'Die Dolmetscherin' - Seiten 254 - 347

  • Ich nehm mal die Diskussion über Verdrängen aus dem letzten Abschnitt hier mit rein. Und auch @streifis Post:

    Zitat

    Ich bin ja auch eher ein Mensch, der sein Leben stark reflektiert, daher tu ich mir mit den Verdrängern vermutlich auch so schwer. Hat alles seine Vor- und Nachteile. Am Ende kann man das auch nicht so wirklich bewerten, ich habe in dieser Zeit nicht gelebt und kann gar nicht abschätzen wie ich mich damals verhalten hätte.

    :writeIch bin auch jemand, der viel über sich selber reflektiert, merke aber immer wieder, dass ich oft zu sehr nachgrüble, ob das was ich gesagt/getan habe jetzt "richtig" war. Das ist oft kontraproduktiv. Ein gesunder Mittelweg ist - wie so oft - auch hier wohl das Beste. Durchaus Nachdenken über eigenes Tun - aber dann auch mal wieder gut sein lassen und "sich selbst verzeihen".


    Irgendwo im Buch steht als Nebensatz, Leo schätzt an Asta ihre unendliche Ehrlichkeit, sich selbst und anderen gegenüber. Das fand ich sehr schön und sehr treffend :love: und gerade deswegen passen die beiden für mich so gut zusammen. Aufarbeiten der Vergangenheit geht viel leichter, wenn man ein Gegenüber hat, mit dem in die Tiefe gehen kann und nicht bei oberflächlichem Blabla stehen bleibt. Das erfordert neben Offenheit auch unendlich viel Vertrauen und es ist grandios, wenn man so einen Menschen hat.

    Das ging mir auch so. Sie hätte eine riesige Schuld auf sich geladen. ...


    Richtig stark, dass sich Asta dazu entschließt, die Wahrheit zu sagen. Mal sehen, wie jetzt das Buch ausgeht.

    Abgesehen davon, dass ich eure Beiträge hier nur :write kann, finde ich diese Episode gerade auch im Hinblick auf die diskutierte Schuldfrage sehr interessant. Asta erfährt hier am eigenen Leib, wie schnell man zum Bösen verführt/genötigt werden kann. Und dass man gegen seinen ausdrücklichen Willen mitmacht (zumindest eine Zeit lang), wenn die eigenen Lieben in Gefahr sind. Dieses "wenn du es nicht machst, macht es eben ein anderer (also es passiert auf alle Fälle)" taucht ja im Verhör nochmal auf. Da ging es leider nicht gut aus. Aber es zeigt eben auch, dass nicht immer alles schwarz/weiß ist.


    Asta kommt zum Glück gerade noch rechtzeitig zur Einsicht und es ist sehr mutig und klug, dass sie sich Jackson anvertraut. Auch wenn mir die Befreiung von Leo dann etwas schnell und unkompliziert passiert. Und auch sie muss ja seltsamerweise gar keine Konsequenzen befürchten, da hätte ich mir durchaus etwas mehr Spannung gewünscht.


    Ist aber wahrscheinlich kein Platz dafür, denn es passiert ja wirklich sehr sehr viel in diesem Abschnitt. Für mich hätte es tatsächlich ein bisschen weniger auch getan, auch wenn ich nachvollziehen kann, dass Kürzen bei so vielen interessanten historischen Details extrem schwer sein muss.


    Ach ja - dass Leo Asta als Schutzschild mitnimmt, fand ich gut. Nicht für Asta natürlich, aber für uns als Leser. :-]Zeigt es doch, dass Leo auch was riskiert, um seine Ziele zu erreichen und dabei nicht immer "sympathisch" handelt. Aber das macht ihn (zumindest für mich) mehrdimensional und interessanter!

    „Wer nur Menschen um sich herum haben will, die einem in allen gleichen, lebt bald schon in einer verdammt kleinen Welt.“ Nicole Wellemin, Das Echo der Moore, Piper 2025

  • Ich war ja froh, dass sie sich entschieden hat von Schlabrendorff doch nicht umzubringen.

    [...]

    Auch das Geständnis für die Russen gearbeitet zu haben und zwar freiwillig. Am Ende aber ein kluger Schachzug.


