Ja, der gute Maarten schwingt die Deutungskeule wirklich energisch. Bei einigen Anmerkungen denke ich mir dann: Aha, das also habe ich mir dabei gedacht!
Geht ja nicht darum rauszufinden, was Du Dir dabei gedacht hast...
Ja, der gute Maarten schwingt die Deutungskeule wirklich energisch. Bei einigen Anmerkungen denke ich mir dann: Aha, das also habe ich mir dabei gedacht!
Geht ja nicht darum rauszufinden, was Du Dir dabei gedacht hast...
Aber das ist das Album, auf das in "Einführungsphase" hingewiesen wird (Seite 28).
Ja, ich hatte an der Stelle das 2-3 Jahre vorher tatsächlich falsch einsortiert als 2-3 Jahre vor Snow. Inhaltlich passt es besser zum nächsten Leseabschnitt, finde ich. Es nimmt den gewissermaßen vorweg.
Bist Du nun Metal-Fan? Oder hast Du Dir selber solche Logos tätowiert?
Nein, es hat nichts mit dem vordergründigen Inhalt zu tun, sondern eher mit dem was Tom in einem anderen Beitrag geschrieben hat
ZitatUnd eine Geschichte besteht ja nicht nur aus ihren Themen und Figuren und Kulissen, sondern vor allem aus der Art, wie sie erzählt wird.
Nehmen wir nochmal den Satz
ZitatAm Anfang stünde ein schnittiges Logo, das sich Schüler - vor allem Schülerinnen - meines Alters dann mit Kulis auf die Unterarme oder ihre Federmappen tätowieren würden, wie ich das eine Zeit lang mit den coolen Logos einiger Metal-Bands gemacht hatte, obwohl ich Metal eigentlich scheiße fand und von den meisten Bands kein einziges Stück kannte (außer "United" von Judas Priest, die hatten auch den besten Schriftzug, wie ich fand)
Bei vielen Autoren sind die Sätze einfach nur eine Aneinanderreihung von Geschehnissen, eine Reihung von Worten um etwas zu beschreiben. Und gerade unter denen, die einen Prolog aus einer anonymen Perspektive erzählen, gibt's davon reichlich.
Hier hingegen:
"Am Anfang stünde ein schnittiges Logo" bezieht sich für Alex zwar in diesem Moment tatsächlich auf ein Logo, aber in der Szene doch vielmehr auf Tabea. Tom wechselt nicht umsonst von 'schnittigem Logo' (Tabea) zu 'coolem Logo'.
"...das sich Schüler - vor allem Schülerinnen -" ist:
- ein Zeitdokument (es wurde nicht gegendert)
- ein Seitenhieb (gegendert wäre es z.B. '...das sich Schüler*innen - vor allem Schülerinnen' was einfach sch*** ist)
- ein Sprung in die Gegenwart (Alex würde auch heute genauso denken: '...das sich Schüler - vor allem Schülerinnen -) Was wiederum ein Seitenhieb ist
- die eigentliche Motivation von Alex eine Band zu gründen, es geht nicht um Musik und auch nicht um's Logo
"meines Alters dann mit Kulis auf die Unterarme oder ihre Federmappen tätowieren würden"
Hier gefällt mir vor allem die Wahl des Verbs tätowieren. Es trifft hervorragend die Ernsthaftigkeit mit der Alex das hier macht, die Kulis hingegen die Oberflächlichkeit, die Kombi Unterarme/tätowieren die Dauerhaftigkeit und Sichtbarkeit, die Federmappen hingegen wieder die Austauschbarkeit.
Das explizite Erwähnen von "Judas Priest" lässt mir genau diese Schrift vor dem inneren Auge erscheinen. Und die Sorte Jungs, die ein solches Federmäppchen hatten. Und dieses 'United' - irgendeiner Gruppe anzugehören - ist ein ganz wesentliches Motiv bei dem sich selbst markieren mit solchen Logos eine große Rolle spielt. Geht es nicht genau darum, bei Logos, Marken, Äußerlichkeit?
