Nacht der Angst
von Breumel
Kalt.
Warum ist mir so kalt?
Wo ist meine Bettdecke?
Moment, das ist nicht mein Bett. Der Boden ist viel zu hart.
Was ist das? Ist das - Gras?
Es ist dunkel. Ich kann nichts sehen!
Warum liege ich mit Jeans und Jacke im Gras? Was ist passiert?
Sie versuchte sich umzudrehen. Ein stechender Schmerz, der ihren Rücken hinabfuhr, ließ sie wimmernd zurückfallen.
Ich muss mir den Rücken verletzt haben. Vermutlich ein Sturz.
Angestrengt überlegte sie, woran sie sich noch erinnern konnte.
Genau, ich war mit dem Fahrrad unterwegs. Auf dem Heimweg von Mareike.
Ganz nüchtern war ich nicht, aber doch nicht mehr als sonst auch! Schließlich kenne ich die Strecke in- und auswendig. Ein Unfall? Ich kann mich nicht erinnern.
Das hier könnte die Böschung an der Landstraße sein. Da gibt es keine Beleuchtung. Und wenn ich ein Stück von der Fahrbahn entfernt liege wird mich auch niemand bemerken. Viel Verkehr ist hier ja sowieso nicht.
Bei der Kälte bin ich bis zum Morgen erfroren, wenn mich keiner findet. Scheiße!
Angst stieg in ihr auf. Sie hatte sich noch nie so hilflos gefühlt.
Ich brauche mein Handy. Wenn ich die Jacke anhabe sollte es in der Reißverschlusstasche sein. In der linken. Die, auf welcher ich gerade liege.
Langsam versuchte sie erneut, sich umzudrehen. Es fühlte sich an, als würde jemand auf ihre Wirbelsäule einstechen. Funken blitzen vor ihren Augen, und sie war schweißgebadet, als sie plötzlich umkippte. Vor Schmerz wurde ihr kurz schwarz vor Augen. Aber immerhin hatte sie ihre Tasche soweit freigelegt, dass sie einen Versuch starten konnte, an ihr Telefon zu kommen.
Sie atmete tief ein, aber auch das verursachte Schmerzen. Dann streckte sie den Arm aus. Langsam, ganz langsam, bis sie den Reißverschluss an den Fingerspitzen spürte.
Gleich. Gleich habe ich es, und dann kann ich den Notruf wählen. Ich schaffe das!
Und wenn ich mir die Wirbelsäule so schwer verletzt habe, dass ich querschnittsgelähmt bin?
Denk nicht einmal daran! Die Füße sind einfach eiskalt, und vermutlich eingeschlafen durch die Position. Nur deshalb spüre ich sie nicht mehr.
Sie bekam den Zipper des Reißverschlusses zwischen die Finger. Um die Tasche zu öffnen, musste sie ihn nach unten ziehen. Ihr Arm war bereits fast voll ausgestreckt, also musste sie den Rücken etwas zur Seite neigen. Sie biss die Zähne zusammen um sich für den Schmerz zu wappnen, aber mit einem Schrei fiel sie wieder zurück.
Denk nach. Du MUSST an dein Handy kommen! Aber wie?
Wenn die Hand nicht nach unten kommt, muss eben die Jacke nach oben kommen.
Sie krallte die Finger in den Stoff der Jacke und begann zu ziehen. Millimeter für Millimeter zog sie sie unter ihrem Hintern hervor nach oben, bis sie das Gefühl hatte es könnte reichen. Dann versuchte sie erneut den Reißverschluss zu öffnen. Es klappte! Nach einigen vorsichtigen Verrenkungen hielt sie ihr Smartphone in der Hand. Nur um vor dem nächsten Hindernis zu stehen: Sie hatte nur den Fingerabdruck ihres rechten Daumens eingespeichert, auf der Hand lag sie aber jetzt drauf. Und mit ihren steifgefrorenen Fingern bekam sie das komplexe Entsperrmuster nicht eingegeben. Doch dann sah sie das kleine "Notfall" am unteren Displayrand. Der Notruf funktionierte auch ohne das Telefon zu entsperren! Unbeholfen tippte sie die 112 ein. Und schluchzte fast, als sich eine Stimme meldete.
…
"Wir haben sie gefunden! Sie ist bei Bewusstsein!"
Nie hatte sie etwas Tröstlicheres gesehen als das Licht der Taschenlampe des Sanitäters. Und nie etwas Schöneres gefühlt als das Stechen von tausend Nadeln, als ihre Beine im warmen Rettungswagen langsam auftauten.