Beiträge von Maarten

    Zunächst @Gogool möchte ich mich Dir gegenüber nochmal für die falsche Verwendung von ally entschuldigen. Ich habe meinen Kommentar zu schnell herausgehauen, hatte ja schon den Verdacht, dass es ein feststehender Begriff sein könnte, ich hätte es wirklich vorher googlen können. Ich verstehe, warum Du ihn als provozierend empfunden hast.

    Mir ist zu diesem ganzen Komplex folgendes eingefallen:
    Wir bekamen mal in einer Matheübung die Aufgabe eine Aussage zu beweisen oder zu widerlegen. Die meisten von uns haben es bewiesen, in der darauffolgenden Übung eine Woche später wurde uns ein Gegenbeispiel präsentiert.

    Einer meiner Kommilitonen bekam eine Woche später die gleiche Aufgabe in einer Physik-Übung gestellt mit der Aufforderung sie zu beweisen. In der Übung wurde von dem Übungsleiter der Beweis an die Tafel geschrieben. Er meldete sich dann und meinte, er könnte das Ganze widerlegen und durfte dann das Gegenbeispiel anschreiben. In Kontext dieser Physikvorlesung wurde dann gesagt, das Gegenbeispiel wäre ein theoretisches Beispiel, das in der Realität nicht vorkommt.

    Der Blickwinkel führt zu einer Realität. Die Realität ist aber lediglich ein Modell, ein Abbild der Wirklichkeit unter einem bestimmten Blickwinkel.

    Die Sicht von Morgan - wie ich sie verstehe - ist:
    Wenn es darum geht, welches Geschlecht ein Transgender hat, spannt sich die Wirklichkeit zwischen 2 Realitäten auf. Die eine ist vom Körper bestimmt, die andere vom Geist. Keine von beiden ist weniger real als die andere. Und beides ist nur eine schlechte Beschreibung der Wirklichkeit.

    Steht ein Körper mit männlichen Geschlechtsorganen in einem Frauenumkleideraum, dann tritt die körperliche Realität stark in den Vordergrund.
    In einem anderen Kontext, z.B. die Person in dem von mir verlinkten Beitrag in der BBC-Debatte, tritt der Geist in den Vordergrund, zumal der Geist in diesem Bild auch durch männliche optische Merkmale unterstützt wird. Und man sieht, wie peinlich es Madeleine Kearns ist, diesen Menschen eine Frau zu nennen.

    In Morgans 'Altered Carbon' sind Körper und Geist für viele Menschen zufällig zusammengewürfelt. Menschen müssen ggfls. ihren Körper abgeben und bekommen später einen anderen dafür zurück. Es ist möglich, dass eine junge schwarze Frau als alter weißer Mann in ihre Familie zurückkommt.
    Homosexuelle und Transgender sind explizit inkludierter Teil seiner Welt. Er versucht sehr explizit diskriminierte Personen außerhalb seiner eigenen Gruppierung (weißer, atheistischer Engländer) zu inkludieren und gleichzustellen und macht das auf sehr fordernde und intelligente Weise.

    Ich schreibe im folgenden 'seine Sicht', obwohl es natürlich meine Interpretation seiner Sicht ist. Aber es ist schon kompliziert genug.

    Seine Sicht ist die Körperlichkeit zu überwinden und dahinter zu schauen.

    Und seine Sicht ist gleichzeitig, dass der Mensch dazu nicht in der Lage ist, weil er zu starken körperlichen Trieben und tiefen Instinkten unterworfen ist und diese Körperlichkeit und Instinkte immer wieder zu neuen Problemen führen.
    Seine Sicht ist auch, dass Menschen in Frauenkörpern von Menschen in Männerkörpern durch diese körperlichen Triebe und Instinkte - ich sage es euphemistisch - in schwierige Situationen gebracht werden. Und das Menschen in Frauenkörpern davor geschützt werden müssen.
    (Er sagt übrigens auf seinem Blog explizit, dass Menschen in Männerkörpern aus seiner Sicht diesen Schutzraum nicht brauchen, er beschränkt das Problem auf den Schutzraum von Menschen in Frauenkörpern).