Passt es nicht wunderbar dazu, dass Alex über das Erstellen dieses Logos Tabeas Vorstellung erst mal verpasst? Und er genau durch dieses 'Desinteresse' Tabeas Aufmerksamkeit bekommt, wie wir später erfahren?
Nebenbei: Beim Lesen denke ich nicht all das, was ich da oben geschrieben habe. Das ist irgendwas unbewusstes in mir, das da mitliest und solche Stellen besonders mag...
"Lawyers in Love" wäre auch gegangen.
Stimmt, aber wir sind hier noch im ersten Leseabschnitt. Lawyers in love scheint mir der zweite zu sein (bin da erst halb durch...)
Weil sie keinen gesucht hat, genau wie Alex umgekehrt?
Beide haben auch nicht gesucht an dem Tag, als Tabea sich in der Klasse vorgestellt hat.
Aber für mich ist die Stelle vollkommen glaubwürdig. Tabea wird in den 10 Jahren mit anderen Männern Beziehungen gehabt haben. Die aber alle im Vergleich zu der Beziehung mit Alex nicht mithalten konnten. Die Beziehung mit Alex wiederum wird mit der Zeit in der Erinnerung immer besser geworden sein.
Was genau passiert liegt im Off. Zumindest bisher. Ist für mich vollkommen ok. Es passiert tagtäglich wirklich weitaus verrückteres und unglaubwürdigeres in unserer Welt, als das Tabea nach 10 Jahren zu Alex zurückkehrt.
Wobei Du anscheinend selbst bei Nazis zwischen Soft-Nazis und ? (dem gemeinen Typ) unterscheidest
Bisher ist 'Soft-Nazi' ja nur ein Gerücht. Der einzige Fakt ist, dass er ohne Ende Feuerwerk abfackelt und einige Gäste dabei hat, wenn er das tut.
Und bei dem Feuerwerk abfackeln macht die ganze Gegend fleißig mit...
Du hast aber viele Ausschlusskriterien Maarten - brichst Du alle diese Bücher ab, wenn Du keine Leserunde dazu hast?
Die kommen mir erst gar nicht ins Haus
Nein, es sind nicht wirklich Ausschlusskriterien, eher Indizien
Ich lese keine Bücher mit
- melancholischen Titeln
- melancholischen Covern
- Sinn-Sprüchen vor dem Anfang (oder auch sonstwo)
- Prolog
- und schon gar nicht mit Prolog aus der Perspektive einer anonymen Person
Also wenn man die Qualität eines Buches daran misst, wie viele Vorurteile man beim Lesen in Frage stellen muss, ist dieses bereits auf den ersten Seiten ganz weit vorne...
Nach dem Prolog habe ich dann erst mal 'Running on empty' gehört...
Und dann im Verlauf der Einführungsphase 'The pretender'.
Zitat
Am Anfang stünde ein schnittiges Logo, das sich Schüler - vor allem Schülerinnen - meines Alters dann mit Kulis auf die Unterarme oder ihre Federmappen tätowieren würden, wie ich das eine Zeit lang mit den coolen Logos einiger Metal-Bands gemacht hatte, obwohl ich Metal eigentlich scheiße fand und von den meisten Bands kein einziges Stück kannte (außer "United" von Judas Priest, die hatten auch den besten Schriftzug, wie ich fand)
Ok, spätestens hier waren alle oben genannten Vorurteile passé...
Schon heimlich reingelesen...
Und dann schnell wieder weggelegt, sonst hab ich's aus bevor die Leserunde anfängt
Alles anzeigenLeider ist der bedeutende Jazz-Saxofonist David Sanborn im Alter von 78 Jahren gestorben.
Er war eine, wenn nicht die Größe im Smooth Jazz, dabei keineswegs so glatt, wie man denken könnte.
Sein Spiel hatt etwas besonderes.
1986 und 1989 spielt er Live zusammen mit Miles Davis und das war großartg, gelinde gesagt!
Gemeinam hatten sie außerdem einen Cameo-Auftritt im Film Scrooged mit Bill Murray und steuerten ein Song dazu bei.
