Iris Kammerer - Wolf und Adler

  • Weil sich offenbar niemand traut, wage ich mich jetzt mal an die Rezension ... :grin


    Klappentext
    Die Legionen am Rhein sind unruhig. Sie wollen endlich gegen Arminius in den Kampf ziehen. Denn die Cherusker haben die symbolträchtigen Legionsadler der Römer im Zuge der Varusschlacht entweiht und geraubt. Germanicus, der Statthalter für Kaiser Tiberius, will die Schmach der Niederlage rächen und die Adler zurückholen. Dabei ist ihm sein Offizier Gaius Cinna besonders wichtig. Doch Cinna muss sich schon bald fragen, ob er seinem Feldherrn die Treue halten kann.


    Autorin
    Fall es hier jemanden gibt, der Iris nicht kennt, der möge bitte hier entlang gehen. :lache


    Meine Meinung
    Endlich ein Wiedersehen mit Cinna und Sunja - darauf mussten wir lange warten, aber es hat sich gelohnt. Auch dieser Band ist wieder glänzend und detailgetreu recherchiert. Charlie brachte es bereits auf den Punkt: Ein prachtvoller Roman.


    Dieses Buch ist sicher das, in dem Cinna das Meiste abverlangt wurde, daher fand ich es durchaus passend, dass es allein seine Sicht war, aus der der Leser die Handlung begleitet hat. Konfliktstoff bot schon die Tatsache, dass Cinna immer in Gefahr stand, zwischen den Interessen Germanicus' und der Familie seiner Frau zu stehen, hinzu kommt die stetige Erinnerung an sein verlorenes Erbe. Außerdem muss er sich mit Ereignissen aus seiner Vergangenheit auseinandersetzen, die er verdrängt gewähnt, und die ihn eingeholt haben.


    Nicht nur die bis ins kleinste Detail stimmige Handlung fesselt, sondern auch, dass Iris Kammerer es schafft, den Leser förmlich in die Epoche hineinzuziehen. Mit beinahe schlafwandlerischer Sicherheit bewegt sie sich in der Zeit, in der ihr Roman spielt. Ein Buch, das zu Recht als krönender Abschluss bezeichnet werden kann.

  • Im Großen und Ganzen kann ich mich den Worten von Laila nur anschließen. "Wolf und Adler" ist wahrlich ein krönender Abschluß für die Trilogie rund um Cinna und Sunja.


    Sowohl sprachlich als auch inhaltlich war das Buch auf gewohnt sehr hohem Niveau. Alles hat genau gepasst. Kein Zeichen und kein Buchstabe zu viel oder zuwenig.


    Nochdazu gelang Iris mit diesen Büchern den Lesern die Bedeutung der Geschichte vorzuführen, dass man mit dem Abstand der Zeit aus den Fehlern der Geschichte lernen könnte und so hat dieses Buch auch eine erschreckende politische Aktualität, ohne in irgendeiner Form belehrend daraufhin offen darauf zuzeigen.


    10 Punkte

  • Ich mag mich nicht direkt in die Lorbeerenverteiler einreihen und verteile auch nur 8 Punkte. :yikes


    Beruhigt euch, ich erkläre mich ja schon:


    Erstmal viel es mir schwer mich wieder auf Cinna und die seinen einzulassen, eben weil sehr viel Zeit zwischen dem zweiten und dritten Band vergangen ist und weil ich die Namensgebung einfach schrecklich chaotisch finde. Jajaja, ich weiß, da kann unsere Iris nichts für, aber ich blätter nun mal schrecklich ungern zur Personenliste und hier habe ich halt ständig Inguiotar und Inguiomer und wie sie alle heißen durcheinander gewürfelt.
    Außerdem hat es mich ein wenig gestört, daß zwischen den germanischen und den römischen Namen hin und her gesprungen wurde... mal hieß er Ermanamer mal Arminius (Für Schreibfehler kann ich nichts... :chen ).


    Die Geschichte an sich ist natürlich wieder spannend und mitreißend und gefühlvoll.
    War sie mir auch an ein oder anderer Stelle ein bißchen zu kämpferisch und blutig, um dann an anderer Stelle auf Samtpfoten daher zu schleichen, wo ich mir ein paar ordentliche Krallen gewünscht hätte.


    Sprachlich war ich auch wieder mal angenehm überrascht und auch die männliche Sichtweise gelingt Iris wie immer glaubhaft und überzeugend.


    Ein bißchen traurig bin ich, daß es mit Cinna nicht mehr weitergehen soll und für mich persönlich war das Buch ein wenig zu kurz, einiges hätte ich gerne noch gewußt. ( Siehe Leserunde )


    Wie immer positiv die intensive Recherchearbeit und das detailgetreue Wiedergeben des Lebens der damaligen Zeit, ist noch lobend hervorzuheben....


    Ich wurde gut unterhalten und hatte Spaß beim Lesen, allerdings war dies für mich eindeutig der schwächste der drei Cinnas, darum gibts auch nur 8 Punkte. :(

  • Ich habe „Wolf und Adler“ ziemlich schnell verschlungen, es las sich praktisch von alleine und alle meine offenen Fragen wurden beantwortet, besonders die zu Androkleos. ;-) Im Vergleich zu „Der Tribun“ habe ich es sowohl sprachlich als auch inhaltlich als glatter und kommerzieller empfunden, wobei es jetzt natürlich auch schon eine Weile her ist, dass ich den Tribun gelesen habe und ich mich vielleicht auch einfach weiter entwickelt habe. Ich war sehr froh, dass es diesmal nicht, wie in „Die Schwerter des Tiberius“, für die weibliche Leserschaft eine zusätzliche Erzählperspektive aus Sunjas Sicht gab, und dass beide - Sunja und Saldir - nur kleinere Rollen hatten. Etwas seltsam fand ich, dass Saldir…


    [sp]…im besten heiratsfähigen Alter mit ihrem griechischen Pädagogen auf Bildungsreise geht. War das damals möglich und wer soll sie danach noch heiraten?[/sp]


    Insgesamt hat es mich gut unterhalten und es gefiel mir besser als „Die Schwerter des Tiberius“, aber nicht so gut wie „Der Tribun“ und deshalb habe ich es mit 8 Punkten bewertet.

  • Zuallererst möchte ich mich wirklich entschuldigen: Ich hatte mich schon so lange auf die Leserunde zum Buch gefreut und war eigentlich kaum aktiv präsent, habe nur immer mal wieder nachgelesen. Da ich aber seit Wochen extremen Streß habe, hatte ich generell kaum Muße zum Lesen.


    Heute aber konnte ich nun endlich in einem Rutsch mehr als das halbe Buch auf ex durchlesen :-] und ich bin begeistert. Wie ja inzwischen nun wirklich fast jeder weiß, fallen historische Romane nicht in mein Beuteschema. Wenn ich dann aber doch mal einen in die Hand nehme, sollte er so sein wie die Bücher von Iris.


    Intelligent geschrieben, mit starken Charakteren und Szenen, die so bildhaft sind, daß vor meinem geistigen Auge ständig ein Film abläuft. Und so ganz nebenbei, ganz ohne erhobenen Zeigefinger, erfährt man auch noch ganz viel über die Sitten und Gebräuche jener Zeit. Das gefällt mir!


    Iris schreibt darüberhinaus in einer Sprache, die zu lesen mir einfach Freude bereitet. Schön! Da kann ich doch ganz locker darüber hinwegsehen, daß ich gelegentlich mal den einen oder anderen Namen vertauschte. Es sind aber auch zuviele. ;-) Schön ist auch, daß zum Ende der Trilogie auch die losen Fäden verknüpft wurden, ohne daß dies gewollt wirkt.


    Wer sich anspruchsvoll historisch unterhalten will, dem kann ich die Trilogie um Cinna nur ans Herz legen. Klasse Unterhaltung, selbst für mich alten Historienbanausen. :chen

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Ich habe Iris' Buch nun endlich auch gekauft und zwar in einem kleinen feinen Buchladen auf dem Marsfeld gegenüber der Marc-Aurel-Säule in Rom. :grin Irgendwie erschien es mir sehr passend, und vielleicht freut es die Iris ja, dass man ihr Buch in Rom kaufen kann?! :-) Ich habe auch auf einer schönen Wiese auf dem Aventin schon angefangen es zu lesen. Meine Meinung schreibe ich dann,w enn ich fertig bin, aber bis jetzt gefällt es mir sehr gut.