    Bei diesen Szenen habe ich am Ende auch regelrecht aufgeatmet. Wie gut, dass Asta doch noch mal bei von Schlabrendorff nachgefasst hat! Ihre Idee mit der Spinne ist zwar durchschaut worden, aber letztlich hat auch von Schlabrendorff gut reagiert, so dass sie bei Jackson vorsprechen konnte. Und es war richtig und wichti, dass sie mit der Sprache rausgerückt ist und ihre Einbindung in die unterschiedlichen Geheimdienste dargelegt hat. Das hätte für sie natürlich leicht im Gefängnis enden können, aber Jackson hat sich hier als besonnener Mann gezeigt. Und für Asta hatte es ein Gutes, dass sie nicht mehr erpressbar war von beiden Seiten.


    Dass Leo Asta als Tarnung benutzt, finde ich unmöglich. Er setzt zum einen ihr Leben der Gefahr aus und zum anderen muss er wissen, dass sie das ihren Job kosten könnte.

    Da hat's mich auch geschüttelt - zum Glück sind die beiden da (dank Astas Sonderstatus) mehr oder weniger unbehelligt aus dieser Situation rausgekommen...

  • Irgendwo im Buch steht als Nebensatz, Leo schätzt an Asta ihre unendliche Ehrlichkeit, sich selbst und anderen gegenüber. Das fand ich sehr schön und sehr treffend :love: und gerade deswegen passen die beiden für mich so gut zusammen. Aufarbeiten der Vergangenheit geht viel leichter, wenn man ein Gegenüber hat, mit dem in die Tiefe gehen kann und nicht bei oberflächlichem Blabla stehen bleibt. Das erfordert neben Offenheit auch unendlich viel Vertrauen und es ist grandios, wenn man so einen Menschen hat.

    Nicht nur Aufarbeiten der Vergangenheit, sondern auch sonst das Leben meistern. Leo und Asta können sich wohl auch deswegen auf Augenhöhe begegnen, weil Asta mitten im Leben steht und weiß, was sie will. SIe ist keine, der man die Richtung vorgeben muss, sondern hat eine Vorstellung davon, wie sie ihr Leben leben will und wird.

  • Nicht nur Aufarbeiten der Vergangenheit, sondern auch sonst das Leben meistern. Leo und Asta können sich wohl auch deswegen auf Augenhöhe begegnen, weil Asta mitten im Leben steht und weiß, was sie will. SIe ist keine, der man die Richtung vorgeben muss, sondern hat eine Vorstellung davon, wie sie ihr Leben leben will und wird.

    Das sehe ich genauso. Und das ist auch ein Grund, warum sie so viel beser zu Leo passt als Charlotte.

  • In diesem Abschnitt fand ich insbesondere die Szenen mit Robert berührend.


    Er ist kein Rauhbein, fühlt sich sehr verloren in seiner Welt. Das Zwiegespräch mit der Katze macht das deutlich.


    Und auch sein Sinn für Recht und Unrecht. In der Szene, in der er sich bei Leo beklagt, dass Horst ihn zum Stehlen schickt, finde ich es stark, wie Leo Horst nicht gleich schlecht macht, sondern die Situation für seinen Sohn einordnet. Und dass er kleine Diebstähle für den eigenen Bedarf als "in Ordnung" einstuft ("Wenn du stiehlst, weil du Hunger hast, ist es in Ordnung.") - "fringsen" nannten das die Kölner (nach Kardinal Frings, der in seiner Silvesterpredigt 1946 Ähnliches wie Leo gesagt hat).


    Als Robert mit Luisa gemeinsam spielt und die Gegend sozusagen mit kindlichen Augen erkundet, hat mir gut gefallen, mit wie viel Phantasie die beiden unterwegs sind. Die beiden haben keine überbordenden Regale voller Spielzeug, sondern können nur auf ihre eigenen ausgedachten Geschichten zurückgreifen - und trotzdem in diesen Momenten glücklich sein. Vielleicht sogar glücklicher, als es die Tiktok-Generation mit vollen Terminkalendern und allem Überfluss heutzutage zu sein vermag.

    Robert hat ganz recht, wenn er darüber nachdenkt, dass die Kinder den Erwachsenen wieder zeigen müssen, wie man glücklich ist.

  • Ach ja, das "fringsen". :grin Ich denke, es gab damals viele Menschen, die nur deshalb durchkamen, weil ihnen ab und an mal was "direkt vom Laster vor die Füße gefallen ist". Und ich denke, die Menschen damals haben das getan, weil sie keine andere Wahl hatten.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)