Beiträge von Buecherturm

    Home sweet home

    Da bahnt sich eine schöne Liebesgeschichte an. Ein junger Mann kehrt nach mehrjähriger Abwesenheit zurück und erhält genau den kalten Empfang von den Bewohnern, den er vorausgesehen hat. Der Vater, dement, schießt auf ihn, der Bruder leicht herablassend, der Polizeichef feindselig. Allein sein ehemaliger bester Freund und die Frau, die er liebt, freuen sich, ihn zu sehen. Der Anfang schon mal ist vielversprechend.

    Doch Camden ist nicht nur auf Besuch da, er will für immer bleiben, auch wenn es ihm die eigene Familie und die Ortsbewohner nicht leicht machen. Nur sein bester Freund und Willow halten zu ihm. Camden engagiert sich sofort in die Pflege seines an Alzheimer erkrankten Vaters, er bringt sich effizient und zum Wohle aller in die Entwicklungspläne für seine Stadt ein. Bleibt nur noch die Sache mit Willow. Sie leiben sich heimlich, aber geben es nicht offen zu. Willow galt als die Freundin von Sullivan, Camdens und Xanders verstorbenen Bruder. Das bedeutet, alle, auch Camden,respektieren Willows Schmerz und sehen nicht, dass Willow eigentlich Camden liebt, immer schon geliebt hat. Und dass Sullivan nie der strahlende Held war, als den ihn die anderen gesehen hat. Es wird noch einige Irrungen und Verstrickungen geben, bis diese anfangs so traurig weil unerfüllte Liebesgeschichte ihr wohlverdientes Ende findet, bis Xander als Bösewicht überführt wird und die ganze Stadt Camden als rechtschaffenen Bürger akzeptiert.

    Der ansprechende Stil, die interessanten Dialoge, die Darstellung der früheren Ereignisse, die zu den aktuellen Verwicklungen geführt haben, alles zusammen machen das Buch zu einer angenehmen Lektüre, bei der man über einige kleinen trivialen Entgleisungen hinweglesen kann.

    Schickeria meets Finnland


    Arme Sarah Fuchs! Zuerst wird sie von einem Citroenfahrer verfolgt, dann erfährt sie am Zeitungskiosk aus der Klatschpresse, dass ihr Mann der neueste Sugardaddy eines Starlets ist. Sie wird bis zum Flughafen von einem Paparazzo verfolgt wird im Flieger von einer, rücksichtslosen sensationsgierigen Vertreterin der Münchner Schickeria angequatscht, ob sie Sarah Fuchs sei. Genial ihre Antworten auf finnisch mit der umtriebigen Katze! Man würde denken, schlimmer kann’s nicht kommen. Aber so richtig entspannen und abschalten wird Sarah wohl kaum in diesem Urlaub. Nach einer langen Fahrt von Helsinki übernachtet sie im falschen Haus und findet am nächsten Morgen einen Toten im See. Von hier geht es dann erst richtig los. Und ab hier treffen sich die drei Handlungsstränge. Der eine ist Sarah Fuchs gewidmet, der zweite Strang handelt um den Toten und seinen Mörder und der dritte ist der Strang um Onno, dem jungen Doktoranden. Wie in einer Komödie der Irrungen und Wirrungen denken der Mörder und Onno Sarah hätte eine wertvolle und geschichtsträchtige Statue, von der sie aber absolut nichts weiß. Sarah ihrerseits verdächtigt den Polizisten Aalto sie zu beobachten und sie als als Mörderin festnehmen zu wollen, dabei auch und nun setzt sie alles daran, den Mörder zu entlarven. Es geschieht ein weiterer Mord und Sarah selbst gerät in Gefahr. Diese Verdächtigungen und falschen Fährten, die Tobias Quast geschickt auslegt, machen das Buch so spannend und auch charmant. Die Wahrheit liegt vor ihren Augen, aber sie haben sich derart in ihre Theorien verbissen,dass sie nicht erkennen, wie sehr sie auf dem Holzweg sind. Wie in einem guten Krimi werden letztlich die Morde restlos geklärt, und alle Schuldigen bekannt gemacht. Meine Sympathie gilt ganz klar Sarah, selbst eine Vertreterin der Schickeria, die aber hochintelligent ist, nie um eine Antwort verlegen ist und das Herz auf dem rechten Fleck hat. Ilvi, die junge finnische Chaotin hilft Sarah tatkräftig. Onno, das wahre Opfer tut mir leid. Er hat Asperger und kommt mit seinem Umfeld nur schwer klar. So wird er leicht zur Beute des Mörders.

    Die Landschaftsbeschreibungen sind bezaubernd, man sieht direkt vor Augen den See, die Wälder, die Mökkis. Am Starnberger See wäre dieser Roman unglaubwürdig.

    Eine klare Leseempfehlung meinerseits.


    buch 9783365005606 buch

    In Torreira passieren ja keine Morde. Eigentlich (S. 327)

    Dieser Schlusssatz ist passend für dieses Buch. In der beschaulichen portugiesischen Provinz und dem malerischen Ferienidyll grassiert im Hinter- und Untergrund das Verbrechen. Touristen ziehen ungewollt Drogen und Grundstücksspekulanten nach sich, die Polizei und die Justiz haben alle Hände voll zu tun. Ein toter Richter mitten in einem Natur- und Dünenschutzgebiet am Strand wirft viele Fragen auf. Die örtliche Polizei ermittelt in alle Richtungen. Eine schöne Gelegenheit für uns, Ria Almeida, ehemals Polizistin aus Stuttgart, und Mariposa, ihre hochschwangere Kusine, Joao, Mariposas Mann und Polizist in Torreira und Nuno, Kindheitsfreund von Ria und Joaquim Baptista, Chefermittler aus Aveiro wieder zu begegnen. Es ist das uns bekannte und sympathische Ermittlerteam aus dem Vorgängerroman. Auch wenn die Begrüßung zwischen Baptista und Almeida zuerst etwas frostig ausfällt: “ Sie sind eine bessere Tippse,Almeida”...”Und Sie sind ein Arschloch". (S. 34). Zum Glück für die beiden Protagonisten (oder schade, für uns, die Leser), legt sich diese Katze-Hund Feindschaft und die zwei arbeiten hervorragend zusammen, ergänzen sich in allen Punkten und können letztendlich gemeinsam diese vertrackten Mordfälle restlos aufklären.

    Der geradlinige Stil, die wenigen aber treffenden Beschreibungen, die direkten Dialoge, der immer wieder aufblitzende Schalk darin machen das Buch zu einem Lesevergnügen. Das Titelbild hätte ich mir fast ein bisschen größer gewünscht, schließlich lieben wir alle Meereslandschaften. Aber die Kacheln, die alle einem Mandala gleichen, haben das wieder wett gemacht. Die einzelnen Kapitel haben einen portugiesischen Untertitel mit einer deutschen Erklärung und sind auch zwischen Kacheln platziert. Das verleiht dem Buch einen besonderen Flair.


    ASIN/ISBN: 3548068146

    Ein Muss für Fußballfans und nicht nur.

    Ich habe mich um dieses Buch bemüht, um meinem Mann eine Freude zu machen. Was schenkt man einem Mann zum Hochzeitstag, der schon alles hat? Natürlich ein Buch, natürlich ein Buch über ein Thema, das ihn interessiert, natürlich ein Buch über Fußball. Dabei bin ich selbst am Buch kleben geblieben, so ähnlich wie Hans im Glück im Märchen.


    An Otto Rehagel - Rehakles - kann ich mich noch gut erinnern und an die Euphorie der Griechen in Griechenland und Europaweit. Fußball ist eigentlich eine einfache Sache. 22 Jungs oder Mädchen in kurzen Hosen gehen auf den Rasen, dreschen 90 Minuten auf einen Ball ein und gut is. Aber es sind die Anekdoten und Geschichten rund um Spieler, Trainer und das Stadion, die den Fußball erst interessant machen. Und das hat mich fasziniert. Ob Rehagel ohne seinen griechischen Assistenten wohl solch einen Erfolg mit der griechischen Mannschaft gehabt hätte? Manchmal ist die Übersetzung wichtiger als die Originalsprache.

