'Die Leben der Elena Silber' - Seiten 285 - 380

  • Für die Hörbuch-Hörer:

    Der Abschnitt endet mit: "Energie, das hatte Jelena im Wirtschaftsunterricht des wirren Wowa In Gorbatow gelernt, ging nie verloren."

    Der neue Abschnitt beginnt: " Berlin, August 2017, Es war nicht klar, ob Lara von der Affäre ihres Mannes erfahren hatte, bevor sie sich die Pulsadern öffnete."

  • Ich tue mich immer noch etwas schwer. Mir wird zu viel hin und her gesprungen, Vergangenheit und Gegenwart. Den Sinn dieser Erzählweise verstehe ich natürlich, dieses allmähliche Freigeben von Informationen, die sich nach und nach zu einem Bild zusammenfügen. Zur Zeit nervt mich ein bisschen, und ich weiß nicht, ob es an mir gerade liegt oder ob sie im Roman nicht folgerichtig abgegeben werden oder zu spät. Es entsteht einfach nicht so viel Lesefluss, dass ich richtig in der Geschichte drin bin.

    Vielleicht wird es noch, sonst schade.


    Hier erfahren wir sehr viel darüber, wie Konstantin und Jelena so wurden, wie sie sind oder waren.


    Konstantin scheint immer mit Erwachsenen zusammen gewesen zu sein, gar nicht so gut, und war im Umgang mit Gleichaltrigen eher linkisch. Er war nicht nur in seiner Familie mit dem fernen und mit Wichtigerem beschäftigten Vater und der selbstbezogenen Mutter isoliert, sondern auch in der Schule. Schlechte Voraussetzungen für ein glückliches Leben, wenn man nie gelernt hat, wie Beziehungen mit anderen Menschen aussehen sollen oder können.


    Jelena hatte wahrlich kein leichtes Leben. Ich glaube, dass sie den Tod ihrer kleinen Tochter Anna nie verwunden hat. In sie hatte sie, auch wenn sie zu einer Zeit gezeugt wurde, wo sie sich Robert bereits sehr entfremdet hatte, all ihre Hoffnungen auf bessere Zeiten und Sehnsüchte gepackt.

    Und wieder ist sie auf der Flucht, ohne Robert, und sie sieht keine Perspektive mehr. Sie will sich und die Kinder umbringen. Ihre Tochter Lara hält sie auf, sachlich und erwachsen. Viel Kindheit hatte sie wohl nicht, immer auch mit verantwortlich für ihre Geschwister.

    Es deutet sich auch an, dass es Jelena auch nicht besser ging, als sie eigentlich wieder ein Auskommen hatten. Katja, die Jüngste, das Kind vor Anna, war wohl in ihre Kindheit in verschiedenen Heimen, auch als zu hause wieder Platz für sie gewesen wäre. Warum? Was war da los? Ich will jetzt nicht nicht urteilen, weil ich ja nicht weiß, was ich noch lesen werde, aber Jelena wird mir nicht sympathischer...

  • Jelena hat so Übles erlebt, die spätere Ablehnung durch die eigene Mutter, der Mißbrauch durch den Stiefvater, die wohl weitgehend nicht besonders glückliche Ehe mit Robert, die mehrfache Flucht... und jetzt in dem Land, dessen Sprache sie wohl nie so richtig gelernt hat, in der sie sich nicht heimisch fühlte.

    All das prägt auch die Kindheit ihrer Kinder, die teilweise keinerlei Russisch können. Eine wird Zeugin der Erschießungen, ein Kind wird abgelehnt, wegen seines Verhaltens im Keller (war das nicht Katja?), ein anderes muss in jungen Jahren die Mutterrolle übernehmen und die Familie vor dem Tod retten....


    Der Vater ist verschwunden und glänzte vorher wohl weitgehend durch Abwesenheit. Was er die ganzen Jahre gemacht hat wissen bisher weder die Leser noch Jelena. Gehe davon aus, dass es nicht Produktionsoptimierungen in Fabriken waren...


