Gestern abend nochmal das Kapitel Aufprall gelesen, die Zugfahrt zurück, es ist wie eine Art Beschleunigungskapsel in der sich Alex befindet...
Am liebsten wäre ich in meine Tasse eingetaucht und durch sie und irgendeinen magischen Tunnel hindurch direkt zurück in meine Holzhütte im Garten von Meisenring 15 geflutscht.
Ja, ok, magischer Tunnel passt auch ganz gut. Das Kapitel beginnt in der Vergangenheit bei der Besprechung mit Monika Westhof, um dann in der Gegenwart zu landen, im ICE (nicht der Sprinter vom Hinweg).
Jetzt sitze ich im Zug. ... ich schaue lieber aus dem Fenster, das Licht wechselt rasch, weil es hier und da bedeckt ist und sich die vereinzelten Wolken schnell bewegen. Ich will mit Tabea reden; sie ist der einzige Mensch, der mir helfen kann. Sie ist der einzige Mensch, der mich verstehen könnte. Sie ist der einzige Mensch. Sie ist Tabea.
Dieses rasch wechselnde Licht (was auch ein Verweis auf den Titel dieses Romans ist), die schnell bewegenden Wolken bringen Geschwindigkeit in die Szene. Die immer kürzeren 'Tabea'-Sätze bringen Beschleunigung und erinnern mich an dieses schneller werdende rhythmische Geräusch im Zug und sie fokussieren auf das Wichtige in Alex Leben.
Aber ich muss mir erst überlegen, wie ich ihr das erzählen kann, ohne sie übermäßig gegen mich aufzubringen, und das kommt mir wie eine unlösbare Aufgabe vor. ...
Abstürzen.
Anders als auf dem Hinweg denkt Alex nicht über 'Abbremsen', sondern über 'Abstürzen' nach. Oder genauer, er denkt nicht nicht über 'Abbremsen' nach, sondern er denkt tatsächlich über 'Abstürzen' nach. Tabea davon zu erzählen ist eine andere Nummer als Monika Westhof. Seine Ängste übernehmen. Auf der Hinfahrt war es sein Smartphone was mit Ängsten anklopfte, hier erinnern ihn seine Ängste unbewusst an sein Smartphone:
Als ich nach einiger Grübelei endlich mein Telefon aus der Tasche ziehe und das Display berühre, um es zu aktivieren, geschieht nichts. ...
Und gleich darauf piept es wie wild...
Meine Nackenhaare stehen, mein Herz hat aufgehört zu schlagen, oder es schlägt so schnell, dass die Schläge nicht mehr zu unterscheiden sind...
Fahrt aufgenommen hatten wir ja schon (das wechselnde Licht). Die Sache mit dem Herz passiert gleichzeitig: Die Zeit bleibt stehen und die Zeit rennt. Die Zeit bleibt aus der Perspektive von Alex stehen, weil er selbst sich so schnell bewegt. Mental. (Am Nebentisch eine Familie die ein Spiel spielt. So war es bisher, ein Spiel.)
Als es endlich klappt, steht jemand neben mir, und ich erkenne den Geruch, obwohl ich zu atmen aufgehört habe. Ich wedle mit der Hand und schnarre »Jetzt nicht!«, während ich darauf warte, dass Favel ans Telefon geht.
Die Zugbegleiterin aus dem Sprinter auf dem Hinweg. Es ist tatsächlich genau die vom Hinweg. Was sehr unwahrscheinlich ist. Aber sie ist es, denn sie spielt die gleiche Rolle wie auf dem Hinweg, sie steht für sowas wie die reale Welt mit ihren Anforderungen (und dem Schweißgeruch). Aber es gibt jetzt eine noch realere Welt als die reale Welt und die einzige Verbindung dorthin gibt es über das Telefon (es heißt nicht Smartphone, wie ich gerade merke, was es auch ein kleines bisschen zu einem mythischen Gegenstand macht. Ok, ich übertreibe womöglich beim Beobachten was hier passiert?).
»Was ist passiert?«, frage ich meinen Sohn. Meine Stimme klingt, als würde mir jemand ein Kissen aufs Gesicht drücken.
So ist Alex zu Beginn dieser Entwicklung...
Und so am Ende dieser Entwicklung in dieser magischen Beschleunigungskapsel, es hat sich komplett gedreht. Und das Telefon pingt auch nicht, sondern er ist es, der anruft.
Ich rufe Favel noch einmal an und erkläre ihm und meiner Tochter, dass ihre Mama gerade operiert wird.
Dazwischen die Zugbegleiterin:
»Oh«, sagt sie, bleibt aber neben mir stehen.
Die reale Welt, wie ich sie oben genannt habe, vielleicht besser die alltägliche Welt mit ihren Anforderungen, sie bleibt stehen.
Und:
»Das ist die schnellste Verbindung«, erklärt die Zugbegleiterin neben mir. »Es hat keinen Sinn, den Zug anzuhalten. Schneller als mit dem ICE kommen Sie nicht nach Hause.«
Alex sitzt quasi in einem Gefängnis, es gibt keine Möglichkeit auszusteigen. Er muss die Entwicklung in diesem magischen Tunnel durchleben, um dort anzukommen, wo er gebraucht wird.
Später:
Die Zugbegleiterin steht immer noch neben mir und starrt mich an, das Licht flackert nach wie vor vom raschen Wechsel der Wolken, und die Familie, die auf der anderen Gangseite sitzt, hat mit ihrem Siedlerspiel aufgehört, das bereits den gesamten Tisch einnimmt.
Es ist kein wechselndes Licht mehr, wie am Anfang, sondern sogar ein flackerndes, wie in einem schnellen Zeitraffer. Maximale Geschwindigkeit. Alex entwickelt sich rasant, alles andere steht im Vergleich, alles andere wartet auf diese Entwicklung von Alex, darauf, dass er ankommt.
Zum Schluss pingt es dann doch nochmal, das Telefon
Mein Telefon piept und zeigt mir, dass ein unbekannter Anrufer mit mir sprechen will.
Er geht ran, weil es das Krankenhaus sein könnte, es ist aber 'nur' ein Erpressungsversuch. Alex Reaktion wird nicht einmal beschrieben, denn - wie wir ja ausführlich diskutiert haben - es ist nicht wichtig. Alex bisherigen Ängste, sie spielen jetzt einfach keine Rolle mehr...
Die eigentliche Kunstfertigkeit ist, finde ich, dass man das Kapitel lesen kann, ohne irgendwas von diesen Ebenen zu merken. Es ist dann einfach nur eine vordergründige Erzählung von dem was passiert.