Johan Harstad: Auf frischer Tat

  • Die perfekte Enttäuschung


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    Im Klappentext dieses ersten Harstad-Romans seit dem furiosen „Max, Mischa & die Tet-Offensive“ (2015, hierzulande 2017) verspricht der deutsche Verlag „ein großes Lesevergnügen“. Es mag tatsächlich Leute geben, die die Lektüre dieses Buches als überdurchschnittliches Vergnügen empfinden, aber für jemanden, der sehnsüchtig auf den neuen Roman des hinreißenden norwegischen Erzählers gewartet hat, dessen Bücher sich wie gute Freunde anfühlen, ist es, als hätte man Karten für das Konzert einer coolen, engagierten Alternative-Rock-Band gekauft und bekommt nun experimentelle Polka vorgespielt, während die Band hinter einer transparenten Wand steht, nur als Schattenriss zu erkennen ist und sich offenbar gegenseitig die Haare schneidet.


    Harstad erzählt (das Verb ist nicht ganz zutreffend) in „Auf frischer Tat“ vom fiktiven Schriftsteller Frode Brandeggen, der ganze 44 Jahre alt wurde, und von dem zu Lebzeiten ein einziger Roman veröffentlicht wurde, nämlich „Konglomeratischer Atem“, eine vollständig ungenießbare Zweitausend-Seiten-Schwarte ohne Punkt, Komma, Handlung oder Thema. Da die Welt dieses Werk ignorierte und nur eine Handvoll Exemplare verkauft wurden, erblickte Brandeggens zweites Projekt, mit dem der glücklose Autor einerseits kommerziell erfolgreich zu werden gedachte und andererseits zugleich das Krimigenre revolutionieren wollte, vor dessen Tod nicht mehr das Licht der Buchhandlungen. Die Kürzestromane um den Ermittler Frisch dürfen wir jetzt lesen, fünfzehn an der Zahl sind es, sehr großzügig gesetzt auf den ersten 150 Seiten, von denen viele auch noch leer sind, schlicht Trennseiten darstellen oder nur einen einzigen Satz enthalten (Kapitel 2 von „Frisch und der glückliche Mörder“: „Der Täter hielt die rauchende Pistole noch in der Hand.“). Diese Krimis brechen mit wirklich allem, was erzählerisch, sprachlich, dramaturgisch und inhaltlich für das Genre oder Literatur ganz allgemein gilt. Sie sind banal, naiv, reduktionistisch, unglaubwürdig und unspannend – sie sind das Gegenteil dessen, was man erwarten würde.


    Im zweiten, deutlich umfangreicheren Teil des Romans, der kein Roman ist, finden wir die knapp 250 Endnoten, die ein (ebenfalls fiktiver) deutscher Literaturhistoriker namens Bruno Aigner zu Brandeggens Krimis verfasst hat. Hier wird die tragische Lebens- und Misserfolgsgeschichte von Frode Brandeggen erzählt, vor allem aber werden die Frisch-Krimis literaturwissenschaftlich bewertet. Johan Harstad spannt dabei einen weiten Bogen, der von den Anfängen der Dada-Szene bis zu den erfolgreichen, blutrünstigen und seitenmächtigen skandinavischen Krimis der letzten Jahrzehnte reicht, und die krassen Kurzromane werden frischwärts irgendwo dazwischen verortet. Während man diese klugen und teilweise sehr umfangreichen, manchmal aber auch nur ein einziges Wort („Hm.“) umfassenden Kommentare zu Texten liest (zuweilen mehrere davon pro Originalsatz), für die man selbst insgesamt nur ein Wort gewählt hätte („Ballaballa“), spielt Johan Harstad durchaus virtuos mit allem, was Literaturwahrnehmung ausmacht. Denn das ist das Thema von „Auf frischer Tat“. Und das ist, wenn man so will, auch perfekt gelungen. Während man die ganze Zeit über beim Lesen der Kommentare mit dem Mund ein stummes „Aber“ formt, breitet sich irgendwo im Hinterkopf flächige Zustimmung aus. Nichts davon und alles ist wahr; es gibt in der und für die Kunst keine absoluten Kategorien. Ja. Gut. Okay.