    Durch die erneute Flucht sind sämtliche Privilegien weg, wobei die Idee der Besserstellung in den Köpfen vermutlich nicht verschwindet. In Deutschland nach dem Krieg wird es erstmal niemand interessieren, wer der Großvater wirklich war (wobei da ja eine schöne Legende aufgebaut wurde) und dass der Vater vermutlich ein Nazi war - dann ist es besser, wenn er verschwunden ist.


    Die zahlreichen Wechsel zwischen den Erzählebenen machen das Ganze manchmal etwas zu sprunghaft für mich, manchmal passt es jedoch sehr gut, die Episode nochmal aus einem anderen Blickwinkel zu erleben.


    Sympathischer wird Jelena mir auch nicht, wobei der Satz, dass sie seit ihrer frühsten Kindheit auf der Flucht ist einerseits sehr dramatisch wirkt, andererseits vermutlich ihr Innenleben treffend beschreibt. Da trifft sie völlig unerwartet ihre große Liebe wieder und es ist klar, dass es kein "sie lebten glücklich und zufrieden" geben kann.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Egal, was Jelena erlebt hat, sie trifft am Ende dieses Abschnitts die für sie einfachste, für ihre Kinder - insbesondere Lara - die fatalste aber oft so typische, Entscheidung. Sie überträgt die Verantwortung auf ihre Kinder, insbesondere die Älteste. Ich ahne, wie es für die Schwestern und ihr Verhältnis zur Mutter und untereinander weitergehen wird. Es deutet sich ja an. Weiter vererbte Traumata, abgegebene Verantwortung und Schuld an die nachfolgende Generation, das Ausschmücken der eigenen Geschichte. Es ist so traurig.

  • Egal, was Jelena erlebt hat, sie trifft am Ende dieses Abschnitts die für sie einfachste, für ihre Kinder - insbesondere Lara - die fatalste aber oft so typische, Entscheidung. Sie überträgt die Verantwortung auf ihre Kinder, insbesondere die Älteste. Ich ahne, wie es für die Schwestern und ihr Verhältnis zur Mutter und untereinander weitergehen wird. Es deutet sich ja an. Weiter vererbte Traumata, abgegebene Verantwortung und Schuld an die nachfolgende Generation, das Ausschmücken der eigenen Geschichte. Es ist so traurig.

    Ja, ist es.

    Ich sage mir immer wieder, dass ich nie im Detail nachvollziehen könnte, warum sie so reagiert, aber ich habe solche Zeiten und schlimmen Schicksalsschläge nicht erleben müssen, Krieg, Vertreibung, wirkliche Not. Trotzdem fällt es mir schwer, für viele ihrer Entscheidungen Verständnis zu haben. Geht einfach nicht.

  • Ja, ist es.

    Ich sage mir immer wieder, dass ich nie im Detail nachvollziehen könnte, warum sie so reagiert, aber ich habe solche Zeiten und schlimmen Schicksalsschläge nicht erleben müssen, Krieg, Vertreibung, wirkliche Not. Trotzdem fällt es mir schwer, für viele ihrer Entscheidungen Verständnis zu haben. Geht einfach nicht.

    Mir geht es auch so.

    Ich mag das Buch zwar immer noch nicht in allen Details (manches bediente Klischee, die Psychologin, der Altenpfleger, usw. empfinde ich als unnötig und störend), aber, was dieses Thema betrifft, schreibt Osang sehr authentisch. Das kaufe ich ihm ab. Ich hoffe, er bringt es auch so ehrlich und unverkitscht zu Ende.

  • Symphatischer wird mir Jelena in diesem Abschnitt auch nicht, aber ich kann ihr Handeln zumindest teilweise, besser verstehen, genauso wie das verhalten ihrer Töchter.

