Bret Easton Ellis: The Shards

  • Scherbenhaufen


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    Seit Ellis‘ letztem Roman, dem Recycling-Rohrkrepierer „Imperial Bedrooms“, sind inzwischen mehr als zwölf Jahre vergangen. Der amerikanische Schriftsteller, der in der Breitenwahrnehmung nach wie vor auf seinen furiosen Erstling „Unter Null“ und, vor allem, das skandalöse „American Psycho“ reduziert wird, war allerdings nicht untätig; das war er nie. Ellis hat Serien konzipiert und Drehbücher für Spielfilme geschrieben, er war – und ist – bei „social media“ mehr als aktiv, und im Jahr 2019 erschienen seine wirklich lesenswerten vorläufigen Memoiren mit dem Titel „Weiß“. Aber die Literaturwelt hat sich trotzdem gefreut, als mit „The Shards“ („Die Scherben“) ein neuer Roman, gar ein Opus Magnum, und laut Klappentext nicht weniger als ein Meisterwerk angekündigt wurde.


    Das schon wieder in den Achtzigern spielt, schon wieder unter reichen Jugendlichen, die nur an Partys, Drogen, Sex, Musik und Outfits denken, schon wieder in L.A. angesiedelt ist und schon wieder mit einer ordentlichen Portion Gewalt daherkommt. Es ist mit knapp 750 Seiten recht lang, aber nicht ganz so lang wie etwa „Glamorama“ (1999, 770 Seiten), markiert also zumindest in dieser Beziehung kein Superlativ.


    Und es ist, mit Verlaub, lang-weilig. Ja, „The Shards“ ist stilistisch sehr viel besser, gereifter, stimmiger und präziser als das meiste, was Ellis in den letzten Jahrzehnten rausgetan hat, es ist verblüffend nuancenreich; der Ich-Erzähler (Bret Ellis) ist ein exzellenter Beobachter (schließlich wird er der Autor werden, der mit „Unter Null“ Erfolge feiert), aber nahezu sämtliche Szenen in diesem Wälzer mäandern in quälender Langsamkeit marginalen Höhepunkten entgegen, die erst im letzten Fünftel actionreicher werden und ihre Ausführlichkeit halbwegs rechtfertigen.


    Aber von vorne. Der Jetzt-Ellis hat seinen inneren Schweinehund in den Griff bekommen und kann im dritten Anlauf endlich von jenem Spätsommer und Herbst 1981 erzählen, eine Zeit, während derer schlimme Dinge passiert sind, die für alle Beteiligten lebensverändernde Wirkung hatten, wenn sie nicht direkt zum Tod führten. In jenem Jahr gehen der siebzehnjährige Ellis, die Schönen seines Jahrgangs und ihre Entourages auf die Buckley, eine private Edelschule in L.A., um von dort aus nach Beendigung des Abschlussjahres auf superteure Colleges zu wechseln. Bret Ellis und seine Freunde sehen durch die Bank super aus (Ellis‘ Freunde sind allerdings noch einen Hauch attraktiver als er selbst), sind Kinder sehr wohlhabender Eltern, genießen extreme Freiheiten, und ihr größtes Problem ist die Frage nach dem Outfit für die nächste Party. Sie nehmen Drogen und trinken und haben Sex und fahren in ihren Sportwagen vom Kino oder Club in die Mall oder nach Hause, wo sie auf weitläufigen Grundstücken in den Poolhäusern wohnen. Sie sind oberflächlich.


