Beiträge von Peter Waldbauer

    Es tauchen mit jedem Börsenaufschwung - und spätestens in jeder neuen Anlegergeneration - wieder neue Scharlatane und Heilsversprecher auf. Das Muster wiederholt sich. Man muss davor warnen und kann aus den vergangenen Perioden viel lernen. Nicht nur aus jenen, die 10, 15 Jahre zurückliegen, sondern sogar aus solchen, die Jahrhunderte zurückliegen (siehe Tulpenmanie 1637).

    Klasse!


    Dr. Brandenburg ist Notfallmediziner. Genauso schreibt er auch. Das Wesentliche schnell auf den Punkt gebracht; die nackte Kerninformation ist es, die zählt. Es werden nicht alle möglichen Gegen-Standpunkte ausdifferenziert, sich nicht nach allen Seiten umständlich abgesichert (einerseits...andererseits). Dies ist keine wissenschaftliche Studie, kein akademischer Schreibstil.
    Nein, Dr. Brandenburg hat zu allen Themen im Buch eine klare Meinung und die äußert er unmißverständlich. Dabei mag einiges unter den Tisch fallen, mancher manches vermissen. Es ist das Recht des Autors aus seiner eigenen Erfahrung zu schöpfen. Quellen müssen vor allem von Journalisten benannt werden können, die sich von außen (als "Fremde") einem Thema nähern.


    Fünf wichtige Kapitel im Buch sind: die Frage der KV (privat oder gesetzlich?), das Abrechnungssystem der Krankenhäuser (Fallpauschale), die Notaufnahme, mögliche Behandlungsfehler und die Frage, inwieweit der Patient selbst dazu beiträgt das Gesundheitssystem zu überlasten (ungesunde Lebensweise). Hier erfährt der Leser Erhellendes, Wichtiges und Neues.
    Auf Unmut (vor allem bei Chefärzten) dürfte Brandenburg mit seinem Kapitel 43 stoßen (Warum wehren Ärzte sich nicht gegen die Zustände im Krankenhausbetrieb?). Zitat: "In Deutschland gibt`s in der Frühbesprechung prinzipiell einen Glassplittereinlauf".


    Formulieren und schreiben kann der Autor auch. Beispielsweise: "Wie der Kommunismus scheitert aber auch die DRG-Theorie an der menschlichen Natur..."(S. 52).
    Am deutlichsten zeigt er dies im letzten Kapitel seines Buches ("Sterben müssen"). Sehr berührend sind seine Erfahrungen mit dem Tod. Gegen Ende des Buches heisst es metaphorisch:
    "Manchmal wartet man lange auf ihn und atmet auf, wenn er endlich da ist.
    Manchmal sieht man ihn gar nicht ins Zimmer kommen, auch wenn man die Tür genau bewacht."
    Und der Autor bietet Trost:
    "Den Weg des Sterbens müssen Sie nicht allein gehen, egal wie lang er sich ziehen mag. Nur den allerletzten Schritt, aber der ist ganz kurz."
    Und dann die Schlußzeile: "Sie gehen nur vor. Wir anderen folgen Ihnen sehr bald."

    Fleißarbeit


    Eine gute Biographie, eine Fleißarbeit, die sich leicht lesen lässt. Keine Verklärung der Person Wiesenthals, auch persönliche Eitelkeiten kommen zur Sprache.


    Wiesenthal, Überlebender von zwölf Konzentrationslagern und Leiter des Jüdischen Dokumentationszentrums in Wien, suchte nach dem Zweiten Weltkrieg nach ehemalige Nazigrößen. So wurde unter seiner Mitwirkung Adolf Eichmann in Buenos Aires 1960 verhaftet. Auch andere KZ-Aufseher und NS-Verbrecher spürte Wiesenthal in Südamerika, Kanada und den USA auf.


    Wiesenthals Arbeit war relativ unspektakulär. Sie glich der eines passionierten Sammlers. In mühevoller Schreibtischarbeit trug Wiesenthal viele Informationen geduldig zusammen. Dabei handelte es ich überwiegend um die Erlebnisse ehemaliger Lagerinsassen über ihre Folterer, mündlich überliefert oder schriftlich protokolliert. Den darin enthaltenen Hinweisen ging der „Nazijäger“ Wiesenthal nach. Er verdankte seine Erfolge seinem photographischen Gedächtnis und der kriminalistischen Kombinationsgabe, mit der er die verschiedenen Zeugenaussagen zu einem Puzzle zusammensetzte. Durch das Auswerten unzähliger Briefe entstand eine einzigartige Sammlung, ein Archiv von Schauplätzen, Ereignissen und Namen.


    Hatten sich dank dieser Sisyphusarbeit Namen und Spuren ehemaliger Täter herauskristalliert, begann für Wiesenthal erneut eine Odysee: die nervenaufreibende Auseinandersetzung mit Behörden und Dienststellen im In- und Ausland. Diese galt es nun zu überzeugen, dass fundierte Hinweise auf ehemalige Kriegsverbrecher vorlagen. Erst dann konnte er für deren Verhaftung und Auslieferung zu sorgen. Viel Detailarbeit, Geduld und Glück waren ausschlaggebend für den Erfolg.

    Völlig überbewertet


    Der unerträgliche, geschwätzige Stil des Autors durchzieht das ganze Buch. Eine Sprache, die sich spreizt und zeigen will, zu welchen Formulierungen sie im Stande ist. Ein von der Grammatik abgesegneter Quatsch verhindert das Eintauchen in die Geschichte.


    Man muss sich größtenteils zwingen zum Lesen. Immer wieder versperren ermüdende Aufzählungen von Gegenständen den Fortgang der Handlung. Das Stilmittel des `pars pro toto` ist dem "Weltautor" Mann offenbar fremd.


    Taugt die eigentümlich komplizierte Redensweise der Hauptfigur immerhin noch dazu, deren Selbstverständnis und angestrebten Status zu unterstreichen, so lässt der Autor auch alle anderen Figuren, selbst junge Töchter, in gedrechselten Schachtelsätzen schwadronieren.


    Mann ist in seinen geschwätzigen Stil so verliebt, dass er die Möglichkeiten einer persönlichen Charakterisierung der jeweiligen Figur komplett ignoriert. Fast jeder und jede, die auftaucht, redet im ´Krull-Stil`.


    Dieser besteht darin, dass der Sprecher während seiner Rede auf die Metaebene wechselt, um von dort sein eigenes Sprachverhalten fortwährend zu kommentieren. So entstehen sinnlose Einschübe wie: „Es scheint mir, dass“, „so möchte ich behaupten“, „schien es mir doch angemessen zu sagen“, „scheint es meiner Pflicht zu obliegen, den Leser auf die Tatsache hinzuweisen, dass“, „wenn ich mich nicht irre“, etc.
    Das maßlose Erweitern der Sätze, das Einziehen immer weiterer Unterebenen, trägt zur Verwirrung bei und erschwert die Lesbarkeit.


    Die Hochstapelei - das angebliche Grundmotiv des Romans - lässt sich nur sehr eingeschränkt feststellen. Krankfeiern und banaler Diebstahl haben nichts mit Hochstapeln zu tun. Kellnern auch nicht. Ebensowenig Krulls verkappte Gigolo-Tätigkeit. Auch die Ausmusterung beim Militär erlangt er nicht durch die Überhöhung seines Könnens, sondern durch das Gegenteil.


    Da, wo Manns Hauptfigur sich tatsächlich zu höherem aufschwingt, nimmt er einen Rollentausch vor, leistet er eine bloße Gefälligkeit. Außer die Welt zu bereisen, erlangt er durch die Annahme der fremden Identität keinen Vorteil, und selbst dieser ist nicht erschlichen, sondern mit dem Tauschpartner vereinbart. Im Gegenteil: Krull übergibt ihm sogar noch seine Ersparnisse.


    Ein Hochstapler hätte Krull erst dann richtig sein können, wenn er seine Rolle als reisender Marquis auf Kosten fremder Eltern dazu benutzt hätte, eigene Unternehmungen zu wagen, wenn er bedeutende Positionen erlängt hätte, wenn er Tätigkeiten entfaltet hätte, die über die Absprache mit dem in Paris gebliebenen Kollegen hinausgegangen wären. So beschränkt sich seine Rolle darauf, dem Müßiggang zu fröhnen, Frauen mit seinem Äußeren zu beeindrucken und von unterwegs Briefe im Namen eines anderen zu schreiben.

    Einblicke, aber keine Abrechnung


    Nein, es ist keine Abrechnung mit Dieter Bohlen geworden, auch wenn sich das Thema erwartungsgemäß wie ein roter Faden durch das ganze Buch zieht. Thomas Anders ohne Modern Talking ist nun einmal nicht denkbar und Modern Talking ist eben auch - Dieter Bohlen.
    Darüberhinaus gibt Anders persönliche Einblicke in sein Umfeld, seine Arbeit und seine aktuelle Karriere. Diese fusst (angesichts der Krise der Musikindustrie wegen illegaler Downloads) auf einer großen Anzahl regelmäßig zu absolvierender Lifekonzerte vorwiegend in den GUS-Staaten. Für Anders, den Künstler, ist diese Form der beruflichen Betätigung nur legitim; Bohlen, das Marketing-Genie mit der großen Klappe, bleibt auf das Medium Fernsehen zurückgeworfen.
    Sehr interessant und durchaus neu sind die vielen häuslichen Eindrücke, die Anders uns vermittelt. Immer deutlicher schält sich beim Lesen heraus: Anders ist nicht nur Familienmensch, er ist, trotz zahlreicher Reisen, ein sehr häuslicher Mensch. Wohnkultur spielt eine große Rolle in diesem Buch, damit einhergehend: Esskultur und Freundeskultur. Es wird eingeladen, geschlemmt, getrunken und genossen. Luxus dient zur Erleichterung des Lebens, nicht zum Ausspielen von Macht und Überlegenheit gegenüber Konkurrenten. Anders, fern jeglicher neurotischen Erfolgsbessenheit à la Bohlen, hat seine Work-Life-Balance längst gefunden. Ein Mensch, der sich zu seinen Fehlern in der Vergangenheit nicht nur bekennt, sondern, völlig zu Recht, mit sich im Reinen ist.