ASIN/ISBN: B00186YSQ2
In den 70er und 80er Jahren, als Saxophon auch in Pop/Rock usw. eine wichtige Rolle spielte, war er in meiner Wahrnehmung der einflussreichste Saxophonist überhaupt. Omnipräsent und mit seinem ganz eigenen Sound und seiner Phrasierung sofort erkennbar. Viele haben versucht ihn zu imitieren, er blieb aber dennoch unverwechselbar.
Hier mit Billy Joel - New York State Of Mind
Ebenfalls aus dem Artikel:
Auch Roald Dahl, der Kinderbuchautor, dessen Familie sich kürzlich für seinen Antisemitismus entschuldigte, ließ kürzlich Versionen seiner Bücher überarbeiten, um potenziell anstößige Formulierungen zu entfernen.
Das wirkt so - zusätzlich verstärkt durch die Nennung im Kontext von Agatha Christie - als hätte es in Roald Dahls Bücher antisemitische Äußerungen gegeben. Tatsächlich hat Roald Dahl sich in Interviews antisemitisch geäußert, nicht aber in seinen Büchern.
(Mal ganz davon abgesehen, dass Dahl 1990 gestorben ist und wohl kaum 'kürzlich Versionen seiner Bücher überarbeiten ließ')
Im Guardian-Link sind leider doch nicht alle Tweets enthalten. Hier eine andere Quelle mit allen Tweets von 'The right sort', der 'Kurzgeschichte' die dann später umgearbeitet zum 1. Kapitel von Slade House wurde:
https://themillions.com/2014/0…right-sort-collected.html
Ich habe gerade die Tweets mit der Ausarbeitung in 'Slade House' verglichen, es ist spannend zu sehen, was sich da geändert hat. 'The right sort' bildet eine Art Skelett für die spätere Ausarbeitung, die viel stärker ausgeschmückt ist.
2023 war für mich sowas wie ein David Mitchell-Jahr. Nachdem ich vor einigen Jahren von ihm “Die tausend Herbste des Jacob de Zoet” gelesen habe, habe ich 2023 zunächst “Die Knochenuhren” gelesen (brillant), anschließend “Der Wolkenatlas” und dann eben “Slade House”.
David Mitchells Werk hat einen starken inneren Zusammenhang. Seine Romane spielen in einer phantastischen Welt, in der er etwas erzählt, was er selbst ‘a sort of sprawling macronovel’ nennt. Diese phantastische Welt tritt zuweilen deutlich in den Vordergrund (Slade House, Knochenuhren), manchmal ist sie aber auch so stark im Hintergrund, dass sich ihr Vorhandensein erst erschließt, wenn man weitere Bücher von ihm kennt (z.B. in “Die tausend Herbste des Jacob de Zoet”).
Er lässt sich keinem Genre zuordnen, in gewisser Weise müsste man jedes seiner Bücher unter Phantastik einordnen, auch die Romane, bei denen das nicht der Fall zu sein scheint, wie 'Die tausend Herbste des Jacob de Zoet' oder sicherlich auch 'Utopia Avenue'. Andere, bei denen der phantastische Anteil größer ist, z.B. Knochenuhren, spielen dennoch überwiegend und überzeugend in unserer realen Welt. Er lässt sich auch deswegen keinem Genre zuordnen, weil er gerne auch innerhalb eines Buches zwischen verschiedenen Genres wechselt, indem er eine übergreifende Geschichte in verschiedenen Genres aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Besonders gelungen ist das aus meiner Sicht in Knochenuhren, dem Roman in dem Holly Sykes den Fixpunkt des Romans bildet. Knochenuhren wird erzählt in folgenden 6 Teilen/Genres chronologisch im Kontext von Holly Sykes (also wiederum anders als in Wolkenatlas wo Zeit/Raum/Perspektive symmetrisch um den Mittelpunkt des Romans gespiegelt wurde):
In den ersten 4 Teilen bricht dabei immer auch mal die phantastische Welt kurz ein, wird aber immer wieder von den Protagonisten verdrängt.
