Sturmflut - Margriet de Moor

  • Originaltitel: De verdronkene (2005)


    Die Flutkatastrophe vom 1 Februar 1953 ist vielen Niederländern noch im Gedächtnis. Damals sorgte eine Kombination aus Springflut und Nordweststurm dafür, daß an vielen Stellen die Deiche durchbrachen und ganze Landstriche in den Küstprovinzen überschwemmt wurden. Ein großer Teil der Provinz Zeeland wurde sogar mit dem Erdboden gleich gemacht.
    Die See eroberte in nur einer einzigen Nacht 175.000 Hektar Land, 1836 Menschen kamen ums Leben, ca. 72.000 verloren ihre Häuser.


    Margriet de Moors Buch beginnt am Vorabend dieser Katastrophe. Zwei Amsterdammer Schwestern tauschen Rollen: Lidy, die ältere, verheiratet mit Kind, fährt an Stelle ihrer Schwester nach Zierikzee, um ein Patenkind zu besuchen. Sie kommt nie mehr zurück.


    Obwohl ihre Leiche nicht gefunden wird, nimmt Armanda, die jüngere Schwester, den Platz von Lidy ein und heiratet den „Witwer“.


    Mein zweites Buch von Margriet de Moor innerhalb kürzester Zeit, obwohl bei der Entstehung fast 10 Jahre dazwischen liegen.
    Anfreunden mit dem ziemlich distanzierten Schreibstil von der Schriftstellerin kann ich mich zwar noch immer nicht so richtig, aber Mevrouw de Moor hat hier gute Arbeit geleistet und vortrefflich recherchiert. Alle Achtung!


    Meine Gefühle zum Inhalt sind ambivalent, ich finde das Ganze packend und abstoßend zugleich. Vielleicht liegt das auch an den Personen. Die Geschichte wird abwechselnd aus der Perspektive der beiden Schwestern erzählt und reicht zeitlich gesehen von 1953 bis heute.
    Lidy, eine sympathische Frau, die nüchtern und fast gleichgültig mit der drohenden Katastrophe umgeht, Armanda, eher unsympathisch, einfältig, charakterlos, die ganz in der Rolle der Schwester aufgeht.


    Fazit:
    Wer mehr über die Flutkatastrophe von 1953 erfahren will, auch über die Hintergründe und Nachwirkungen, empfehle ich dieses Buch.

  • Ich habe dieses Buch gestern beendet.

    Zitat

    Lidy, eine sympathische Frau, die nüchtern und fast gleichgültig mit der drohenden Katastrophe umgeht, Armanda, eher unsympathisch, einfältig, charakterlos, die ganz in der Rolle der Schwester aufgeht.


    Über diese Gleichgültigkeit im Angesicht des nahenden Todes habe ich mich auch gewundert und mich gefragt, wie glaubwürdig das ist..
    Armanda sehe ich etwas anders. Offenbar hatte sie den Mann ihrer Schwester zuerst gekannt und man kann nicht behaupten, sie hätte sich ihm an den Hals geworfen. Obwohl sie in ihn verliebt war und von ihrer Schwester das Kind quasi anvertraut bekam, wurde die beziehung zu ihrem Schwager erst enger, als man davon ausgehen musste, dass Lidy ums Leben gekommen war.
    Außerdem setzt sie sich bis zu ihrem eigenen Tod immer wieder mit dem Gedanken auseinander, eigentlich das Leben ihrer Schwester zu leben und von dieser "ausgefüllt" zu sein.
    Ihrer Nichte Nadja ist sie eine gute "Mutter", die Beziehung ist sogar enger als zu ihren leiblichen Kindern.

  • Seit geraumer Zeit bin ich um dieses Buch herumgeschlichen, unschlüssig, ob's "was sein könnte". Nun habe ich es gelesen und bin mir wieder nicht ganz sicher, was ich nun eigentlich von dem Buch halten soll.


    Obwohl Lidy durch die Sturmflut soviel früher stirbt als ihre Schwester Armanda, begleitet Lidys Handlungsfaden den Leser genau so lang wie der von Armanda. Es war beim Lesen etwas merkwürdig - während Armandas Leben über Jahrzehnte hinweg geschildert wird, werden gleichzeitig Lidys letzten Tage sehr ausführlich geschildert. Als Leser wird man zwischen den Zeiten hin- und hergeworfen, allerdings ist es nicht schwer, den Überblick zu behalten. Mir persönlich hat der "Lidy-Teil" des Romans deutlich besser gefallen. Die Autorin verknüpft hier eine sehr ausführliche Recherche mit einem Einzelschicksal, welches sie sehr ausführlich und eindringlich beschreibt, ohne dabei gefühlsduselig zu werden. Für mich war es eine ganz eigene Erfahrung, den Überlebenskampf Lidys zu lesen, denn obwohl der tragische Ausgang bekannt ist, fiebert der Leser unwillkürlich mit. Ich habe bis zum Ende mit Lidy gehofft und bin noch heute berührt von den poetischen Bildern, die Margriet de Moor gefunden hat, um Lidys Sterben zu schildern.


