Beiträge von Maarten

    Wenn du das mal doch sagen kannst, freue ich mich über deine Meinung. :)

    So einfach ist das nicht.

    Melina baut Miniaturen aus Alltagsmaterial.
    Tom (Liehr) baut sie aus Wörtern, also ebenfalls Alltagsmaterial.

    Marieluise hinterlässt Tomàs eine Truhe mit lauter kleinen Einzelteilen. Für Tomàs ist das nicht lösbar, es braucht Filip und Melina zusammen, da es unterschiedliche Blickwinkel braucht, um das System zu erkennen und zu verstehen.
    Dieses Buch - Die Wahrheit über Metting - ist eine solche Truhe voller lauter kleiner Einzelteile, die zusammengesetzt werden können.

    "Es muss irgendein System geben", meint sie. (Melina)
    Ich nicke. Das muss es ja immer.

    Es scheint bei jedem Rätsel in diesem Buch ein System zu geben, aber es sind lauter verschiedene Systeme, das macht es so schwierig.

    Seine Gedichte (Friesmann) kamen mir wie Puzzles vor, die man zusammensetzen musste, ohne zu wissen, wie das Bild am Ende auszusehen hätte. Und ohne sicher sein zu können, dass es dieses Bild überhaupt gab. Als stammten die Teile von unterschiedlichen Puzzles.

    Genau so verhält es sich mit diesem Buch auch. Ich sehe, dass es viele Puzzleteilchen gibt, bin hier und da auf einem Weg, aber sie zu einem Gesamtbild zusammenzufügen bzw. eine funktionierende Maschine aus den vielen Einzelteilen zusammenzubauen...
    Puuuh...
    Frag mich in ein paar Jahren nochmal... ;-)

    Bezüglich des Korinthenkacker-Alarms würde ich mal behaupten, dass es hier kein Fehler, sondern Absicht ist. Im Buch heißt es ja, dass der Fehler dem Lehrer zu spät bewusst wurde oder so (zu faul, um das Buch zu holen...:lache). Es könnte natürlich sein, dass mit dem "Fehler" etwas anderes gemeint ist, z.B. dass er einem so klasse Mathehirn wie Filip so eine Aufgabe gibt, aber ich dachte, es könnte auch heißen, der Lehrer hat sich da vertan und es dann, als er von der Tafel wegging, bemerkt. :gruebel

    Ach, diese 5-stellig / 6-stellig Sache hatte ich ganz aus den Augen verloren.

    Also wie ich das Buch mittlerweile sehe, gehe ich davon aus, dass es weder ein Fehler im Buch ist, noch ein Fehler von Dr. Kurtus, sondern das was anderes dahintersteckt. Was, kann ich Dir allerdings auch nicht sagen, Metting enthält viele Puzzlestückchen, dies scheint mir eines zu sein. Dessen Bedeutung ich allerdings bisher nicht verstehe.

    Der Fehler von Dr. Kurtus in der Szene scheint mir lediglich zu sein, dass er sich auf Filips Spiel eingelassen hat.

    Unter ihren Augen erzählt die Geschichte von der charismatischen Schulleiterin einer bekannten Gymnastikschule in Hannover und ihrer Lieblingsschülerin, die sie heimlich als ihre Nachfolgerin auserkoren hat. Teil dieser Geschichte ist, wie wir bereits im Prolog erfahren, dass diese Lieblingsschülerin ihre von ihr einstmals geliebte Lehrerin 1933 nach der Machtergreifung Hitlers denunziert.
    Im Roman wird vor allem der Weg zu dieser Denunziation erzählt, es wird erzählt, wie ein immer weiter eskalierender Kampf zwischen zwei sich sehr ähnlichen Frauen entstehen konnte.