    Da ich manche Sendungen der privaten Sender nicht verfolge, mangels Interesse und qualitativ besser verbrachten Zeit, war mir neu, dass manche Profi-Fußballer im Dschungelcamp mitgemacht haben oder sogar zu Wrestler wurden.

    Dass Fußballer ständig auf den Rasen spucken, ist nichts Neues, nur Ekliges. Ich würde den Stadionrasen nicht mal mit Springerstiefeln betreten. Dass sich Fußballer foulen, die Knie, Knöchel oder Beine zertrümmern, ist auch bekannt. Aber dass sie sich hinterrücks und trotzdem vor aller Augen tätlich angreifen, so wie Vinnie Jones es mit Paul Gascoigne getan hat, hätte ich lieber nicht gewusst. Da finde ich die Männerfreundschaft zwischen Péle und Franz Beckenbauer schon viel schöner.

    Das ganze Buch ist voller Anekdoten, Berichte, Zitate, Kommentare. Der Stil ist einzigartig und hat mich an Fußball erinnert: Vogelsang nimmt Anlauf, stoppt kurz, dribbelt ein paar Schritte auf der Stelle oder nach rechts, um dann sofort wieder die Richtung zu wechseln, Gesagtes dadurch in einem anderen Licht erscheinen zu lassen. Dadurch wird das Buch erst richtig lebendig und nicht wie ein Geschichtstraktat eines Oberstudienrates.


    ASIN/ISBN: 3608502246

    Spuren des Krieges, lange nach Kriegsende.


    Der Vietnamkrieg dauerte 10 Jahre lang. Von 1965 bis 1975. Wieviel Kinder

    vietnamesischer Mütter und amerikanischen Väter wurden in dieser Zeit geboren? Wieviel

    amerikanische Väter bekannten sich zu ihrer vietnamesischen Familien, ob mit oder ohne

    Trauschein?

    Der US-Staat hat auch versagt. Der Vatikan gesteht seinen Priestern Kindergeld für bis zu

    fünf Kindern zu, heimlich, unter der Hand, aber das berühmte „Fräulein Pfarrköchin“ gibt es

    so nicht mehr. Der US-Staat hat sich da nicht so effizient involviert, hat mit allen Mitteln

    versucht, diese Kinder zu unterdrücken, totzuschweigen. Es waren ja nicht reinrassige weiße Kinder, es waren „Amerasier“, umso schlimmer, wenn der Erzeuger ein schwarzer GI war.. Diese Amerasier hatten ein schweres Leben in Vietnam. Ver- und missachtet von der Gesellschaft, fiel es ihnen sehr schwer, irgendwo Fuß zu fassen. Viele Mütter haben in ihrer Verzweiflung die Kinder in Waisenhäuser abgesetzt. und haben sich davon gemacht. Mit einem unehelichen Amerasierkind wären sie auch von der Gesellschaft verachtet worden.


    Phan Que Mai schildert solch eine Situation. Zwei junge Schwestern ziehen während des Krieges nach Sai Gon um Arbeit zu suchen und die verarmten Eltern finanziell zu unterstützen. Sie landen in einer Bar, müssen sich prostituieren, steigen immer weiter ab. Die eine Schwester stirbt,die andere wird von einem schwarzen GI, einem Kunden, geschwängert. Und sie muss die Eltern nun allein unterstützen. Sie muss das Kind aussetzen. Das Ganze wird so undramatisch, fast beiläufig erzählt, und doch durchdringt den Leser das ganze Drama, das sich da hundert- und tausendfach in Vietnam abspielt.