    Aber. Dieses witzige und geistreiche Spiel bleibt experimentelle Polka, und wenn man eigentlich fast händeringend auf einen neuen Buchfreund aus der Feder von Johan Harstad gewartet hat, könnte die Enttäuschung kaum größer sein. Nichts in „Auf frischer Tat“ hat auch nur in Näherung irgendwas mit dem Glücklichmachziegel „Max, Mischa …“ oder dem kaum weniger großartigen „Buzz Aldrin – wo warst Du in all dem Durcheinander“ gemein, und auch wenn natürlich jeder Autor jedes Recht hat, zu schreiben, was auch immer ihm beliebt, haben wir als Leser jedes Recht, uns davon zu recht ein wenig veralbert zu fühlen.


    ASIN/ISBN: 3498001418

  • Ich habe so etwas befürchtet, es mir aber natürlich trotzdem gekauft. Ich hätte lieber noch ein bisschen länger auf einen Roman gewartet, in dem ich hätte finden können, was Harstad mir als Leserin mit dem Glücklichmachziegel und Buzz Aldrin gegeben hat. Das ist wirklich sehr schade.

  • Eine Sache sollte nicht unerwähnt bleiben: Der Ermittler Frisch hat Wurstwasser für sich entdeckt, aber im Gegensatz zu meiner Figur aus "Die Wahrheit über Metting" nicht als Leckerei, sondern als Kosmetik. Das war mir dann doch sympathisch.

  • Eine Sache sollte nicht unerwähnt bleiben: Der Ermittler Frisch hat Wurstwasser für sich entdeckt, aber im Gegensatz zu meiner Figur aus "Die Wahrheit über Metting" nicht als Leckerei, sondern als Kosmetik. Das war mir dann doch sympathisch.

    Na, ich weiß nicht ... Etwas derart Wertvolles ins Gesicht zu klatschen, statt es zu trinken? Man reibt sich ja auch nicht mit Riesling ein.

  • Er nimmt es für die Hände, nicht fürs Gesicht.


    Und ich habe schon Leute gesehen, die sich mit Wein eingerieben haben. Ich möchte aber nicht ins Detail gehen müssen.

  • Franzbranntwein ist ein altes Einreibemittel zur Kühlung und Durchblutungsförderung

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Ich habe das Buch schon, habe auch schon reingelinst, insofern ist mir in etwa klar, was mich erwartet. Und ich freue mich selbst nach der Lektüre dieser Rezi auf dieses Experiment.


    Tom

    auch nach zweimaligem Lesen Deiner Rezi habe ich den Eindruck, dass Deine Sternevergabe lediglich Ausdruck Deiner enttäuschten Erwartungshaltung ist und nicht Würdigung der experimentellen Polka. Das kann ich zwar nachvollziehen, wird dem Buch aber gemäß Deinen Ausführungen nicht gerecht 8o

  • auch nach zweimaligem Lesen Deiner Rezi habe ich den Eindruck, dass Deine Sternevergabe lediglich Ausdruck Deiner enttäuschten Erwartungshaltung ist und nicht Würdigung der experimentellen Polka.

    Nein. Wenn es so wäre, hätte ich nur einen Stern vergeben.

    Ich halte die experimentelle Polka zwar für witzig und geistreich, jedenfalls hier und da, und das schrieb ich ja auch, aber unterm Strich fällt auch diese Abrechnung mit dem Literaturbetrieb und der Literaturkritik nicht gut genug aus, um das Mogeletikett "Roman" und die Streckung des Themas auf Romanlänge zu rechtfertigen, das sich auch auf 20 Seiten vortrefflich hätte abhandeln lassen. Und es ist tatsächlich oft mühselig und mehr als nur ein bisschen langweilig geworden.

    Wäre das nicht der neue Harstad-Roman, hätte ich vielleicht knappe zweieinhalb Sterne gegeben, also kaufmännisch gerundet so viele wie jetzt auch.