Daniela Dröscher - Lügen über meine Mutter

  • ASIN/ISBN: 346200199X


    Die Autorin Daniela Dröscher setzt sich in diesem Buch mit ihrer Kindheit und der Ehe ihrer Eltern auseinander. Sie wächst in den achtziger Jahren in einem kleinen rheinland-pfälzischen Dort auf. Seit eh und je ist die Figur der Mutter das große Thema für den Vater. Er macht ihr Übergewicht verantwortlich dafür, dass bei ihm nicht alles so läuft, wie er sich das vorgestellt hat. Er zwingt seine Frau zu immer neuen Diäten, was zur Folge hat, dass sie nach kurzfristiger Abnahme umso mehr zunimmt. Ela steht zwischen den Fronten, soll Stellung beziehen und versteht doch nicht wirklich, was vorgeht.

    Auch als Leser fühlt man sich in diesem Kampf hineingezogen, fühlt sich berührt und abgestoßen und weiß nicht so recht, wo das alles hinführt. Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht des achtjährigen Mädchens Ela. Zwischendurch gibt es Einschübe, in denen die inzwischen erwachsene Ela das Geschehen reflektiert und versucht zu verstehen.

    Die Charaktere sind gut und glaubhaft dargestellt, so dass man sich in Ela hineinversetzen kann. Bei der Mutter fiel mir das Einfühlen oft schwer, denn ich habe nicht verstanden, dass sie das alles ertragen hat. Erst zum Ende hin erkannte ich, wie stark sie eigentlich war. Der Vater ist ein Versager, der seine Schwächen und Komplexe überdecken will, indem er andere herabsetzt und kleinmacht.

    Dieser Roman ist authentisch, fesselnd und sehr erschütternd.


    10/10

  • Lügen über meine Mutter überzeugt mich stofflich. Das habe ich in der Form einfach noch nicht gelesen. Das Portrait einer Frau, die ihres Gewichtes wegen von ihrem Mann schikaniert wird.


    Literarisch hat mich das Buch aber kaum überzeugt und da das Buch auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis steht, hat mich das ein wenig überrascht. Dabei hat mich der Roman zunächst auf die falsche Fährte geführt. Wir haben zwei Erzählebenen: die Erzählung aus der Sicht der Tochter, perspektivisch passend in einer schlichten, einfachen Sprache geschrieben, und wir haben den Meta-Kommentar der Autorin in den kursiven Passagen. Nach dem ersten Abschnitt, dem Dialog zwischen dem erwachsenen Kind und der Mutter, der Autorin und der Hauptfigur, dachte ich noch: das ist ja interessant. Autofiktion, vielleicht eine unglaubwürdige Erzählerin, wieviel der Erzählung ist wahr und wieviel hinzugedichtet? Es heißt im ersten Satz "Mutter passt in keinen Sarg" und wie passt das zu der darauffolgenden Szene, wo der Mann an der Tankstelle mit ihr, die dort mit hochhackigen Schuhen stolziert, flirtet? Das ist ja spannend, dachte ich, und hoffte, dass sich diese beiden Erzählebenen auf eine interessante Art und Weise aneinander reiben, eine Art Spannungsfeld erzeugt wird.


    Dem war dann aber überhaupt nicht so. Die Autorin nutzt diese Passagen, um zu erklären und zu kommentieren. Das liest sich dann irgendwann mehr wie ein Traktat oder wie ein Selbsthilfebuch. Diese Passagen nehmen dem Haupttext jede Spannung und jedes Rätsel, weil einfach alles erklärt und belegt wird.


    Die 80er-Jahre Atmosphäre hat mich zunehmend dann auch nicht mehr überzeugt. Challenger-Unglück, Tschernobyl, Boris Becker und Steffi Graf... Das las sich wie Jahresrückblicke von Günter Jauch, bei der kein Großereignis fehlen durfte.


    Also ein wichtiges Thema, interessante Figurenzeichnung der Mutter, aber in der Gestaltung ein unglaublich langweiliges Buch und somit für mich auch nicht preiswürdig.

  • Lügen über meine Mutter – Daniela Dröscher


    Mein Eindruck:

    Mir hat das Buch ausgesprochen gut gefallen, da es eine langjährige Konfliktsituation in aller Deutlichkeit zeigt und auch, was das mit den Beteiligten macht.