    Bravo Frank!


    Der „Diidäär“ aus Oldenburg ist zweifellos eine der zwiespältigsten Personen der deutschen Unterhaltungsbranche. Einerseits hat er sich selbst zum größten Musikproduzenten-Genie seit Mozart stilisiert, (was ihm von Teilen der Öffentlichkeit sogar abgenommen wird), andererseits weist er gravierende menschliche Defizite auf.


    Wer Bohlen mit Kritik begegnet, seien es aktuelle oder ehemalige Kollegen aus der Musikbranche, wird von ihm meist sehr schnell platt gebügelt, mit dem Hinweis auf deren
    a) entweder überhaupt nicht vorhandenen oder
    b) nicht mehr vorhandenen oder
    c) viel geringeren Erfolg.
    Bei einer Größenordnung von über 160 Millionen verkauften Tonträgern und mindestens den gleichen Betrag als Eurovermögen - ein Totschlagargument. Wer Dieter am Zeug flickt, so Bohlens Sicht der Dinge, kann nur von einem motiviert sein: Er ist neidisch. Punkt. Wäre dem nicht so, würden diese „Hanseln“ doch gar nicht erst versuchen, an Bohlens Renomée zu kratzen. Wer soviel Erfolg hat, muss sich ja wohl nichts von irgendwelchen „Losern“ sagen lassen. Bohlens „Personality“, wie er sie in seinem Buch "Nichts als die Wahrheit nennt", kann nur die richtige sein, denn der Erfolg gibt Bohlen recht. Die anderen wissen halt nicht wie`s geht, weshalb ihnen Bohlen auch jeglichen Respekt versagt.
    Kurzum, für Bohlen steht der Erfolg, das Materielle, (Anzahl der verkauften Tonträger/der Nummer 1-Hits in den Charts/der Zuschauer bei DSDS) an erster Stelle und wer selbst so sehr materiell ist wie Bohlen, der setzt bei anderen, das ist nur konsequent, ebenso materielle Motive voraus.


    Die Produzentenkollegen Ralph Siegel und Jack White – wielange ist es her, seit sie einen Künstler in den Charts hatten? Stars wie Chris Norman oder Bonnie Tyler sollen gefälligst erst mal wieder wieder einen Hit landen, bevor sie ungefragt mitreden dürfen. Das hinter Bohlens Erfolg nachrangige Abschneiden seiner Branchenkollegen ist also, nach Bohlens Meinung, ursächlich für deren Unzufriedenheit und Frustration, die sich nur darin entladen kann, dass sie ihm, dem Poptitan am Zeug flicken.


    So ist es nicht verwunderlich, dass die einzigen Menschen, die Bohlen akzeptiert, ja eventuell sogar als seine Vorbilder ansieht, Personen sind, die noch erfolgreicher sind als er: Frank Farian, was dessen Erfolg als Musikproduzent betrifft und Franz Beckenbauer, was dessen Prestige und Gefragtsein in den Medien angeht. Seit Bohlen bei Deutschland sucht den Superstar mitwirkt, gehört auch Simon Fuller dazu, der Erfinder der gleichnamigen Casting-Show. Bohlen bewundert an Fuller, dass dieser mit seiner Idee Milliardär geworden ist. Und natürlich noch Paul McCartney, das Urgestein der Popindustrie.


    Dass der so vehement angestrebte Erfolg auch Menschlichkeit zulässt, dass soziale Harmonie trotz harter Konkurrenz möglich ist, solche Gedanken erscheinen Bohlen offenbar abwegig. Ein exzellentes Beispiel dafür, dass es auch anders gehen kann, ist übrigens Frank Farian.
    Bohlen brüstet sich ja, um seinen Wert als bedeutender Musikproduzent zu unterstreichen, bei jeder Gelegenheit damit, über 160 Millionen Tonträger verkauft zu haben.
    Nun, was soll Frank Farian da erst sagen? Farian hat über 850 Millionen Tonträger verkauft. Eine Anzahl, die sich kaum noch genau ermitteln lässt. 850 Millionen, fast eine Milliarde(!) verkaufter Tonträger. Bei weltweit über sechs Milliarden Menschen, bedeutet dies: Im Durchschnitt besitzt fast jeder achte Mensch auf diesem Planeten einen Hit von Frank Farian! Bohlen mag der clevere Hitproduzent eines Hamburger Musikverlages sein, der in den Achtzigern einen Trend konsequent zu nutzen wusste, aber Farian ist ein Genie. Farian wandelt über dem Wasser.


    Egal, wie sehr Dieter Bohlen sich in seinem künftigen Musikproduzenten-Leben noch abstrampeln wird, Frank Farian kann er nie mehr einholen. Auch wenn man berücksichtigt, dass Bohlen ein Jahrzehnt jünger ist als Farian, die Differenz von rund 700 Millionen verkauften Tonträgern ist für Bohlen unmöglich zu schaffen und das weiß er auch.
    Frank Farian hat in den USA, dem größten und schwierigsten Musikmarkt der Welt, ebenso viel Prestige und Erfolg wie in Deutschland, wenn nicht noch mehr. Doch wer in den USA oder England kennt Dieter Bohlen?


    Bohlen ließ sich, seiner „Personality“ gemäß, vom Boulevard als Pop-Protz mit Rolls Royce, Mercedes und Millionen-Villa feiern. Home-Stories, die Bohlen nach Kräften unterstützte mit detaillierten Preisangaben über den Wert seiner Luxusgüter. Frank Farian meldet solche Autos mit Rücksicht auf den Neidkomplex in Deutschland gar nicht erst an und vom Musikkonzern CBS-Records ist zu hören, dass man dort noch nie einem so bescheidenen Menschen begegnet sei wie Frank Farian, der sich zum Mittagessen mit einem Käsebrötchen begnüge.


    Bohlen besitzt einen akademischen Abschluss der Universität Göttingen, ist Diplom-Kaufmann. Farian ist gelernter Koch. Wieviel mehr Anlass als Dieter Bohlen hätte Frank Farian, sich auf seine Karriere etwas einzubilden?

    Vom Schlagersänger zum Finanzexperten


    Anders greift das herrschende Geld- und Zinssystem an und wieder geht es nicht ohne Verschwörungstheorien. Die Bundesbank, die Österreichische Nationalbank und die amerikanische Federal Reserve Bank sind laut Anders in Privatbesitz. Unser Geldsystem sei ein Schwindel, vergleichbar den Geld-Kettenbriefen, bei denen der kleine Mann der Dumme sei und man die dafür Verantwortlichen ins Gefängnis stecken müsse.


    Anders ist der Meinung, dass man auf von Banken geliehenes Geld keine Zinsen zahlen müsste und natürlich sind die Profiteure des ganzen Systems „einige Bankiersfamilien“, unter diesen speziell „die Rothschild-Familie“. Anders weiß offensichtlich nicht, dass die Rothschild-Bank heute in der Finanzwelt fast keine Rolle mehr spielt. Waren die Rothschilds einst Bankiers der Fürsten und Fürsten unter den Bankiers, so sind sie heute nur noch Zwerge gegenüber den großen internationalen Finanzkonzernen. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen die Initialen R.F. (Rothschild Freres = Gebrüder Rotschild) mit R.F. (Republique Francaise) gleichgesetzt wurden. Die nachfolgende Generation der
    Rothschilds ist durch eine Reihe finanzieller Misserfolge in Verruf geraten. Die Rothschild-Beteiligungen der Erben beschränken sich nur noch auf Weinberge, Kunstschätze, Rennpferde, Paläste und Schlösser. Obwohl der Stern der Rothschilds schon lange verblasst ist, erliegt Anders dem Mythos von der „geheimen Macht“ einer jüdischen Hochfinanz. „Wie sich das der kleine Christian so vorstellt.“, hätte man im alten Wien gesagt.


    Anders plädiert dafür, das zur Zeit „herrschende Geldsystem“ per Volksentscheid abzuschaffen und ein „zinsfreies“ Geldsystem einführen. Wie das im Detail funktionieren soll, ist Anders zu kompliziert zu erklären, deshalb verweist er an dieser Stelle auf sein Buch "Der Rubel muss rollen". Hierin verspricht er „die Lösung aller wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme in der Welt“ und gibt den Lesern gleich eine Aufforderung mit: „Lesen Sie es, und erzählen Sie auch anderen davon!“ Die Bietigheimer Zeitung titelte daraufhin: „Vom Schlagersänger zum Finanzexperten“.


