht die Träume eher als Unterhaltung, da sie erträglicher als das Leben seien.

    Ich habe zwar selbst versucht, Sinn aus seinen Träumen zu lesen, ist mir aber nicht gelungen.



    Kap. 39


    „Fühl dich so unwichtig, wie du bist.“


    Sagt er diesen Satz auch zu sich selbst? Dann muss man annehmen, dass das eine Rüge an sich selbst ist.


    Gilt es auch umgekehrt? Darf man sich auch so wichtig fühlen, wie man ist?


    Es hängt wohl davon ab, ob der jeweilige Mensch eher überheblich ist oder mehr zu Minderwertigkeitsgefühlen neigt.



    Das 40. Kapitel finde ich heftig. Es fängt ganz harmlos an mit einer Rückkehr zu einem Ort, der wichtig war in seinem Leben. Er will sich mit seinem Leben aussöhnen und befasst sich mit noch offenen Vorwürfen gegen andere, die er dann einen nach dem anderen streichen kann.


    Aber bei seinem jahrelangen, einzigen Freund xy gelingt ihm das nicht. Schließlich muss er erkennen: Es war eine Freundschaft, die sich nicht weiterentwickelt hat. Er hat xy falsch wahrgenommen.


    So etwas muss sehr enttäuschend sein! Und das lebenslänglich.

  • Kap. 42


    Jetzt geht es der leeren musterlosen Wand an den Kragen. Sie lässt sich in Dienst nehmen und sagt Dinge, die er nicht hören will. Deshalb lässt er sie kurzerhand tapezieren.


    Ich weiß immer noch nicht genau, was diese leere musterlose Wand sein soll und schon gar nicht, wie es möglich ist, diese zuzutapezieren.


    Immerhin hört er jetzt „reine“ Musik. Bildet er sich ein.


    Man kann sein Inneres gegen Dinge, die man nicht will, verschließen. Aber ob das hier gemeint ist? Keine Ahnung! Alles sehr nebulös.

  • Kap. 43


    Ein Vernunft-Chef hat das Wort „Unvernunft“ definiert und was er für unvernünftig hält. Ganz Europa folgt dieser Autorität.

    Walser möchte die so geächteten Dinge rehabilitieren. Doch mit welchem Wort?, fragt er.

    Sicher geht es hier nicht um ein einzelnes Wort, sondern um ganze Argumentationen. Walser klingt hilflos.


    Kap. 44


    Dass Gedanken nicht immer das sagen, was man hören will, kennt jeder. Gedanken können Selbstreflexion, Selbstkritik ausdrücken oder auch den Einfluss der Erziehung oder Gesellschaft. Das muss man nicht extra erwähnen. Und der Aussage, dass seine Gedanken für seine Zurechnungsfähigkeit sorgen wollen, kann ich auch noch folgen. Doch dann der Satz: „Das haben sie, fürchte ich, geschafft.“

    Bereut er, zu sehr auf diese, von außen beeinflussten Gedanken gehört zu haben und zu wenig auf sich selbst?


    Der folgende Dialog zwischen ihm und seinen Gedanken ist mir völlig rätselhaft:

    Auf meinen Äckern blüht die Täuschung. - Die ist teuer. - Und kostet das Leben. - Das darf sie. :gruebel

  • Der folgende Dialog zwischen ihm und seinen Gedanken ist mir völlig rätselhaft:

    Auf meinen Äckern blüht die Täuschung. - Die ist teuer. - Und kostet das Leben. - Das darf sie. :gruebel

    :gruebel Könnte das mit dem ungesunden Einsatz von Glyphosat oder anderen Unkrautvernichtungsmitteln zu tun haben?

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Kap. 47


    Ob es einen Grund hat, warum er ausrechnet mit drei, verschiedenen farbigen, Bällen jonglierte, weiß ich nicht. Jedenfalls durfte er nicht aufhören. Doch es ist sehr anstrengend.

    Was soll der 4. Ball darstellen, den er sich wünschte? Wenn der ihm zugeworfen wird, könnte er die anderen fallen lassen. Seine Sehnsucht war, endlos zu spielen.


    Für mich hört sich das nach einer Sehnsucht nach Erlösung von langer Anstrengung an. Sollen die Bälle Wörter darstellen?


    Er vermutet, dass er bald die Bälle und damit auch sich selbst fallen lassen muss. Das klingt nach Ende.

  • Kap. 48


    Interessant ist die Darstellung des Gefühls der Zugehörigkeit. Es verleiht einem Sicherheit, Tatkraft, Aufbruchsstimmung, Leichtigkeit.

    Und wenn dann noch in der Zeitung darüber geschrieben wird, verstärkt es dieses Gefühl.


    Zu welcher Gruppe fühlt er sich zugehörig, dass davon in der Zeitung steht? Er verwendet zwar gelegentlich das Wort „Staatsangehörigkeit“, doch das ist nicht wörtlich zu nehmen. Ich meine, die Anführungszeichen herauszuhören.

    Ich denke, es geht um die schreibende Zunft.


    Kap. 49


    Was ist das für eine tolle Frau, die in weiser Voraussicht den Hubschrauber-Führerschein macht, damit sie ihren Mann aus Bergnot retten kann, falls das mal nötig sein sollte! :lache


    Ich kann allerdings nicht den Zusammenhang zu dem Auto-Fahrverbot sehen.


    Vielleicht ist beides als Hommage an seine Frau zu verstehen, die ihn immer wieder aus Schwierigkeiten befreit hat und dabei einiges auf sich genommen hat.

  • Kap. 50


    Was für ein starkes Kapitel! Walser versucht, den Begriff Barmherzigkeit in Worte zu fassen. Und es ist wirklich ein Versuch, denn er korrigiert sich selbst mehrfach.

    Es ist ein Begriff, von dem er dachte, es gäbe in nicht mehr, bis er ihn selbst an sich erfahren hat. Er grenzt ihn von Liebe ab.


    Der Beginn ist ja auch sehr kreativ:

    Eine Frau, Vorname: besitzanzeigendes Fürwort

    Da habe ich ein paar Sekunden gebraucht, bis ich das verstanden habe. :lache

  • Kap. 51


    „Ich wollte mir nicht verloren gehen. Jeder hängt an sich.“


    Ich verstehe nicht, was es heißt, sich selbst verloren zu gehen. Aber dass man an sich hängt, halte ich für selbstverständlich. Deshalb wundert es mich, dass Walser eine Leistung vorausgesetzt hat, dass man es wert ist, an sich zu hängen. Irgendwann ganz plötzlich kam ihm die Erkenntnis, dass man an sich zu hängen darf, ohne beweisen zu können, dass man es wert ist.


    Sehr gut gefallen hat mir die Beschreibung, dass man selbst eigentlich alles ist. „Ich bin, was Himmel und Erde wollen. Ich bin das Innerste dieser Welt …“

    Das endet in dem Satz: „Ich bin, also bin ich.“

  • Ich verstehe nicht, was es heißt, sichselbst verloren zu gehen

    Vielleicht meint Walser, dass man nicht mehr nach seinen Überzeugungen lebt und handelt, sondern nach dem, was andere wollen oder was mehr Geld bringt oder gerade angesagt ist.

    Ich finde das einen sehr wichtigen Aspekt, dass man sich und seinen innersten Überzeugungen treu bleibt und man morgens noch in den Spiegel schauen kann.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Kap. 52


    Nun bin ich im letzten Kapitel angelangt. Teilweise kommt es mir vor, wie eine Aneinanderreihung von Sätzen, die nichts miteinander zu tun haben.

    Immerhin verstehe ich, dass es ein Friedensangebot ist. Es klingt danach, dass er all der Kämpfe müde ist und nur noch alle Menschen unterschiedslos umarmen möchte. Keiner sei ihm dafür zu schrecklich. Allerdings befürchtet er, dass ihm dafür der Mut fehlen könnte. Ich verstehe es so, dass er nicht unterscheiden kann, wen er lieben soll und wen nicht.

    „Zum Unterscheiden bin ich nicht blind genug.“ Das klingt ja völlig widersprüchlich! Inwiefern muss man blind sein, um unterscheiden zu können? Vielleicht in dem Sinn, dass unwichtige Dinge nicht den Blick auf das Wesentliche verstellen dürfen.


    Im allerletzten Satz sagt er von sich, er „will gefunden werden, wo ich am liebsten wäre.“ :gruebel



    E N D E

  • Schön, dass außer mir noch jemand profitiert hat. :wave


    Tatsächlich ist es mir häufiger passiert, dass ich, noch während ich im Kopf einen Beitrag formulierte, neue Gedanken hatte, die mich im Verständnis weiter brachten. Das wäre ohne diesen thread nie so gewesen.