    Aber auch viele Amerikaner, längst wieder in der Heimat, werden von Erinnerungen und Gewissensbisse geplagt, was mit ihrem Kind und der Geliebten in Vietnam wohl geschehen ist, ob und wie sie überlebt haben. Phan Que Mai verschönert nichts. Unaufgeregt erzählt sie von der Teilnahmslosigkeit der US-Botschaft in Vietnam, die darauf aus ist, möglichst viele Amerasier davon abzuhalten, in die Staaten auszuwandern. Sie erzählt auch von einem ehemaligen Soldaten, Hubschrauberpilot, der 2016 erst den Mut findet, nach Vietnam zurückzukehren und nach seiner Geliebten von damals und dem Kind zu suchen. 1969, als er von der Schwangerschaft erfuhr, hat er sich nur umgedreht und ist davongelaufen. Und nun, 47 Jahre später, besinnt er sich und sucht nach der Frau und seinem Kind. Es ist so banal wie alltäglich: Besatzungssoldaten drücken sich vor der Verantwortung, die Frauen in der ganzen Welt werden mit ihren Sorgen und Problemen wegen der Schwangerschaft u nd dem Kind allein gelassen.


    Und doch, Dan kann zwar sein Kind nicht finden, nimmt sich aber Phongs und seiner Familie an. Vielleicht, um getanes Unrecht zu sühnen, der späte Versuch der Wiedergutmachung, oder einfach, weil er ein anderer, ein besserer und reifer Mensch geworden ist.

    Das Buch endet in einer sehr versöhnlichen Note: “Ich habe dieses Buch geschrieben als Gebet für eine Welt, in der es mehr Mitgefühl, Frieden, Vergebung und Heilung gibt. Möge unser Planet nie wieder einen bewaffneten Konflikt erleben” (S. 439). Das Buch erschien 2024. Zwei Jahre seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine und ein halbes Jahr seit dem Krieg im Gaza-Streifen zwischen Hisbollah und Israel.



    Ho Shi Min Stadt, das ehemalige Sai Gon, hat viel menschliches Leid und Kummer gesehen.Die Menschen die den Vietnamkrieg überlebten, in Vietnam aber auch in den USA überwinden ihre gemeinsame Vergangenheit und lernen aufeinander zuzugehen in diesem bewegenden und doch so bescheidenen Roman.

    Ein Epos für die Frauen Siziliens, wie ein antiker Heldengesang


    Wunderschöner Roman, der es geschickt vermag, unterschiedliche Zeit- und Handlungsebenen zu verbinden. Der Schreibstil ist ruhig, erzählerisch, ohne je hastig zu werden, auch wenn das Thema schrecklich oder brutal ist. Als ob die Sonne Siziliens alles verklären aber auch alles ans Licht zerren würde. Das Wunderschöne und Begeisternde, aber auch das Harte, Tödliche. Alles liegt offen, vor den Augen der Sizilianer.

    Die Münchner Jahre der Familie Carbonaro hingegen sind von der deutschen Wirklichkeit der Zwischenkriegszeit und den Bombennächten und Terror während des Zweiten Weltkriegs, der fanatischen Nazi-Ideologie einiger Nachbarn und Schulkinder. geprägt.

    Zu den schönsten und auch bedeutendsten Szenen des Buches gehört gleich die Eröffnungsszene. Der Autor erzählt von der Begegnung mit drei Carbonaro-Frauen: Urgroßmutter Pina, Großmutter Anna, Tante Maria, als Vertreterinnen aller Carbonaro-Frauen: “Ich weiß, wo ich bin. Dies ist das Haus der Zeit, dort, wo Vergangenheit und Zukunft verschmelzen. In den Zimmern, Sälen, Kammern und Nischen sitzen die Geister eines vergangenen Jahrhunderts, raunen sich Dinge zu und runden die Kanten. Eines Tages werde ich einer von ihnen sein oder bin es bereits. Die drei Frauen vor mir sind meine Familie. Ich bon hier, um ihnen zuzuhören.” (S. 13). Der Autor hält Wort, er hört diesen Frauen zu, lässt sie geduldig zu Wort kommen, lässt sie von ihrem harten Leben erzählen, von den vielen Kindern, die sie geboren haben, von denen nicht viele überlebt haben, wie sie ihr Schicksal auf sich genommen haben und um ihr bisschen Glück und Freiheit gekämpft haben.