    Nur soviel verrät Anders vorab, die wahre “Lösung aller Probleme in der Welt“, das sei eine „weltweite Geld- und Bodenreform“. „Geld muss zinsfrei werden, leicht an Wert abnehmen und wird damit in den Umlauf gezwungen“. Er will „Geldscheine mit Ablaufdatum“. Mit anderen Worten: Anders plädiert für eine galoppierende Inflation! „Wir brauchen zinsfreies Geld!“, fordert er und dieser Wunsch ist umso verständlicher, wenn man bedenkt, wie sich die Schulden von Christian Anders durch eben diese Zinsen seit vielen Jahren vermehrt haben dürften.


    Hatte Christian Anders in der 1970er Jahren seine Multimillionen etwa zinsfrei bei der Bank angelegt? Wie muss man sich die damaligen Gespräche zwischen ihm und seinem Bankberater vorstellen?
    Anders: „Hier sind sieben Millionen Mark, bitte lassen sie das Geld zinsfrei auf meinem Konto stehen! Nein, wirklich - ich möchte keine Zinsen!“ So etwa?
    Und entgegnet der Banker vielleicht: „Aber Herr Anders, bei sieben Millionen Mark vermehrt sich ihre Vermögen ganz von allein. Selbst wenn wir ihnen nur ein halbes Prozent Zinsen pro Jahr auf ihrem Konto gutschreiben, macht dies bereits einen Betrag aus von...“
    Anders daraufhin aufgebracht, bereit dem Bankier an die Gurgel zu gehen: „Schweigen Sie! Noch ein Wort und ich zieh` mein Geld ab und such mir `ne andere Bank.“
    Der Banker ratlos: „Aber Herr Anders, die zahlen ihnen doch auch Zinsen...“


    Hat Christian Anders also damals die Millionen unter der berühmten Matraze geparkt? Oder im Kofferraum seines Rolls Royce? Einmal hat Anders einen Koffer mit umgerechnet 250.000 Euro am Berliner Flughafen einfach „vergessen“, erzählte Dieter Thomas Heck. War dies ein verzweifelter Versuch, den verhassten Zinsen zu entgehen?

    Widersprüche pur


    Anders plädiert in seinem "Wirtschaftsbuch" für eine „Grund- und Bodenreform“: „Grund und Boden sollten jedem gehören“. Plädiert Anders für den Kommunismus? Ein paar Zeilen weiter die Bestätigung: „Grund und Boden muss der Gemeinde gehören.“ Doch Anders räumt überraschend ein: der Kommunismus habe uns ja bewiesen, dass „gemeinsamer Besitz von Grund und Boden nichts bewirkt“. Deshalb brauchen wir eine „Kombination aus privater Nutzung und gemeinschaftlichem Besitz“. Klingt wie „ein bißchen schwanger“.


    Irgendwie will Anders die „Ineffektivität der Planwirtschaft“ durch Erbpachtrecht vermeiden. Vehement fordert er: „Die Spekulation mit Boden und Geld muss aufhören!“ Weiß Anders denn nicht, dass bereits jeder spekuliert, der sich Gedanken über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung macht? Und sei es nur, dass er den Kauf eines Kleidungsstücks verschiebt bis zum Sommerschlussverkauf.


    Anders prangert „Wachstum“ als Unwort des Jahres an und verweist auf die „Humanwirtschaftspartei“, deren Mitglied er ist. Diese Kleinpartei sympathisiert mit der „Freiwirtschaftslehre“ von Sivio Gesell und plädiert, kurz gesagt, für einen dritten, schon oft gesuchten Weg, zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Stolz berichtete Anders vom „sensationellen Wahlerfolg“ dieser Partei in einem kleinen Städtchen in Sachsen: 638 Stimmen oder 3,4 Prozent in der Heimatgemeinde des Kandidaten.


    Vehement jammert Anders über die Schulden der Dritten Welt, über die Pro-Kopf-Verschuldung der deutschen Bevölkerung genauso wie über die Gesamtverschuldung der Bundesrepublik Deutschland, um dann Sätzen zu schreiben wie: „Die Dritte Welt finanziert die erste Welt.“ oder „Man geht daran, die Armen abzuzocken.“ Auch den Friedensnobelpreisträger Mohammed Yunus, ein Bankier in Bangladesh, der Mikrokredite an die Armen vergibt, nennt er einen „alten Abzocker“. Wie soll das gehen? Die Armen abzocken? Wer das kann, muss ein Zauberer sein.


    Anders „entlarvt die Urlüge des Kapitalismus“, nämlich dass jeder „vom Tellerwäscher zum Millionär“ aufsteigen könne, obwohl er doch genau dies nachweislich geschafft hat. Anders war zwar kein Tellerwäscher, sondern Elektroinstallateur, doch dafür schaffte er es zum Multimillionär.
    Anders schaffte sogar noch mehr: er schaffte es wieder zurück und hinein in eine hoffnungslose Verschuldung. Auch dies ist eine Leistung, denn große Vermögen vermehren sich ja fast von allein. Nach eigenem Bekunden will Anders umgerechnet 20 Millionen Euro besessen haben. Das wären damalige 40 Millionen Mark gewesen (die Inflationsrate seit den 1970er Jahren nicht mitgerechnet).
    Dann wäre Anders` Leistung, sein Vermögen verprasst zu haben, wirklich enorm, denn der Abstieg von 40 Millionen Mark in die Schuldenfalle ist alles andere als leicht.


    Nach Anders „braucht“ der Kapitalismus „Arbeitslosigkeit und Armut“, um Profite machen zu können. Das ist ja mal eine ganz neue These. Also, je weniger Geld die Menschen im Kapitalismus haben, desto höher sind die Gewinne derjenigen, die ihnen etwas verkaufen? Interessant. Weil Anders das marktwirtschaftliche System offenbar nicht verstanden hat, fordert er zum Schluss die „Beseitigung des Kapitalismus.“

    Schwanengesang


    In seinem drittes Buch ist der selbsternannte Guru, deutsche Börse hin oder her, mutiert zum univeralen Lebens- und Glücksberater. Frick gibt „persönliche Erfolgsgeheimnisse“ bekannt, „wertvolle Geldanlagetipps“ (für die, die nach dem Kurssturz noch welches haben) und eine „strategische Finanz- und Lebensplanung“. Das Thema Geld kommt nur indirekt vor, vorrangig geht es ums Leben allgemein.
    Mehr Spaß und Glück durch Geld und Vermögen, wer wollte das abstreiten? Frick nennt sich jetzt „Geldliebhaber“ und spricht von „realistischen“ Zielen. Trotzdem verfällt er in die alten abgedroschen Sprüche: „Lieber reich und glücklich“ (als was? als arm und unglücklich?) und wird zum Schluss wieder großkotzig: „Lesen Sie dieses Buch und Ihr Glück wird sich nicht mehr verhindern lassen!“. Allerdings nur auf dem vagen Gebiet des Glücks, wo der Erfolg objektiv viel schwieriger messbar ist als an der Börse.

    lachhaft


    Auf dem Höhepunkt des neuen Marktes saß „Börsenguru“ Markus Frick bei Wieland Backes in der Talkshow "Nachtcafé" und verkündete: „Ich kann das Geld, das ich an der Börse gemacht habe, jederzeit wieder machen, weil - ich das Wissen habe.“ Niemand widersprach ihm.
    Wahnsinn! Woher hatte Frick denn das Wissen? Er war gerade Mitte zwanzig und operierte seit zwei, drei Jahren hauptberuflich an der Börse. Noch bis vor ein paar Jahren hatte Frick die sprichwörtlichen kleinen Brötchen gebacken in der Bäckerei seiner Eltern im badischen Sinsheim, wenn auch als Produktionsleiter.


    Worin besteht dieses geheimnisvolle Wissen? In einem Buch mit dem „seriösen“ Titel „Ich mache Sie reich - Der Mann, der Millionäre macht“ verrät uns der Börsenmotivator wie es geht:
    1. Streuen Sie Ihr Depot nicht, kaufen Sie nur zwei bis drei Aktien.
    2. Setzen Sie auf Kursraketen, also „heiße“ Technologieaktien des Neuen Marktes.
    3. Begrenzen Sie Ihre Verluste mit Stop-Loss-Order. Und
    4. Suchen Sie sich einen spesengünstigen Online-Broker für die Abwicklung ihrer Börsengeschäfte.
    Das ist alles.


    Also, fassen wir noch einmal zusammen: Wie wird man laut Frick Millionär? Indem man alles auf eine Karte setzt und noch dazu auf Zockerpapiere! Der Mann hat Recht, so wird man tatsächlich Millionär; aber nur, wenn man als Milliardär anfängt.


    Vermutlich hatte diese ominöse Methode bei Frick sogar geklappt. Wahrscheinlich ist er selbst genau so Millionär geworden. Am Neuen Markt waren viele Teilnehmer (Anleger kann man nicht sagen) für eine gewisse Zeit Millionär gewesen, zumindest auf dem Papier. In Phasen, wie sie die deutsche Finanzwelt seit der Gründerzeit vor über hundert Jahren nicht mehr erlebt hatte, vervielfachten sich die Aktien dieses Marktsegments innerhalb weniger Monate.
    Nur, mit Können oder Wissen hatte dies nichts zu tun. Es war die Phase des „heißen Geldes“, in der jeder gewann, ob blutiger Anfänger oder erfahrener Profi, ob Küchenhilfe oder diplomierter Ingenieur, sofern er nur dabei war. Die Leistung entsprach der eines Schützen, der in ein Fass voller Heringe schießt und sich danach rühmt, getroffen zu haben; sich auf seine Schießkünste gar noch etwas einbildet.


    Genau dieser Einbildung erlag auch Markus Frick. Zu einer grandiosen Selbstüberschätzung kommt bei ihm allerdings hinzu, dass er ein Sendungsbewusstsein spürt, andere zum Reichtum „bekehren“ zu wollen. Oder hatte er nur erkannt,wie leicht man die Masse der Kleinanleger abzocken kann?


    Auf seiner Homepage pflegte Frick die klassische Tellerwäscher-zum Millionär-Story, gespickt mit Satzteilen wie: „karge, einfache Existenz“, „stammt aus einer Kleinstadt“, „schon als kleiner Junge für kleines Geld die Backbleche putzte“.
    Wir sahen sie vor uns, die Bilder vom armen Jungen, der harte Kinderarbeit verrichten musste. Eine „karge, einfache Existenz“, in der man „für kleines Geld“ arbeitete, beklagte man in Europa zuletzt im Viktorianischen Zeitalter und Fricks Lebenslauf sollte uns wohl an Oliver Twist erinnern. Dass Markus Frick aufgewachsen ist in der goldenen Wirtschaftszeit der 1980er Jahre im Kraichgau, im Vorzeigebundesland Baden-Württemberg, dass seine Eltern eine gutgehende Bäckerei mit Filialen besaßen, verdrängen wir, denn wir sollen ja glauben - das Märchen.


    Und dann? Frick schuftete und schuftete, nahm jeden Job an, den er bekam (mit 22 Jahren der jüngster Bäckermeister Deutschlands), denn er träumte von einem Leben in finanzieller Unabhängigkeit. Natürlich durfte auch das typische „Ich war schon einmal Pleite“-Schema in seiner Geschichte nicht fehlen. Auch Frick kokettierte damit, um seine Stehaufmännchen-Mentalität zu demonstrieren.
    Jedenfalls hatte Frick es bald darauf geschafft, was im Neuen Markt ja durchaus möglich war und führte dies den Fernsehzuschauern auch vor. Er ließ sich im Ferrari filmen, während er die Frankfurter Bankenmeile entlang rollt, vorbei an den Glitzerfassaden der Hochhäuser. Markus Frick war angekommen.


    So war das Märchen perfekt, das Frick zu verkörpern vorgab. Vom Tellerwäscher zum Millionär oder, wie in Fricks Fall, vom Bäckerlehrling zum „Börsenmotivator“, ja sogar zu „Deutschlands Stimme des Geldes“. Frick verstand sich nämlich nicht nur als Börsenguru, der heisse Anlagetipps gab, sondern noch mehr als „Geld- und Lebensberater“. Seine Vorstellung von der grauen Masse war die, dass die meisten Menschen zu träge sind, sich um etwas ernsthaft und dauernd zu bemühen. Damit könnte Frick sogar Recht haben, nur lenkte er diese Trägen dahin, dass sie seine Seminare besuchten und motivierte sie, seine teuren Börsen-Hotlines anzurufen.


    Frick gab dem Affen Zucker und stellte den Zucker saftig in Rechnung. Längst hatte er den Wechsel vollzogen vom reinen „Börsenguru“ zum „Motivationstrainer“ à la Gerd Höller, Bodo Schäfer oder Christoph Daum. Frick folgt deren Philosophie und motivierte seine Mitmenschen dazu, die teuren Markus Frick-Produkte zu kaufen.


    Als Lebens- und Glücksmotivator sah sich Frick vor allem in seinen Seminaren. Dort drehte sich längst nicht mehr alles um „heiße Kandidaten“, also vielversprechende Aktientipps. Normalerweise eher nüchterne Börsenseminare inszenierte Frick als Medienspektakel. Der Motivator saß nicht am Podium, er stand auf einer Bühne. Statt sachlichem Vortrag erwartete die Teilnehmer eine Bühnenshow mit aufwendigen Präsentationen. Passend dazu, verkündete Frick vorher, er sei „super gut drauf“ und erwarte ein „super schönes Seminar“. Dann lief Frick wie ein Fernsehprediger durch die Zuschauerreihen und fragte einzelne Anlegermeinungen mit dem Mikrofon ab. Überhaupt bezog er seine Seminarteilnehmer sehr mit ein. Schon zu Beginn begrüsste er jeden per Handschlag, nannte seine Teilnehmer, auch wesentlich ältere Personen, jovial mit Vornamen. Zwischendurch rannte, sprang und tanzte er durch den Saal, schüttelte Besucher kräftig durch, rieb ihnen über die Glatze, schrie und vergab auch mal leichte Ohrfeigen.


    Die Fragen nach Geld und Aktien gerieten dabei fast in den Hintergrund. Er kündigte einige „Kursraketen“ an, die er später noch präsentieren werde. Zunächst jedoch erzählte er einige Börsenweisheiten: „Hören Sie nicht auf Tipps, nicht von Freunden und auch nicht im Fernsehen.“ Obwohl Frick ja genau dies tat, Tipps geben: in Seminaren, auf seiner Hotline, im Fernsehen. Aber er meinte wohl: Hören Sie nicht auf Tipps, es sei denn, sie stammen von mir.


    Die Leute kamen ohnehin in erster Linie um von ihm unterhalten zu werden. Dafür zahlten sie 86 Euro Eintritt. Zweifelslos kam Frick dieser Erwartung nach. Seine Körpersprache verhieß Dynamik; Mimik und Gestik verrieten den videogeschulten Verkäufer, routiniert beherrschte er das Einmaleins der Rhetorik. Fricks Sprechweise war rhymthmisch und suggestiv. Viele seiner Sätze wiederholte er wie ein Mantra, vor Publikum genauso wie im persönlichen Interview. Seine kurzen, formelhaften Wortfolgen schienen auswendig gelernt, übergegangen in Fleisch und Blut. Nachdenken musste Frick nie. Man fühlte sich unweigerlich an einen Sektenprediger erinnert.


    Eine viertel Million Menschen hatten seine Seminare bundesweit besucht und sich seiner Gehirnwäsche unterzogen, tausend allein in Wien. Wahrscheinlich kamen auch deshalb so viele, weil Frick wie kein zweiter das Märchen verkörperte vom Malocher zum Millionär, noch dazu im jugendlichen Alter.
    Die meisten der Anlageexperten, denen das Börsenpublikum sonst begegnete, in Vorträgen oder am Zuschauertelefon auf ntv, waren im vorgerückten Alter. Die Hellers, Thiemes, Erhards und Berneckers dieser Welt hatten alle studiert, kamen aus der Hochfinanz der Banken und Vermögensverwaltungen und gaben sich gegenüber ihren Zuhörern eher zurückhaltend, gerade mit konkreten Anlageempfehlungen. Markus Frick dagegen kannte keine Berührungsängste, sprach die Sprache des kleinen Volkes und protzte mit seinen Erfolgen.


    Auf seiner Homepage fragte Frick „Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, warum manche Leute an der Börse gewinnen und andere verlieren?“. Für 69,- Euro pro Person war man dann dabei, „wenn bei einem Dinner zu später Stunde das eine oder andere Geheimnis verraten wird.“
    Waren sie nicht herrlich, die Klischees, die Frick so treffsicher bediente? Zwar waren 69,- Euro pro Person nicht die Welt, aber warum sollte man Herrn Fricks Feinschmeckergelüste finanzieren?


    Natürlich zockte Frick seine Fans auch richtig ab. Für 200,- Euro konnte man Mitglied werden im Markus-Frick-Club. Er prieß eine spezielle Börsen-Software an, mit der man „Kursraketen erkennen kann“. Der Preis war für künftige Millionäre geschenkt, knapp 500,- Euro. Mit seiner Email-Hotline versprach er „satte Gewinne“. Die gab es garantiert, aber für Markus Frick, denn der kassierte für diesen „Service“ fast 900,- Euro im Jahr. Fast genauso viel kostete seine Video-Hotline und sein Börsenbrief. Frick wusste alle Medien zu nutzen und hatte für die ganz Eiligen auch noch eine „SMS-Hotline“ eingerichtet.


    Konnte man mit den ganzen Tipps von Markus Frick Geld verdienen? Mit den Büchern? Den Seminaren? Den Diners? Der Club-Mitgliedschaft? Den Newslettern? Den Börsen-DVDs? Der Email-, Video- und SMS-Hotline? Diesem ganzen Börsen-Merchandising aus dem Hause Frick. War das möglich?


    Im Sommer 2007 wurde Frick vorgeworfen, seinen „Investoren“ einen Verlust in dreistelliger Millionenhöhe verursacht zu haben. Er habe „im Rahmen seiner E-Mail-Hotline“ Anleger getäuscht. Frick empfahl einzelne, marktenge Papiere, die nach kurzem Höhenflug wieder einbrachen. Seine Hotline-Abonnenten hatten gekauft, auch viele Fernsehzuschauer von N24, wo „Deutschlands Stimme des Geldes“ sogar eine eigene Fernsehshow hatte: „Make Money – Die Markus Frick Show“.


    Im Internet liefen Anleger Sturm, weil sie sich von „Vermögensberater“ Frick getäuscht sahen. Von „betrügerischen Empfehlungen“ war die Rede und von „Luftschlössern“. Auf dem Klageweg wollten einige seiner ehemaligen Anhänger gegen den Laienprediger vorgehen, die Berliner und die Leipziger Staatsanwaltschaft ermittelten.


    Drei Rohstoffaktien, die Frick empfohlen hatte, waren abgestürzt. Und das, obwohl Frick noch im Mai 2007 zur „ersten deutschen Rohstoffkonferenz“ nach Frankfurt gerufen hatte und seinen Teilnehmerm vorher anbot, den Vorstandsvorsitzenden einer Goldminengesellschaft „persönlich nach interessanten Informationen zu fragen“. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht durfte prüfen, ob eine Marktmanipulation vorlag?


    Fast genauso lief es mit der russischen Ölaktie Russoil, die Frick empfahl, indem er Übernahme- und Sibirienphantasie ins Spiel brachte. Angeblich war Frick zuvor extra nach Moskau gereist, um „Aktien aufzuspüren“ und hatte „sehr interessante und erfolgreiche Gespräche“ geführt mit den Vorständen verschiedener Unternehmen. Russoil, die laut US-Börsenaufsicht kaum über liquide Mittel verfügte, wurde nach Fricks „Kursmarketing“ mit 120 Millionen Euro bewertet.


    Unter der Überschrift „Luftige Tipps vom Bäckermeister“ schilderte Die Süddeutsche, was „fast immer passiert, wenn Frick eine Aktie empfahl.“ Der Kurs steigt kurzeitig an und bricht dann ein. Zum Schluss notiert er unter dem Ausgangsniveau.
    Das von Frick inszenierte Spiel nennt man in der amerikanischen Börsensprache „Scalping“ und ist natürlich strafbar. Es bedeutet, dass ein „Anlageberater“ Aktien zum Kauf empfiehlt, die er genau deswegen zuvor auf eigene Rechnung erworben hat. Aufgrund seiner häufigen Präsenz in den Medien folgte die Herde der unerfahrenen Kleinanleger seiner Empfehlung und schaffen durch ihre Käufe erst jenen Kursanstieg, den der „Guru“ angekündigt hat. Eine klassische Sich-selbst-erfüllende-Prophezeihung.


    Viele „Börsengurus“ des Neuen Marktes und Börsen-Hotline-Betreiber manipulierten Aktien auf diese Art. Natürlich funktionierte dies nicht bei marktschweren Papieren wie Siemens oder Deutsche Bank. Wohl aber bei marktengen Werten oder Aktien mit extrem niedriger Notierung (Pennystocks) und geringem Handelsvolumen oder hochspekulativen Auslandsaktien (Hotstocks). Viele dieser Aktien trugen einen klangvollen Namen, um ihren schäbigen Inhalt zu übertünschen (Stargold Mines, Star Energy).
    Die Methode war nicht neu und wurde schon vor hundert Jahren praktiziert.
    Seine Aktienkurse und damit seine Erfolge hatte sich der badische Bäckermeister also zum größten Teil selbst gebacken.

    geläutert


    Auf dem Höhepunkt des neuen Marktes saß „Börsenguru“ Markus Frick bei Wieland Backes in der Talkshow "Nachtcafé" und verkündete: „Ich kann das Geld, das ich an der Börse gemacht habe, jederzeit wieder machen, weil - ich das Wissen habe.“ Niemand widersprach ihm.
    Wahnsinn! Woher hatte Frick denn das Wissen? Er war gerade Mitte zwanzig und operierte seit zwei, drei Jahren hauptberuflich an der Börse. Noch bis vor ein paar Jahren hatte Frick die sprichwörtlichen kleinen Brötchen gebacken in der Bäckerei seiner Eltern im badischen Sinsheim, wenn auch als Produktionsleiter.


    Worin besteht dieses geheimnisvolle Wissen? In einem Buch mit dem „seriösen“ Titel „Ich mache Sie reich - Der Mann, der Millionäre macht“ verrät uns der Börsenmotivator wie es geht:
    1. Streuen Sie Ihr Depot nicht, kaufen Sie nur zwei bis drei Aktien.
    2. Setzen Sie auf Kursraketen, also „heiße“ Technologieaktien des Neuen Marktes.
    3. Begrenzen Sie Ihre Verluste mit Stop-Loss-Order. Und
    4. Suchen Sie sich einen spesengünstigen Online-Broker für die Abwicklung ihrer Börsengeschäfte.
    Das ist alles.


    Also, fassen wir noch einmal zusammen: Wie wird man laut Frick Millionär? Indem man alles auf eine Karte setzt und noch dazu auf Zockerpapiere! Der Mann hat Recht, so wird man tatsächlich Millionär; aber nur, wenn man als Milliardär anfängt.


    Vermutlich hatte diese ominöse Methode bei Frick sogar geklappt. Wahrscheinlich ist er selbst genau so Millionär geworden. Am Neuen Markt waren viele Teilnehmer (Anleger kann man nicht sagen) für eine gewisse Zeit Millionär gewesen, zumindest auf dem Papier. In Phasen, wie sie die deutsche Finanzwelt seit der Gründerzeit vor über hundert Jahren nicht mehr erlebt hatte, vervielfachten sich die Aktien dieses Marktsegments innerhalb weniger Monate.
    Nur, mit Können oder Wissen hatte dies nichts zu tun. Es war die Phase des „heißen Geldes“, in der jeder gewann, ob blutiger Anfänger oder erfahrener Profi, ob Küchenhilfe oder diplomierter Ingenieur, sofern er nur dabei war. Die Leistung entsprach der eines Schützen, der in ein Fass voller Heringe schießt und sich danach rühmt, getroffen zu haben; sich auf seine Schießkünste gar noch etwas einbildet.


    Genau dieser Einbildung erlag auch Markus Frick. Zu einer grandiosen Selbstüberschätzung kommt bei ihm allerdings hinzu, dass er ein Sendungsbewusstsein spürt, andere zum Reichtum „bekehren“ zu wollen. Oder hatte er nur erkannt,wie leicht man die Masse der Kleinanleger abzocken kann?


    Auf seiner Homepage pflegte Frick die klassische Tellerwäscher-zum Millionär-Story, gespickt mit Satzteilen wie: „karge, einfache Existenz“, „stammt aus einer Kleinstadt“, „schon als kleiner Junge für kleines Geld die Backbleche putzte“.
    Wir sahen sie vor uns, die Bilder vom armen Jungen, der harte Kinderarbeit verrichten musste. Eine „karge, einfache Existenz“, in der man „für kleines Geld“ arbeitete, beklagte man in Europa zuletzt im Viktorianischen Zeitalter und Fricks Lebenslauf sollte uns wohl an Oliver Twist erinnern. Dass Markus Frick aufgewachsen ist in der goldenen Wirtschaftszeit der 1980er Jahre im Kraichgau, im Vorzeigebundesland Baden-Württemberg, dass seine Eltern eine gutgehende Bäckerei mit Filialen besaßen, verdrängen wir, denn wir sollen ja glauben - das Märchen.


    Und dann? Frick schuftete und schuftete, nahm jeden Job an, den er bekam (mit 22 Jahren der jüngster Bäckermeister Deutschlands), denn er träumte von einem Leben in finanzieller Unabhängigkeit. Natürlich durfte auch das typische „Ich war schon einmal Pleite“-Schema in seiner Geschichte nicht fehlen. Auch Frick kokettierte damit, um seine Stehaufmännchen-Mentalität zu demonstrieren.
    Jedenfalls hatte Frick es bald darauf geschafft, was im Neuen Markt ja durchaus möglich war und führte dies den Fernsehzuschauern auch vor. Er ließ sich im Ferrari filmen, während er die Frankfurter Bankenmeile entlang rollt, vorbei an den Glitzerfassaden der Hochhäuser. Markus Frick war angekommen.


    So war das Märchen perfekt, das Frick zu verkörpern vorgab. Vom Tellerwäscher zum Millionär oder, wie in Fricks Fall, vom Bäckerlehrling zum „Börsenmotivator“, ja sogar zu „Deutschlands Stimme des Geldes“. Frick verstand sich nämlich nicht nur als Börsenguru, der heisse Anlagetipps gab, sondern noch mehr als „Geld- und Lebensberater“. Seine Vorstellung von der grauen Masse war die, dass die meisten Menschen zu träge sind, sich um etwas ernsthaft und dauernd zu bemühen. Damit könnte Frick sogar Recht haben, nur lenkte er diese Trägen dahin, dass sie seine Seminare besuchten und motivierte sie, seine teuren Börsen-Hotlines anzurufen.


    Frick gab dem Affen Zucker und stellte den Zucker saftig in Rechnung. Längst hatte er den Wechsel vollzogen vom reinen „Börsenguru“ zum „Motivationstrainer“ à la Gerd Höller, Bodo Schäfer oder Christoph Daum. Frick folgt deren Philosophie und motivierte seine Mitmenschen dazu, die teuren Markus Frick-Produkte zu kaufen.


    Als Lebens- und Glücksmotivator sah sich Frick vor allem in seinen Seminaren. Dort drehte sich längst nicht mehr alles um „heiße Kandidaten“, also vielversprechende Aktientipps. Normalerweise eher nüchterne Börsenseminare inszenierte Frick als Medienspektakel. Der Motivator saß nicht am Podium, er stand auf einer Bühne. Statt sachlichem Vortrag erwartete die Teilnehmer eine Bühnenshow mit aufwendigen Präsentationen. Passend dazu, verkündete Frick vorher, er sei „super gut drauf“ und erwarte ein „super schönes Seminar“. Dann lief Frick wie ein Fernsehprediger durch die Zuschauerreihen und fragte einzelne Anlegermeinungen mit dem Mikrofon ab. Überhaupt bezog er seine Seminarteilnehmer sehr mit ein. Schon zu Beginn begrüsste er jeden per Handschlag, nannte seine Teilnehmer, auch wesentlich ältere Personen, jovial mit Vornamen. Zwischendurch rannte, sprang und tanzte er durch den Saal, schüttelte Besucher kräftig durch, rieb ihnen über die Glatze, schrie und vergab auch mal leichte Ohrfeigen.


    Die Fragen nach Geld und Aktien gerieten dabei fast in den Hintergrund. Er kündigte einige „Kursraketen“ an, die er später noch präsentieren werde. Zunächst jedoch erzählte er einige Börsenweisheiten: „Hören Sie nicht auf Tipps, nicht von Freunden und auch nicht im Fernsehen.“ Obwohl Frick ja genau dies tat, Tipps geben: in Seminaren, auf seiner Hotline, im Fernsehen. Aber er meinte wohl: Hören Sie nicht auf Tipps, es sei denn, sie stammen von mir.


    Die Leute kamen ohnehin in erster Linie um von ihm unterhalten zu werden. Dafür zahlten sie 86 Euro Eintritt. Zweifelslos kam Frick dieser Erwartung nach. Seine Körpersprache verhieß Dynamik; Mimik und Gestik verrieten den videogeschulten Verkäufer, routiniert beherrschte er das Einmaleins der Rhetorik. Fricks Sprechweise war rhymthmisch und suggestiv. Viele seiner Sätze wiederholte er wie ein Mantra, vor Publikum genauso wie im persönlichen Interview. Seine kurzen, formelhaften Wortfolgen schienen auswendig gelernt, übergegangen in Fleisch und Blut. Nachdenken musste Frick nie. Man fühlte sich unweigerlich an einen Sektenprediger erinnert.


    Eine viertel Million Menschen hatten seine Seminare bundesweit besucht und sich seiner Gehirnwäsche unterzogen, tausend allein in Wien. Wahrscheinlich kamen auch deshalb so viele, weil Frick wie kein zweiter das Märchen verkörperte vom Malocher zum Millionär, noch dazu im jugendlichen Alter.
    Die meisten der Anlageexperten, denen das Börsenpublikum sonst begegnete, in Vorträgen oder am Zuschauertelefon auf ntv, waren im vorgerückten Alter. Die Hellers, Thiemes, Erhards und Berneckers dieser Welt hatten alle studiert, kamen aus der Hochfinanz der Banken und Vermögensverwaltungen und gaben sich gegenüber ihren Zuhörern eher zurückhaltend, gerade mit konkreten Anlageempfehlungen. Markus Frick dagegen kannte keine Berührungsängste, sprach die Sprache des kleinen Volkes und protzte mit seinen Erfolgen.


    Auf seiner Homepage fragte Frick „Haben Sie sich auch schon einmal gefragt, warum manche Leute an der Börse gewinnen und andere verlieren?“. Für 69,- Euro pro Person war man dann dabei, „wenn bei einem Dinner zu später Stunde das eine oder andere Geheimnis verraten wird.“
    Waren sie nicht herrlich, die Klischees, die Frick so treffsicher bediente? Zwar waren 69,- Euro pro Person nicht die Welt, aber warum sollte man Herrn Fricks Feinschmeckergelüste finanzieren?


    Natürlich zockte Frick seine Fans auch richtig ab. Für 200,- Euro konnte man Mitglied werden im Markus-Frick-Club. Er prieß eine spezielle Börsen-Software an, mit der man „Kursraketen erkennen kann“. Der Preis war für künftige Millionäre geschenkt, knapp 500,- Euro. Mit seiner Email-Hotline versprach er „satte Gewinne“. Die gab es garantiert, aber für Markus Frick, denn der kassierte für diesen „Service“ fast 900,- Euro im Jahr. Fast genauso viel kostete seine Video-Hotline und sein Börsenbrief. Frick wusste alle Medien zu nutzen und hatte für die ganz Eiligen auch noch eine „SMS-Hotline“ eingerichtet.


    Konnten man mit den ganzen Tipps von Markus Frick Geld verdienen? Mit den Büchern? Den Seminaren? Den Diners? Der Club-Mitgliedschaft? Den Newslettern? Den Börsen-DVDs? Der Email-, Video- und SMS-Hotline? Diesem ganzen Börsen-Merchandising aus dem Hause Frick. War das möglich?


    Im Sommer 2007 wurde Frick vorgeworfen, seinen „Investoren“ einen Verlust in dreistelliger Millionenhöhe verursacht zu haben. Er habe „im Rahmen seiner E-Mail-Hotline“ Anleger getäuscht. Frick empfahl einzelne, marktenge Papiere, die nach kurzem Höhenflug wieder einbrachen. Seine Hotline-Abonnenten hatten gekauft, auch viele Fernsehzuschauer von N24, wo „Deutschlands Stimme des Geldes“ sogar eine eigene Fernsehshow hatte: „Make Money – Die Markus Frick Show“.


    Im Internet liefen Anleger Sturm, weil sie sich von „Vermögensberater“ Frick getäuscht sahen. Von „betrügerischen Empfehlungen“ war die Rede und von „Luftschlössern“. Auf dem Klageweg wollten einige seiner ehemaligen Anhänger gegen den Laienprediger vorgehen, die Berliner und die Leipziger Staatsanwaltschaft ermittelten.


    Drei Rohstoffaktien, die Frick empfohlen hatte, waren abgestürzt. Und das, obwohl Frick noch im Mai 2007 zur „ersten deutschen Rohstoffkonferenz“ nach Frankfurt gerufen hatte und seinen Teilnehmerm vorher anbot, den Vorstandsvorsitzenden einer Goldminengesellschaft „persönlich nach interessanten Informationen zu fragen“. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht durfte prüfen, ob eine Marktmanipulation vorlag?


    Fast genauso lief es mit der russischen Ölaktie Russoil, die Frick empfahl, indem er Übernahme- und Sibirienphantasie ins Spiel brachte. Angeblich war Frick zuvor extra nach Moskau gereist, um „Aktien aufzuspüren“ und hatte „sehr interessante und erfolgreiche Gespräche“ geführt mit den Vorständen verschiedener Unternehmen. Russoil, die laut US-Börsenaufsicht kaum über liquide Mittel verfügte, wurde nach Fricks „Kursmarketing“ mit 120 Millionen Euro bewertet.


    Unter der Überschrift „Luftige Tipps vom Bäckermeister“ schilderte Die Süddeutsche, was „fast immer passiert, wenn Frick eine Aktie empfahl.“ Der Kurs steigt kurzeitig an und bricht dann ein. Zum Schluss notiert er unter dem Ausgangsniveau.
    Das von Frick inszenierte Spiel nennt man in der amerikanischen Börsensprache „Scalping“ und ist natürlich strafbar. Es bedeutet, dass ein „Anlageberater“ Aktien zum Kauf empfiehlt, die er genau deswegen zuvor auf eigene Rechnung erworben hat. Aufgrund seiner häufigen Präsenz in den Medien folgte die Herde der unerfahrenen Kleinanleger seiner Empfehlung und schaffen durch ihre Käufe erst jenen Kursanstieg, den der „Guru“ angekündigt hat. Eine klassische Sich-selbst-erfüllende-Prophezeihung.


    Viele „Börsengurus“ des Neuen Marktes und Börsen-Hotline-Betreiber manipulierten Aktien auf diese Art. Natürlich funktionierte dies nicht bei marktschweren Papieren wie Siemens oder Deutsche Bank. Wohl aber bei marktengen Werten oder Aktien mit extrem niedriger Notierung (Pennystocks) und geringem Handelsvolumen oder hochspekulativen Auslandsaktien (Hotstocks). Viele dieser Aktien trugen einen klangvollen Namen, um ihren schäbigen Inhalt zu übertünschen (Stargold Mines, Star Energy).
    Die Methode war nicht neu und wurde schon vor hundert Jahren praktiziert.
    Seine Aktienkurse und damit seine Erfolge hatte sich der badische Bäckermeister also zum größten Teil selbst gebacken.

    Nun hatte Ogger zehn Jahre lang über die Zustände in deutschen Landen wirklich alles gesagt. Angeprangert, gemeckert, gemosert, gewarnt, geoggert. Was sollte jetzt noch kommen? Noch mehr Abzocke? Noch größere Skandale? Noch mehr gierige Manager und korrupte Politiker? Irgendwann war, selbst bei Ogger, die Meckerluft 'raus.


    Also wechselte er flugs die literarische Gattung, weg von journalistisch-nüchterner Berichterstattung, hin zu herrlich negativer Fiktion. Weg vom Sachbuch, hin zum Roman. Oggers Projekt aus dem Jahr 2005, „Der Absturz“, ist ein Wirtschaftskrimi, der teilweise der Realität entliehen sein soll. Auch hier mixt Ogger noch einmal alles gründlich zusammen, was ihn seit je her fasziniert: Leuna-Affäre und vernichtete Akten im Kanzeramt, ein flüchtiger Holger Pfahl und ein milliardenschwerer Bankier in Monte Carlo, den Bürgerkrieg in Afghanistan und die türkische Mafia, Kursmanipulationen, eine Verschwörung und als Krönung: Mikrowellen-Waffen.