    Bei diesem Roman kommt vieles zusammen. Dorit David besitzt ein fundiertes Wissen über genau diese Gymnastikschule in Hannover und den diesem Roman zugrundeliegenden realen Fakten, sie hat selbst dort ein Jahrzehnt unterrichtet und durfte sich des Archivmaterials der Schule zur Recherche bedienen. Dieses Wissen und diese Recherche und vor allem ihre Fantasie, die Fakten dramatisch auszugestalten, ermöglichen ihr ein sehr authentisch wirkendes Bild von der Tanzschule und ihrer Ausbildung, sowie von Ort, Zeit und den Charakteren entstehen zu lassen. Dank einer präzisen, einfühlsamen Sprache und einem guten Gespür für Szenen, Symbolik und Erzählsequenz erzählt sie eine sehr verwobene, detailreiche Geschichte. Gleichzeitig wirkt diese Geschichte nicht nur, als wäre ihr Beginn 100 Jahre her, es klingen - zumindest für mich - auch sehr aktuelle Bezüge durch.
    Die Bedrohung durch die Nazis entsteht dabei lange nur im Hintergrund, die Geschichte lebt stark von den Konflikten der Charaktere und bezieht hierher ihre Spannung.

    Ein Buch, das mir die Zeit vor der Machtergreifung der Nazis nähergebracht hat und mich mit seinen vielen Details immer mal wieder zu weiterer Recherche angeregt hat. Ich habe es sehr gerne gelesen.

    Ich hab noch ein bisschen über den Titel nachgedacht. Vermutlich haben die meisten am Anfang eine ähnliche Assoziation wie ich sie hatte: Der Nationalsozialismus entsteht unter ihren Augen, unter den Augen der Protagonisten.


    Der Twist am Schluss ist bemerkenswert: Für Berta und Dorothea ist es ein Überlebenskampf unter ihren Augen, den Augen der Nazis. Aber im Grunde war das schon immer so, sie lebten in gewisser Weise schon immer unter ihren Augen...

    Diesen letzten Abschnitt habe ich jetzt recht schnell gelesen, ich wollte wissen, wie es weitergeht.

    Die Zuspitzung zwischen Lotte und Berta endet u.a. darin, dass Berta der NSDAP beitritt. Lotte steht weniger unter Beschuss, u.a. weil sie eindeutig arischer Herkunft ist und vom Äußerlichen gut in das arische Konzept passt. Sie kommt im Kontext von Erwins KPD-Mitgliedschaft mit einer kurzen Haft davon, obwohl sie kein Parteimitglied ist.

    Und dieser Kampf zwischen Berta und Lotte erinnert mich tatsächlich an die Auseinandersetzungen im Kontext des Feminismus derzeit.
    Natürlich an Rowling und den Schauspielern ihrer Harry Potter-Filme. Oder den Fans ihrer Bücher, die sie früher wegen der Bücher geliebt haben, und sie heute wegen ihrer Einstellung, dass das Geschlecht biologisch festgelegt sei, ablehnen.
    Natürlich an Suzanne Moore, die 2019 den Orwell Prize für Journalistik bekommen hat, 2020 dann aber das Handtuch beim Guardian geschmissen hat, weil viele Mitarbeiter des Guardian sich in einem gemeinsamen Brief ebenfalls wegen ihrer Einstellung, das Geschlecht sei biologisch festgelegt, gegen sie ausgesprochen haben.
    Und an Chimamanda Ngozie Adichie, die u.a. Ende 2020 folgende Meinung vertrat: Again JK Rowling is a woman who is progressive, who clearly stands for and believes in diversity. Auch bei ihr findet man Assoziationen zu dieser Geschichte mit Berta und Lotte, z.B. in einer ihrer Schülerinnen Akwaeke Emezi, die sich von ihrer früheren Lehrerin wegen der Aussagen bzgl. Rowling und Transgender komplett abgewendet hat.

    Chimamanda Ngozie Adichie sagte 2017: The left is very cannibalistic. It eats its own.
    Das erinnert mich wiederum an die SPD und die KPD in der Zeit vor der Machtergreifung Hitlers, dem Vorwurf des Sozialfaschismus. Und es erinnert mich eben auch an diesen Streit zwischen Berta und Lotte, der in seiner weiteren Eskalation zusammen mit anderen Gründen aus der ursprünglich linken Berta ein NSDAP-Mitglied macht und aus Lotte eine Denunziantin.

    Nun ist die Eskalation um Rowling und Moore jüngeren Datums, sie wird erst stattgefunden haben, nachdem dieses Buch geschrieben wurde. Der Mechanismus scheint mir aber ein Ähnlicher zu sein. Und die Diskussionen gehen schon länger.

