Ich gebe zu, daß ich das Buch wegen des Covers vom Tisch genommen habe, diese Farbtöpfchen sind einfach unwiderstehlich. Der Titel, so zwischen flapsig und gestelzt, gab den Ausschlag zum Mitnehmen. Die Angaben auf der Rückseite, worum es so geht in dem Buch, überflog ich auf dem Weg zur Kasse. ‚Wird schon was sein’, dachte ich.
Es ist auch was. Bloß was genau es ist, habe ich bis jetzt nicht herausgefunden.
Die Autorin kannte ich nicht. Sie wurde 1970 geboren und ist Journalistin, verriet mir der Verlag, mit Artikeln so zwischen EMMA und der FAZ. Also von allem etwas, eher dem Zeitgeist entlang, Richtung ernsthaft. Ein Sachbuch hat sie bereits geschrieben über die Befindlichkeit junger Frauen in Deutschland, nun versucht sie sich literarisch.
Der Untertitel lautet: Eine Erzählung. Das fand ich sympathisch, eine, die nicht gleich Roman-Ansprüche stellt.
Erzählt wird von Simone. Sie ist Kosmetikerin, stammt aus der tiefsten Provinz, interessiert sich nicht besonders für Politik oder Kultur oder überhaupt etwas, das über den Rand von Frauenzeitschriften hinausreicht. Sie betrachtet das Leben, wenn sie es betrachtet, ganz naiv. Für ihren Beruf allerdings ist sie äußerst begabt und da entwickelt sie auch Ehrgeiz. Überdies hat sie das dumpfe Gefühl, daß es mehr geben muß als das ländliche geprägte Tal, aus dem sie stammt. Also, auf in die große Stadt, in eine eigene Wohnung, in ein neues Leben. So neu und anders muß das sein, daß Simone sich unter großen Mühen sogar den heimatlichen Dialekt abtrainiert. Auch einen neuen Namen gibt sie sich: Mona. Mit einer Stelle in einem noblen Beauty-Salon im Untergeschoß einer Einkaufspassage scheint der entscheidende Schritt geschafft. Ehe sie es sich versieht, trifft sie auch das Glück: im Behandlungsstuhl nimmt eines Tages ein junger Mann Platz. Und was für einer! Ein Mann von Welt. das merkt sie sofort. Denn er redet. Nicht vom Wetter, von Mode oder den Kosmetikprodukten. Nein, er spricht über Kultur. Und Politik. Und Philosophie. In Sätzen, die so schön geschmiedet sind, daß sie Simone-Mona, vorkommen, als seien sie aus einer anderen Welt, einer besseren, der wahren Welt. Was das Schönste ist: er richtet diese wunderbaren Sätze an sie!
Das muß doch etwas bedeuten? Die Antwort hat sie schnell gefunden: Liebe muß das sein. Allerdings findet sie sich, so wie ist ist, keineswegs gut genug für ihn. Das muß sich ändern. Da der wunderbare Mann Journalist ist, kauft sie ab sofort täglich ‚seine’ Zeitung, ein dickes, gewichtiges Blatt, und studiert sie von vorne bis hinten. Sie lernt sie förmlich auswendig, vor allem die Artikel, die er geschrieben hat. Sie versteht zunächst kein Wort, ein Fremdwörterbuch muß her. So langsam kommt sie dahinter. Welten tun sich auf. Und eines Tages wagt sie tatsächlich, dem Geisteshelden auf dem Stuhl eine echt intellektuelle Antwort zu geben. Das Ergebnis ist anders als erhofft.
Hier beginnen die im Titel angekündigten Herzschmerzen und sie werden bleiben.
Es ist die sehr modern gefaßte Version der Pygmalion-Geschichte, wobei Galatea sich für diesmal selbst erzieht. Sie will Pygmalion gleichwertig werden und bemerkt überhaupt nicht, daß sie einen egozentrischen Hohlkopf vor sich hat. Das ist nicht ganz neu, hat aber neue, nämlich zeitgemäße Aspekte.