    Die Beispiele, die er anekdotisch in seinem Blog aufführt, sind für ihn Beispiele von Menschen in Männerkörpern, die in den Schutzraum von Menschen in Frauenkörpern eindringen.

    Das große Missverständnis, dass sich zwischen ihm und der Szene aufspannt: In 'Altered Carbon' bietet die Technologie die Möglichkeit den Körper frei zu wechseln. Lese ich auf Twitter nach, dann wird das von Transgender so interpretiert, dass sie sich ihren Körper aussuchen können.
    Tatsächlich steht diese Wahlmöglichkeit in 'Altered Carbon' aber nur den Allerreichsten zur Verfügung - einer Art Hightech-Vampir, der die Gesellschaft aussaugt - die normalen Menschen müssen mit dem zurechtkommen, was sie zufällig aufgedrückt bekommen. Er inkludiert tatsächlich Transgender, nicht Menschen, die einfach passend den Körper gewechselt haben.
    Genau deswegen ist seine Sicht, hinter die Fassade des Körpers zu schauen.

    Aus meiner Sicht führt die Verhärtung der Debatte dazu, dass Morgan auf seinem Blog sehr explizit die Beispiele von Menschen in Männerkörpern aufführt, die in Schutzräumen von Menschen in Frauenkörpern mit dem Label 'Ich bin eine Frau' eindringen. Er hätte besser darauf verzichtet, denn es ist verletzend, weil kaum jemand in der Lage ist, dieser Komplexität zu folgen.
    Es ist ein Beispiel dafür, wie die Debatte in einem Kontext von Shitstorms geführt wird und wie sie nicht geführt werden sollte.

    Ich respektiere übrigens deine Meinung. Umgekehrter Respekt wäre auch total super. Du musst doch zugegen, dass sich über den Begriff "Ally" lustig zu machen, vollkommen unnötig ist, oder?

    Ich habe den Begriff 'Ally' so aufgenommen, wie Du ihn geschrieben hast: und ich möchte vor allem Menschen nicht darin behindern oder sie verurteilen zu tun und zu lassen was sie wollen.

    Erst nach dem Abschicken habe ich den Begriff gegoogelt, ob er eine der diversen Vokabeln ist, die es in diesem Kontext gibt. Ich habe mich da nicht eingearbeitet (CIS kannte ich wenigstens). Ich glaube, dass im Kontext dieser ganzen Diskussion auch bereits häufig erwähnt zu haben.

    Also: Ich nehme den Begriff Ally gerne wieder aus dem ganzen raus (außer aus den aufgeführten Kommentaren zu Morgan, denn dort stand er tatsächlich genau so drin). Es war absolut nicht meine Intention respektlos zu sein oder mich lustig zu machen. Es wäre aber schön, wenn Du auch apriori davon ausgehst, dass das so ist. Ansonsten können wir nicht miteinander reden, bevor ich die von Dir genannten tausende Seiten gelesen habe. Und ich denke, es sollte auch so möglich sein.

    Auch "Diversität". Bitte nicht einfach flächendeckend da Fleißsterchen verteilen, weil ein Autor vielleicht einmal einen positiven schwulen Charakter geschrieben hat. Selbiger kann vielleicht andere Minderheiten blöd finden.

    Mache ich nicht.

    Wie gesagt, ich kenne bis auf ein Buch alle von ihm. Ich habe den Blog zum Thema inkl. aller Kommentare gelesen. Ich habe mir Twitter-Kommentare angeschaut. Ich habe ein sehr deutliches Bild von Morgan.
    Mir ist bewusst, dass die Aneinanderreihung der Beispiele in seinem Blog, anekdotische Vorfälle sind, die nicht dazu taugen, daraus eine Argumentation abzuleiten und ich finde sie auch unglücklich.
    Das ändert aber nicht mein Gesamtbild von ihm.

    Die gesamte Diskussion um Transgender ist, wie Du sagst, sehr komplex.

    Ich habe mal nach einem positiven Beispiel für eine Debattenkultur zu dem Thema gefunden und finde z.B. dieses viel besser, als Shitstorms/Zensur auf Twitter:
    Debatte Rowling-Tweet

    Da liegt noch ein langer Weg vor uns.

