Bov Bjerg: Serpentinen

  • History Repeating?


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    Ein Mann fliegt mit seinem Sohn von Berlin, wo die beiden wohnen, nach Schwaben, wo der Mann aufgewachsen ist. M., die Frau des Mannes und Mutter des Sohnes, weiß nichts davon. Der Mann, dessen Name ebenso ein Geheimnis bleibt wie der des Jungen - er wird immer nur "der Junge" genannt und ist ungefähr im Grundschulalter - befindet sich an einem Wendepunkt in seinem Leben. Es besteht die Gefahr, dass es sich sogar um einen Punkt ohne Wiederkehr handelt. Der Vater des Mannes hat vor Jahrzehnten Selbstmord begangenen, quasi vor den Augen des eigenen Sohnes. Und der glaubt jetzt, dass dieses Schicksal für ihn auch unausweichlich ist. Er will das seinem eigenen Sohn ersparen. Während er Bier aus Dosen trinkt und der Sohn vom Beifahrersitz aus immer wieder die spielerische Frage "Worum geht es?" stellt, fahren die beiden im Mietwagen die Orte ab, die in der Kindheit des Mannes von Bedeutung waren. Die Kindheit, in der der Mann brutalen Misshandlungen ausgesetzt war. Und die endete, als sich der Vater erhängt hat.


    Bov Bjerg erzählt in diesem eigenwilligen, in gewisser Weise unhandlichen Text von Erblasten, von Traumata und von der Verzweiflung. Im Kern geht es aber auch um Orientierung, um die Sinnsuche, oder um den Umgang mit der Tatsache, dass das Fehlen jeglicher Sinnhaftigkeit offenkundig ist. Doch es ist mehr als nur das, was den Mann umtreibt, der als Ich-Erzähler auftritt. Er reflektiert das Dasein, Schwierigkeiten bei der Kommunikation, Ängste, Verhalten, Moral. Einsamkeit. Der jedoch alles durchdringende Gedanke, es wäre richtig, es dem eigenen Vater gleichzutun, und in einer der vielen Kurven, die die Schwäbische Alb durchziehen, einfach geradeauszufahren, ist verteufelt reizvoll.


    "Serpentinen" ist längst nicht so unterhaltsam wie "Auerhaus", sondern deutlich fordernder. Bov Bjerg treibt die Schnörkellosigkeit und Direktheit auf die Spitze, liefert nur das, was unmittelbar relevant ist, aber das ist einiges. Die Geschichte ist auch keineswegs thematisch reduziert, ganz im Gegenteil sind es sehr, sehr viele Fragen und Erinnerungen, die diesen Mann am Scheideweg beschäftigen. Ein faszinierender, origineller, kluger, oft schmerzhafter, ziemlich direkter und gleichsam ehrlicher Text. Kein Buch für nebenher, sondern eines für mittenrein.


    ASIN/ISBN: 3546100034

  • Ich habe das Buch auch gerade gelesen. Ich war positiv überrascht, denn ich fand "Auerhaus" zwar gut, aber auch an manchen Stellen oberflächlich. Das ist "Serpentinen" ganz und gar nicht. Es ist von Anfang bis Ende ein starkes Buch.

    Bov Bjerg erzählt in diesem eigenwilligen, in gewisser Weise unhandlichen Text von Erblasten, von Traumata und von der Verzweiflung. Im Kern geht es aber auch um Orientierung, um die Sinnsuche, oder um den Umgang mit der Tatsache, dass das Fehlen jeglicher Sinnhaftigkeit offenkundig ist. Doch es ist mehr als nur das, was den Mann umtreibt, der als Ich-Erzähler auftritt. Er reflektiert das Dasein, Schwierigkeiten bei der Kommunikation, Ängste, Verhalten, Moral. Einsamkeit. Der jedoch alles durchdringende Gedanke, es wäre richtig, es dem eigenen Vater gleichzutun, und in einer der vielen Kurven, die die Schwäbische Alb durchziehen, einfach geradeauszufahren, ist verteufelt reizvoll.

    Ich fand dieses Zerrissene zwischen "ich bringe es jetzt hinter mich, folge dem Vater und Großvater in den (erweiterten) Selbstmord" und "ich will leben, ich will, dass wir leben" unglaublich stark erzählt. Getrieben von dem alles beherrschen Gedanken, dass der geliebte Sohn das nicht auch alles erleben muss/darf/soll.


    Die Geschichte ist auch keineswegs thematisch reduziert, ganz im Gegenteil sind es sehr, sehr viele Fragen und Erinnerungen, die diesen Mann am Scheideweg beschäftigen. Ein faszinierender, origineller, kluger, oft schmerzhafter, ziemlich direkter und gleichsam ehrlicher Text. Kein Buch für nebenher, sondern eines für mittenrein.

    Die Last der Vergangenheit und des Lebens auf den Schultern dieses Mannes ist beim Lebens spürbar erdrückend. Ich habe oft innegehalten, weil ich einfach durchatmen musste

    Mich hat es an diesen Stellen an "Die Welt im Rücken" von Thomas Melle erinnert.

  • Ich kann mich dunkel an seine Lesung letztes Jahr beim Bachmannpreis erinnern, weiß aber nur noch, dass mir der Junge leid getan hat, dass er mit diesem labilen Vater unterwegs sein muss, was ihn überfordern muss.


    Sind die Dialoge wirklich so bemerkenswert wie einige der Jury damals hervorhoben?

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Sind die Dialoge wirklich so bemerkenswert wie einige der Jury damals hervorhoben?

    Die Dialoge sind tatsächlich präzise und sehr überzeugend. Aber es gibt nicht allzu viele.

  • Serpentinen – Bov Bjerg


    Verlag: CLAASSEN VERLAG, 2020,

    gebundene Ausgabe, 266 Seiten


    Kurzbeschreibung:

    Ein Vater unterwegs mit seinem Sohn. Ihre Reise führt zurück in das Hügelland, aus dem der Vater stammt, zu den Schauplätzen seiner Kindheit. Da ist das Geburtshaus, dort die elterliche Hochzeitskirche, hier der Friedhof, auf dem der Freund Frieder begraben liegt. Ständiger Reisebegleiter ist das Schicksal der männlichen Vorfahren, die sich allesamt das Leben nahmen: "Urgroßvater, Großvater, Vater. Ertränkt, erschossen, erhängt." Der Vater muss erkennen, dass sein Wegzug, seine Bildung und sein Aufstieg keine Erlösung gebracht haben. Vielleicht helfen die Rückkehr und das Erinnern. Doch warum bringt er seinen Jungen in Gefahr? Warum hat er keine Antwort auf dessen bange Frage: "Um was geht es?" Er weiß nur: Wer zurückfährt, muss alle Kurven noch einmal nehmen. Wenn er der dunklen Tradition ein Ende setzen will.

    Genau, mutig und lang nachwirkend erzählt Bov Bjerg vom Kampf eines Vaters gegen die Dämonen der Vergangenheit. Nur wenn er seinen Sohn so liebt, wie er selbst nie geliebt wurde, kann die Reise der beiden glücken.


    Über den Autor:

    Bov Bjerg, geboren 1965, studierte in Berlin, Amsterdam und am deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Er gründete mehrere Lesebühnen, arbeitete als Schauspieler und Autor beim Kabarett und schrieb für verschiedene Zeitungen. Heute lebt er in Berlin. Als Taschenbuch ist ebenfalls sein Geschichtenband „Die Modernisierung meiner Mutter“ erschienen. Mehr zum Autor unter http://www.bjerg.de.


    Mein Eindruck:

    Bov Bjerg war mir schon mit einem Ausschnitt aus diesem Buch beim Ingeborg Bachmann-Wettbewerb aufgefallen.Er gewann dort den Deutschlandfunkpreis.

    Obwohl mich der Text mit seinen vielen kurzen Sätzen beeindruckte, schreckte ich zunächst zurück, das ganze Buch zu lesen.

    Es ist ein düsteres Buch, stellenweise beklemmend.

    Es betrachtet die Beziehung zwischen Vätern und Söhnen und das Spiel von Macht, Gewalt und Verantwortung. Und vom Tod, insbesondere Suizid.


    Der Erzähler reist mit seinem ca. 8jährigen Sohn in seine alte Heimat, der Schwäbischen Alb. Dabei gibt es viele Erinnerungen, die in Form von Rückblenden immer wieder eingebaut werden.

    Sein eigener Vater brachte sich um, auch sein Großvater. Auch ihn selbst bedrohen Depressionen und doch will er die fatale Linie der Suizidfolge unterbrechen.

    Die gemeinsame Reise wird zu einer Art gefährlicher Therapie.


    Zweifellos hat der Roman große literarische Qualitäten. Es bleiben aber auch gewisse Irritationen zurück. Es ist ein Buch, mit dem man nach dem Fertiglesen noch lange nicht fertig ist.

  • Titel: Serpentinen

    Autor: Bov Bjerg

    Verlag: Claassen

    Erschienen: Januar 2020

    Seitenzahl: 272

    ISBN-10: 3546100034

    ISBN-13: 978-3546100038

    Preis: 22.00 EUR


    Das sagt der Klappentext:

    Ein Vater unterwegs mit seinem Sohn. Ihre Reise führt zurück in das Hügelland, aus dem der Vater stammt, zu den Schauplätzen seiner Kindheit. Da ist das Geburtshaus, dort die elterliche Hochzeitskirche, hier der Friedhof, auf dem der Freund Frieder begraben liegt. Ständiger Reisebegleiter ist das Schicksal der männlichen Vorfahren, die sich allesamt das Leben nahmen: "Urgroßvater, Großvater, Vater. Ertränkt, erschossen, erhängt." Der Vater muss erkennen, dass sein Wegzug, seine Bildung und sein Aufstieg keine Erlösung gebracht haben.


    Der Autor:

    Bov Bjerg (*1965) macht Witze, Geschichten und Romane. Dr. Seltsams Frühschoppen, Reformbühne Heim & Welt, Mittwochsfazit. Kabarettistischer Jahresrückblick.

    Bücher: Serpentinen (2020), Die Modernisierung meiner Mutter (2016), Auerhaus (2015), Deadline (2008, vergriffen).


    Meine Leseeindrücke:

    So ganz sicher bin ich mir nicht, was ich von diesem Roman halten soll. Die Erzählweise ist sicher gewöhnungsbedürftig und wohl auch nicht jedermanns Sache. Der Autor macht viele Breaks, er erzählt eher spröde und manchmal ist es nicht so ganz einfach zwischen Phantasie und Realiät zu unterscheiden. Das Feuilleton hat sich seinerzeit vor Begeisterung fast überschlagen – wobei mir auch hier nicht so recht klar ist - warum eigentlich. Das Buch ist durchaus lesenswert, aber ganz sicher ist es nicht das ultimative Highlight.

    Aber vielleicht verstehe ich als „Normalo-Leser“ auch den tieferen Sinn nicht, etwas was offensichtlich der professionellen Literaturkritik vorbehalten ist. Wieder einmal merke ich, das ich eben wohl etwas „simpel strukturiert“ bin.

    Aber egal -.wenden wir uns also dem nächsten Buch zu.

    6 Eulenpunkte mit der Tendenz eher zu 5 als zu 7.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich höre gerade die erste CD des Hörbuchs aus der Bücherei. Es ist manchmal erschreckend, aber man kann zwischendurch auch mal lachen. Allerdings bin ich nicht sicher, ob ich alle 5 CDs durch höre. Zu sprunghaft ist die Erzählung, zu schnell auch der Erzähler Robert Stadlober. Nicht immer ist schräg erzählt auch gut erzählt. Bin mir unschlüssig was ich von dem Buch halten soll.