    So weit, so bekannt. Bis Robert Mallory auf den Plan tritt, der einfach noch besser aussieht als der Rest. Und in den sich unser Ich-Erzähler sofort verguckt, denn dieser Bret Ellis ist (wie der reale Bret Easton Ellis) homosexuell, jedoch nicht offen homosexuell, was in den frühen Achtzigern und im fraglichen Umfeld zum sofortigen sozialen Aus geführt hätte. Ellis verbirgt seine Neigungen, hat jedoch heimliche Affären mit zwei Schulkameraden, führt aber offiziell eine Beziehung mit der Filmproduzententochter Debbie. Er findet den Neuling allerdings nicht nur attraktiv, sondern auch geheimnisvoll, und verdächtigt ihn, in irgendeiner Verbindung zum „Trawler“ zu stehen, jenem Serienmörder, der zu jener Zeit sein bestialisches Unwesen treibt.


    Fraglos gelingt es Ellis perfekt, autobiografische Elemente, Autofiktion, reine Fiktion und das Spiel mit der Realität exzellent auszubalancieren, aber das macht der Mann schließlich seit vierzig Jahren, und irgendwann ist’s auch mal gut. Fraglos wird die Story am Ende spannend und ziemlich blutrünstig, aber auch hier hält sich der Erkenntnisgewinn – vorsichtig gesagt – in Grenzen. Fraglos ist „The Shards“ noch etwas besser und detaillierter und dichter als seine Vorgänger, was aber nichts daran ändert, dass dieselbe Geschichte zum dritten? fünften? achten? Mal permutiert wird. Die Motive, Figuren, Kulissen und Abläufe wirken ausgeleiert, nichtssagend, ermüdend.


    Das Absolvieren dieser dreivierteltausend Seiten hat seine guten Momente; Bret Easton Ellis ist ein kluger, sogar cleverer Chronist, wo nötig erschütternd lakonisch und dramaturgisch mehr als nur sattelfest. Das abgenutzte Setting vermag das aber auch nicht auszugleichen, und wenn man seinen Figuren zuhört und -schaut, muss man sich immer wieder in Erinnerung rufen, dass sie eigentlich erst siebzehn Jahre alt sein sollen. Sie fühlen sich oft genug wie Mitte dreißig an. Oder wie 57, was zufällig Ellis‘ Alter beim Verfassen von „The Shards“ war.

    Gäbe es all seine Vorgänger nicht, wäre das ein starker Roman, vielleicht sogar das Meisterwerk, was die Verlags-Marketingkläuse darin erkannt haben wollen, aber mit seinem literarischen Hintergrund ist „The Sharps“ leider nur ein aromatisierter Aufguss.


    ASIN/ISBN: 3462004824

  • Also ich fand es ( nach den ersten sechzig Seiten, erst dann kam der Sog) richtig gut. Es mag vielleicht nix wirklich Neues sein, aber das ist handwerklich einfach eins a und geht nicht besser.


    Ich kann schon sagen, dass ich BEE sehr für seine Kunst bewundere.

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Bret Easton Ellis neuer Roman ist nahezu genial, denn er beherrscht das Spiel zwischen Fiktion und Autobiografie wie kein anderer.

    Ich war in Köln bei einer Lesung von ihm und irgendwie setzte er dort dieses Spiel auf zunächst kaum bemerkte Art fort.

    Ich habe mich mich nicht in der kilometerlangen Signierschlange angestellt, denn natürlich habe ich von meinem alten Kumpel Bret längst ein älteres signiertes Buch. Dennoch bin ich mir jetzt nicht mehr so sicher. Ist er nicht doch der American Psycho? Fröstel!


    Davon mal abgesehen, schafft der Autor es, den Leser ganz nah an die Hauptfigur Bret Ellis heranzuziehen. Das „Easton“ fehlt, also ist sein Alibi gesichert.

    Man ist sich aber nie ganz sicher über die Figuren.


    Der Roman zeigt die US-amerikanischen Achtziger in all seine Facetten, den Orten, Songs und Filme.

    Vielleicht ist das Buch um die 100 Seiten zu lang, aber gelangweilt habe ich mich eigentlich nie.


    Man muss sich auf das Buch aber auch einlassen. Wenn man von Bret Easton Ellis früheren Romanen schon abgestumpft ist, kann man den Roman auch auslassen.