Mitchells Stärke scheint mir bei Knochenuhren vor allem in den literarischen Formaten Campusroman und Literaturroman zu liegen, wenn die Perspektive eine höchst intelligente Stimme erfordert. Z.B. die Art, wie Mitchell Crispin Hersheys Kindheit auf gerade mal 1,5 Seiten skizziert, hat mich völlig umgehauen in ihrer brillanten Kunstfertigkeit. Mitchell kann aus meiner Perspektive literarisch eigentlich alles was er will, er scheint grenzenlose Möglichkeiten zu haben. Dennoch ist es eine Art Hass-Liebe die ich zu seinen Büchern empfinde, es ist mir manchmal einfach zu viel Kunst, es ist wie ein Musiker, der in seiner ganzen Virtuosität den Raum vergisst, um das Ganze auch mal wirken zu lassen. Vermutlich kann ich ihm zu oft einfach nicht mehr folgen…
Aus meiner Sicht schwächelt Mitchell dabei leider ausgerechnet in den Genre-Teilen Fantasy und Science-Fiction. Dabei ist Fantasy die eigentliche Wurzel seines kreativen Schaffens, so nennt er Ursula K. Le Guins ‘Magier von Erdsee' als wesentlich für seine Motivation Schriftsteller zu werden und liest nach eigenen Angaben regelmäßig diesen Roman erneut (https://www.theguardian.com/bo…-tolkien-george-rr-martin). Deswegen gehörte zu meinem ‘Mitchell-Jahr’ auch ‘Der Magier von Erdsee’, den ich selbst zwar als kunstvoll, aber doch recht altbacken erlebt habe.
Und damit komme ich endlich zum Slade House - wenn man erst mehrere Mitchells gelesen hat, macht es eigentlich keinen Sinn mehr, die Bücher unabhängig voneinander zu betrachten und Knochenuhren scheint mir - von denen die ich gelesen habe - das Buch zu sein, das am meisten Licht auf diese Macronovel wirft, die Mitchell erzählt. Knochenuhren und manche Zitate aus anderen Büchern, z.B. aus Number9Dream: “Dreams are shores where the ocean of spirits meets the land of matter. Dreams are beaches where the yet-to-be, the-once-were, the-will-never walk awhile with the still are.”
Knochenuhren ist allerdings noch enger mit Slade House verknüpft, denn Slade House ist entstanden aus Ideen, die in Knochenuhren nicht verwendet worden sind. Diese Ideen hat Mitchell in einem Twitter-Projekt in einer Folge von 280 tweets noch vor der Veröffentlichung von Knochenuhren erzählt. Ein Tweet hat dabei maximal die Länge von 140 Zeichen. Um einschätzen zu können, wie viel da rein passt, hier ein Tweet von David Mitchell 2016: Afternoon, all. SLADE HOUSE is out today in paperback. Escape from Brexit fallout thru the small black iron door. What cld go wrong?
Dieses Twitter-Projekt wiederum wurde umgearbeitet zum ersten Teil von Slade House.
Diese Fragmentierung in Tweets passt wunderbar zu David Mitchells fraktaler Erzählweise. Eigentlich ist es eine natürliche Sache, diese Zusammenstellung von Wörtern zu Sätzen zu Absätzen, zu Geschichten. Natürlich ist es ein Unterschied, ob Schriftsteller dabei tatsächlich aus Buchstaben und Wörtern immer wieder etwas Neues erschaffen oder ob sie aus den Klischees des Mainstream schöpfen. David Mitchell stellt fraktales Erzählen in den Mittelpunkt seiner Romane. Im Kleinen - wie in diesem Fall besonders augenfällig bei den Tweets der Vorabversion von Slade House - wie im Großen. Wer ein einzelnes Buch von ihm liest, wird es tatsächlich ganz anders lesen, eine ganz andere Sicht auf die Personen haben, als andere, die bereits ein anderes Buch von ihm gelesen haben. Es setzt sich alles immer wieder zu einem neuen Bild zusammen.