    Mit Armanda bin ich nicht recht warm geworden, anfangs war ich erschüttert über ihre Gefühlskälte - erst Jahre später konnte sie um die Schwester trauern - später dann fiel es mir schwer zu verstehen, warum sie ihre Schwester so wenig loslassen konnte, dass sie letztendlich stellvertretend für Lidy deren Leben führen musste.
    Fasziniert hat es mich, wie die Autorin diese Verwebung der beiden Lebensläufe der Schwestern bis zum Ende durchgehalten hat und wie sehr der Aufbau des Romans den Inhalt widerspiegelt. Das habe ich bisher noch nicht so oft bewusst wahrgenommen und das hat mir außerordentlich gut gefallen.

  • Ich habe das Buch heute fertig gelesen.


    Lidy war mir von Anfang an sympathisch und auch ich habe bis zum Schluss gehofft, dass sie doch noch irgendwie gerettet wird.


    Armanda hab ich auch gerne gelesen, nur hat mich gestört, dass sie den Tausch der Schwestern von Anfang an falsch begründet hat. Nicht Lidy wollte unbedingt mal wieder Auto fahren, sondern Armanda wollte unbedingt auf die Party und hat Lidy überredet. Erst ganz am Schluss gibt Armanda nochmal zu, wie es wirklich war.


    Insgesamt ließ sich das Buch ganz gut lesen. Es war für mich ein guter Einstieg nach langer Lese-Abstinenz.

  • Margriet de Moor: Sturmflut
    dtv 2008. 352 Seiten
    ISBN-13: 978-3423136358. 9,90€


    Die Schwestern Lidy und Armanda sind Anfang 20, Armanda wohnt noch im Haushalt der Eltern, Lidy mit Ehemann Sjoerd und Tochter Nadja nur ein paar Häuser weiter. Während düster wirkende Andeutungen und eine Hochwasserwarnung im Radio ein nahendes Orkantief ahnen lassen, fährt Lidy zu einem Kindergeburtstag auf der niederländischen Insel Schouwen, die kleine Nadja wird von den Großeltern und von ihrer Tante betreut. Lidy nimmt den Wetterumschwung und das auffällige Verhalten von ein paar flüchtenden Hasen zwar wahr, Überflutungen sind jedoch an der niederländischen Küste so alltäglich, dass sie sich nicht weiter sorgt. Der Roman wird aus der Perspektive des allwissenden Erzählers zeitlich versetzt erzählt. Während auf einer Erzählebene die Angehörigen in Amsterdam von der Jahrhunderflut erfahren, Lidy vermisst melden und schließlich für tot erklären lassen, folgt die andere Ebene Lidy noch immer auf ihrer Flucht vor dem Wasser. In Amsterdam heiratet Armanda Sjoerd, nun offiziell Witwer, in den sie als junges Mädchen ebenso verliebt war wie Lidy, und wird Nadjas Stiefmutter. Das Kind weiß, das es eine Mama und eine Mutter hat. Solange Lidys Leiche trotz intensiver Suche nicht gefunden wird, wäre es theoretisch denkbar, dass sie irgendwo in den Niederlanden noch lebt und sich an ihre Familie in Amsterdam nicht erinnern kann oder will. Jahrzehnte vergehen, Lidy und Sjoerd sind inzwischen Eltern von zwei weiteren Kindern, Nadja ist erwachsen und berufstätig. Erst am Schluss erfährt man als Leser, was Lidy in dieser Winternacht 1953 passierte.


    Die unglücklichen Folgen des Rollentauschs der beiden Schwestern haben auf mich wie eine "unerhörte Begebenheit" gewirkt. Sjoerd und Armanda leben nach Libys Verschwinden eine Ehe auf Abruf, im Ungewissen darüber, ob Liby wirklich durch die Sturmflut ums Leben gekommen ist. Das nicht unkomplizierte Verhältnis der Schwestern ist unter diesen Bedingungen kaum zu klären. Bis zum letzten Kapitel habe ich der Aufklärung von Libys Schicksal entgegengefiebert. Spannung erzeugt Margriet de Moor mit eingeschobenen Wetterbeobachtungen. So sorgen sich die Leser schon frühzeitig um Liby, während die Romanfiguren die heraufziehende Katastrophe noch mit routiniertem Blick auf die nahenden Wassermassen ignorieren. Mit welchen Mitteln die Autorin die Beunruhigung ihrer Leser erreicht, wirkt nicht weniger spannend als die Ereignisse an der niederländischen Küste. Mit den ambivalenten Gefühlen der Angehörigen einer vermissten Person konnte ich mich leicht identifizieren und fand den Roman mitsamt seinem historischen Hintergrund spannend und raffiniert angelegt.


    8 von 10 Punkten