    Es deutet sich auch an, dass es Jelena auch nicht besser ging, als sie eigentlich wieder ein Auskommen hatten. Katja, die Jüngste, das Kind vor Anna, war wohl in ihre Kindheit in verschiedenen Heimen, auch als zu hause wieder Platz für sie gewesen wäre. Warum? Was war da los? Ich will jetzt nicht nicht urteilen, weil ich ja nicht weiß, was ich noch lesen werde, aber Jelena wird mir nicht sympathischer...

    Durch Katja wurden die russischen Soldaten auf die im Keller versteckte Familie aufmerksam, ich glaube, das hat Jelena ihr nachgetragen und sie deswegen verstoßen.

  • Ich mag das Buch zwar immer noch nicht in allen Details (manches bediente Klischee, die Psychologin, der Altenpfleger, usw. empfinde ich als unnötig und störend),

    Den Altenpfleger habe ich schon wieder verdrängt, aber in dem Kapitel habe ich mich sehr aufgeregt. Wie du schon sagst, hier werden Klischees bedient. Das fand ich unnötig und störend.

    Einzig gefallen hat mir, dass der alte Herr und die alte Dame spontan zur Weltreise aufbrechen. Schöne Idee, aber doch ziemlich unrealistisch.

    Durch Katja wurden die russischen Soldaten auf die im Keller versteckte Familie aufmerksam, ich glaube, das hat Jelena ihr nachgetragen und sie deswegen verstoßen.

    Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen, vielleicht weil mir das so fern liegt wie irgendwas. Aber du könntest Recht haben. Schlimme Vorstellung, einem Kind so etwas vorzuwerfen und nachzutragen.

  • Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen, vielleicht weil mir das so fern liegt wie irgendwas. Aber du könntest Recht haben. Schlimme Vorstellung, einem Kind so etwas vorzuwerfen und nachzutragen.

    Mir hat sich die Szene so eingeprägt, weil ich es so unverständlich finde einem kleinen Kind so etwas vorzuwerfen.

  • Mir hat sich die Szene so eingeprägt, weil ich es so unverständlich finde einem kleinen Kind so etwas vorzuwerfen.

    Mir auch. Nicht "nur", es einem kleinen Kind vorzuwerfen (und gleichzeitig nicht so einzugreifen, dass es vielleicht rechtzeitig verhindert worden wäre), sondern auch noch das nicht zu verzeihen. Der Satz im Buch ist irgendwie so ominös und endgültig. (Habe die Formulierung leider nicht mehr im Kopf.) Zumal die Russen das Versteck sowieso früher oder später gefunden hätten.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Mir auch. Nicht "nur", es einem kleinen Kind vorzuwerfen (und gleichzeitig nicht so einzugreifen, dass es vielleicht rechtzeitig verhindert worden wäre), sondern auch noch das nicht zu verzeihen. Der Satz im Buch ist irgendwie so ominös und endgültig. (Habe die Formulierung leider nicht mehr im Kopf.) Zumal die Russen das Versteck sowieso früher oder später gefunden hätten.

    So sehe ich das auch.

    Es war doch sicher jedem klar, dass sie das ganze Haus durchsuchen und nicht einfach nur vorbeigehen würden.

    Welchen Satz meinst du? Den?

    "Es war dieser Gesichtsausdruck, den Jelena nie mehr vergessen konnte. Es war nicht Marias Schrei, obwohl auch der sie befremdete - , es war Katarinas zufriedenes Lächeln. Jelena glaubte, das Böse im Gesicht ihrer Tochter gesehen zu haben.Sie wusste es nicht, aber sie entfernte sich in diesem Moment von Katarina. Ihr Abzählreim der Kindernamen wurde Kürzer." (im Roman Seite 324)

  • Clare

    Ja, danke Dir für das Raussuchen.