Es ist gar nicht schlecht geschrieben. Am besten liest es sich, wenn die Autorin vergißt, daß sie ‚Literatur’ schreiben will. Glücklicherweise vergißt sie es oft. Denkt sie daran, dann werden die Sätze sehr lang, Satzteil fügt sich an Satzteil, nur noch vornehm durch Kommata getrennt. Der proletarische Punkt darf sich nur ganz weit hinten niederlassen. Dann wird auch viel doppelt gesagt, dann wird gedrechselt und leider nicht immer nur dann, wenn der Protagonist zu Wort kommt. Hin und wieder verirren sich Saloppheiten, ‚giggeln’ z.B., ‚Putzer’ für den Putzmann oder Wortschöpfungen wie ‚Vorspielgewitter’ für die Art Wetter, wenn es gewittern will, aber nicht richtig rummst. Illustriert wird die seelische Lage Simone-Monas überhaupt häufig durch Beschreibungen des Wetters, so hat auch der Titel seinen Sinn.
Letztlich bleibt aber alles im Vagen, die Personen, die Handlung, so, wie das Wetter. Gelblich, unfarben, weichlich. Nach zwei Drittel habe ich mich ernsthaft gefragt, worauf das denn nun hinausläuft. Landmädchen in der Großstadt? Beziehungsschwierigkeit unter Singles? Illusionen junger Frauen? Klassen – bzw. Bildungskonflikte? Satire auf Feuilletonisten? Die leeren Versprechungen der Kosmetikindustrie? Das Wetter in Großstädten des Rhein-Main-Gebiets?
Es hat von allem etwas. Wahrscheinlich zuviel. Oder zu wenig? Die durchgängig personale Erzählhaltung wirkt auf Dauer distanziert und distanzierend. Alles ist mild, verzögert, schaumgebremst. Es geht um Illusionen, aber diese wiederum scheinen in Seifenblasen vor einem her zu schweben, auf und ab und irgendwie.
Die Geschichte hat was, wie man heute sagt, aber ich hatte den Schlüssel nicht dazu.
Fortschreitende Herzschmerzen bei milden 18 Grad – Katja Kullmann
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Ich habe das Gefühl, deine Rezension liest sich deutlich besser als das Buch. Auch wenn das Thema dieser unerfüllten Liebe und besonders der Charakter des egozentrischen Feuilletonisten mir ganz interessant erscheint.
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Waldfee,
es liest sich gut, das Büchlein.
Es ist was dran, ich fürchte aber, es einfach nicht zu Ende gedacht. Es zerfasert. Zu 'Literatur' gehört eben nicht bloß stilistisches Vermögen, sondern auch Kopf.Vielleicht bin ich auch bloß zu alt für junge Hüpfer Jahrgang '70!
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Magali, Du gefährdest meinen Geldbeutel mit Deinen Rezensionen!
Erinnerst mich an Bücher, die ich mal lesen wollte (Manon Lescaut) und hältst mir welche vor die Nase, über die ich bisher noch nicht einmal nachdenken wollte (Herzschmerzen). P. Morsbach hört sich auch gut an.
Trotzdem: tolle Rezis!Liebe Grüße
Solas
(junger Hüpfer :grin)
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Nooooooooon, je ne regrette rien,
No, je ne regrette rien.
Ni le bon, ni le mal,
tout cela, ça m’est bien égale!
Non, je ne...
magali (alte Sünderin :lache)Natürlich blutet mein Herz für Euch alle!
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Zitat
Original von magali
Vielleicht bin ich auch bloß zu alt für junge Hüpfer Jahrgang '70!watt soll datt denn heißen? hä?
mein lieblingswort aus deiner rezi: schaumgebremst!
bo
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Zitat
Original von magali
Natürlich blutet mein Herz für Euch alle!bevor das hier ernsthaft gefährlich wird.
Ich liebe deine Rezis, magali!
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Ach du Sch.... das wird eng. Mr. Spock hat die letzte Blutspendeaktion geschwänzt. Die Vorräte sind aus.
Je suis désolée! Pas larme de sangre verde!
Halt durch!!!
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Ächz, stööööhn.
Gut, daß noch ein bißchen Weißwein übrig war zum Spargel,
das stärkt! -
Magali, du bist einmalig!
Wenn das Buch nur 25 % so gut ist wie deine Rezension, dann kauf ich es mir.Du solltest das Rezensieren zu deinem Beruf machen, ehrlich, auf dem Gebiet würdest du ein Superstar werden. Einen Reich-Ranicki steckst du doch so in die Hosentasche.
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ich weiß ja nicht, ich wollte nicht unbedingt Begeisterungsstürme für das Buch auslösen, eher, nun, Vorbehalte?