    10 Punkte von mir!

  • Ich bin/war auch ein Brett Easton Ellis Fan und habe nahezu alles gelesen. Glamorama, The Rules of Attraction und Unter Null waren meine Lieblinge. Aber ich hätte tatsächlich auch heutzutage keine Lust mehr, einen Neuaufguss des Alten zu lesen. Fände ich auch nicht mehr richtig zeitgemäß ehrlich gesagt. Ist/war schon eher die 90er.


    Daher werde ich "The Shards" wohl nicht lesen.

  • Meine Gedanken zu dem Roman:

    Bret Easton Ellis ist nach mehr als 12 Jahren wieder zurück und er wird von vielen Kritikern und Lesern gefeiert. Mit seinem skandalträchtigen Roman "American Psycho" wurde der Autor bekannt. Diesen Roman habe ich vor acht Jahren mit geringem Erfolg gelesen und wollte mir nun eine neue Möglichkeit geben, den Autor zu mögen. :D


    Dieses Werk wird von vielen als genial bezeichnet, und wurde von den Fans des Autors mit großer Spannung erwartet. Die Medienstimmen sind beinahe übereinstimmend in den Lobpreisungen. Obwohl sein Roman "American Psycho" auch reichlich Kritik auf sich bezog, scheint das Publikum bei diesem Roman milder gestimmt zu sein. Doch begeisterten Stimmen kann ich mich nicht anschließen. O:-)


    In einem ausführlichen Vorwort, das unbedingt lesenswert ist, versucht der Autor seine Beweggründe und die Motivation zu diesem Roman darzulegen. Er gibt bekannt, dass diese Geschichte zum Teil biografisch ist, zum Teil fiktional. Inwiefern, darf der Leser selbst entscheiden. Nach dem Vorwort geht es auch schon los. Berichtet wird in zwei Strängen: Die Geschehnisse des Jahres 1981 und Einblicke in die Gegenwart, außerdem gibt es Ausflüge in das Jahr 2006. In diesem Roman tritt der Autor selbst als Hauptdarsteller und als Erzähler auf. Es geht um den 17-jährigen Bret und seine verwöhnten Freunde, die alle Buckley-Eliteschule besuchen. Die Frage nach Geld stellt sich bei diesen Jugendlichen nicht. Die teuerste Kleidung, teuerste Autos und Partys gehören zum Alltag, ganze Clique ist nicht abgeneigt von Drogen und Alkohol, und nutzt jede Gelegenheit zu feiern. Selbstverständlich spielt auch Sex in diesem Roman eine übergeordnete Rolle. Während dieser beschriebenen Zeit hat ein Serienmörder in Los Angeles seinen Auftritt, was Bret beunruhigt, als der Traum seiner sexuellen Fantasien, ein geheimnisvoller neuer Freund dem zu Opfer fällt, fürchtet Bret um sein Leben. Es gibt Dramatik und Düsternis.


    Der Plot hätte auf jeden Fall spannend sein können, die Themen: Elitegesellschaft und Serienmörder stoßen in der Regel auf interessiertes Publikum. Und hier komme ich zu dem Punkt, der mich am meisten gestört hat. Der Autor beschreibt zu ausführlich und verliert sich in Details. Die Partys sind eine wahre Fundgrube, um die Seiten zu füllen: Drogen, Koks, Tranquilizer, Gras, Alkohol, dabei wichtig zu nennen welcher genau, Kleidungsmarken. Nicht zu vergessen welche Musik auf den Partys oder im Auto spielt, alle werden mit dem Titel benannt. Und nun kommen wir zu der Umgebung: Jede Straße, jede Ecke, Kreuzung werden unbedingt ausgeführt. Und das bei einem Buch mit dem Umfang über 730 Seiten. Dabei wäre es so schön, eine intensivere Handlung zu verfolgen, und mehr Charaktertiefe in der Darstellung der Protagonisten zu lesen. Es gibt sicherlich Leser, die dies alles bis zu dem kleinsten Detail wissen möchten, ich gehöre nicht dazu. Lokalkolorit hin oder her, das war mir zu viel. Diese detaillierten Beschreibungen und Benennungen spielten im Prinzip gar keine bedeutende Rolle, denn dass die Jugendliche gern mit Drogen, Sex und Alkohol ihr Leben füllten, hat der Leser von der ersten Seiten an, begriffen. Man könnte natürlich argumentieren, dass diese Themen den Kern dieses Romans ausmachen, doch es war einfach zu viel des Guten.