    Ogger wäre nicht Ogger, wollte er nicht glänzen mit eitel zur Schau gestelltem Insider-Wissen. Kurzum, es gelingt ihm wieder, seine publizistische Berechtigung auf Absturz und Betrug zu gründen, auf Niedergang und Negativismus. Bei Ogger ist das Glas eben immer halb leer und nicht halb voll.

    Im Millenium-Jahr vermochte sich Ogger seine ätzende Wirtschafts- und Gesellschaftskritik gerade noch verkneifen, aber schon 2001 spielte das Schicksal ihm voll in die Karten: Crash in der New Economy. Oggers publizistische Reaktion: „Der Börsenschwindel“.
    Aktienkurse können fallen, zuweilen sogar heftig, weshalb dann gerne das Wort „Börsencrash“ verwendet wird. Eigentlich keine neue Erkenntnis, so geschehen unter anderem in den Jahren 1929, 1962, 1973, 1987, 1989, 1990 und 1998. Sogar schon 1873, der sogenannte Gründerkrach, ausgehend von Wien.
    Für Ogger jedoch Grund genug, Börsen und Aktien gleich pauschal zu verdammen. Obwohl die Aktiengesellschaft und damit die Aussicht auf Profite jenseits von Zinsgewinnen ja eigentlich der Motor jeder modernen Volkswirtschaft ist. Ohne Aktien keine Aktiengesellschaften, keine moderne Wirtschaft und kein Wohlstand. Das weiß bestimmt auch Ogger, aber es meckert sich halt so schön.

    Nun sind wieder die Manager, Oggers Lieblingsthema, an der Reihe: „Macher im Machtrausch – Deutschlands Manager auf gefährlichem Kurs.“ Alles, was bei Oggers letztem Großreinemachen 1992 (Nieten in Nadelstreifen) übersehen wurde oder sich erst danach ereignete, bekommt nun seinen desolaten Zustand quittiert.

    Mit „Absahnen und Abhauen“ überträgt Ogger 1998 seine Meckerphilosophie endgültig auf die gesamte Bundesrepublik: „Deutschland vor dem Chaos“ heisst es im Untertitel. Es geht um Kriminalität und Arbeitslose, um Klassenkampf und Ausländerfeindlichkeit, um Steuerflucht und Neidgesellschaft, um Politik und Großindustrie, sogar um einen drohenden neuen Hitler. Oggersche Schwarzmalerei in Vollendung.

    Anprangern von Banalitäten, Meckern an sich


    1996 legte Ogger gleich noch einmal nach, zur Abwechslung diesmal aus der Sicht der Kunden: „König Kunde - angeschmiert und abserviert“. Der durchgängige Tenor dieses Mecker-Sammelsuriums: Alles ist zu teuer, zu giftig, zu verführerisch präsentiert, zu unverschämt, zu übel getrickst, zu raffiniert, zu schlecht, zu lausig, zu desinteressiert, zu überflüssig, zu abgekocht. Ogger in seinem Meckerelement.

    Der Meckeronkel der Nation


    2007 erschien Oggers Nachruf auf den festen Arbeitsplatz: „Die Abgestellten“. Darin prophezeit er den Büroangestellten ein düstere Zukunft, schlimmer als der Niedergang der Arbeiterklasse. Es drohen Entlassungen, Entlassungen und nochmals Entlassungen. Dazu Kürzungen, Schließungen und Stillegungen.
    Folgt man Oggers Argumentation, hat man den Eindruck, uns bliebe künftig nichts anderes übrig als uns aufzuhängen. So düster beschreibt er unsere Zukunftsaussichten.
    Alle öffentlichen Einrichtungen würden kostenpflichtig werden, an den privatisierten Bundesstraßen und Autobahnen werde Maut erhoben und Strom, Gas und Wasser gäbe es bald nur noch gegen Vorkasse.
    Neben den Angestellten seien auch die Selbständigen kaum besser dran und zur Selbstausbeutung verdammt. Zur Abrundung gibt es natürlich wieder die üblichen Schimpfkanonen auf Manager, Gewerkschaften und Politiker sowie die aktuellen Korruptionsskandale.


    Nebenbei kommt Ogger auf das öknomische Prinzip (Minimal-/ Maximalprinzip der Betriebswirtschaftslehre) zu sprechen, doch bei ihm heisst es „...maximaler Erträge bei minimalem Aufwand“, was natürlich Unsinn ist. Jeder Wirtschaftswissenschaftler weiß, dass beides gleichzeitig nicht möglich ist. Entweder ist der Ertrag vorgegeben und ich versuche ihn mit minimalem Aufwand zu erreichen, oder aber ich will aus einem bestimmten Aufwand das Maximale herausholen. Beide Größen, Aufwand und Ertrag, gleichzeitig zu optimieren, ist nicht möglich.

    Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?


    Als Graf Alexander von Schönburg-Glauchau im Jahr 2005 "Die Kunst des stilvollen Verarmens" schrieb, war er gerade entlassen worden als Berlin-Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. In dem Buch jammert er gleich zu Beginn seiner goldenen Zeit nach: „...hatte Visitenkarten in der Tasche, die mich als Angestellten eines der angesehensten Medienunternehmen des Landes auswiesen...“ und: „Ich wäre also langsam, aber sicher reich geworden.“


    Graf von Schönburg erschien die verbleibenden Wochen seines Angestelltendaseins „betont fröhlich“ im Büro und achtete darauf, durch sein Äußeres „den Anschein zu vermeiden“, er würde „mit seinem Schicksal hadern“. Im Gegensatz zu früher, zog er nun jeden Tag eine Kravatte an und verabschiedete sich am letzten Tag mit dem devoten Hinweiss, dass er sein Büro „besenrein“ hinterlassen habe.
    Irgendwie klingt das, als habe von Schönburg bis zuletzt darauf gehofft, sein Arbeitgeber würde die Kündigung wieder zurücknehmen wegen guten Benehmens.


    Trotz seines Bemühens muss der Abschied für den Grafen schmerzhaft gewesen sein. Er schwärmt von dem „weichen, schwarzen Ledersessel“, auf dem er saß, während sein Vorgesetzter die Kündigung aussprach und ihm zugleich versicherte, welcher Verlust sein Weggang für die Firma sei. Er ist dankbar, dass er für die Zeitung noch das Sommerfest des Bundespräsidenten „aufsuchen darf“ und dabei Gelegenheit hat, sich „noch einmal richtig satt zu essen“. Sogar der Regierende Bürgermeister habe ihn dieses Mal ausnahmsweise begrüsst. Für von Schönburg, der gerade seinen Job verloren hat, scheint dies ein Trost zu sein.


    Doch bald nach seiner Entlassung kehrte die Realität bei dem Grafen ein, denn er lebte von der Stütze und konnte seine Strom- und Telefonrechnungen nicht mehr bezahlen. Für jemanden, der Partys mit Mick Jagger feierte, muss dieser Zustand die Hölle gewesen sein. Alexander von Schönburg stammt aus einer uralten Adelsfamilie, die zwar über die Jahrhunderte verarmte, aber noch viele Kontakte hat, auch durch seine Schwester, Fürstin Gloria von Thurn und Taxis.
    Auf seinem achtzehntem Geburtstag hielt Friedrich Dürrenmatt die Festrede. Als der Graf seine Frau, Prinzessin Irina von Hessen heiratete, eine Großnichte der Queen, war Königin Sophia von Spanien zu Gast.


    Doch seit man ihm Telefon und Strom abstellte, hat von Schönburg nichts mehr übrig für reiche Leute. Den Münchener Stadteil Grünwald bezeichnet er als „Reiche-Leute-Slum“, und wir dürfen vermuten, dass es jener Slum ist, in dem von Schönburg nur zu gerne wohnen würde, wenn er könnte. Indirekt gibt er das sogar zu. Er stöhnt ein wenig zynisch über die Sparsamkeit seiner Eltern (sie seien „hochqualifizierte Verarmer“) und erzählt, wie er darauf reagierte, als er endlich sein erstes Geld verdiente: durch heimliches Erste-Klasse-Reisen, durch den Kauf teuren Briefpapiers von Prantl in München, durch Übernachtung im Brenner`s Park Hotel in Baden-Baden. Auch als er in einer Londoner WG wohnte, habe er das Geld schneller ausgegeben, als er es einnahm. Von Schönburg, soviel dürfte inzwischen klar geworden sein, lebt gerne auf großen Fuss, auch wenn er jetzt eine Krise zu beklagen hat. Natürlich fällt dem Grafen dazu noch der bekannte Spruch ein, wonach in jeder Krise eine Chance stecke.


    Von Schönburg will uns weiß machen, dass er kein Besitzender mehr sein möchte, denn die müssten um ihren Besitz ja ständig bangen und präsentiert uns seine „Helden der Armut“, allen voran Helmut Berger. Der Graf hegt für Berger Bewunderung, weil der einstige Weltstar vom Olymp der Superstars herabstieg, sein ganzes Vermögen verlor und jetzt in Salzburg bei seiner Mutter wohnt. Natürlich ist die Wiener Presse 'respektlos', wenn sie über den meist betrunkenen Berger berichtet, der aussieht wie ein Clochard und heute mehr dem Wahnsinn zugeneigt ist, denn der Schauspielerei.