    Ich habe beim Lesen dieses Buchs oft gedacht, die Welt braucht mehr Menschen wie Else...
    Es ist wichtig mit sich selbst im Reinen leben zu können. Und es ist wichtig auch für sehr unterschiedliche Lebensentwürfe einen gesellschaftlichen Rahmen zu haben, der das möglichst vereinfacht.

    Kurz zu Lotte und Irma:
    Da ist sie wieder die Brosche. Und es verhält sich genau andersherum als damals bei Erwin, diesmal passt alles zusammen. Und so wie Berta zurecht sich selbst in Lotte gesehen hat, findet Irma das in Lotte wieder, was ihr an Berta gefallen hat.

    Dorit David :
    Wie lange hast Du an dem Buch geschrieben? Ich finde es eine sehr verwobene, detaillierte Geschichte mit gut ausgearbeiteten Szenen, die vermutlich viel Rechercheaufwand mit sich gebracht haben. Das kommt mir sehr zeitaufwendig vor.
    Vielen Dank für dieses Buch, ich habe es sehr gerne gelesen.

    In diesem Teil fand ich vor allem interessant zu beobachten, wie die einzelnen Personen sich gegen die Übernahme der Gesellschaft durch die Nazis wehren (oder eben nicht). Die Weltwirschaftskrise beginnt im Oktober 29 und bereitet den Boden für eine Radikalisierung.

    - Der Künstler Roger geht bereits im Herbst 31 ins Exil nach Frankreich. Und nimmt damit Berta auch einen gewissen Schutz.
    - Berta und Dorothea stecken bzgl. der Politik ihren Kopf in den Sand. Schule und Konfrontation mit Lotte innerhalb der GEDOK scheinen wichtiger zu sein.
    - Bernhard ist als Jude nicht in der Lage sich zu wehren und ist damit auch kein Schutz mehr vor Dorothea. Dass Dorothea umgekehrt ein Schutz für Bernhard sein könnte, die Idee kommt ganz kurz auf, ihr wird aber nicht weiter nachgegangen (Warum nicht?!!!)
    - Lotte steckt wie Berta und Dorothea ebenfalls bzgl. der Politik ihren Kopf in den Sand. Schule und Konfrontation mit Berta scheinen auch für sie wichtiger zu sein. Auch als Else davon erzählt, dass Artjom wegen der Lage bei ihrem Vater wohnt, kommt sie nicht auf die Idee zu helfen. Es sind Juden die Juden helfen.
    - Lottes Mutter scheint mit drin zu stecken im braunen Dreck.
    - Erwin ist bei der KPD. Diese bekämpft zu diesem Zeitpunkt die SPD unter dem Begriff Sozialfaschismus (was im Buch für mich so nicht deutlich wurde, vielleicht ist es mir auch entgangen, aber ich google auch ein bisschen nebenher...) und verhindert so ein Bündnis dieser Kräfte gegen die NSDAP (in gewisser Weise ähnlich wie Berta und Lotte, die nicht an einem Strang ziehen können). Vor der Reichstagswahl 32 gab es einen dringenden, von Künstlern und Wissenschaftlern (z.B. Albert Einstein) unterschriebenen Appell des Internationalen Sozialistischen Kampfbundes der dazu aufrief, dass SPD und KPD für diese Wahl sich gemeinsam gegen den Faschismus aufstellen: Dringender Appell (Es sind nur wenig Unterschriften). Der blieb allerdings folgenlos. Die republikfeindliche KPD lehnte die parlamentarische Demokratie ab. Die NSDAP profitierte von der Radikalisierung aber deutlich mehr als die KPD.

    Mein Herz in diesem Buch schlägt weiterhin für Else. Die mir ja schon immer sympathisch ist.
    Wenn Lotte über Redefett redet, ist das aus meiner Sicht immer eine Aussage über Lotte, nicht über Else.
    Else ist weltoffen, tolerant und vor allem sehr mit sich selbst im Reinen. Mit Menschen wie Else würde es viele der Probleme in diesem Buch nicht geben.
    Und Else stemmt sich mit ihrem Theaterprojekt wenigstens ein bisschen gegen die NSDAP.

    Allerdings ist das jetzige Verhältnis zwischen ihr und Erwin schwierig. Es belastet sie (und entlastet Lotte). Mal sehen, wie sich das entwickelt.