    Davor wird ja geschildert, wie die Situation sich hochschaukelt. Jelena lässt Katarina dafür büßen. Maria ist hier entschuldigt, sie büßt für etwas, das sie noch nichtmal selbst verursacht oder überhaupt beeinflusst hat.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von ottifanta ()

  • Krieg hin oder her: wie kann man so mit seinen eigenen Kindern umgehen.:unverstanden

    Auch wenn ich verstehen kann, dass die Episode im Wald viel in der jungen Jelena zerstört hat, Flucht, die Mutter und auch der Bruder lassen sie allein zurück.... und dann der Krieg, wieder Flucht usw.... aber sie weiß doch genau, wie sich das anfühlt und irgendwie habe ich gehofft, dass sie es deshalb bei ihren eigenen Kindern anders macht. Wäre für beide Seiten deutlich besser gewesen.


    Andererseits weiß ich natürlich auch, dass es in dieser Generation wenige Beispiele dafür gibt. :-(

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Ich tue mich immer noch etwas schwer.

    Mir geht es genau anders herum. Ich finde das Buch immer besser, habe leider nur kaum Zeit zum Lesen.

    Mir geht es auch so.

    Ich mag das Buch zwar immer noch nicht in allen Details (manches bediente Klischee, die Psychologin, der Altenpfleger, usw. empfinde ich als unnötig und störend), aber, was dieses Thema betrifft, schreibt Osang sehr authentisch. Das kaufe ich ihm ab. Ich hoffe, er bringt es auch so ehrlich und unverkitscht zu Ende.

    Das empfinde ich auch so. DIe Mischung aus Entblätterung der Familiengeschichte und die Einsichten in die Gedanken der Figuren durch den Erzählzeitwechsel, finde ich gelungen und auch spannend.

    Egal, was Jelena erlebt hat, sie trifft am Ende dieses Abschnitts die für sie einfachste, für ihre Kinder - insbesondere Lara - die fatalste aber oft so typische, Entscheidung.

    Ich habe nicht empfunden, dass es für sie eine einfache Lösung ist. Jelena ist an einer Sackgasse und weiß nicht weiter. In dieser Auswegslosigkeit entdeckt sie das Gift und kommt so auf die Idee, sich und die Kinder umzubringen.

    Ich kann diese Reaktion nicht verstehen, aber nachvollziehen. Was bleibt ihr für eine Lebensperspektive?

    Osang schildert sie aus einer großen Distanziertheit, aber ich vermute, dass sie an einem Punkt angelangt ist, an dem sie keinen Ausweg sieht. Was genau während des Krieges passiert ist, wissen wir ja noch nicht.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Auch wenn ich verstehen kann, dass die Episode im Wald viel in der jungen Jelena zerstört hat, Flucht, die Mutter und auch der Bruder lassen sie allein zurück.... und dann der Krieg, wieder Flucht usw.... aber sie weiß doch genau, wie sich das anfühlt und irgendwie habe ich gehofft, dass sie es deshalb bei ihren eigenen Kindern anders macht. Wäre für beide Seiten deutlich besser gewesen.

    Die Hoffnung habe ich auch immer, aber ich kann kaum positive Erfahrungen in Jelenas Leben erkennen, die sie nachahmen und aus der sie Kraft schöpfen könnte. Sie gibt die Erfahrungen, die sie gemacht hat, weiter.

    Ich glaube, dass es unfassbar schwer für jemanden, der missbraucht, misshandelt und verlassen wurde, sich aus eigener Kraft zu lösen und es anders zu machen.

    Ich will Jelena nicht in Schutz nehmen. Mit ihrem Verhalten gibt sie ihre Traumata an ihre Töchter weiter, das sehe ich auch so. Aber ich kann ihr Verhalten auch nachvollziehen. Damit meine ich nicht, dass ich es entschuldigen kann.

    Ich finde es sehr gelungen, dass Osang so schreibt, dass man das Verhalten nachvollziehen kann.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin