Zitat
Original von Sylli
Was ich nun wieder weniger realistisch fand, ist die Geschichte um Alans uneheliche Tochter Agatha. Ich glaube nicht, dass ein Ritter und Kämpfer in diesen kriegerischen Zeiten seine Bastarde überhaupt gekannt, geschweige denn Notiz von ihnen genommen hätte. Ob die kleine Agatha spricht oder nicht, hätte in der Wirklichkeit wohl weder den Vater noch die Großmutter gekümmert.
Und ich glaube auch nicht, dass man auf Behinderte wie Oswald und Luke soviel Rücksicht genommen hätte, nicht einmal in einer Gruppe so unterschiedlicher Schicksalsgefährten. Da wäre wohl auch jedem das Hemd näher als der Rock gewesen, und wer nicht alleine zurechtkommt, bleibt eben auf der Strecke. Meiner Meinung nach waren die Zeiten früher wirklich viel härter, und solche Geschichten sind für mich immer mit der Toleranz und dem sozialen Gedankengut unserer modernen Zeit im Hinterkopf konstruiert.
Dennoch ist der Roman nach wie vor gut und flüssig zu lesen; vom schriftstellerischen Talent der Autorin bin ich ja auch voll und ganz überzeugt.
In beiden Teilen hast du Recht. Das ist die Krux an diesen ganzen historischen Romanen, dass die Autoren sie mit modernen Augen schreiben und die Leser das auch verlangen, denn die meisten würden wohl blöd gucken, wenn die Gedanken und Motivation der handelnden Personen tatsächlich so dargestellt würden, wie sie waren. Allein die vielen starken und höchst selbstständigen Frauen, die durch diese ganzen historischen Romane hindurchgeistern, sehr oft als völlig unglaubwürdige Heldinnen, haben mit dem, was einer Frau damals gestattet war und auch möglich war überhaupt zu denken, nichts zu tun. Auch die Menschenfreundlichkeit und Zuwendung, der Gedanke der Gleichberechtigung gegenüber den Gefährten wäre wohl einem echten mittelalterlichen Menschen nicht möglich gewesen, nicht weil er schlechter gewesen wäre, sondern weil es die Denkstrukturen seiner Zeit einfach nicht zuließen.
Aber Gablé begeht zumindest nicht den Fehler, eine oben geschilderte Frau zur Protagonistin ihrer Handlung zu machen und versucht - wenigstens in Ansätzen - die Denkweisen der Zeit darzustellen. Dass ihr dann doch immer wieder Anachronismen unterlaufen bzw sie diese absichtsvoll erzeugt, liegt eben an unserer Denkweise und den Mechanismen des Marktes. Deshalb lesen viel mehr Menschen Gablé anstatt das Nibelungenlied oder den Beowulf oder Hartmann von Aue usw.
Ich bin erst am Anfang dieses Kapitels und gespannt, was es noch über Alans Vorleben enthüllt. Das, was in der ersten Sitzung herauskam, war ja kein persönliches Verschulden Alans, sondern eine durch kindliche Erfahrungen erzeugte Zwangsneurose.