    Und es gibt natürlich noch die geheimnisvolle Irma Dorn.

    Was mir beim Lesen und beim Googlen der geschichtlichen Hintergründe bewusst wird, wie schnell es dann letztendlich doch gekippt ist. Gut, die Weltwirtschaftskrise kochte schon 2 Jahre vor sich hin, als die NSDAP Juli 32 die stärkste Partei wurde. Bei der Wahl November 32 verlor die NSDAP wieder etwas an Boden und die politische Linke - SPD und KPD - waren stärker als die NSDAP, wegen ihrer großen DIfferenzen (u.a. der Sozialfaschismus-Vorwurf) hatte das aber keine Bedeutung. Am 30. Januar 33 wurde Hitler zum Reichskanzler ernannt und die Verfolgung politisch Andersdenkender setzte ein.

    Ich bin gespannt, wo die Brosche abgeblieben ist...

    Ich hatte die GEDOCK so verstanden, dass hier weibliche Unternehmerinnen gefördert werden sollen. Nicht weibliche Kunst.

    Die GEDOK ist historisch. Es ist ein Akronym für Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine aller Kunstgattungen.

    Heute könnte man denken, das I wäre versehentlich klein geschrieben. Es ging aber wirklich um die Förderung von Künstlerinnen (kein Gender-Binnen-I).

    Natürlich kann Lotte mit Männern arbeiten und Aenne Männer fotografieren.
    Bei der GEDOK und entsprechend auch bei einer GEDOK-Aufführung geht es aber explizit um Förderung von Künstlerinnen, nicht nur im Sinne einer Choreographie, sondern auch im Sinne von Tänzerinnen.
    Es geht dabei nicht um eine Trennung, sondern um die Förderung einer speziellen Gruppe. In diesem Fall der Frauen.

    Aber es ist auch eine aktuelle Diskussion die derzeit innerhalb des Feminismus stattfindet. Z.B. zwischen FeministInnen der 2. Welle und Feminist*innen der 3./4. Welle.
    In diesem Sinne ist eine gewisse Androgynität von Artjom vielleicht kein Zufall in dieser Geschichte. Dein Einwand und diese Diskussion innerhalb des Feminismus scheint mir Teil dieser Geschichte um Berta und Lotte zu sein.

    Das ist Dreh- und Angelpunkt des Stückes. Von Berta als erwachsene und gestandene Frau mit Erfahrung hätte ich einfach mehr Fingerspitzengefühl, ja und auch mehr gefühlsmäßigen Abstand gegenüber Lottes Liebesleidenschaft erwartet. Ja, Dorothea ist da nüchterner, sagt Berta, wie sie richtigerweise reagieren hätte können und sollen, aber leider viel zu spät.

    Dorothea hat aus meiner Sicht durchaus einiges zur Situation beigetragen. Es dürften vor allem ihre Zweifel gewesen sein, die dazu geführt haben, dass Berta gegenüber Lotte reserviert war, ihr nie gesagt hat, was sie in ihr sieht. Berta wäre womöglich mit Lotte offener umgegangen, wenn Dorothea nicht immer so große Zweifel an Lotte gehabt hätte.
    Und tatsächlich war es ja Berta, die Recht hatte: Lotte hat Durchsetzungsvermögen und unternehmerisches Denken. Sie hat das, was Berta unter dem Begriff Haltung subsumiert.


    Hätte Dorothea nicht immer dagegen gehalten, Lotte als Nachfolgerin wäre vermutlich zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung geworden. Vielleicht spielte doch auch eine gewisse Rivalität mit rein? Vielleicht kam Dorothea nicht wirklich gut damit zurecht, dass Berta so vieles von sich selbst in Lotte sah?

    Die Situation mit der Brosche hier: Dorothea hätte die Möglichkeit gehabt auf Lotte zuzugehen, ihr die Brosche anzubieten und damit den Bruch zwischen Berta und Lotte kleiner zu machen. Sie hat sich für das Gegenteil entschieden. Sie könnte vermitteln, wenn sie wollte. Sie will aber nicht.