Ich glaube, ich mach was falsch!
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Bei mir ist beim Lesen Deiner Rezi eher ein skeptisches Gefühl aufgekommen. Also ich lasse die Finger von dem Buch, es gibt soviel gute Bücher, da kann ich mir dieses ersparen.
Aber deine Renzensionen sind wirklich klasse, nur, mir würden sie noch besser gefallen, wenn Du hin und wieder einen Absatz einbauen würdest
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@Geli
wird notiert.
Kommt in Lektion zwei.Ich übe doch grad Punkt! Wenn ich loslege, sind meine Sätze in der Regel doppelt so lang wie die von Frau Kullmann.
Ich kann es Dir aber mal leihen, allerdings ist es grad unterwegs zu Ines.
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auf den SUB schielend... Okee, meld Dich, wenn es wieder da ist, hat aber Zeit.
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So, nun habe ich dieses Buch auch gelesen. Und es hat mich auf eine merkwürdige Art verärgert. Dann habe ich eine ganze Zeit lang gebraucht, um meinen Ärger in Worte zu fassen. Jetzt habe ich es noch immer nicht geschafft, aber zumindest eine Ahnung:
Dieses Buch ist nicht anständig.
Die Autorin gibt ihre Figuren der Lächerlichkeit preis. Wie gern hätte ich mit Mona gefühlt! Oder mich von ihr abgegrenzt. Aber dies gestattet die Autorin nicht. Sie macht ihre Figuren lächerlich. Sowohl die Heldin, als auch den Helden. Das ärgert mich. Das nenne ich unanständig. Die Autorin scheint ihre Figuren ganz und gar nicht zu mögen. Sie macht sich nicht die Mühe, sie zu verstehen. Sie ist hämisch, sie verhöhnt die Figuren.
Auch ein Autor braucht einen - wie soll ich es nennen - literarischen Anstand. Er muss stets dafür sorgen, dass seine Figuren ihr Gesicht wahren. Er kann sie abscheulich zeichnen, Monster aus ihnen machen, ihnen alles Schlechte der Welt angedeihen lassen - aber er darf sie niemals lächerlich machen. Er kann sie in lächerliche Situationen geraten lassen, aber eben nicht lächerlich machen. Das ist ein Unterschied!
Nicht gefallen hat mir die zudem die Veränderung Monas vom Dorftrampel zur Pseudointellektuellen. Auch diese plötzliche Weltgewandheit ist eine lächerliche Pose, zudem ein Bruch in der Figur, der für mich nicht nachvollziehbar, nicht logisch war.Fazit: Für mich ist "Herzschmerzen bei fortschreitenden milden 18 Grad" ein zynisches Buch, das ich lieber nicht gelesen hätte.
Ich habe das Buch von Magali bekommen und gebe es sehr gern an Interessierte weiter, die mir gern per PN ihre Adresse mailen können. Allerdings bin ich vom 20. bis zum 27. Mai in den Ferien und kann es erst danach verschicken.
Edit: Nun habe ich nach Katja Kullman und den Herzschmerzen gegoogelt, einige Rezensionen dazu gelesen und festgestellt, dass ich mit meiner Meinung ganz allein bin.
Also, liebe Eulen, die Gefahr, dass ich mich getäuscht habe, ist ziemlich groß. Möglicherweise habe ich auch etwas ganz und gar falsch verstanden.
Wer sich wirklich für das Buch interessiert, sollte vielleicht auch erst googeln. -
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Zitat
Original von magali
Aber, 'tschuldschung, falsche Farbe.
Ich hab doch diese spitzen Ohren.
GRÜN, bitte, Idgie, G R Ü N.
Der Frau kann geholfen werden!Hoffentlich ist es noch nicht zu spät ...
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GERETTET!!!
Uff.
Danke, Iris.
Ich trinke meine Weiße nur grün, weißt DuUnd ich dachte schon, Du wolltest die Kullmann lesen!
*magali atmet heftig aus und hofft, daß sich ihr herzschlag wieder beruhigt*
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Nur keine Bange! Nachdem ich deinen Kommentar gelesen hatte, war mir eh nicht mehr danach. Aber Ines' Anmerkungen haben mich restlos überzeugt, daß mein Leben für dieses Büchlein zu kurz ist ...