Die kleinen Themen des Alltags
von R. Bote
Ich sitze am Schreibtisch, und aus Gründen, die mir nicht so schleierhaft sind, geht mir der alte Schlager nicht aus dem Kopf, den Opa immer gehört hat: „Ein weißes Blattl Papier liegt schon seit Stunden vor mir…“ Ersetze Papier durch einen leeren Texteditor, dann stimmt’s. Dass das nicht vom Himmel fällt mit dem eigenen Blog, das wusste ich schon, aber so schwer hab ich’s mir doch nicht vorgestellt. Ein Thema, ein Thema nur, das richtig was hermacht – das könnte schon mein Sprungbrett sein, wohin auch immer. Hauptsache weg von der Kasse beim Supermarkt um die Ecke! Aber mir fällt nichts ein.
Vielleicht muss ich einfach mal den Kopf frei kriegen. Ich fahre den Laptop runter, greife mir im Rausgehen noch einen Müsliriegel und laufe los ohne ein echtes Ziel.
Es ist Mittagszeit, ich hatte gehofft, ich hätte meinen ersten Reißer fertig, bis ich zur Spätschicht muss. Jetzt hoffe ich, mir fällt wenigstens noch ein, worüber ich schreiben könnte, schreiben muss ich’s dann morgen früh. Na gut, auf ein oder zwei Schichten mehr an der Kasse kommt’s nicht an, sagt zumindest die Vernunft.
Von mir nicht bewusst gesteuert tragen die Füße mich am Supermarkt vorbei und weiter zu einem kleinen Platz, der von sich behauptet, das Zentrum des Stadtteils zu sein. Na ja, ziemlich hochgestapelt, eine Straßenecke, an der das Eckhaus fehlt, zwei Bäume, zwei Bänke, in einer Ecke Gummi- statt Steinplatten als letzte Zeugen eines nicht mehr vorhandenen Spielgeräts. Viel los ist nicht, auf einer der Bänke sitzt ein älterer Mann, neben sich eine Bierflasche. Ich sehe ihn öfter, wie er heißt und warum er so oft hier ist, weiß ich nicht. Kein Job, vermute ich, vielleicht Frührentner. Ob er sich auch was Besseres vorstellen könnte, als hier abzuhängen? Oder fühlt er sich wohl so, auf der Bank sitzen, sein Bier trinken und schauen, wer vorbeikommt? Vielleicht sollte man ihn das mal fragen bei Gelegenheit.
An der Haltestelle vorne hält ein Bus. Schülereinsatzwagen, registriere ich beiläufig, er spuckt bestimmt ein gutes Dutzend Kinder und Jugendliche aus. Er fährt an, aber zehn Meter weiter steht er wieder, die Druckluftbremsen fauchen. Die vordere Tür geht auf, ein Mädchen – fünfte Klasse, höchstens sechste – kämpft sich nach draußen, verfolgt von einem unwilligen Blick des Fahrers. Dabei kann die Kleine bestimmt nichts dafür, dass sie nicht rechtzeitig rausgekommen ist, der Bus ist gestopft voll. Da könnten sie auch einen zweiten schicken, oder wenigstens einen Gelenkbus! Sollte man auch mal drauf aufmerksam machen bei Gelegenheit.
Weiter vorne gabelt sich die Straße. Ein Kombi kommt mir aus dem rechten Zweig entgegen und rangiert mühsam um die Spitzkehre in den linken. Dann Vollbremsung, die alte Frau, die dort mit ihrem Rollator die Straße überquert, hat der Fahrer verflixt spät gesehen. Hier gehört echt ein Spiegel hin, da sollte man die Stadt mal drauf stoßen bei Gelegenheit.
Mit solchen Gedanken komme ich nach Hause. Außer Spesen nichts gewesen! Da hätte ich gleich zu Hause bleiben und auf den Bildschirm starren können.
„Was ist?“, fragt mich meine beste Freundin und Mitbewohnerin. Ich seufze und berichte von meinen Schwierigkeiten, ein Thema für mein Blog zu finden. Dass ich einen Spaziergang gemacht hab, weil ich gehofft hab, dabei käme mir eine Idee, dass mir aber nichts eingefallen ist.
„Doch“, sagt sie. „Du hast einen ganzen Sack voll Ideen mitgebracht. Das ist doch das beste Thema überhaupt, und du hilfst allen damit: die kleinen Themen des Alltags!“