J.M. Coetzee - Schande

  • Inhalt:


    David Lurie ist 52 Jahre alt, weißer Südafrikaner, 2 x geschieden, eigentlich Universitätsprofessor für klassische und moderne Sprachen, unterrichtet aufgrund Rationalisierungsmaßnahmen nunmehr eher lieblos und unengagiert das Fach „Kommunikation“. Er hat Probleme mit dem Altern und sucht immer die Bestätigung, dass er auch für junge Frauen noch begehrenswert ist. Er beginnt eine Affäre mit einer seiner Studentinnen, Melanie. Das Mädchen weist ihn vorerst zurück, David Lurie bleibt hartnäckig und spielt auch seine Macht als Professor aus und kriegt sie ins Bett.
    Die Affäre fliegt auf, David Lurie muss sich vor einer Disziplinärkommission wegen Vergewaltigung verantworten. Aus welchen Gründen auch immer bleibt unerwähnt, David Lurie anerkennt die Schuld ohne sich zu rechtfertigen und wird suspendiert.


    Er verlässt Kapstadt und besucht seine mittlerweile erwachsene Tochter Lucy, die in Salem ein „Aussteigerleben“ führt. Sie bewirtschaftet eine kleine Farm, lebt vom Verkauf des Gemüses und der Blumen und betreibt nebenbei auch ein Asyl für herrenlose und kranke Hunde. David Lurie hat große Probleme mit der Lebensführung seiner Tochter, hätte er sich doch ein „besseres“ Leben für sie gewünscht, und es ihr auch ermöglicht. Lucy aber ist selbstbewusst und hat nicht leichtfertig dieses Leben gewählt.


    Eines Tages werden sie von 3 Schwarzen überfallen, die Hunde werden von ihnen erschossen, David wird eingesperrt , Lucy wird vergewaltigt, das Auto wird gestohlen. Nach diesem Vorfall kommen die verschiedenen Lebenshaltungen von Lurie und seiner Tochter so richtig zum Vorschein. Während Lurie mit aller Gewalt versucht, die Täter zu finden und angemessen zu bestrafen, akzeptiert Lucy die Gesetze der Wirklichkeit und reagiert ganz unverständlich.


    J.M. Coetzee


    Geb. am 9. Februar 1940 in Kapstadt, studierte dort Englisch und Mathematik, war in England als Programmierer für IBM tätig, kehrte 1972 nach Südafrika zurück, wo er an der Universität von Kapstadt lehrte. Seit 2002 lebt er in Adelaide, Australien.


    Coetzee wurde als erster Autor 2 Mal mit dem Booker-Prize ausgezeichnet. (1983 für „Leben und Zeit des Michael K., 1999 für „Schande“).


    2003 erhielt Coetzee den Nobelpreis für Literatur. („stellt in zahlreichen Verkleidungen die überrumpelnde Teilhabe des Außenseitertums dar“).


    Meine Meinung


    Das Buch ist in sehr klarer, schnörkelloser, einfacher Sprache und absolut wertfrei und distanziert geschrieben. Nichtsdestotrotz geht es tief unter die Haut.
    Es ist fast unmöglich, sämtliche im Buch gestreiften Themen und Problematiken anzusprechen.
    Vorherrschend – obwohl nie direkt erwähnt – geht es um die aktuelle Situation in Südafrika. Die Weißen ernten nun die „Früchte“ ihrer Apartheid-Politik, das Blatt hat sich gewendet. Es herrscht Chaos, Angst, Gewalt und die Polizei ist machtlos.


    Es geht aber auch um Ehre und Moral, um das Älterwerden, um Opfer und Täter, um Recht und Unrecht, um Schuld, um Toleranz und Akzeptanz, um Macht und Unterwerfung, um Tierschutz und nicht zuletzt um Lord Byron, über den der Professor eigentlich sein „Lebenswerk“ in Form eines Opern-Librettos schreiben wollte.


    Das Buch hat mich gerade wegen dieser Vielschichtigkeit und den vielen Denkanstößen sehr angesprochen.

  • Hallo Jersey,


    ich habe "Schande" vor einigen Jahren gelesen, als Coetzee damit den Literaturnobelpreis gewann.


    Zitat

    Original von Jersey Das Buch hat mich gerade wegen dieser Vielschichtigkeit und den vielen Denkanstößen sehr angesprochen.


    Die Themenfülle in diesem Werk ist in der Tat beeindruckend.


    Interessant war auch das unterschiedliche Verhalten von Lurie und seiner Tochter auf den Überfall.