    Ich denke es geht trotzdem um Nuancen und Kontext.

    Geht es nicht immer um Nuancen und Kontext? Nur sind Nuancen und Kontext keine Einbahnstraße, sie gelten in beide Richtungen. Und sie lassen sich ohnehin nicht erzwingen.

    Um zu erklären aus welcher Ecke ich komme: ich möchte ein "Ally" sein und ich möchte vor allem Menschen nicht darin behindern oder sie verurteilen zu tun und zu lassen was sie wollen.

    Jede der Personen, die ich zitiert habe, scheint mir in dem von Dir definierten Sinne ein Ally sein zu wollen.

    Und wenn es ein unbeteiligter zu seinem Lebensthema trotzdem macht, dann läuft da irgendwas schief...

    Frauenrechte sind für Menschen wie Rowling und Moore offensichtlich auch Lebensthemen. Auch diesen gegenüber gilt Ally.
    Wenn es dann in Shitstorm und Zensur umschlägt, wird es offensichtlich zu einem Lebensthema für Morgan. Eigentlich für jeden von uns.

    Wenn ich die ganzen Kommentare bei Morgan lese, im Sinne von - verdammt, seine Bücher haben mein Leben verändert / hat er seine eigenen Bücher nicht gelesen / wenn wir überhaupt einen ally haben, dann hätte doch wohl er es sein müssen - dann sollte vielleicht nach verträglicheren Lösungen gesucht werden.
    Das eigene Lebensthema mit Shitstorms und Zensur gegen einen Ally durchsetzen zu wollen, da läuft dann wohl tatsächlich was schief.
    Und wird ohnehin nicht zum Ziel führen.

    Ich werde über das Thema sicherlich noch eine Weile nachdenken, will aber einfach mal Danke in die Runde sagen für diese schöne Diskussion hier.


    Insbesondere auch an Dich Tom, für die Geduld und die Präzision, mit der Du immer wieder Deine Sicht erläutert hast.

    Es sollte doch jeder Mensch einfach sein dürfen was er will, da kann auch non-binary wie bei meiner Großen dabei herauskommen.

    Ja, absolut übernehme ich gerne aus Toms Reaktion.

    Und würde es gerne ergänzen mit noch einer ganzen Reihe Gedanken zu anderen Aspekten, als zu dem, zu dem Tom bereits etwas geschrieben hat.
    Die aber noch viel zu unausgegoren sind und der Komplexität des Problems ohnehin nicht angemessen sind. Ich belasse es deswegen lieber dabei...

    Puh, das ist eine ganz schöne Strecke, die man durchdenken muss, um eine Position zu einem * zu finden.

    Das ist genau der Ansatz den die Briten gegangen sind, und den ich gut finde. Ich bin nicht eine gute Ingenieurin, ich bin ein guter Ingenieur. Frauen sollten keine eigene Gruppe bilden sondern Teil der Gesamtheit sein.

    Das ist zwar jetzt wie mit 'ner Axt reingeschlagen und viel komplexer, als ich es jetzt darstelle und ich habe mir noch nicht mal eine Position gebildet.

    Aber trotzdem einfach mal als Frage in den Raum gestellt:
    Warum sollten Transgender dann Männer oder Frauen sein? Ist es nicht sinnvoller die Komplexität zu erhalten, statt sie zu leugnen? Ist nicht genau das Diversität?

    Besteht das einzige Mittel zur gesamtgesellschaftlichen Anerkennung von Transpersonen tatsächlich darin, die Existenz biologischer Geschlechter aktiv zu verneinen? Auch dieser Weg scheint mir nicht das Ergebnis eines Diskurses zu sein, und ich würde ihn tatsächlich nicht mitgehen wollen.


    Ich sehe es auch als Armutszeugnis, wenn wir nicht in der Lage sind, dafür bessere Lösungen zu finden.