  • So fertig! Viel zu schnell, ich hätte gerne noch weitergelesen! Ein wunderbares Buch, vielleicht das beste der Trilogie und auf jeden Fall besser als "Der Pfaffenkönig"... und wie gesagt, die einzige Kritik, die ich habe: Es ist zu kurz!! Damit meine ich nicht das Ende und die offenen Fragen, sondern mitten im Buch gab es einige Szenen, die ich mir ausführlicher gewünscht hätte.
    Naja, was solls, danke Iris :anbet für ein großartiges Lesevergnügen!

  • Zitat

    Original von Jeanne
    So fertig! Viel zu schnell, ich hätte gerne noch weitergelesen! Ein wunderbares Buch, vielleicht das beste der Trilogie und auf jeden Fall besser als "Der Pfaffenkönig"... und wie gesagt, die einzige Kritik, die ich habe: Es ist zu kurz!!


    Lies es doch einfach noch ein zweites Mal! ;-)

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Zitat

    Original von Batcat
    Lies es doch einfach noch ein zweites Mal! ;-)


    Ja, ich werde diese Reihe sicher noch ein zweites Mal lesen. Aber erst muss wieder ein bisschen Zeit vergehen und dann fange ich auch beim ersten an ;-)

  • Hallo, ihr Lieben!


    Ein arg verspätetes Dankeschön an alle! :anbet


    Delphin, die zweite Perspektive in Die Schwerter des Tiberius war keineswegs eine Konzession an die Leihbibliotheken, sondern ergab sich aus der Entwicklung der Handlung. Sunjas Leben im Lagerdorf mag dich nicht interessiert haben, weil es eine weibliche Figur ist und das inflationäre Auftreten von Heroinen dich (nicht nur dich!) nervt. Aber da ihre Schwierigkeiten für Cinnas Geschichte virulent waren, wurde es nötig, hier mehr Hintergründe zu bringen.
    Was Wolf und Adler gab es in allen griechischen Akademien seit deren Gründungszeiten Studentinnen und später auch aus Familien mit römischem Bürgerrecht. Berichtet wird ebenfalls von Kindern aus "skythischem" Adel ("skythisch" war für die Griechen alles, was nördlich der Alpen lag).
    Ich hatte eigentlich erwartet, dass du mich besser kennst. :kumpel


    Jeanne, dass man meine Bücher auch in Rom kriegt, finde ich fantastisch. okay, ich weiß von Gran Canaria und Indien (den Ort hab ich schon wieder vergessen ?(), aber im Herzen des römischen Reiches ... Das ist schon eine besondere Ehre! :strahl
    Schön, dass es dir obendrein gefallen hat. :knuddel1


    Batty, einen lieben Gruß ins Flederkatzoleum! :rofl


    Gastredner, ich entschuldige mich fürs eventuelle schlafrauben -- gelobe aber keine Besserung! :chen

  • Zitat

    Original von Iris
    Jeanne, dass man meine Bücher auch in Rom kriegt, finde ich fantastisch. okay, ich weiß von Gran Canaria und Indien (den Ort hab ich schon wieder vergessen ?(), aber im Herzen des römischen Reiches ... Das ist schon eine besondere Ehre! :strahl


    Ja, das dachte ich mir doch, dass dir das gefallen würde :-) Hehe. :-]

  • Vor einigen Tagen schon habe ich das Buch ausgelesen; eine angemessene Rezi werde ich jedoch nicht zustande bekommen. Am Ende des Buches fühlte ich mich, nachdem ich Cinna & Co über einige Jahre ihres Lebens hinweg begleitet hatte, einerseits so ausgelaugt, daß mir die Worte ausgegangen sind. Andererseits - bis auf zwei Punkte, die gleich kommen - so zufrieden und innerlich ruhig, daß ich auch aus diesem Grund sprachlos geworden bin.


    Die beiden erwähnten Punkte beziehen sich auf das Ende.