Slade House ist eigentlich ein klassischer Spukhausroman. Ich ordne ihn dennoch hier mal unter 'Zeitgenössisch' ein, weil er mit den anderen Romanen von Mitchell, den zumeist als zeitgenössisch empfundenen, eng verbunden ist. Aber zum einen eben eingebettet in diese Mitchellsche Macronovel - mit besonderer Nähe zu Knochenuhren - und zum anderen folgt er auch dieser für Mitchell typischen Fragmentierung in Episoden aus unterschiedlichen Perspektiven mit einem gemeinsamen Fixpunkt. In diesem Fall eben eine kleine schwarze Tür zu diesem Spukhaus, die nur alle 9 Jahre ganz kurz auftaucht. Ein winziger Punkt in Zeit und Raum, ein einzelner Tropfen in einem grenzenlosen Ozean…
Erzählt werden 5 Episoden in denen unterschiedliche Menschen diesem Eingang begegnen. Wie aus anderen Romanen gewohnt, prägen hierbei die einzelnen Personen stark die von Mitchell verwendete Erzählweise. Es beginnt mit Nathan Bishop, einem Jungen mit Autismus-Spektrum-Störung und seiner Mutter.
Hier wie die Geschichte tatsächlich auf Twitter veröffentlich wurde, alle 280 Tweets:
https://www.theguardian.com/bo…hells-twitter-short-storyUnd hier David Mitchell zur Entstehung von Slade House:
Tom
Von Percival Everett habe ich hier 'Die Bäume' liegen. Gekauft wegen einer vielversprechenden Besprechung, liegen gelassen, weil ich ich den Verdacht habe, dass die Übersetzung das Buch verhunzt. Auf dem Klappentext ist von 'Detektiven' die Rede, tatsächlich sind es 'detectives from the Mississippi Bureau of Investigation', also meinetwegen Ermittler des MBI. Ich glaube, ich greife da lieber zum Original...
Auch sein neuer Roman - James - klingt spannend. Es wird die Huckleberry Finn-Geschichte aus Sicht von Jim erzählt.
Percival Everett talks about race and identity in the United States:
rienchen
Sorry, mir ist gerade noch aufgefallen, dass Lukas Heinser gendert. Also sind mit Otto Normalleser nur Männer gemeint und Du bist fein raus...
rienchen Heinsers Fazit war ja:
ZitatNatürlich kann man Debatten über die Autonomie eines Autors führen, darüber, was ein literarisches Original ist, über „Zeitgeiste“ (und zwar den zur Zeit der Niederschrift und den zur Zeit der Lektüre) — und diese Debatten werden ja durchaus geführt von Literaturwissenschaftler*innen, die sich intensiv mit ihrem Gegenstand auseinandergesetzt haben, die das Handwerkszeug und das Vokabular dafür haben. Und natürlich muss sich Otto Normalleser nicht einer wissenschaftlichen Mehrheitsmeinung – so es sie denn überhaupt gibt – anschließen. Aber wie brisante Themen hier teilweise medial verhandelt werden, ohne die akademische Forschung auch nur zu Wort kommen zu lassen, das ist schon beunruhigend.
Ok, Du und ich stecken als Otto Normalleser offensichtlich nicht tief genug drin, um mitreden zu können. Und wir übernehmen das, was die Medien uns präsentieren.
Wenn ich Lukas Heinser folge, dann können wir hier ohnehin nicht sinnvoll diskutieren. Und ich vermute, dass wir keine Literaturwissenschaftler*innen in unserem Kreis hier haben, die uns die aktuelle wissenschaftliche Mehrheitsmeinung dazu - "so es sie denn überhaupt gibt" - dazu sagen könnten.
Sollten wir Literaturschaffenden in der Sache auch eine gewisse Expertise zutrauen, dann könnte vielleicht jemand aus dem Kreis der hier ab und zu anwesenden Literaturschaffenden uns wenigstens ein bisschen erhellen...
Aber Lukas Heinser schreibt auch:
ZitatNatürlich kann man da unterschiedlicher Meinung sein und eine differenzierte Diskussion beginnen, aber sowas macht ja mehr Spaß, wenn man es auf Grundlage von Fakten tut
Deswegen habe ich als Otto Normalleser wenigstens ein paar Fakten ergänzt.
Und ja, tatsächlich stört mich persönlich der Fall Roald Dahl viel mehr als der Fall Michael Ende, der am Beginn dieses Threads steht, der mich nicht wirklich berührt. Und die Diskussion von uns Otto Normallesern ist ja ohnehin vor allem eine emotionale. Daher...