    In der Beschreibung zu diesem Roman habe ich dieses Zitat gelesen: Fesselnd, raffiniert, spannend, eindringlich und oft düster-komisch – »The Shards« ist ein unnachahmliches Meisterwerk. Da muss ich leider widersprechen, für mich traf keines von der begeisterten Beschreibungen zu. Im Prinzip ist es die gleiche Geschichte, die der Autor schon mal in seinen Werken erzählt hat, nur etwas variiert. Dennoch bin ich sehr froh, das Buch gelesen zu haben. Wenn etwas solche Wellen schlägt, möchte ich dabei sein, und mir selbst ein Bild machen. Ich würde das Buch gern weiterempfehlen, da ich mir sicher bin, dass es Leser gibt, die den Roman tatsächlich für geniale Literatur halten würden. Von mir gibt es eine durchschnittliche Bewertung: 7 von 10 Sterne.

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • Diese detaillierten Beschreibungen und Benennungen spielten im Prinzip gar keine bedeutende Rolle

    Doch, eine schon. Sie sollen zeigen, wie die erzählende Hauptfigur ihre Welt wahrnimmt. Sie unterstreichen diese extrem starke Äußerlichkeit und die Oberflächlichkeit, die das gesamte Personal in "The Shards" und allen Vorgängern mit sich herumtragen. Aber, und da stimme ich Dir zu - das ermüdet leider.

  • Tom Da stimme ich dir zu, dass die in dem Roman eine Rolle spielen, hätte mich deutlicher ausdrücken sollen. Für mich persönlich haben diese Details absolut keine gewinnbringende Rolle. Ich weiß nur, dass es Leser gibt, die auf solche Details achten und es auch gut finden. Da bin ich raus.:schnarch

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • Ich kenne nicht jeden Roman von Ellis und daher war für mich The Shards erst der erste Aufguss von Less Than Zero und American Psycho und ich war sehr angetan von diesem Buch, denn das Spiel mit Autofiktion beherrscht Ellis hier perfekt. Der Roman ist extrem raffiniert gebaut. Der Roman hat übrigens kein Vorwort, sondern eine Rahmenhandlung, die in der Gegenwart spielt, die aber natürlich Teil dieses Spiels ist. Überhaupt wundert es mich wie wortwörtlich der Roman oft gelesen wird. Der Roman ist mit so einem Schalk geschrieben, natürlich sind nicht um Ellis herum, Menschen links und rechts von einem Massenmörder abgeschlachtet worden, aber genau dieser Mix von Less Than Zero Setting auf der einen Seite und diesen mörderischen American Psycho Elementen auf der anderen, hat mir unglaublich gut gefallen.


    Dieses Spiel muss einem natürlich gefallen, um das Buch genießen zu können. Als reiner Thriller funktioniert der Roman natürlich nicht und natürlich hätte man gut hundert Seiten streichen können. Über die Länge erzeugt aber Ellis aber ein Zeitportrait über die popkulturellen Referenzen und auch die Wiederholungen tragen dazu bei, dass der Erzähler immer unzuverlässiger erscheint.


    Was natürlich auch sehr Geschmacksache ist, ist die Selbstbezogenheit von Ellis. Ist er ein Narzisst? Ja, sowas von, aber das passt in das Gesamtkonzept.