    Voraussetzung für das Finden von besseren Lösungen ist aber, erst mal zu akzeptieren, dass es ein Problem gibt. Statt einfach alles über einen Kamm zu scheren.
    (Und ich sehe white defensiveness z.B. auch unter diesem Aspekt, deswegen habe ich trotzdem noch Hoffnung in die Soziologie und auch eine Erwartungshaltung).

    Ich finde diese ganze Entwicklung sehr erschreckend. Mir war sie in dieser Tragweite nicht bewusst (muss wohl in einer Corona-Isolation gelebt haben oder so).

    Ich sehe sie (bisher?) trotzdem nicht als einen soziologischen Mainstream.
    Vielleicht eher eine Art Büchse der Pandora, die mir auf ein ziemlich großes Missverständnis zu beruhen scheint. Vielleicht will ich aber auch nur Hoffnung haben.

    Dieser Kommentar von Richard Morgan triffts für mich sehr gut:
    What’s terrifying is that the problem here is one of social and political self-mutilation, because it’s these aspects of society – the artists, the academy, the progressive left – that are supposed to serve as our bulwarks against totalitarianism. If we lose those aspects to dumb, kneejerk mob righteousness, then we go naked into the arena against the Trumps and Putins of this world, and then we fucking lose – big-time!

    Auch im Kontext von Toms Kommentar ein Artikel, der mich gerade beschäftigt.

    Ist es ein sinnvoller Beitrag zur Diversität, wenn Suzanne Moore nicht mehr für den Guardian schreibt?

    Und einer ihrer Guardian-Artikel, damit man auch diesbezüglich ein Bild hat


    Und noch zu Richard Morgan auf Twitter und Toms Hinweis, dass versucht wird Künstler und ihre Werke zu trennen:
    Richard Morgan auf Twitter aus Transgender-Sicht

    "Wait, is that the Altered Carbon guy? ... has he read his own series?"

    Und wenn ich dann jetzt diesen Link öffne und das lese was er zu Trans Menschen sagt. Ja, da stimme ich in bestimmten Punkten auch zu (Biologie als Fakt), aber das ist doch in einer so offensichtlich provozierenden Art und Weise sortiert, wo dann die Extrembeispiele besonders herausgestellt werden, dass ich das Endresultat tatsächlich als problematisch und transfeindlich einstufen muss.

    Morgan ist zweifellos jemand der gerne provoziert. Und diesen Post hat er geschrieben, als er gerade zum zweiten Mal von Twitter geblockt wurde, diesmal dauerhaft. Ich gestehe ihm da durchaus eine emotionalere Reaktion zu.


    Ich habe nahezu alles von ihm gelesen, er ist schon immer ein Vorreiter gewesen wenn es darum geht Diversität in Romanform zu gießen. Und er ist einer derjenigen, der das überzeugend kann.

    2010 hat er den Gaylactic Spectrum Award gewonnen, einem nordamerikanischen Literaturpreis für Positivbeispiele im LGBT-Bereich.

    Ich weiß nicht, was er auf Twitter geschrieben hat, es wird vermutlich deutlich gewesen sein.

    Es ist eine wichtige und intelligente Stimme, die da geblockt wird. Und das erschreckt mich wirklich.

    Ich habe weiter recherchiert. Dachte, ich schaue mir Mal den dritten Autor an, dem ich in dieser Sache ebenfalls sehr vertraue. Und fange an zu verstehen, wovon Du redest, Tom. Ach was, finde es wirklich beängstigend, was da passiert.


    Richard Morgan auf Twitter geblockt.


    Für die, die nicht wissen, wie ich zu Richard Morgan stehe. Es ist schwierig einen Autor zu finden, der mehr für Diversität steht, als er.

    Bei dieser Reihenfolge habe ich so meine Zweifel. ;)

    Ist ja nicht so, als hätte ich da den Durchblick. Vielleicht verstehe ich unter soziologischem Mainstream auch was anderes?
    Ich sortiere vor mich hin, ordne es in den mir bekannten Kontexten ein. Die in dem Bereich nicht gerade ausgeprägt sind.

    Die Diskussion finde ich jedenfalls interessant und fruchtbar. Ich hoffe, sie ist es für Dich auch. Wenigstens ein bisschen...