    Längen konnte ich in dem Buch übrigens nicht ausmachen; auch nicht zu viele Schlachtenschilderungen. Wenn ich ein Buch über die Kriege des Germanicus lese, muß ich wissen, daß eben genau das vorkommt und thematisiert wird: Krieg, Schlacht und alles, was damit zusammenhängt. Das geschah hier in einer Weise, die ich als erträglich empfand und mir keine Alpträume bereitete. Wie schon im „Varus“ hatte ich das Gefühl, daß die Würde der Toten gewahrt wurde und es eben nicht darauf ankam, möglichst viel Blut aus dem Buch fließen zu lassen.



    Ob die Autorin das so sieht, weiß ich nicht. Für mich bilden die drei Cinna-Bände zusammen mit „Varus“ eine zusammengehörende Tetralogie, deren einzelne Bände nahezu nahtlos ineinander übergehen. Jedes Mal, wenn von Vetera die Rede war, habe ich auf ein Auftauchen von Titus Annius und Thiudgif gewartet. :rolleyes


    Ferner haben diese vier Bücher manche meiner Auffassungen in einer Weise beeinflußt und verändert, wie es bisher nur einmal einem Romanzyklus gelungen ist. Das war vor rund 31 Jahren einer, der allgemein den „Professorenromanen“ aus dem 19. Jahrhundert zugerechnet wird: „Die Ahnen“ von Gustav Freytag. Ging es damals in meiner Jugend eher um die allgemeine Lebensplanug (soweit man ein Leben überhaupt planen kann), geht es jetzt mehr um die Grundeinstellung zu manchen geschichtlichen Ereignissen. Konkret hat sich meine bisher eher anti-römische (wohlgemerkt auf das historische Römische Reich bezogen) zu einer bisweilen schon pro-römischen, auf jeden Fall zumindest neutralen Einstellung Rom gegenüber gewandt. Die heute in Deutschland auf allen Ebenen verbreitete Kleinstaaterei ließ sich schon damals, vor rund zweitausend Jahren, überdeutlich feststellen. Ich habe es beim „Varus“ schon geschrieben, hier tauchte das Thema für mich wieder auf: ich frage ich mich, ob es wirklich so gut war, daß Arminius seinerzeit die Römer besiegte. Offen gesagt, überwiegen bei mir inzwischen die Zweifel.


    Von den drei Cinna-Büchern hat mir „Der Tribun“ am besten gefallen, an zweiter Stelle kommt dieses. „Die Schwerter des Tiberius“ landen auf Platz drei, weil mir dort das Tempo (wie in der Rezi erwähnt) zu hoch, wenngleich das Verhältnis Cinna / Sunja ausgewogener war.


    Unwiderruflich am Ende der Bücher angekommen ist es, als ob eine lange Reise zu Ende wäre. Als ob ich mich für immer von liebgewordenen Menschen, von Freunden verabschieden müßte. Ein Abschied, der durchaus nicht leicht fällt.


    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Hallo, SiCollier!


    Vielen Dank für die schöne Rezi! :anbet :wave :knuddel1


    Was den Grund für deine Unzufriedenheit angeht:


    ... Und wenn der Abschied schwerfiel, hilft "wiederlesen". :grin

  • Hallo Iris! :wave


    Bitte sehr.

    Zitat

    Original von Iris
    ... Und wenn der Abschied schwerfiel, hilft "wiederlesen". :grin


    Das habe ich ganz bestimmt vor. :-]