    Das ist Dreh- und Angelpunkt des Stückes. Von Berta als erwachsene und gestandene Frau mit Erfahrung hätte ich einfach mehr Fingerspitzengefühl, ja und auch mehr gefühlsmäßigen Abstand gegenüber Lottes Liebesleidenschaft erwartet. Ja, Dorothea ist da nüchterner, sagt Berta, wie sie richtigerweise reagieren hätte können und sollen, aber leider viel zu spät.

    Es ist eine verfahrene Situation, die eigentlich nur im griechischen Drama, mit dem Tod eines Beteiligten gelöst werden kann.

    Ich hoffe auf ein besseres Ende. Aber wer weiß, wir gehen in der Geschichte ja ohnehin düsteren Zeiten entgegen...

    Das Ärgerliche ist ja: Die Konkurrenz zwischen Berta und Lotte ist überflüssig.
    Sie könnten an einem Strang ziehen und hätten dadurch beide mehr Erfolg, sind aber nicht dazu in der Lage, weil Lotte in Berta verliebt war und Berta da nicht mit umgehen konnte.

    Stimmt, die Männer bleiben reichlich blass, selbst wenn sie wie der Alibi-Liebhaber mal näher beleuchtet werden. Selbst Erwin, der ja wohl zusammen mit Lieselotte ihre Schule leitet, läuft eher so nebenbei her.


    WIe nebensächliches Inventar

    Ich empfinde die Männer nicht als blass und auch nicht als Inventar. Sie stehen nur nicht im Mittelpunkt. Ich habe den Eindruck, dass dieses nicht im Mittelpunkt stehen besonders auffällig ist, weil es in den meisten Büchern die ich lese, genau umgekehrt ist. Ich finde es angenehm, dass es hier mal anders ist.

    Berta denkt am Ende von Kap. 26:
    Die Eigenschaften und den Einfluss, den Männer besaßen, forderte sie eben auch für sich. Das war nicht zu viel verlangt. Und dazu gab es Bereiche, in denen mussten Frauen ungestört üben dürfen, stark zu sein. Nicht alle waren wie sie selbst. Es gab überall weniger Begabte. Sogar eine Lieselotte Daube hatte davon profitiert. Diese Domänen mussten geschützt werden. Von starken Frauen. Dazu gab es schließlich die GEDOK...

    Ich hatte bewusst das Bild von Laban gepostet, weil ich finde, dass es die übliche Darstellung - zumindest in der damaligen Zeit, aber häufig genug auch heute noch - typisch wiedergibt.
    Der große Laban und sein Inventar: Laban

    Die GEDOK wurde 1926 von Ida Dehmel gegründet. Ihr Anliegen war die Förderung künstlerischer Talente von Frauen. Es ist tatsächlich merkwürdig, dass Lotte dort mit 10 Männern aufkreuzt und mit Artjom einen Mann in den Mittelpunkt stellt, der allen anderen die Schau stiehlt (Artjom z.B. ist ein Mann, zu dem man sicher auch eine eigene Geschichte erzählen könnte, weder blass noch Inventar. Aber das hier ist die Geschichte von Berta und Lotte, nicht von Artjom).
    Lotte untergräbt den ganzen Sinn der Veranstaltung. Sie kämpft auch in dieser Hinsicht sozusagen gegen sich selbst, gegen ihre eigenen Interessen. (Sie wollte selbst ursprünglich ausschließlich Frauen unterrichten...)

    Wie sagt Berta über Artjom:
    Ein Prachtstück, ohne Zweifel, aber bei einer GEDOK-Aufführung völlig deplatziert.

    Und Lotte selbst:
    "Er tanzt wie ein Mädchen!", hatte Lotte Erwin während der ersten Probestunde voller Staunen zugeflüstert.


    Wenn das so ist, warum stellt sie dann auf einer GEDOK-Aufführung nicht eine Frau in den Mittelpunkt ihrer Aufführung, statt einen Mann, der wie ein Mädchen tanzt? (Egal wie gut er darin ist...)

    Ich möchte meinen, dass Tom kreativ genug ist, sich ein paar rein fiktive Titel und Namen auszudenken.

    Kann natürlich sein, dass da Anspielungen dabei sind - das erkennen aber wohl nur besser Belesene als ich.

    Ich finde, Tom ist tatsächlich sehr kreativ darin, reale Autoren hinter fiktiven Titeln und Namen zu verstecken. ;)

    Das hat mich aber gestört: Die fiktiven Autoren und Buchtitel. Da hätte man wohl etwas Adäquates in der Literatur finden können. Aber das ist wohl mehr meine ganz persönliche Befindlichkeit.