    Laut von Schönburg erhielt Berger in seinen Glanzzeiten häufig Hausverbot in den Hotels, weil er, wie im Münchener "Vier Jahreszeiten", die Lüster als Lianen benutzte und die Gobelins von den Wänden riss. Heute dagegen, lasse Berger im Lidl lediglich das Lachsfilet mitgehen. Für von Schönburg gehört Berger offenbar zu den Leuten, die „ohne Geld eine gute Figur machen“, so der Untertitel seines Kapitels.


    Nach dem heruntergekommenen Weltstar kommt von Schönburg auf die Städte zu sprechen, von denen es auch „Neureiche“ und „Emporkömmlinge“ gebe. Berlin zum Beispiel und natürlich München. Einige Gebäude in der Münchener Innenstadt seien eine „Las-Vegas-hafte Rekonstruktion“ florentinischer Paläste, lästert er. Mit Pisa dagegen sympathisiert der Graf, denn dieser Stadt sei ihr eigener Bedeutungsverlust völlig gleichgültig. Eine Einstellung, die er offenbar nachzuahmen versucht.


    Trost für seine missliche Lage, findet er auch bei den Engländern. Der Abstieg Englands vom einst mächtigsten und reichsten Land der Welt begann schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, schreibt er, aber: ihr „ausgeprägtes Selbstbewusstsein erlaube es ihnen, unter Anwendung geschickter Autosuggestion über ihre Situation hinwegsehen“. Irgendwie ein Widerspruch: sich selbst bewusst zu sein und sich gleichzeitig selbst zu täuschen, aber dies ist wohl genau das, was von Schönburg jetzt braucht: Realitätsflucht vor der eigenen wirtschaftlichen Situation.


    Der Graf versucht dies durch „Benehmen und Sprache“ und, ebenso wie die Engländer und Ungarn, durch ein wenig Nationalitätsstolz, um „in bitteren Momenten wenigstens das Gefühl haben zu können, Teil von etwas Besonderem zu sein“. Wenn einem stupiden Geist nichts mehr einfällt, worauf er stolz sein kann, kommt er auf das zurück, wofür er am Wenigsten kann: seine Herkunft. Alexander von Schönburg ist stolz darauf, ein Adeliger zu ein, wenn auch ein Verarmter.


    Soweit zum ersten Teil seines Buches. Im Zweiten predigt er den Konsumverzicht auf Teufel komm raus. Eigentlich die logische Folge seines stark reduzierten Einkommens. Dass bei dem arbeitslosen Grafen jetzt Schmalhans Küchenmeister ist, verwundert niemand. Peinlich nur, dass er nun alles, was er früher gemocht hat, als unattraktiv hinstellt, bloß weil es ihm zu teuer geworden ist. So findet er schon die Frage nach der beruflichen Tätigkeit als völlig anzüglich, weil „spießbürgerlich und überholt“. Doch hätte er wohl, stünde er noch in Lohn und Brot, sofort seine tollen Vistitenkarten gezückt, von denen er sechzig Seiten zuvor so sehr schwärmte.


    Zwar kämpfe er zuweilen darum, die „laufenden Kosten zu bestreiten“, doch dafür sitze er im Gegensatz zu früher nicht mehr in einem voll gequalmten Büro. Dass von Schönburg dieses Büro selbst voll qualmte, in dem er Kette rauchte, verschweigt er.


    Der Graf freut sich jetzt auch über seinen Arbeitsplatz zu Hause am Computer, während er früher viel Zeit verschwendet habe in öffentlichen Verkehrsmittel. In einem Interview mit der Welt dagegen bezeichnete er „die drei Stunden“, die er täglich im Zug verbrachte, als seine „kreativste Zeit“: „Da konnte ich lesen, nachdenken, ein Luxus...“


    Von Schönburg, der jetzt „stilvoll“ verarmen will, hat Städtetipps parat, um die Lebenshaltungskosten zu drücken: Berlin und Wien seien ein „Paradies für Schnorrer“. Er präsentiert seinen „ultimativen Schnorrertipp“: „Lassen Sie sich vom Bundespräsidenten zum Bankett einladen“. Ersatzweise tue es auch eine der ausländischen Vertretungen oder eine der vielen Buchvorstellungen, Vortragsveranstaltungen, Ausstellungseröffnungen, die täglich in der Hauptstadt stattfinden.


    Der Gang ins Restaurant sei ohnehin eine Qual, „eine Unsitte, zu der wir als Verarmende nicht mehr gezwungen sind“. Auch eine Einladung zum Essen bei Neureichen sei für von Schönburg der Horror, denn er erinnere sich noch gut daran, wie ihm „der penetrante Kourosgeruch des Mietbutlers“ in die Nase stieg. Für alle, die wie er nicht mehr „vom Berufsleben unterjocht“ werden, sei es doch viel angenehmer, in einer kleinen Zweizimmer-Wohnung auf der Bettkante zu sitzen und mit zwei Dutzend Gästen „Pasta mit dehydrierten Pilzen“ zu essen und „billigen Wein“ zu trinken.


    Weil von Schönburg sich jetzt natürlich auch keinen Urlaub mehr leisten kann, plädiert er dafür, es wie die Italiener zu machen und die Urlaubsreise nur vorzutäuschen: Anrufbeantworter einschalten, Hund beim Nachbar abgegeben, Kühlschrank mit Essen vollstopfen und das Haus zwei Wochen nicht verlassen.


    Im dritten Teil seines Buches redet von Schönburg die Vorteile des Reichtums immer weiter herunter. „Die armen Reichen“ heisst sein Kapitel. Hatte er bisher bloß gepredigt, Glücklichsein sei auch ohne Geld möglich, so steht es jetzt sogar „dem Glück im Weg“. Die meisten Reichen seien unerträglich, schimpft er und berichtet über Kinder reicher Eltern, die ihren Status zu verbergen suchten. Dass viele dieser Kinder in jungen Jahren politisch eher links orientiert und gegen ihre reichen Eltern sind, ist ein bekanntes Phänomen und gehört zu deren Trotz– und Flegeljahren.


    Weil von Schönburg sein wahre Natur nie ganz unterdrücken kann, kommen immer wieder Widersprüche ans Licht. So zum Beispiel, wenn er berichtet, dass die Bank manchmal seine Daueraufträge nicht überweist. Gleichzeitig aber er es als Luxus empfinde, eine Armbanduhr zu tragen, eine schweizer Sonderanfertigung, die mehr wert sei als ein Kleinwagen. Der Satz ist deshalb so peinlich, weil ihm eine zweihundert Seiten lange Predigt vorausging, wie sehr von Schönburg, geläutert durch sein neues Leben, den Luxus jetzt angeblich verachte. Man merkt, von Schönburg würde ganz gerne protzen, wenn er es nur könnte.


    Dann zählt er ein paar „Bedürfnislosigkeits-Dandys“ auf: Franz von Assisi, die heilige Clara, Siddharta, Ludwig Wittgenstein, Allen Ginsberg und sogar Ché Guevara. Nur wer kein Geld habe, könne Luxus empfinden. Seine „uneingeschränkte Bewunderung“ gehöre einem Lottospieler aus Nordrhein-Westfalen. Der gewann 9,1 Millionen Euro und verschenkte alles bis auf einen kleinen Rest. Zum Schluss schwärmt von Schönburg von Robinson Crusoe, dem Meister der Selbsttäuschung. Nur so habe dieser auf seiner einsamen Insel überleben können.


    Eine beängstigende Prophezeihung hat er auch noch für uns parat: „...werden wir alle, wirklich alle, bald deutlich ärmer sein als jetzt.“ Von Schönburg meint alle, wirklich alle, also auch die, die schon jetzt ganz unten sind, die Hartz IV-Empfänger. Hier sein Rat: „Je eher man lernt, damit stilvoll und gelassen umzugehen, desto sorgenfreier wird man.“


    Kommt dieser letzte Satz nicht einer Verhöhnung der sozial Schwachen gleich? Sie mögen ihrem tristen Alltag doch bitte etwas mehr Stil verleihen, dann ginge es ihnen bedeutend besser? Nach dem Ausfüllen des Wohngeldantrages vielleicht einen Sonnenuntergang bewundern? Beim Besuch der gemeinnützigen Essenstafel jene Freunde treffen, deren Lebenssituation der eigenen so sehr ähnelt?


    Alexander von Schönburg vertrat schon völlig andere Ansichten. Sein erstes Buch erschien 1989. Es hieß "Das Beste vom Besten" und war ein Almanach der feinen Lebensart. Vier Jahre später folgten "Die besten Seiten des Lebens von A-Z". 1999 dann das bekanntere "Tristesse Royale". 2001 veröffentlichte er ein Theaterstück mit dem bezeichnenden Titel "Karriere".
    2002 verlor er, wie beschrieben, seinen Job und 2005 erschien dann sein Bestseller "Die Kunst des stilvollen Verarmens". Zum Interview mit der TAZ traf sich der „frühere Held der Armut“ bei einem Berliner Edelitaliener. Die Zeiten des gesperrten Kontos waren wohl vorbei.