    Zudem konnte man das zur Zeit herrschende gesellschaftliche Klima in Südafrika nach dem Fall der Apartheid quasi durch das Lesen einatmen. Es wurde also sehr anschaulich beschrieben...


    Trotzdem weiß ich, daß mir das gewisse Etwas im Buch gefehlt hat. Vielleicht war es aber auch bloß die Betroffenheit über die schier ausweglose politische Situation dort...


    Ein Lesetip ist es aber allemal.


    :wave

  • Meine Meinung:


    Literaturprofessor Daniel Lurie stolpert über eine unbedachte Affäre mit einer Studentin, die das Aus für seine Karriere bedeutet. Obwohl er die Möglichkeit hat, zu den Vorwürfen Stellung zu beziehen und ihm angedeutet wird, dass die Angelegenheit mit Umsicht behandelt werden könnte, nimmt er dieses Angebot nicht an. Er verweigert den Ausdruck von Reue und zieht sich lieber auf die Farm seiner Tochter zurück. Als diese Opfer eines brutalen Verbrechens wird, vor dem er sie nicht schützen kann, sind beide von "Schande" gezeichnet. Ähnlich wie er wählt sie ihren eigenen Weg, mit der Situation umzugehen, ähnlich wie er will sie kein Federlesen, sondern schottet sich ab und will das Erlebte alleine mit sich ausmachen. Lurie kann und will dies nicht akzeptieren, doch letztendlich muss er ihren Willen akzeptieren.


    Was nüchtern und distanziert beginnt, entwickelt sich im Laufe der Seiten in ein menschliches Drama, bei dem deutlich wird, wie sehr beide Protagonisten in ihren Gefühlen und ihrem Handeln gefangen sind. Beide kommen mit Schande in Berührung, der Vater als Täter, die Tochter als Opfer, und trotz ihrer beider Stigmatisierung finden sie nicht zueinander. Coetzee verarbeitet einige politische (z.B. Apartheid) und poetische (z.B. Oper) Themen in seinem mit dem Booker Price ausgezeichneten Roman, die noch lange nachwirken und doch für die Protagonisten und für den Leser zunächst nur ein Mosaiksteinchen ihres Lebens sind. Das Gesamtbild, das dabei entworfen wird, ist tragisch, nicht zuletzt aufgrund der menschlichen Fehlbarkeit, die durch das Verhalten aller Figuren hindurchscheint. Ein intensives Buch über Moral, Angst, Vertrauen und Isolation und den Umgang mit den eigenen Wünschen und Bedürfnissen.


    P.S.: Das Buch ist auch Teil der Spiegel Edition Bestseller:

  • Coetzee schreibt in klarer Sprache, sehr nüchtern und auch in den Szenen, in denen die Emotionen der Protagonisten überkochen, hält er sich, was die Sprache betrifft, zurück. Dieser Stil hat mir gut gefallen; einen Autor, der so distanziert schreibt, und der mich trotzdem so mitreißt, habe ich vorher noch nicht gelesen. Trotz der Nüchternheit hat das Buch mich in seinen Bann gezogen, ich konnte es nicht mehr weglegen, weil ich wissen wollte, was mit David Lurie und seiner Tochter geschieht, vor allem, welche Entscheidungen die beiden für ihre Zukunft treffen werden.


    Der Roman wertet nicht, er wirft Fragen auf und stellt Probleme dar, die mich ratlos zurückgelassen haben. Wie das Verhalten der Tochter nach der Vergewaltigung, eigentlich kaum nachvollziehbar - warum handelt sie so? Sie scheint nicht aus ihrer Haut zu können. Trotz der schwierigen Situation wirkt das Ende des Buches nicht hoffnungslos. Es ist genauso wie der Rest des Romans: nüchtern, kühl und irgendwie unaufdränglich, weil Coetzee es dem Leser überlässt, selbst zu urteilen - wobei ich gemerkt habe, dass es mir nicht gelungen ist, überhaupt ein Urteil zu fällen.

  • Jetzt habe ich "Schande" auch gelesen. Die Sprache und der Stil haben mir gut gefallen. Aber jetzt sitze ich doch ziemlich ratlos hier! Ich kann das Verhalten der Tochter nicht im Ansatz verstehen. Und der Schluss, als David den kranken Hund "aufgab", hat mir die Tränen in die Augen getrieben. Es waren überhaupt einige Stellen in dem Buch, die mir sehr unter die Haut gegangen sind.
    Coetzees Buch wird morgen Thema unseres Lesekreises sein, ich bin sehr gespannt, was die anderen Teilnehmer sagen werden...