Daniel Kehlmann - Die Vermessung der Welt

  • O Mann, Jay, das hätte ich mal früher wissen müssen. Dann wäre ich auf dich zugekommen. Mir hat's großartig gefallen.


    Zusammenfassung:


    Im Umbruch vom achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert beginnen zwei Männer, Alexander von Humboldt und Carl Friedrich Gauß, jeder auf seine Weise mit ihrem Unternehmen, sich die Welt untertan zu machen, indem sie ihren Geheimnissen auf die Spur kommen - nur, um von dieser sich ständig verändernden Welt regelmäßig überrollt zu werden.


    Persönliche Meinung:


    Bis jetzt ganz klar mein Lesehighlight 2012. Warum bin ich eigentlich so lange um dieses Buch herumgeschlichen? Ich habe mich selten beim Lesen so gut amüsiert. Und wer hätte gedacht, daß 300 Seiten angefüllt mit indirekter Rede so herrlich zu lesen sein können?


    Wie die beiden Genies ihre jeweiligen Unternehmungen angehen und sich mit ihrer Umgebung auseinandersetzen, war spannend, zum Ende hin wehmütig und auf beste Art "respektlos" erzählt: alle menschlichen Schwächen und Schrullen gnadenlos ans Licht gezerrt und dem Gelächter des Lesers ausgesetzt, aber ohne daß man je die Hochachtung vor der persönlichen Leistung und die Zuneigung zu den Figuren verliert.
    Weil das öfter angesprochen wurde: Mir persönlich war der permanent schlecht gelaunte, aber dafür ehrliche Gauß, der die Menschheit für eine Horde Trottel und Barbaren hält, lieber als der halb naiv-weltfremde, halb skrupellose und ständig auf Lob und Zuspruch angewiesene Humboldt. Wobei ich beide, bei allen Charaktermängeln, trotzdem liebevoll und liebenswert beschrieben fand.
    Auch das letzte Kapitel um Eugen war für mich schön zu lesen und wichtig! Der Schößling, der zu wachsen beginnt, sobald er aus dem Schatten des übermächtigen Baumes kommt, von dem er abstammt. Und der natürlich prompt in eine völlig ungeplante Richtung wuchert.
    Das Ganze wird getragen von der wunderbar lakonischen Sprache Kehlmanns. Boah, kann der weglassen! :grin Selten so herrliche, trockene Schilderungen gelesen. Daß alle Dialoge in indirekter Rede wiedergegeben werden, ist ein netter Gag, der den Effekt noch erhöht.


    Kurz und gut, mein Leseplan ist über den Haufen geworfen, jetzt wird erst noch mindestens ein Kehlmann eingeschoben.


    Glatte zehn Punkte. Ganz genau "meins". :-]

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

  • Mir hat dieses kleine Büchlein gut gefallen.
    Der Schreibstil Kehlmanns ist wirklich toll, wunderbar ironisch, mit vielen Anekdoten gespickt und stellt die Geschichte und Lebensweise der beiden Forscher sehr lebendig dar.
    Ich fand das Werk von Gauß und Humboldt sehr beeindruckend und faszinierend, zugleich waren beide schräge Charaktere mit allen möglichen Eigenheiten. Insgesamt war diese menschliche Darstellung sehr amüsant zu lesen.
    Mit dem Ende konnte ich mich nicht besonders anfreunden, weil ich es unpassend finde, dass Eugen den Abschluss bildet...
    Realität und Fiktion verschwimmen in diesem Buch, ein Nachwort vom Autor wäre schön gewesen.
    Nichtsdestotrotz ein zu empfehlendes Lesevergnügen!
    Von mir gibt's 8/10 Punkten.

  • Weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben


    Irgendetwas muss an diesem Stoff dran sein, der das Schicksal zweier großer Männer der deutschen Geschichte, die im Jahr 1828 beginnt, thematisiert und diesen Roman im Jahr 2005 in die Bestsellerlisten katapultierte.
    Acht Jahre danach fällt mir dieser Stoff auf dringende Empfehlung in meine Hände und hatte ich mich bislang gesperrt, mich für eine fiktive Geschichte um Alexander von Humboldt und Johann Gauß zu interessieren, so bekam dieser Stoff jetzt eine Chance.
    Nach gut sechzig Seiten stellt sich bisher keine Leseeuphorie ein, Gauß und von Humboldt bleiben seltsam fern und die lakonische Sprache, auf die das Feuilleton immer wieder zu sprechen kam, suche ich vergeblich.
    Kehlmanns Stil, der die indirekte Rede konsequent durchhält, mag ein pfiffiger Kunstgriff sein und dem Roman ein besondere Note verleihen, meines Erachtens nimmt er dem Stoff jedoch jegliche Lebendigkeit und Frische, um den Leser kraftvoll zu unterhalten. Weder die Beschreibungen über von Humboldts Besessenheit jeden Tag etwas Neues zu lernen und zu entdecken noch der Aufbruch von Spanien in die Tropen lassen etwas der Leidenschaft und Abenteuerlust des Forschers erkennen, der sich Nacht für Nacht um den Schlaf bringt.


    Kein Zweifel besteht darin, dass Daniel Kehlmann für diesen Roman intensiv recherchiert hat und die Ergebnisse in seiner Arbeit unterbringen wollte.
    So besteht "Die Vermessung der Welt" aus einer Fülle an Informationen, die nur wenig glücklich in die Erzählung eingebunden werden; in Verbindung mit der indirekten Rede wirkt der Roman daher träge und leblos.


    Nach gut sechzig Seiten erhält der Roman heute Abend eine letzte Chance, mich davon zu überzeugen, dass eine inhaltliche, emotionale und stilistische Steigerung möglich ist.


    Edit:
    Nach weiteren dreißig Seiten habe ich den Roman nun endgültig aufgegeben.

  • Mir haben viele Leute dieses Buch empfohlen, und ich habe es mir vor zwei Jahren gekauft. Leider hatte ich beim Lesen das Gefühl, etwa bei Seite 80 auf eine Mauer zu stoßen, die ich nicht überwinden konnte. Ich habe es immer wieder beiseite gelegt und kam dann irgendwann mal gar nicht mehr weiter. Schade, denn eigentlich habe ich nur Gutes über das Buch gelesen. Ich fand dann vor ein paar Monaten den Kurzgeschichtenband "Ruhm" von Kehlmann, der mich jedoch total gefesselt hat.
    Mal sehen, vielleicht schau ich mir die Verfilmung der "Vermessung der Welt" an.

  • Wenn du mit dem Buch nichts anfangen konntest, wird es dir mit dem Film kaum besser ergehen. Denn eigentlich versucht der Film die Art des Buches mit den eigenen, visuellen Mitteln nachzubilden. Ein Unterfangen, das für mich sehr gut gelungen ist.


    Ich bin froh, dass es keine allgemeingültige Definition "guter" und "schlechter" Literatur gibt. Und ich hab auch kein Problem damit, dass andere mit diesem teilweise recht spröden Stück Literatur nicht all zu viel anzufangen wissen. Was mich ärgert ist, wenn Begriffe fallen wie "überschätzt" oder "unterschätzt". Diejenigen, die solche Begriffe verwenden streben danach, ihre eigene, ganz private Ansicht auf eine übergeordnete Ebene zu stellen. Wer hat denn bitteschön das Recht zu bewerten, was in der öffentlichen Meinung angemessen und was unangemessen bewertet ist?



    Salonlöwin , du redest von einem "Stoff". Was genau meinst du damit? Es ging hier doch nicht darum, einen allgemein bekannten historischen Sachverhalt darzustellen. Die Fiktion von Kehlmann ist kein Material, das herumlag und darauf wartete, in angemessener Art und Weise "runtergeschrieben" zu werden.


    "Die Vermessung der Welt" ist Kehlmanns ureigenste Schöpfung. Die historischen Figuren Gauss und Humboldt werden von ihm völlig neu erschaffen in einem Kontext, der keiner historischen Prüfung genügt und dies auch gar nicht will. Statt dessen entsteht auf lediglich gut 200 Seiten ein Universum von philosophischen Ideen, feinen ironischen Anspielungen. Das ganze mit diesen beiden Figuren, die schonungslos von ihrem Sockel geholt werden, aber trotz (oder vielleicht gerade wegen) ihrer menschlichen Unbedarftheit nicht weniger Respekt verdienen.