    Ich finde es ja gerade spannend herauszufinden, welche Autoren sich hinter den fiktiven Autoren, Buchtiteln und Inhalten tatsächlich verbergen.
    Aber ich rätsele da auch noch herum...

    Dass Berta da der Ruf der Schule wichtig(er) ist, kann ich einerseits verstehen. Aber woher soll Lotte denn von den Nachfolgeplänen wissen? Wie so oft - miteinander reden würde helfen.

    Tatsächlich hat Lotte in Kap. 1 ein entsprechendes Gespräch zwischen Berta und Dorothea belauscht.
    Sie kann es sich daraus zusammenreimen.

    Aber diese Sichtweise von Berta ist ja auch umstritten. Dorothea ist ja gänzlich anderer Meinung. Es wundert mich deswegen nicht, dass Berta es Lotte nicht sagt. Aber es wäre wirklich ein leichtes gewesen, in dieser Situation empathischer zu sein. Aber das ist ja nicht gerade Bertas Stärke.

    Die beiden könnten wohl beide von dieser Freundschaft provitieren. Lotte könnte Else helfen auf dem Teppich zu bleiben trotz ihrer Vergnügungssucht. Und Else könnte ihr ein wenig mehr Lockerheit beibringen.


    Ich fürchte, Else manövriert sich in gefährliche Situationen, die von der damaligen Spaßgesellschaft ausgehen, wie z.B. Drogensucht oder Geschlechtskrankheit oder Abtreibung - mal ganz abgesehen von einem "Guten Ruf".

    Ich zitiere da einfach mal eine Stelle:
    Vor ein paar Tagen hatte Else Marie ihr gezeigt, wie sie durch die richtige Schattierung den ungünstigen Eindruck ihrer eng stehenden Augen mit etwas Rouge und Puder aufheben konnte. Das brachte auch ihre blauen Augen zum Leuchten. Ihr Gesicht strahlte dadurch viel mehr Offenheit aus, und die brauchte sie jetzt am allermeisten. Weltoffenheit, nicht Engstirnigkeit.

    Weltoffenheit hat Else Marie.
    Und Else Maries Weltoffenheit weckt bei mir keine Ängste, im Gegenteil.
    Lotte hingegen scheint mir eine wandelnde Zeitbombe zu sein...

    Kap. 18-24...

    Zitat

    Drei Monate später war Lieselotte verheiratet, natürlich nicht wegen des motorisierten Versprechens, sondern weil sie endlich eine weitere Ausbildung in Hamburg beendet hatte.

    Während Lieselotte bei Berta eine Ausbildung von einer Frau für Frauen genossen hatte und es Almut war, die sie gefördert hatte, begibt sie sich jetzt in eine Männerwelt. Die Ausbildung wird von ihrem Onkel bezahlt, ein Kredit, den sie zurückzahlen muss. Es ist eine Ausbildung beim großen Rudolf, Rudolf Laban (Laban). Sie lebt in Hamburg bei seinem Bruder und hilft dafür in der Hauswirtschaft. Sie heiratet dann Erwin, weil ... eine Ausbildung geendet hatte. Das alles passiert, als der Gagat verschwunden ist.


    Zitat

    Es war schade, aber Else hatte sich entfernt.

    Für mich sieht es so aus, als wäre es genau andersherum.


    Zitat

    Seit sie wieder in Hannover war, hatte sie beschlossen, sich häufiger um Else zu kümmern. Das Uferlose in ihrer Art beunruhigte sie.


    Mir kommt es so vor, als wäre es vielmehr Lotte, die weiterhin die Unterstützung von Else braucht. Auf eine ganz andere Art.

    Lotte lernt Aenne Heise kennen (sie ist eine historische Person), gleichzeitig taucht hin und wieder der Gagat wieder auf. Aenne Heise hat braune Augen und nennt Lieselotte Lilo.

    Ansonsten bin ich gespannt, auf ein späteres Treffen zwischen Lieselotte und Irma Dorn.
    Ich finde ihre Frage spannend: Dem bergeversetzenden Glauben von der Macht des Tanzes sind nun also auch Sie verfallen?
    Das kann ein interessantes Treffen werden...