Das ganze Buch streichen? Immerhin versucht der Junge, die Oma zu vergiften, und in gewisser Weise bringt er sie am Ende um ...
Ja genau so wird heutzutage viel zu häufig über Kinder gedacht.
Genau das ist es, was ich damit meine, dass Roald Dahl Kindern etwas zutraut und ihnen Geschichten auf Augenhöhe erzählt. Er ist dabei immer auf der Seite der Kinder.
Die Oma ist böse zum Kind, das Kind ist in der Lage sich dagegen zu wehren. Und es tut dabei lauter verbotene Dinge, schmeißt die ganzen Sachen, an die es ohnehin nicht ran darf und meist auch nicht kann, alle zusammen in eine magische Medizin rein.
Die böse Oma kommt dorthin, wo sie mit ihrer Bösartigkeit hingehört: Sie wird bedeutungslos, verschwindet im Nichts.
Es ist eine richtig gelungene Kindergeschichte, zu der genau dieses Verbotene und auch das Gruselige hinzugehört. Die sich heutzutage wahrscheinlich niemand mehr zu schreiben trauen würde. Genau deswegen ist aber Roald Dahl auch heute noch bekannt, weil er sich das getraut hat.
Das ist eine ziemlich Sammlung und aus meiner Sicht schon übertrieben. Hier wird die political correctness auf die Spitze getrieben - da hätte ich als Autorin etwas dagegen. Allerdings werden da natürlich gleich mehrere Bücher aufgelistet, so dass es nach mehr aussieht, als es pro Buch ist.
Erschreckend finde ich ja nicht die Menge, sondern die Intention hinter den einzelnen Punkten, die dann Buch für Buch konsequent durchgezogen wird.
Und für mich als mittlerweile hauptsächlicher ebook-Leser, auch, dass mir das einfach untergeschoben wird.
Mich würde interessieren, wer sich diese ganze Arbeit macht - sind das Verlagsmitarbeiter*innen?
Vom Verlag beauftragte Sensitivity Reader.
Ich persönlich finde gerade bei Roald Dahl die Idee dahinter tatsächlich absurd.
Nimmt man ein Buch wie George's Marvellous Medicine in dem der 8-jährige George auf seine Oma aufpassen muss, die ihn fies behandelt:
Statt ihr ihre reguläre Medizin zu geben, braut er ihr stattdessen eine 'magische Medizin' und schmeißt einfach so ziemlich alles rein, was er so im Haus findet. Neben Deo und Shampoo auch so Sachen wie Bodenpolitur, Tiermedikamente, Gin, Motoröl, Antifrost usw.
Nachdem er ihr die Medizin gegeben hat, wächst sie so groß wie das Haus und wird später, als Mr. Kranky nach Hause kommt mit dem Kran in die Scheune verfrachtet, wo sie wegen ihrer Größe bleiben muss.
Mr. Kranky ist begeistert wegen der magischen Medizin mit der sich auch Tiere vergrößern lassen und möchte sie in großen Mengen herstellen, um sie zu verkaufen. George versucht sie erneut herzustellen, aber sein letzter Versuch macht jetzt alles klein.
Die Oma denkt es wäre Tee, trinkt es und wird klein und kleiner, bis sie zu Mrs. Krankys Entsetzen und Mr. Krankys Vergnügen komplett verschwunden ist. Zuerst ist Mrs. Kranky schockiert, aber dann akzeptiert sie es und meint, dass ihre Mutter ohnehin zu einer Last geworden war.
Keine Ahnung, was jetzt konkret bei der Geschichte geändert wurde. Wahrscheinlich sieht die Oma nicht mehr hässlich aus oder so...
Ok, dann fügen wir dem Artikel von Lukas Heinser doch etwas Hintergrund dazu...
Dahl hat die Umpa Lumpas geändert, Heinser scheint der Meinung zu sein, dass damit auch weitere Textänderungen nach Dahls Tod im Sinne des Autor sein können.
Die Änderungen an Dahls Werk wurden durch Sensitivity Reader erarbeitet. Typische Änderungen werden vorgenommen bzgl:
- Farben, sowohl in Bezug auf Haut (Ein Gesicht white of horror wird zu agog with horror) als auch in anderen Bezügen (Eine Stimme die darkly ist, wird zu einer die mysteriously ist)
- Verweise zu anderen Ländern, Regionen, Ethnien werden entfernt oder geändert. Z.B. aus hopping like a dervish wird like a frog
- Sex/Gender ist natürlich ein Thema. Queer im Sinne von strange wird entfernt. Men and woman, boys and girls, mothers and fathers werden ersetzt durch äquivalente gender-neutrale Begriffe wie parents oder siblings. Maskuline Pronomen werden zum Teil ersetzt, z.B. aus the catspringer in his burrow wird the catspringer in its burrow. Manchmal wird auch aus einem männlichen Charakter ein weiblicher (Der Character Small Fox in Fantastic Mr. Fox) Biologische Geschlecht wird durch das soziale Geschlecht ersetzt, so wird bzgl. Miss Trunchbull in Mathilda most formidable female geändert in most formidable woman.
- Rollenbilder aus der Zeit werden angepasst und beleidigende Begriffe im Kontext von Frauen werden abgemildert. Aus ugly old cow wird z.B. ghastly old shrew. Unterschiede zwischen Männer und Frauen werden entfernt, z.B. wurde folgendes gestrichen If I is giving a girl's dream to a boy, even if it was a really whoppsy girl's dream, the boy would be waking up and thinking what a rotbungling grinksludging old dream that was.
- Aussehen und Behinderungen sind ein großes Thema. Ob jemand körperlich attraktiv oder unattraktiv ist, wird häufig entfernt, vor allem bei Frauen. Das Wort fat darf nicht vorkommen, es wird ersetzt durch Wörter wie large oder enormous. Referenzen Richtung kleinen Wuchs werden entfernt. Zum Teil wird auch schon old geändert oder entfernt. Wörter wie crazy oder mad werden entfernt wie auch Hinweise auf niedrige Intelligenz oder psychische Störungen, Taubheit usw. In Hexen hexen wurde an der Stelle, an der klar wird, dass Hexen eine Perücke tragen z.B. hinzugefügt: There are plenty of other reasons why women might wear wigs and there is certainly nothing wrong with that.
In BFG werden die Gedichtzeilen
Aunt Sponge was terrifically fat / And tremendously flabby at that und Aunt Spiker was thin as a wire / And dry as a bone, only drier.
ersetzt durch
Aunt Sponge was a nasty old brute / And deserved to be squashed by the fruit und Aunt Spiker was much of the same / And deserves half of the blame.
- Mangel an Privilegien von Kindern ist ein Thema. So wurde bei Sophie in BFG die Beschreibung a little orphan of no real importance in the world entfernt.
- Verweise auf schlechte Körperhygiene, Alkohol und Rauchen werden zum Teil entfernt. Z.B. Small Fox sniffs a bottle of cider statt taking a sip.
- usw.
https://en.wikipedia.org/wiki/…Dahl_revision_controversy
https://www.theguardian.com/bo…language-deemed-offensive
https://www.bbc.com/culture/ar…riting-childrens-classics
Wer die Bücher als ebooks besitzt, hat dabei übrigens je nachdem wie man es sieht Pech bzw. Glück gehabt, sie werden automatisch aktualisiert. Die Wahl hat man dabei nicht.
Ergänzend hier noch eine Arbeit:
Deconstructing Willy Wonka’s Chocolate Factory: Race, Labor, and the Changing Depictions of the Oompa-Loompashttps://ourenvironment.berkele…cNair_Journal_2012_wc.pdf
Aus ihrem Fazit:
The textual whitewashing of the Charlie and the Chocolate Factory 1964 text also prevents audience interpellation and recognition of the masterslave narrative. Constructed through a master-colonizer gaze readers, viewers, people of color, third World citizens, and people who share a similar existence of exploitation as the Oompa-Loompas are unable to recognize their own similar plight and connection to the OompaLoompas. The audience is realigned with Willy Wonka and his ideologies. This broken interpellation works as a propagandistic force on behalf of the dominant class to continue dominating ideology through
media. Charlie and the Chocolate Factory is more than just a children’s story.