    Allen dreien blieb der Lebenstraum verwehrt: die eine wollte ihrem Mann im Geschäft zur Seite stehen, die andere wäre gern Sängerin geworden, die dritte wäre gern Großhändlerin geworden, um sizilianische Früchte und Säfte nach Deutschland zu exportieren. Sie durften oder konnten es nicht tun, weil sie Frauen in einer strikten Männerwelt waren. Und doch hat jede von Ihnen es den Frauen in der nächsten Generation ermöglicht, wenigstens einen Teil ihrer Träume zu verwirklichen. Sei es die Tochter, die öffentlich auftreten und singen darf, oder die Tochter, die eine höhere Schule besuchen kann. Diese drei Frauen besitzen einen doppelten Schatten, der sie als Nachfahrinnen von Meeresnixen ausweist. In Sizilien können andere Frauen ihre Schatten sehen und meiden sie. In München hingegen sind diese Schatten nicht mehr sichtbar, sie können sich ungehindert auf den Straßen bewegen.

    Alle drei Frauen heiraten den Mann, den sie lieben, doch die Männer der ersten beiden Generationen sind Patriarchen, oder wären es gern, zu stolz und zu schwach zugleich, auf Ihre Frauen zu hören. Nur Maria, die Frau aus der dritten Generation, heiratet nach einer großen Enttäuschung in der Liebe endlich einen Mann, den sie liebt, der sie liebt, und der ihr vor allem zuhört und ihr helfen will, ihren Traum zu verwirklichen. doch er stirbt viel zu früh an einer unerbittlichen Krankheit und Maria muss ihre Firma verkaufen und kehrt mit ihrem Kind nach Sizilien zurück.

    Die Patruneddi, Hausgeister, sind faszinierend. Sie sind Teil der Familie, des Mobiliars, des Hauses.

    Das Buch endet in einer versöhnlichen und bejahenden Stimmung: “Wir waren die Frauen der Familie Carbonaro… Wenn es Tag wurde, würden wir wieder zwei Schatten werfen, aber wir fragten nicht mehr, wer wir sind. Wir sind das, was man von uns erzählt.” (S. 503”

    Hallo, Batcat,

    habe soeben den 2. Krimi von Sybille Ruge - 9MM Cut hier rezensiert. Leider habe ich den von Dir angezeigten Button auf der Seite nirgends entdeckt. ISBN für Sybille Ruges Buch lautet: 9783518473993. Bitte glaube mir, ich würde das ISBN sehr gerne an der richtigen Stelle einfügen, aber ich bin in solchen Sachen "IT-Illiterate". Kannst Du mir vielleicht einen Snapchat von der Seite schicken, auf der ich den Button sehen kann?

    Ich möchte Euch ja nicht zur Last fallen und Euch Mehrarbeit verursachen.

    Liebe Grüße

    Bücherturm

    Konfuse Handlung dafür aber ein herrlicher Stil

    Wirklich. Sybille Ruge hat es mit dem Sprüche klopfen drauf. Wer kann bei solchen Sätzen widerstehen? “Ein Land [die Schweiz] von Schiller erfunden, um den Deutschen zu zeigen, wie Heimatliebe geht” (S. 32). oder wenn Eve das Gespräch mit renitenten Zahlern das Gespräch so eröffnet: “Die vertraulichen Einzelsitzungen zur Konsensfindung leite ich mit einer Grundsatzfrage ein. Möchtest Du Invalidenrente? Eine Win-win-situation, besonders aufgrund der geringen Bürokratie" (S. 11). Einer meiner Favoriten ist der Dialog zwischen Eve und Karnofsky: “Ich sage dir etwas. Ich habe die Bilanzen überflogen” Antwort: “Im Sturzflug oder im Heißluftballon?” (S. 132) Damit meint Ruge, der Geschäftsführer hätte die Bilanzen viel früher und genauer studieren müssen. Mein Literatenherz hat bei dem Spruch “Amazon würde Dr. Faust unter Arztroman ablegen” (S. 152) fast einen Aussetzer gemacht. Lakonisch und trocken: “Apropos Poesie, ich halte einen abgetrennten Kopf für eine starke Metapher.” (S. 157). Und so geht es das ganze Buch durch, man liest und blättert nur wegen dieser sprachlichen Bilder und brillianten Einfälle. Ruges trockener Humor ist nicht zu überbieten.