    Und bei einem Buch von einer 42er-Autorin halte ich natürlich die Augen auf:
    ... - Alice im Wunderland.
    Ehrfürchtig schob Lieselotte die Fahrstuhltür zu und drückte auf die Ziffer Vier.
    ...
    Zwei Hosenbeine über glänzenden Schuhen fuhren senkrecht in die Tiefe.
    8)

    Ich bin mit diesem Abschnitt auch noch nicht durch, möchte aber auch schon mal was dazu schreiben, weil für mich mit Kapitel 17 sowas wie ein erster Teil zu enden scheint und mit Kapitel 18 ein Sprung stattfindet.

    Zunächst ein paar Worte zur Gagat-Brosche. Sie passt so wunderbar in diese Geschichte:

    Zitat

    Das daumennagelgroße Oval aus schwarzem Gestein mit Anstecknadel hatte sie bekommen, kurz bevor sie zu den Brostels zog. "Großmamas Auge", hatte Mutter gesagt, "vielleicht wacht es besser über dich als ich." Selten hatte die Mutter so warme Worte für sie übriggehabt.


    Nichts braucht Lieselotte wohl weniger, als "Großmamas Auge", ein Edelstein aus Braunkohle im Übergang zur Steinkohle der über ihren rechten Weg wacht. Ein Trauerstein. Was für eine Last. Er symbolisiert für mich ihr Leben im Umgang mit den erstarrten Gepflogenheiten der Gesellschaft und den Erwartungen der Familie.

    Sie verliert den Stein kurz nach der Kussszene mit Berta, bekommt ihn aber verbunden mit einer Lügengeschichte wieder zurück.
    Um ihn dann später mit einem sehr aufrichtigen Brief Berta zu geben. Sie vertraut sich damit Berta an, scheint damit aber auch die Verantwortung für sich selbst an Berta zu übertragen.
    Die offensichtlich nicht in der Lage ist damit umzugehen. Eigentlich genau das Gegenteil will, sie als Nachfolgerin von sich selbst sieht.

    Berta ist in dieser Situation überfordert. Wie heißt es schon bei den Schulstunden? Auf Irma Dorn ist Verlass, es ist Berta, die die Einsätze verpasst und auf Improvisation angewiesen ist. Mit Harschheit ihre Unsicherheit überspielt. So auch hier.
    (Irma Dorn hingegen lässt mit ihrer Art alles in einem besseren Licht erscheinen (auch Lottes Prüfung)).

    Ab Kapitel 11 wechselt die Erzählstimme häufiger weg von Lieselotte, wir bekommen mehr Einblicke in die Beziehung zwischen Berta und Dorothea. Dabei wird deutlicher, dass auch Berta in einem Korsett feststeckt. Das Buch auf dem Kopf, mit dem sie ihre Haltung bewahren möchte, sichert ihr keine ewige Jugend. Die Grenzen ihres Körpers werden deutlicher und damit auch die Grenzen ihres Lebensentwurfs, der so stark auf Haltung fixiert ist.

    Großmamas Auge verbleibt derweil in ihrem Besitz...

    Ich bin jetzt auch durch die ersten 10 Kapitel durch und es hat mir sehr gefallen.

    Ein paar Dinge, die mir aufgefallen sind:

    Die Sequenz der Erzählung fand ich bisher sehr gelungen. Der Prolog greift ja erst mal weit vor und lässt auch schon einiges für die Zeit nach der Denunziation erahnen.
    Wie die Sequenz in den Kapiteln danach dann erst mal ist, kann ich im Nachhinein nicht wirklich sagen, sie war jedenfalls nicht chronologisch, sondern zumindest durchsetzt mit Rückblenden. Ich müsste es nochmal nachlesen, um es für mich zu ordnen, aber jedenfalls: Für mich war das sehr gelungen. Es wirkte auf mich erst mal, als ginge es vor und zurück, wie es ja auch bei Lieselotte vor und zurück geht in ihrer Erkenntnis, wie sie jetzt zu Berta steht. Eine verschlungene Erzählung, die mich aber nie verwirrt hat, sondern sehr gut Personen und Situationen (trotz auktorialer Erzählstimme fast immer aus Lieselottes Sicht meine ich) nahegebracht hat.

    Der Höhepunkt in diesen ersten 10 Kapiteln war für mich der Kuss vor der Windmühlendiele. Wunderbar beschrieben diese Szene, die mich als Leser genauso verwirrte, wie sie Lieselotte verwirrte. War sie real oder nur ein Wunschtraum? Ist sie wirklich geküsst worden? Nun, der Kuss war wohl echt, aber von Berta wird er wohl vollkommen anders intendiert gewesen sein, als von Lieselotte erhofft. Eher eine Art Erweckungskuss, in dem eine gewisse Verbundenheit und Ermutigung liegt, aber auf eine ganz andere Art als von Lieselotte interpretiert.

    Mir scheint Berta erkennt in Lieselotte sehr viel von sich selbst. Diese Härte der Haltung. Die beiden sind sich in vielem ähnlich und sie werden sich womöglich nie mehr so nahe sein, wie in diesem kurzen Moment. In dem wir nicht ganz wissen, was Berta wirklich zu Lotte gesagt hat. In dem Lotte auch nicht wirklich weiß, was Berta zu ihr gesagt hat.
    Diese kurze Szene der Annäherung, die aber dazu führt, dass Lieselotte anders abbiegt, einen anderen Weg geht, als Berta ihn in ihrem eigenen Leben gegangen ist.

    Berta, die auf eine ganz andere Art den äußeren Anschein wahrt, als Lieselotte das tut. Berta schafft sich mit ihrer harschen Art, ihrer Haltung eine Umgebung, in der sie ihren Willen durchsetzen kann. Sie selbst ist Frau, die anderen bleiben Fräuleins. Sie macht das über Diziplin und Führung der anderen und sehr viel über Körperlichkeit, zum Teil auch auf eine Art, die ich als verbissen empfinde. Es scheint mir auch eine Rolle zu sein, in der sie in gewissem Sinne gefangen ist, die ihr aber die Möglichkeit gibt, auf eine andere Art mit sich selbst im Reinen zu sein. Sie definiert die Gesetze, die in ihrer Umgebung gelten. Das zwingt sie allerdings in die Rolle, diese auch durchzusetzen.
    Und sie glaubt die Veranlagung für diesen Weg auch in Lieselotte zu sehen.

    Lieselotte ist fasziniert von Berta, ihren Augen und ihrer Möglichkeit die Welt für sich passend zu gestalten. Sie selbst gestaltet ihre Welt aber nicht, ordnet sich ihr vielmehr unter. Die eiserne Disziplin, die Berta in ihr sieht, richtet sie gegen sich selbst. Sie diszipliniert sich in die Welt, wie sie von außen vorgegeben wird, hinein, akzeptiert die Anforderungen, die an ihr gestellt werden. Deswegen benötigt sie Berta. Sie sieht sich nicht in der Lage, ihre Umgebung selbst zu gestalten, braucht in Berta eine Partnerin, die das für sie passend macht.

    Der Kuss scheint mir eine Wende zu sein. Aus Sicht von Berta ein Kuss der Erweckung, ein Stups in die richtige Richtung. Der Lieselotte aber komplett aus der Bahn wirft.

    Neben Berta und Lieselotte gibt es noch viele andere spannende Personen. Irma Dorn hat offensichtlich für sich eine ganz andere Lösung gefunden als Berta und Lieselotte. Fräulein Bragge ebenfalls (Dorothea? Den Vornamen habe ich gerade nicht präsent).
    Die Eltern von Lieselotte geben sie quasi als Tochter weg, obwohl sie ihr einziges verbliebenes Kind ist (3 verstorbene Brüder). Lieselotte gilt als arm und bürgerlich, dabei wächst sie bei Onkel und Tante auf, die selbst keine eigenen Kinder haben und gutsituiert sind.
    Else Marie finde ich ebenfalls eine sehr interessante Person.

    Das Buch spielt in diesen ersten Kapiteln in den 20ern und schafft es sowohl diese Zeit (von der ich nur wenig weiß und die fast 100 Jahre her ist) in meiner Vorstellung aufleben zu lassen als auch gleichzeitig sehr aktuell zu wirken. Sprachlich wie thematisch.

    Ich freue mich schon auf den nächsten Teil...