    Der Familienvater drängt seine Frau permanent dazu, abzunehmen, um dem konventionellen Bild zu entsprechen. Das prägt das Familienleben stark.


    Die innere Anspannung des Mädchens, die den Konflikt zwischen Vater und Mutter hautnah miterlebt, ist auch für den Leser immer spürbar und nachvollziehbar.


    Die Figur der Mutter ist beeindruckender als erwartet, die Darstellung des Vaters jedoch allzu schematisch. Die Mutter aber kämpft schließlich doch um Selbstbestimmung, sie ist nicht nur Opfer.

    Einige Elemente der Achtziger Jahre kommen gut zur Geltung, manches hätte auch nicht unbedingt erwähnt werden müssen.

    Dann war auch die Freundschaft der Icherzählerin als Kind mit dem Nachbarkind Jessy, die Pflegekind ist und sich der Familie praktisch anschließt, ganz gut gemacht.


    Dazu kommt das Spiel mit den Perspektiven. Die Frage, was denn die Lügen über die Mutter sind, klärt sich nicht vollkommen auf. Diese Frage führte aber auch immer dazu, dass man länger über einzelne Passagen und den Schluss nachdachte.

  • Lügen über meine Mutter ist die fiktive Geschichte einer Familie in den 1980er Jahren. Und für mich fühlt es sich an, wie eine Liebeserklärung. Eine Liebeserklärung der Autorin an die eigene Mutter. Einer Mutter, die aus Kinderaugen vielleicht nicht immer gerecht, aber immer wahrhaftig agiert.



    Daniela Dröscher erzählt die Geschichte, als wäre sie ihr genau so selbst passiert. Mit allen Erinnerungen an ein familiäres Zusammenleben. Im privaten, im geheimen und in dem Leben, das der Vater, das Oberhaupt der Familie, gern nach außen projiziert hätte. Da er aber immer im gefühlt "dicken" Schatten seiner Frau steht, ist ihm das nicht möglich. Das einzige, was ihm möglich erscheint, ist, seine Frau zu drangsalieren und über ihr Gewicht zu bestimmen.

    Daniela Dröscher erzählt einfühlsam mit großer Empathie die Geschichte ihrer Mutter und damit die Geschichte ihrer Kindheit. Die Geschichte ist fiktiv, auf Grundlage eigener Erlebnisse und Verständnisse in der Kindheit gepaart mit dem zurückblickenden Wissen als Erwachsene.

    Lügen über meine Mutter ist so warm und wahr erzählt, dass es während des Lesens bereits zu einem meiner Lieblingsbücher geworden ist. Es ist einfach für mich, dem Geschehen in der Geschichte zu folgen. Ich weiß, wie es sich anfühlt in dieser Zeit, in den 1980er Jahren als Kind heranzuwachsen. Ich weiß, aus der selben Position wie Daniela Dröscher, wie es sich anfühlt, die Rolle der erwachsenen Frau mit Kindesaugen zu sehen. Frauen, die selbstbewusst ihre eigenen Wege gehen und von ihrem Mann unterstützt zu werden. Und Frauen, die versuchen, selbstbewusst ihren selbstbestimmten Weg zu gehen und unter der Last der Meinung der Gesellschaft und im familiären Zusammenleben scheitern. Wie Frauen, dem Gefühl nachgeben, genügen zu müssen, sich fügen zu müssen, um die harmonische familiäre Welt zu erhalten.

    Lügen über meine Mutter ist für mich ein wichtiges Stück Geschichte in unserer Geschichte.

    Sandra Voss liest Lügen über meine Mutter so ausdrucksstark und empathisch, als würde sie die Geschichte selbst erzählen. Authentisch und nah am Geschehen. Vielen Dank!


    Fazit

    Lügen über meine Mutter ist für alle, die in 1980er Jahren als Kind oder erwachsene Person gelebt haben oder sich in diese Zeit und das Geschehen einfühlen möchten. Ein Geschenk fürs Verständnis und das Zusammenleben miteinander.

  • Das Dorf Obach im Hunsrück der 1980er-Jahre: Ländlich und familiär, so erscheinen die persönlichen Verhältnisse der Grundschülerin Ela auf den ersten Blick. Doch hinter den Mauern des elterlichen Hauses herrscht Psychoterror. Ihre Mutter ist zu dick. Das behauptet zumindest ihr Vater - und lässt keine Gelegenheit aus, um seine Frau wegen ihres Gewichts zu beleidigen, zu erpressen und auf andere Weise zu beschämen.