    Aber wie schon gesagt, die Wahrnehmung von Literatur ist immer individuell und das ist auch gut so. :wave

  • Zitat

    Original von arter
    Ich bin froh, dass es keine allgemeingültige Definition "guter" und "schlechter" Literatur gibt. Und ich hab auch kein Problem damit, dass andere mit diesem teilweise recht spröden Stück Literatur nicht all zu viel anzufangen wissen. Was mich ärgert ist, wenn Begriffe fallen wie "überschätzt" oder "unterschätzt". Diejenigen, die solche Begriffe verwenden streben danach, ihre eigene, ganz private Ansicht auf eine übergeordnete Ebene zu stellen.


    Wenn jemand etwas für "überschätzt" oder auch "unterschätzt" hält - so handelt es sich dabei in meinen Augen um eine völlig legitime Meinungsäußerung. Und ich denke nicht, dass jemand der eine Sache für überschätzt hält, damit seine ureigenste private Ansicht zum Maß aller Dinge machen will. Ich sehe in einer solchen Aussage auch kein Präjudiz für eine Meinungsführerschaft.


    Zustimmen möchte ich dir bezüglich einer glücklicherweise fehlenden Definition in puncto "guter" und "schlechter" Literatur. Da muss jeder für sich eine Entscheidung treffen was gut oder was schlecht ist.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Hallo arter,


    Zitat

    Original von arter: Salonlöwin , du redest von einem "Stoff". Was genau meinst du damit? Es ging hier doch nicht darum, einen allgemein bekannten historischen Sachverhalt darzustellen. Die Fiktion von Kehlmann ist kein Material, das herumlag und darauf wartete, in angemessener Art und Weise "runtergeschrieben" zu werden.


    gemeint war vielmehr die Idee zu diesem Buch. Die Eingebung, das Schicksal zweier großer historischer Persönlichkeiten zu einer fiktiven Geschichte zu verbinden, halte ich für probat. Dennoch denke ich, dass Kehlmann sich an seiner eigenen Idee verhoben hat.
    Als mir diese Lektüre, die ich eigentlich nie lesen wollte, empfohlen wurde, bin ich mit gemischten Gefühlen ans Lesen gegangen. Durch die Medien und die Empfehlung an mich wurden einerseits Erwartungen geweckt; andererseits war ich leseerfahren genug, um die Qualität von Bestsellern einschätzen zu können.
    Die Geschichte hat eine faire Chance erhalten und ich bedaure es sehr, dass die Figuren mich nicht angesprochen, nicht gerührt haben, sondern mir gänzlich gleichgültig waren.


    Zitat

    Original von arter: "Die Vermessung der Welt" ist Kehlmanns ureigenste Schöpfung. Die historischen Figuren Gauss und Humboldt werden von ihm völlig neu erschaffen in einem Kontext, der keiner historischen Prüfung genügt und dies auch gar nicht will. Statt dessen entsteht auf lediglich gut 200 Seiten ein Universum von philosophischen Ideen, feinen ironischen Anspielungen. Das ganze mit diesen beiden Figuren, die schonungslos von ihrem Sockel geholt werden, aber trotz (oder vielleicht gerade wegen) ihrer menschlichen Unbedarftheit nicht weniger Respekt verdienen.


    Ansprüche an historische Genauigkeit habe ich an die Handlung nicht gestellt, auch wenn ich überzeugt davon bin, dass Kehlmann intensiv recherchiert hat.
    Entscheidend für meinen Leseabbruch war der Umstand, dass ich weder eine emotionale noch eine geistige Beziehung zu diesem Roman aufgebaut habe.

  • Die Protagonisten sind wunderbar gezeichnet. Nämlich so, wie man sich Genies eigentlich vorstellt: im eigenen Kopf gefangen und außerhalb ihres Spezialgebietes völlig lebensuntüchtig. Egozentrisch bis zur Rücksichtslosigkeit und lieblos der Umgebung gegenüber.


    Kehlmann hat hier was ganz Feines produziert. Auch wenn der Humor manchmal auch ins Derbe oder ins Zynische abgleitet. Ab und zu wird die Handlung derart absurd, dass man nur fassungslos den Kopf schütteln kann. Aber diese Absurdität wirkt gleichzeitig authentisch. Eben durch die beiden Genies, die... siehe oben.


    Ein Buch zum Lachen, Staunen, Genießen und Verschenken...

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde