'Das Kaffeehaus - Falscher Glanz' - Seiten 193 – 298

  • So langsam fallen auch für den Leser alle Masken der Verlogenheit.


    Die Äußerungen Idas über die Vetseras als „die gefährlichsten Bürger Wiens“ und die Andeutungen, was mit Sophie geschehen könnte, wenn sie sich weiterhin „verdächtig macht“, sind mehr als ein starkes Stück ( S. 201). Wie schon im ersten Abschnitt geschrieben: meine Meinung über die Habsburger ist im stetigen Sinkflug.


    Die Begegnung von Richard mit Agnes (sowie das spätere Gespräch mit von Sterenbergs) ist auch aufschlußreich. Mir war schon bewußt, daß es den einfachen Menschen damals nicht unbedingt gut ging. Aber so schlecht? Ich frage mich, wie die überhaupt überlebt haben - und warum es so lange gut ging. Immerhin brauchte es einen Weltkrieg, bis das System zum Einsturz gebracht wurde. In Elizabeth Gaskells „North And South“ (dt. „Norden und Süden“) liest man einiges über die Verhältnisse der Arbeiter um die Mitte des 19. Jahrhunderts in Manchester (die Autorin kannte das aus eigener Anschauung), aber so schlimm habe ich das nicht in Erinnerung. Vor allem wundert mich, daß es trotz dieser Verhältnisse zu einem wirtschaftlichen Aufschwung kam. Es muß ja immer noch genügend Menschen gegeben haben, die sich etwas leisten konnten (etwa eine Bahnfahrt), denn die Arbeiter konnten es nicht.


    Bei der Gelegenheit: etwas irritiert hat mich auf Seite 226 die Formulierung: „Die Arbeiter und Arbeiterinnen...“. Hätte Viktor Adler das damals wirklich so gesagt? Seinerzeit war das generische Maskulinum noch allgemein anerkannt.


    S. 238f, die Arbeitsbedingungen der Tramway-Fahrer (und nicht nur dieser): da paßt doch eigentlich nichts zusammen. Alles nur Lug, Trug und Verlogenheit. Auf der einen Seite ist man ach so katholisch, legt bei Hofe großen Wert auf die Einhaltung der kath. Vorschriften. Was den Kaiser nicht davon abhält, ganz offiziell eine Geliebte zu haben und somit die Ehe zu brechen. Das wird nicht nur ein katholisches, sondern eines der Zehn Gebote gebrochen! Von der Verlogenheit am Gründonnerstag habe ich schon im letzten Abschnitt geschrieben, die Andeutung für Fronleichnam in diesem Abschnitt scheint mir da keinen Deut besser zu sein. Aus dem Evangelium läßt sich die Lebensweise, zu der die Arbeiter und ihre Familien gezwungen werden, auch nicht begründen, im Gegenteil. Da ich mich hier vermutlich noch stundenlang aufregen könnte, gehe ich einfach im Buch weiter.


    S. 244. „Wahrscheinlich ist die Kaiserin eine seltsame Frau.“ Wahrscheinlich? Mit absoluter Sicherheit! Sie geht wie selbstverständlich davon aus, grundsätzlich alle Rechte in Anspruch nehmen und ein Leben in Saus und Braus führen zu können. Die damit einhergehenden Verpflichtungen lehnt sie jedoch rundweg ab und entzieht sich selbigen konsequent. Da ist nicht nur im Staate Dänemark, sondern auch in der k. u. k. Monarchie etwas schon nicht mehr nur faul, sondern sogar oberfaul.


    S. 248, Kasernen, die gebaut wurden, um die Obrigkeit „vor weiteren Aufständen der Bevölkerung zu schützen“. Und im Weiteren der Einsatz von Waffen gegen Unbewaffnete. Die „Obrigkeit“ egal welcher Couleur hält sich immer für die „gottgegebene“, sollte das Volk die Frechheit besitzen, dies anders zu sehen wird eben geschossen. Das ist doch vereinfacht gesagt, das Prinzip, das dahinter steht. Damals wie heute (aktuell etwa Mali oder Hongkong). Ich frage mich da oft, was in den Menschen, die auf ihre Landsleute schießen, vor sich geht. Je mehr ich mich mit Geschichte beschäftige, um so verständlicher werden mir Revolutionen (konkret denke ich etwa an die Russische Oktoberrevolution oder auch die gegen den Kaiser, in Österreich wie in Deutschland).


    Die Lage in Wien eskaliert. Danzer verhält sich so, wie ich es von ihm erwarten würde. Ob ihm das späterhin nicht Probleme einbringen kann bzw. wird?