    „Lügen über meine Mutter“ ist ein Roman von Daniela Dröscher.


    Meine Meinung:

    In vier Teile ist der Roman aufgebaut, die jeweils ein Jahr umfassen und in verschiedene Kapitel untergliedert sind. Die Haupthandlung spielt in den Jahren 1983 bis 1986. Darüber hinaus gibt es zwischen einzelnen Kapiteln Einschübe aus der Gegenwart, die die erzählten Episoden aus erwachsener Sicht einordnen und analysieren.


    Der Schreibstil ist insgesamt unauffällig und unspektakulär. Die dialektalen Einstreuungen und phrasenhaften Formulierungen im Vergangenheitsstrang passen jedoch gut zur Geschichte. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Ela.


    Die Charaktere habe ich als vielschichtig und menschlich empfunden. Der Autorin gelingt es sehr gut, Widersprüchlichkeiten und Schwächen herauszuarbeiten, sodass ihre Figuren ambivalent und mit vielen Grautönen daherkommen, obwohl die Sympathien dennoch klar verteilt sind.


    Auch inhaltlich ist der Roman durchaus facettenreich. Zwar steht das Bodyshaming beziehungsweise Fatshaming im Vordergrund. Die Geschichte zeigt auf, wie das Gewicht der Mutter ständig im Fokus der Kritik steht und welche psychischen Folgen erzwungene Diäten und verbale Attacken auf Dauer haben. Außerdem hat der Roman einen feministischen Ansatz. Er beleuchtet patriarchale Strukturen und deren Konsequenzen wie finanzielle Abhängigkeiten. Zudem werden weitere Aspekte wie Rassismus, Krankheit und einiges mehr thematisiert, was die Geschichte ein wenig überfrachtet. Nach eigenen Angaben der Autorin ist der Roman autobiografisch motiviert. Deshalb ist es schwierig, die Authentizität zu bewerten und den Wahrheitsgehalt abzuschätzen.


    Trotz der mehr als 400 Seiten und mehrerer inhaltlicher Wiederholungen habe ich den Roman lediglich an sehr wenigen Stellen als langatmig empfunden. Nur das zwar überraschende, aber etwas märchenhafte Ende hat mich nicht ganz überzeugt. Auch nach den letzten Kapiteln bleiben ein paar Fragen bewusst offen.


    Der Titel ist mehrdeutiger als gedacht und lässt auch nach dem Ende der Lektüre Raum für eigene Interpretationen. Das abstrakte Cover sagt mir dagegen weniger zu, zumal ich die Farbwahl thematisch unpassend finde.


    Mein Fazit:

    Preisverdächtig ist der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman „Lügen über meine Mutter“ von Daniela Dröscher für mich zwar nicht. Dennoch konnte mich die autobiografisch inspirierte Geschichte gut unterhalten.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

  • Ein Highlight für mich: 10 von 10 Punkte.

    Ich habe jetzt alle, bis auf eins, Bücher von der Shortlist des Deutschen Preis 2022 gelesen. Und für mich hätte definitiv "Die Lügen über meine Mutter" gewinnen sollen.


    Meine Meinung:

    Die Geschichte einer deutschen Familie ist in den 80er Jahren angesiedelt. Die Erzählerin der Geschichte ist ein Kind, die Tochter, die etwa mit 6 Jahren über ihre Familie Gedanken zu machen und zu berichten beginnt. Die Familie ist von München in das Heimatdorf des Vaters gezogen, wobei schon hier unterschiedliche Wünsche und Vorlieben der Eheleute deutlich werden. Das Grundthema des Romans ist die Frage nach Geschlechterrollen in einer Familie, in der Gesellschaft. Das Familienoberhaupt sieht sich als uneingeschränkter Herr der Familie und seine Ehefrau hat es seinen Ansprüchen zu genügen. Ohne jeden Zweifel gehört es zu ihren Aufgaben: Kindererziehung, Kinderbetreuung, Haushalt und nicht zu vergessen, sie muss für den Mann in der Gesellschaft vorzeigbar sein, eine gute Figur machen. Im Fall der Dröschers Geschichte muss sie allerdings noch arbeiten gehen, da das Einkommen des Ehemannes nicht ausreicht. All das verlangt der Ehegatte ohne jeden Zweifel an seinen Rechten.