    Ich versuche mal es für mich ein bisschen zu sortieren:

    internalized racism: Die Definition, die ich gefunden habe, ist: internalization of racial oppression by the racially subordinated, übersetzt also die Internalisierung der rassistischen Unterdrückung durch die rassistisch Unterdrückten. Ich denke da an jahrhundertelange Historie, die man nicht einfach so mal eben abschüttelt. Für Gleichberechtigung muss man sich innerlich auf Augenhöhe fühlen. Das Stichwort in diesem Kontext scheint mir Self-Empowerment.

    white defensiveness: Um Gleichberechtigung entstehen lassen zu können, ist Kommunikation miteinander unumgänglich. Eine Kommunikation über ein Problem ist aber nur möglich, wenn akzeptiert wird, dass es ein Problem gibt. Dieses Themengebiet umschreibt, dass es diesen Gesprächspartner für Betroffene nicht gibt. Auf einer abstrakten Ebene ggfls. schon, aber es ist kein Gespräch mit einem Täter möglich, da niemand sich selbst oder seine Gruppe jemals konkret als Täter sieht. Es gibt Rassismus, aber keine Rassisten. Ggfls. wird sogar die Existenz von Rassismus verleugnet.
    Das erinnert ein bisschen an das Schulz von Thun Kommunikationsquadrat - die Ampel ist grün usw.
    Über Missverständnisse fällt es vielen schwer zu sprechen.
    Kommt Kritik wegen etwas wie 'Rassismus' um die Ecke, wird's kein klärendes Gespräch mehr geben.

    Dieses Phänomen der white defensiveness, die vermutlich auch für andere Diskrimierungsformen greift, hängt dann vielleicht wirklich mit Gendern zusammen. Ohne Kommunikation mit den Betroffenen, was das Problem vorrangig ist und wie man das Problem sinnvoll angehen kann, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich selbst Persilscheine auszustellen. Wir gendern, wir haben Quoten, es kann also alles nur in Ordnung sein.

    Wie siehts dann mit der Kultur aus?
    Ich erinnere mich, dass ich es früher auffällig fand, dass in Stephen King Verfilmungen Schwarze immer nur Nebenrollen spielten, in denen sie ziemlich schnell starben.
    Im Sinne des internalized racism sind gleichberechtigte Rollenmodelle in der Kultur wichtig. Damit wir eine diverse Gesellschaft auf Augenhöhe haben braucht es gleichberechtigte Identifikationsfiguren.
    Geschichten schaffen Bewusstsein.
    Ich habe den Eindruck, dass die Medien Schwierigkeiten haben mit der Geschwindigkeit des derzeitigen gesellschaftlichen Wandels überhaupt Schritt zu halten, sie bilden meist die Vergangenheit ab.

    Nur all das scheint mir dann doch seine Ursache nicht im soziologischen Mainstream zu haben. Der scheint mir die Phänomene lediglich zu beschreiben.
    Es scheint mir wirklich eher das soziologische Phänomen zu sein, das sich im white defensiveness äußert. Dieses scheint uns in vordergründige Lösungen zu zwingen, statt es wirklich anzugehen.

    Nein, die Begrifflichkeit schließt alle ein. Dieses Interview mit der Soziologin Robin DiAngelo z.B. zeigt das sehr anschaulich.


    Ich habe den Eindruck, Du irrst Dich. Mir scheint, in der Soziologie ist mit dem Begriff internalized racism tatsächlich genau die internalisierte Minderwertigkeit des Rassismusopfer definiert. Es scheint mir ein Rassismus zu sein, bei der Subjekt und Objekt eins sind (als Person bzw. als Gruppe). Es geht darum eine jahrhundertealte Historie zu überwinden. Eben Self-Empowerment, seine eigenen Werte erkennen, die eigene Kultur entdecken.

    Robin DiAngelo hat den Begriff white fragility definiert und ich sehe keinerlei Zusammenhang zu der Definition des Begriffs internalized racism. Es ist ein ganz anderes Thema. Robin DiAngelo scheint mir auch eher ein populärwissenschaftliches Buch zu sein als soziologischer Mainstream im Sinne der Wissenschaft. Aber da lehne ich mich aus dem Fenster. Jedenfalls scheint es mir wichtig, diese Begriffe auseinander zu halten und getrennt über sie zu diskutieren. Ich werde mir das später mal genauer anschauen...

    Edit: Der Oberbegriff zu Robin DiAngelos Thema ist white defensiveness

    Das wiederum bedeutet ganz direkt, dass jeder, der vom Rassismus nicht als Objekt betroffen ist (also einer Gruppe angehört, die Rassismus ausgesetzt ist), automatisch Subjekt ist, also ein Rassist.

    Tom, erst mal Danke für die ausführliche Antwort, über die ich auch noch nachdenken muss.

    An obiger Stelle bin ich mir nicht sicher, ob dieser Schluss der ist, der in der Soziologie tatsächlich gezogen wird.
    Nach kurzem Einlesen in die Definition, die ich finden konnte (Hier: Internalized racism) scheint mir
    Internalisierter Rassismus der von den Opfern von Rassismus internalisierte Glaube zu sein, sie wären minderwertig. Sowohl den einzelnen Menschen betreffend, wie auch die gesellschaftliche Gruppe über die historische Entwicklung. Der Schluss der daraus gezogen wird, ist, dass es gilt dieses Minderwertigkeitsgefühl zu überwinden und zu den eigenen Werten zu stehen. Self Empowerment scheint mir das Stichwort zu sein.

    Daher weiß ich nicht, woher dieser Schluss auf ein Subjekt kommt. Er scheint mir nicht Bestandteil des soziologischen Begriffs zu sein und ich konnte auf die Schnelle nicht finden, dass dieser Schluss in der Soziologie gezogen wird.

    Ich würde das meisten von dem, was Du ausgeführt hast, unterschreiben, und das Zitat Deines befreundeten Autors könnte auch von mir sein. Tatsächlich schrieb ich weiter oben in diesem Thread: "Gendern ist der falsche Weg zu einem richtigen Ziel."

    Das geht mir ja bei dem meisten von dem, was Du schreibst genauso (und ich habe nicht alles falsch gelesen... ;-) )

    Ich habe jetzt mal versucht mich ein bisschen in die Thematik einzulesen. Wir sind hier ja nicht mehr wirklich beim Gendern, sondern auch, vielleicht sogar vor allem, bei dem, was unter dem Begriff Cancel Culture summiert wird. Und ich habe mich damit nicht beschäftigt und merke, dass ich zu weit weg von der Thematik bin, um für mich zu einer Einordnung kommen zu können.

    Bei meiner Recherche landete ich exemplarisch ziemlich schnell bei Dieter Nuhr und seiner Aussage zu Alice Hasters Buch mit dem Titel Was weisse Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten.
    Er sagte basierend auf diesem Titel wohl: Zu glauben, die Hautfarbe – ob weiss oder schwarz, egal – bringe automatisch eine bestimmte Haltung mit sich, das ist ja klassischer Rassismus. Die Frau behauptet ernsthaft, als Weisser wäre ich automatisch Rassist.

    Betrachte ich Nuhrs Aussage im historischen Kontext des jahrhundertelangen strukturellen Rassismus finde ich sie wirklich derb.

    Betrachte ich Nuhrs Aussage im Kontext eines Cancel Cultures-Phänomens, könnte ich sie ggfls. auch anders einordnen.

    So oder so scheint mir dieses eine anekdotische Ereignis kein Beispiel für Cancel Culture, sondern einfach nur eine Meinungsäußerung, die weitere Meinungsäußerungen nach sich zog.

    Es ist aber eben lediglich ein einziges anekdotisches Ereignis und die Sicht ergibt sich aus unzählig vielen davon. Die ich nicht kenne. Die ich mir im Falle des strukturellen Rassismus hingegen gut vorstellen kann.
    Es hängt eben mal wieder alles mit allem zusammen und es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich entweder tief in die Thematik hineinzuarbeiten oder aber meiner Intuition zu folgen.

    Es wundert mich nicht, dass Nuhr mit dieser Aussage einen Shitstorm geerntet hat. Und ihn selbst sicherlich auch nicht. Er geht gerne an Grenzen, sie auch mal zu übertreten gehört da offensichtlich für ihn mit dazu. Und ich glaube, er hält das auch ganz gut aus. Vielleicht ist es aber ein schlechtes Beispiel. Vielleicht ist Nuhr selbst schon ein schlechtes Beispiel. Ich weiß es nicht.

    In diesem konkreten Fall sagt meine Intuition mir jedenfalls, ich sehe die Gefahr, dass Nuhr von Dumpfbacken falsch verstanden wird (Im Sinne von: Hey, der Nuhr sagt, dass die uns diskriminieren, nicht wir die!). Eine Gefahr, dass Alice Hasters Kulturschaffende zensieren möchte? Mein Spinnensinn klingelt da nicht.

    Aber ich stecke weder im Thema, noch bin ich Kulturschaffender. Es ist lediglich das Ergebnis eines ersten kurzen Einlesens in die Thematik.

    Tom, Du steckst sicher sehr viel tiefer in dieser Thematik drin als ich und Du hast durchaus mein Vertrauen. Trotzdem stelle ich meine Intuition da voran.

    Wir erleben zugleich ein Zerbrechen der pluralistischen Strukturen, wenn es um gesellschaftliche Paradigmen und Lebensmodelle geht. Und wir erleben eine aktive Verneinung des Rechts, sich dem soziologischen Mainstream bei der Wahl der Ziele, Wege und Instrumente nicht anzuschließen. Das Gendern ist nur die Spitze eines gewaltigen Eisbergs.


    Ich erinnere mich gerade an ein Buch von einem befreundeten Autor, das leider nie veröffentlicht wurde, in dem das Gendern in ein bestimmtes Licht gesetzt wurde. Das Buch konnte sich das aus meiner Sicht erlauben, weil es gleichzeitig ein sehr großes Stück weiterging. Von diesem Autor weiß ich das er zum Thema Gendern mal schrieb: Gendern werde ich nicht, weil ich der Meinung bin dass es für die Ziele derer die es tun (und die ich teile) kontraproduktiv ist.

    Du sprichst ein schwieriges Thema an und ich versuche es für mich zu sortieren. Aus meiner Sicht ist es unglaublich, dass das royal Pardon der Queen von Alan Turing gerade mal 7 Jahre her ist. Es scheint mir ein sehr zerbrechliches Pflänzchen, das da zaghaft heranwächst inmitten einer leider immer noch überwiegend von zutiefst patriarchalischen Religionen geprägten Welt und in einer Welt in der immer noch die Posten vorwiegend innerhalb von Männerfreundschaften verschoben werden.

    Den Umgang mit dem kulturellen Erbe sehe ich kritisch. Es sind Texte/Werke die im Kontext ihrer Zeit entstanden sind und auch im Kontext ihrer Zeit gesehen werden sollten. Kindern kann man ein Kinderbuch vorlesen und gleichzeitig erklären, wie die Welt damals war und wie sie wirklich ist. Da ist man schon ein großes Stück weiter.

    Wo ich nicht weiß, was Du meinst: Was ist er, der soziale Mainstream? Die Religionen bzw. eine davon? Die Querdenker? Die Wutbürger? Die Rechten der AfD? Die angestrebte Mitte von Merkel oder der SPD? Die Linke? Die Grünen? Menschen, die Gendern befürworten? Menschen, die Gendern ablehnen? Menschen die sich im Sinne eines Klimawandels engagieren? Oder der Meinung sind, dass es keinen gibt? Die Mittelschicht? Das Bildungsbürgertum?
    Aus meiner Sicht besteht die Welt aus vielen Parallelwelten, Blasen in denen die Menschen leben. Und es ist gut, wenn es möglichst viele Vernetzungen zwischen diesen Parallelwelten gibt, wenn möglichst viele Menschen sich in möglichst vielen dieser Blasen bewegen und ihre Vorzüge schätzen lernen. Man im Gespräch bleibt, diese Welten vernetzt, Grenzen auflöst.
    Einen sozialen Mainstream in dem Sinne, wie Du ihn beschreibst, sehe ich nicht. Vielleicht das Schwein der Woche, dass durch die Gassen getrieben wird. Aber auch das sind doch recht viele.

    Diese große Bedrohung dieses einen sozialen Mainstreams wie Du ihn beschreibst, empfinde ich deswegen auch nicht so. Ich empfinde z.B. die zunehmenden rechtsradikalen Strömungen in Europa als sehr viel bedrohlicher als die Gender-Extremisten. Es ist immer der Extremismus, der es gefährlich macht, nicht die Richtung. Und diesen Extremismus gibt es in jeder dieser Parallelwelten. Welche da gerade am Gefährlichsten ist, ist davon abhängig, welche gerade mehr Macht hat. Und was sie bewirkt u.a. davon, wie intolerant sie ist (und da habe ich dann tatsächlich doch wieder weniger Bedenken bei Gender-Extremisten, als z.B. bei homophoben, patriarchalen Strukturen, die sich aus meiner Sicht auch leichter instrumentalisieren lassen).
    Und die sozialen Streams sind in verschiedenen Teilen der Welt sehr unterschiedlich und können sich überall jederzeit ändern.
    Aber ich bin offensichtlich auch weiter weg von den jetzigen Problemen in der hiesigen Verlagswelt. Die ich als pluralistisch wahrnehme. Auch wenn sie sich ggfls. in ihrer Mehrheit in eine Richtung bewegt.

    Vielleicht liegt es auch daran, dass ich Niederländer bin, auch wenn ich in Deutschland aufgewachsen bin. In Deutschland scheint es mir die Tendenz zu geben, Fehler nicht als Teil der Entwicklung, des Lernprozess, des Fortschritts zu sehen.
    Macht ein Politiker in der Niederlande etwas falsch, dann sagt er das und macht einen Vorschlag es zu korrigieren. In Deutschland habe ich den Eindruck, dass Politiker Fehler nicht eingestehen dürfen, sobald eine Meinung geäußert wurde, muss sie beibehalten werden. Zu einem Fehler zu stehen, scheint mir sofort Rücktrittsforderungen nach sich zu ziehen. Das finde ich merkwürdig. Ohne Fehler gibt es keinen Fortschritt, nicht mal ein Stillstehen.

    Beim Grossziehen meiner Kinder habe ich mich über die starke Normierung gewundert. Bewertungsbögen, die bei Kleinkindern festlegen: Ihr Kind liegt sprachlich zwar über der Norm, aber motorisch zurück. Oder umgekehrt. Jedenfalls: Da müssen wir eingreifen.
    Es ist mir zu sehr einen Menschen in Förmchen pressen, auch wenn die Intention, frühzeitig Defizite erkennen und an ihnen arbeiten zu können, die Richtige ist. Sich zuerst in eine Richtung zu entwickeln, erst dann in eine andere, ist aber nicht immer ein Defizit, sondern häufig nur eine Richtung.

    Wenn im Berufsleben etwas schiefgegangen ist, wird zumeist nach einem Schuldigen gesucht. Statt nach einer Methode zu suchen, wie man den Ablauf so verbessert, dass Fehler vom System abgefangen werden. Denn Menschen machen immer Fehler. Ständig. Aber in Deutschland habe ich den Eindruck, dass man das manchmal anders sieht.

    Deswegen scheint es mir in Deutschland häufig auch darum zu gehen, sich vorab Persilscheine zu besorgen. Und die Genderei hat schon viel von einem solchen Persilschein.

    Ich würde mir entsprechend einen anderen Umgang mit Fehlern wünschen. Sie als aktiven und positiven Beitrag zum Fortschritt verstehen, dann wäre auch der Umgang mit dem kulturellen Erbe ein anderer.
    Und ein anderer Umgang mit Fehlern würde auch der Rechthaberei und dem Shitstorm seine Essenz rauben.
    Aber zugegeben, da sind wir leider noch weit von weg.

    Und hinter die Kulissen zu schauen ist ohnehin nie falsch. Bei Texten sowieso...