    Wirklich genossen habe ich dann die letzten Seiten dieses Abschnitts. Was Graf von Sterenberg da im Hause des Herrn von Thurnau abliefert, ist ganz große Klasse. (Ich werde wohl doch die Weingut-Trilogie lesen müssen, um ihn zu verstehen.) Ich habe mich köstlich dabei amüsiert und von Thurnau von Herzen die Niederlage gegönnt. Ich bin nur nicht sicher, ob der wirklich etwas daraus lernt.


    ASIN/ISBN: 3738654461

    ASIN/ISBN: 0393979083

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • SiCollier hat die ganze Widersprüchlichkeit gut auf den Punkt gebracht.


    Das Richard in den Tramway-Streik gerät, hätte ich gar nicht erwartet, gefällt mir aber sehr gut. Das ist auch ein Arbeitszweig von dessen furchtbaren unmenschlichen Arbeitsbedingungen ich bisher nichts wusste. (Bei Fabriken ist das mir zu der Zeit geläufig.) Richard besitzt da ein sehr aufgeschlossenes Wesen, seine eh schon kritische Einstellung gegenüber seinem Schwiegervater hilft da sicherlich auch bei.

    Nachteile für Danzer hoffe ich auch nicht. Aber ob man seine Verwicklung geheimhalten kann? Ich bin mir da noch nicht so sicher. Aber wer weiß, ich hatte bei der Erwähnung seiner Kopfschmerzen ja schon alle Alarmglocken schrillen. Aber am Ende stellt es sich als Verspannungen und Stress heraus. Gott sei Dank!


    Zu Sisi fällt mir immer weniger ein. So ganz leuchtet mir nicht ein, warum sie bis heute so glorifiziert wird. Kann es allein an ihrer "Schönheit" gelegen haben? Kann man sich nur davon so blenden lassen?


    Was ist mit Mili los? Sie scheint etwas auf dem Herzen zu haben. Misshandelt ihr Stiefvater sie so sehr oder geht es um etwas anderes? Will sie deswegen auch unbedingt weg?

  • Zu Sisi fällt mir immer weniger ein. So ganz leuchtet mir nicht ein, warum sie bis heute so glorifiziert wird. Kann es allein an ihrer "Schönheit" gelegen haben? Kann man sich nur davon so blenden lassen?

    Die Sisi-Filme glorifizieren sie ja seit fast 60 Jahren. Auch die neueren Verfilmungen sind im Tenor eher milde gestimmt. Und in Bayern war sie beliebt, weil Ludwig sie mochte. Und dann ihr zu frühes Ende. Durch gewaltsamen Tod aus dem Leben geschiedene Idole haben per se oft einen "Heiligenschein". Und vieles drang nicht nach Außen zu ihren Lebzeiten.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend

    Aslak Nore - Meeresfriedhof


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Zu Sisi fällt mir immer weniger ein. So ganz leuchtet mir nicht ein, warum sie bis heute so glorifiziert wird. Kann es allein an ihrer "Schönheit" gelegen haben? Kann man sich nur davon so blenden lassen?

    :write Ich stehe dem immer fassungsloser gegenüber. Und "Schönheit" ist heute doch auch oft nur das einzige bzw. einzig wesentliche Kriterium.


    Die Sisi-Filme glorifizieren sie ja seit fast 60 Jahren. Auch die neueren Verfilmungen sind im Tenor eher milde gestimmt.

    Ich schätze, daß ich so schnell (wenn überhaupt) keinen Sisi-Film mehr ansehen werde. Die alten mit Romy Schneider besitze ich gar nicht, den neueren von Xaver Schwarzenberger habe ich zwar, doch inzwischen traue ich mich nicht so recht dran. Von Filmen zu Mayerling ganz zu schweigen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • :write Ich stehe dem immer fassungsloser gegenüber. Und "Schönheit" ist heute doch auch oft nur das einzige bzw. einzig wesentliche Kriterium.


    Ich schätze, daß ich so schnell (wenn überhaupt) keinen Sisi-Film mehr ansehen werde. Die alten mit Romy Schneider besitze ich gar nicht, den neueren von Xaver Schwarzenberger habe ich zwar, doch inzwischen traue ich mich nicht so recht dran. Von Filmen zu Mayerling ganz zu schweigen.

    Netflix dreht gerade einen 6-Teiler über Sisi. Den gucke ich sicherlich. Und RTL sendet diesen Herbst auch eine Serie auf TVNow. Da mag ich den Darsteller des Franz sehr. Wird also auch mal geguckt. Dann natürlich mit viel mehr Hintergrundinfos aus unserer Buchreihe hier.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend

    Aslak Nore - Meeresfriedhof


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Ich merke schon, dass SiCollier hier ganz schön im Geschehen steckt. :) Du fieberst ja richtig mit. ;)


    Dass das Tramway-Geschäft so läuft wie es läuft, war auch mir nicht bewusst. Aber andererseits habe ich auch nicht den Geldregen in dieser Branche erwartet. Menschen werden und wurden schon immer ausgebeutet.


    Ich kann mich von Abschnitt zu Abschnitt nur immer wiederholen - Sisi ist und war noch nie mein Fall. Ich habe auch die Filme nicht gesehen - sie war mir schon immer unsympathisch (als Person). Und wie schon mehrfach geschrieben, kann auch diesen Hype um sie nicht nachvollziehen.


    Das Ende dieses Abschnitts hat auch mir sehr gut gefallen. ;) Endlich mal jemand, der den anderen die Stirn bietet. Richtig so.

    Was ist mit Mili los? Sie scheint etwas auf dem Herzen zu haben. Misshandelt ihr Stiefvater sie so sehr oder geht es um etwas anderes? Will sie deswegen auch unbedingt weg?

    Das habe ich mich auch gefragt. Was ist los mit der "Kleinen". Ob ihr Vater sie wirklich misshandelt?

    Ich war auch von Sophies Mutter angetan, die endlich mal selbst tätig wird und ihren Kopf durchsetzt - weiter so. :thumbup:

    (Ich werde wohl dochdie Weingut-Trilogie lesen müssen, um ihn zu verstehen.)

    Geht mir auch so. :handhalten

  • Ein toller Abschnitt, den habe ich regelrecht durchflogen :grin


    Langsam scheint Sophie ja in der Gunst Elisabeths zu steigen und ihr damit nächer zu kommen.

    was ich gut finde, um Sisi besser zu verstehen.


    Denn grundlos war sie nicht, wie sie war.

    Heutzutage hätte ich ihr dringend eine Therapie empfohlen gegen ihre Depressionen, Anorexie und sonst noch alles, was sich bei ihr in den Jahren entwickelt hat.

    Mich interessierte Sisi in der Hinsicht schon immer sehr, als hochkomplexer, ambivalenter Charakter.


    Aber auch richtig spannend das Streikkapitel.

    Daß Arbeitsbedingungen im 19. Jahrhundert grottig waren, war ja nichts neues, aber derartige Zustände sind ja schon Mißhandlung.

    Da finde ich das Aufkommen der Sozialdemokraten spannend, die sich mit endlich dafür einsetzen, die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

    Graf Sterenberg ist mir hochsympathisch, ebenso wie Adler und Freu Geran. (Von dieser weiß ich nur, daß sie wohl aus der Weinguttrilogie entstammt, die iach aber bisher nicht gelesen haben)



    Bei Milli habe ich leider auch sehr schlimme Gedanken in Bezug auf ihren Stiefvater - gerade, als Helene erwähnt, daß das so sei, siet sie 14 Jahre geworden ist....

  • Bei Milli habe ich leider auch sehr schlimme Gedanken in Bezug auf ihren Stiefvater - gerade, als Helene erwähnt, daß das so sei, siet sie 14 Jahre geworden ist....

    Auf die Idee bin ich gar nicht gekommen...

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Wahrscheinlich ist die Kaiserin eine seltsame Frau.“ Wahrscheinlich? Mit absoluter Sicherheit! Sie geht wie selbstverständlich davon aus, grundsätzlich alleRechte in Anspruch nehmen und ein Leben in Saus und Braus führen zu können. Die damit einhergehenden Verpflichtungen lehnt sie jedoch rundweg ab und entzieht sich selbigen konsequent. Da ist nicht nur im Staate Dänemark,sondern auch in der k. u. k. Monarchie etwas schon nicht mehr nur faul, sondern sogar oberfaul.

    Ich frage mich ja, ob man bei dieser Erziehung und mit den Verwandten normal bleiben konnte? Und man wurde ja als Kaiserin auch behandelt, als könne man nichts falsch machen. So was gibt es heute ja auch. Bei jungen Menschen, die schon als Kinder große Stars wurden. So was lässt sich schlecht verarbeiten. Ist natürlich auch Charaktersache.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend

    Aslak Nore - Meeresfriedhof


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Aber auch richtig spannend das Streikkapitel.

    Daß Arbeitsbedingungen im 19. Jahrhundert grottig waren, war ja nichts neues, aber derartige Zustände sind ja schon Mißhandlung.

    Das erinnert mich an die Trilogie, die Marita davor geschrieben hat. Da geht sie auf die Zustände noch intensiver ein.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend

    Aslak Nore - Meeresfriedhof


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)