    Wie ein roter Faden zieht sich durch die Geschichte die Unzufriedenheit des Mannes mit dem Gewicht seiner Frau. Ständig kontrolliert er ihr Gewicht, besteht darauf, dass sie unzählige Diäten macht, erniedrigt sie mit seinen Kommentaren und Vergleichen.

    Es geht um nichts anderes als psychische Gewalt in der Familie.


    Was jedoch erschrecken ist, ist die Tatsache, dass der Autorin ein absolut realistisches Buch gelungen ist. Bis in die heutigen Jahre zieht sich so ein Verhalten bei manchen Männern und Unsicherheiten der Frauen hin. Schonungslos berichtet die Autorin, wie solche subtile und permanente Gewalt eine Seele verändern kann. Welchen Schaden so ein Verhalten einrichtet.


    Sehr interessant ist auch die sprachliche Umsetzung des Romans. Es wird in zwei Strängen erzählt. In einem berichtet die Tochter über die Geschehnisse in der Familie, über die Gefühle und Stimmungen, die dort herrschen. In einem anderen Strang setzt sich die erwachsene Tochter mit der Vergangenheit auseinander, befragt ihre Mutter und sucht nach der Wurzel des Übels. Weitere Besonderheit der Erzählung ist die Hervorhebung bestimmter Begriffe, die kursiv gedrückt wurden, als typische Ausdrucksweise der Erwachsenen, die ein Kind nicht gleich einordnen kann. Ein sehr kluger Roman, der viele Gefühle hervorruft, und dem man im Großen und Ganzen sein Einverständnis geben muss.


    Die Geschichte ist real und könnte sich genauso zugetragen haben. "Die Lügen über meine Mutter", erzählt die ganze Wahrheit. Es wird nicht nur ein Drama in einem x-beliebigen Fall aufgezeichnet, sondern auch eine Beschreibung und Zeugnis der sozialen und gesellschaftlichen Geschichte.


    Hervorragender Roman, den ich uneingeschränkt weiterempfehlen würde.

    Für mich gilt jetzt nach weiteren Romanen der Autorin zu suchen. Daniela Dröscher ist eine sehr gute Erzählerin: intelligent und unterhaltsam.


    Ich hoffe, man merkt es meiner Rezension an, dass ich diesen Roman mit großem Vergnügen gelesen habe und würde mir ganz viele Leser für diese Geschichte wünschen.

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • Auf das Buch bin ich durch den Eat.Read.Sleep-Podcast aufmerksam geworden. Und auch meine Buchhändlerin des Vertrauens äußerte sich sehr positiv über das Buch. Nachdem ich es jetzt selbst gelesen habe, kann ich mich den positiven Stimmen nur anschließen. Das Buch ist mein erstes Jahreshighlight.


    Es hat mich emotional deutlich mehr mitgenommen, als ich erwartet hätte - und dabei bin ich in einer deutlich liberaleren Familienkonstellation aufgewachsen. Ich habe es bewundert, wie die Autorin ihre eigene Familiengeschichte erzählt hat und sich damit im Erwachsenenalter auseinandergesetzt hat. Ich habe aber genauso viel Bewunderung für ihre Mutter übrig. Die so lange in einem unglücklichen Leben ausgeharrt hat, so viel psychische Gewalt erfahren musste.

    Das Buch bietet viel Stoff zum Nachdenken. Ich werde das Buch jetzt an eine Kollegin weitergeben, die um einiges älter ist als ich. Und ich bin jetzt schon auf die Diskussion darüber gespannt. Definitiv ein Buch, dem ich viele viele Leser wünsche!

  • Daniela Dröscher hat heute Im Haus am Lützowplatz aus ihrem Roman gelesen.

    Den Livestream habe ich mir eben angesehen.

    Man kann das auch nachträglich noch sehen:


    https://www.youtube.com/@LiteraturhausBerlin


    Im Rahmen der Gruppenausstellung »The Bad Mother« liest die Schriftstellerin Daniela Dröscher aus ihrem Roman »Lügen über meine Mutter« und spricht mit Sonja Longolius über »schlechte Mütter«.