    Leider kommt bei dieser tollen Sprache der Krimi an sich etwas zu kurz. Die Handlung scheint mir verworren, etliche Gestalten versprechen einen interessanten Nebenstrang um dann doch nicht ausgebaut zu werden. Die Zwillinge Lara und Laura sind leider nichts mehr als ein Störfaktor im Buch. Ich hätte gerne gewusst, wie sich ihr Leben weiter entwickeln wird. Mit Helene, der neurotischen Mutter (Spitzname “Hell”) können die Mädchen nicht weiter leben, ob der Vater sich mehr um sie kümmern wird?

    Alles in allem, ein unterhaltsamer Krimi mit einigen Schwächen aber einem hervorragenden Gebrauch der Sprache.

    Wenn der geliebte Mensch geht

    Wenn der geliebte Mensch stirbt, plötzlich verstirbt, ohne Zeit zu haben, sich zu verabschieden, ist das wie die Amputation eines Gliedmaßes. Der Phantomschmerz wird immer bleiben. Irgendwann arrangiert man sich mit dem Schmerz, lernt ihn ertragen. Adriano und Konrad waren ein Paar, waren verheiratet, hatten auf Sizilien ein Haus gebaut. Konrad lebte mehr in Rom, der Arbeit wegen, Adriano in Berlin. Sie trafen sich regelmäßig, in Berlin oder in Rom oder in Sizilien, wo sie der Gemeinschaft der deutschen Expats angehörten. Adrianos Tod in Berlin ist tragisch (wie jeder Tod) und absurd zugleich. Adriano ist mit brennender Zigarette eingeschlafen, die Couch hat angefangen zu glimmen, er ist am Sauerstoffmangel und den eingeatmeten Gasen erstickt. Das Buch setzt nach Adrianos Tod ein, Konrad fliegt nach Sizilien, um seine Asche da in den Ätna zu streuen. Aber diese Geste, die in Berlin noch so elegisch schön und bedeutsam erschien, war nach den Strapazen der Ätna-Besteigung weder symbolisch und elegisch schön noch bedeutsam Er wird die Asche aus einem Impuls heraus von einem Schiff aus wortlos und rasch ins Meer streuen.

    Das Buch ist aber nicht nur über die Trauerbewältigung eines geliebten Menschen, sondern auch ein Plädoyer für eine wunderschöne Insel, Sizilien und mit allem, was diese Insel für Sizilianer, Italiener und deutsche Bewohner bedeutet. Die Insel wird mit all ihren zauberhaften aber auch hässlichen Facetten beschrieben und weckt die Sehnsucht nach Sizilien. Um mit Goethe zu sprechen:

    “Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn,

    Im dunkeln Laub die Goldorangen glühn,

    Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,

    Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht?”

    Genau in dieses Land versetzt uns Adriano Sack mit diesem Buch. Den überquellenden Müll am Straßenrand, die ausufernde Bürokratie der sizilianischen Verwaltung, all das wird auch im Buch beschrieben, aber dann kommt ein Sonnenuntergang oder eine Landschaftsbeschreibung zum Niederknien schön.

    Konrad, der in Sizilien Corrado angesprochen wird, hört sich Adrianos Reden an, ohne etwas darauf entgegnen zu können. Er sehnt diese Reden herbei, sie bestätigen ihn in seinen Handlungen auf Sizilien, auch wenn er da diverse Liebesaffären hat. Im letzten Zwiegespräch Adriano - Konrad sagt Adriano: “Ich werde Dich mehr vermissen als mich selbst. Und vergiss nicht, dass Du leben musst.” (S. 332) Konrad ist auf der Heimfahrt zurück nach Deutschland, er befindet sich auf der Fähre von Messina auf das italienische Festland, als in seinen Gedanken Adriano diese Worte sagt. Konrad wird klar “... und ich werde niemals auf dieser Fähre stehen können, ohne Adriano zu vermissen. Denn auch das war unsere Liebe: nebeneinander in aufgewühltes Wasser blicken,” (S. 332).

    Das Titelbild erinnert in seinen Farben und Gestaltung an ein Gemälde von Gauguin

    Eine kleine Besonderheit sei noch erwähnt: Adriano Sack, der Autor lässt den verstorbenen und doch so präsenten Partner Konrads auch den Namen Adriano tragen. Das wirft die Frage auf, wie viel von einem Adriano steckt im anderen Adriano?


    ASIN/ISBN: 3312013143

    Ein schmerzhaftes aber notwendiges Buch

    Ich bin Gott dankbar, ich habe alle meine Schwangerschaften zu Ende und gut ausgetragen. Ich bin dankbar für meine Kinder. Falls ich mal eine Schwangerschaft verloren habe, dann war es in den ersten zwei bis drei Wochen und ich habe nichts davon mitbekommen, höchstens mal eine etwas verspätete aber heftige Periode. Ich empfinde das heute als Gnade. Aus meinem persönlichen Umfeld weiß ich, wie schmerzhaft für eine Frau das ist. ich meine, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Wenn das kleine Herz im vierten oder sechsten oder gar Ende des 8.Monats aufhört zu schlagen und die Mutter stumm und verzweifelt und voller Trauer mit dem Schmerz allein gelassen wird. Psychische Betreuung und Begleitung in der Zeit der Trauer wären da zwingend notwendig. Oder Aufklärung, so in etwa wie dieses Buch das bringt.

    Lindner behandelt alle Aspekte einer Fehlgeburt: wie sich die Mutter fühlt, wenn sie erfährt, dass sie die Schwangerschaft verlieren wird, wie sie sich danach fühlt, nachdem sie ein Sternenkind entbunden hat, wie sie sich nach der Trauer wieder in das “normale” Leben eingliedert. Oft zerbrechen die Beziehungen daran, weil beide Elternteile in ihrer Trauer wie in einer Blase gefangen sind und nicht mit dem Partner kommunizieren können. Lindner geht auch auf die gesundheitlichen Aspekte einer Fehlgeburt ein, die hormonellen Störungen im Körper der Frau, die Schmerzen, Wehen, starken Blutungen und Krämpfe.

    Und was können wir, Außenstehende tun, wenn eine uns nahestehende Frau Ihr Kind verliert? Eva Lindner hilft uns dabei: “... zuhören und aushalten. Aushalten, dass ein geliebter Mensch traurig und am Boden zerstört ist. Aushalten, dass das Leben der Betroffenen vielleicht nie mehr so sein wird wie vorher. Aushalten, dass die Person Schmerzen durchleben muss, ohne dass man ihr dabei helfen kann. Und trotzdem da sein, Hilfsangebote machen, dranbleiben, den Namen des Kindes aussprechen, wenn die Eltern ihm einen gegeben haben. Immer wieder nachfragen.“ (S. 252)

    Das Buch ist in 13 Kapitel eingeteilt, wobei nach der Einleitung die folgenden Kapitel Namen der Mütter tragen, die ein Kind während der Schwangerschaft verloren haben. Jede Muter steht für einen Aspekt, der Schwangerschaft und des Verlusts. Sehr einfühlsam geschrieben, vermittelt das Buch den betroffenen Frauen, dass sie nicht allein in ihrem Kummer sind, dass leider viele Frauen ihre Kinder an den Tod verlieren. Und uns anderen hilft das Buch, mit Frauen in dieser Situation besser und empathischer umzugehen.