    Und mit der Antwort in Deinem Spoiler kann ich gut leben. :-)
    :wave

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • „Ist doch nur ein Buch.“
    Mit diesen Worten suchten mich die Freunde zu trösten, als ich die letzte Seite umgeschlagen, das letzte Wort gelesen hatte und berichtete, mit welch leisem Weh im Herzen ich Abschied nehmen musste von Sunja und Saldir, von Cinna, von Hraban und von Arminius. Wieder einmal hat Iris Kammerer es geschafft, mich völlig zu vereinnahmen, mich zu fesseln an eine Geschichte, von der ich vorher nicht genau wusste, ob ich sie wirklich erfahren wollte. Auch im Nachhinein bin ich mir dessen nicht sicher, dennoch: Die Art und Weise, wie die Autorin mich überredet hat, ihr zu lauschen, mich einzulassen auf ihr Erzählen, das ist schon etwas sehr besonderes. Sie verwebt – teilweise gesicherte, nachgewiesene - Geschichte mit den kleinen Geschichten des Alltags, sei er friedlich, sei er kriegerisch. Deutlich geworden ist für mich wieder, dass die Hoffnung auf Verstehen und Verständigung, so es sie denn gibt, nicht in Verträgen, sondern eben in dem Kleinen, dem Alltäglichen zu suchen und auch zu finden ist: Nämlich in der Freundschaft, die nicht unterscheidet zwischen Römer und Germane, in der Liebe, die im Herzschlag des anderen nicht den des Fremden spürt, sondern den des Vertrauten und Vertrauenden, Geliebten und Liebenden. Und der Gedanke, wie der Plan des Germanicus durch eine so beiläufige, ja fast schon banale Kleinigkeit zunichte gemacht wurde, hat für meine Wenigkeit etwas durchaus Tröstendes. Cinna und sein Eid gegenüber Thauris, allein schon dafür liebe ich ihn, die Autorin dafür, wie sie das umschrieben hat, was Cinna um- und antreibt.


    „Ist doch nur ein Buch.“
    Es ist für mich auch Geschichtsunterricht, verständlich und begreifbar, dargestellt anhand der Lebensgeschichte eines, der in allem Grauen der römischen Feldzüge, dem Töten und Brandschatzen, der Gewalt gegen Alte, Frauen und Kinder, versucht, seine Menschlichkeit zu bewahren; es ist aber auch Leidensgeschichte derer, die sich nicht wehren können, sei es, weil sie Befehle auszuführen haben, sei es, weil sie Begehrlichkeiten weckten nach ihrem Land, nach ihrem Hab und Gut, nach ihrem Leib und ja, auch nach ihrer Seele. Nimm einem Menschen alles, auch seine Sitten und Gebräuche, seinen Glauben, seine Überzeugungen, was ist er dann noch? Wohl weder derselbe noch der gleiche wie vorher. Glück für ihn, wenn er wenigstens nicht gebrochen ist, noch mehr Glück, wenn er Ersatz findet für das Verlorene.


    Oft schon habe ich vor ihr gestanden, hat sich mein Blick an ihren Zügen, an der Geste ihrer Hand förmlich festgesaugt, begreife ich ihre Trauer beinahe mit jeder Faser meines Körpers: Eine Dakerin, so sagt man, sei sie gewesen; Thusnelda, den Namen haben andere ihr gegeben. Oder mag sie Thauris heißen, Sunja gar? Doch egal, wie ihr Name war, sicherlich war auch sie Spielball der Mächtigen, wie Frauen es so oft gewesen sind zu allen Zeiten und auch heute wieder. Was mussten und müssen die Schwächeren erdulden, weil die „große“ Politik mit ihren Kriegen, mit ihrer Gier nach noch mehr, mehr Land, mehr Geld, mehr Soldaten und Sklaven, mehr Macht, nicht genug bekommen kann? Was mussten schon immer Frauen erfahren, worauf verzichten, weil Männer sie für unfähig und unwürdig hielten, sei es, was beispielsweise die Bildung angeht, sei es auch nur das ganz schlichte Aussuchen des Ehemannes oder des eigenen Lebensentwurfes?


    „Ist doch nur ein Buch.“
    In diesem Roman steht die für mich eindrücklichste Szene aller vier thematisch zusammenhängenden Bücher von Iris Kammerer, nämlich „Der Tribun“, „Die Schwerter des Tiberius“, „Wolf und Adler“ und „Varus“: Sie beginnt auf Seite 447 Mitte und endet Seite 449 Mitte. Aber nicht nur das „wann hat es angefangen“, sondern erst recht das „was wäre gewesen, wenn...“ sind Fragen, die anscheinend nicht nur mich, sondern auch gestandenste Historiker beschäftigen, Gedankenspielereien, die letztlich zu nichts führen, aber dennoch ihren verführerischen Tanz im Kopf beginnen: Was wäre wohl gewesen, wenn beispielsweise Ariovist nicht unterlegen gewesen wäre? Was wäre gewesen, wenn der pannonische Aufstand nicht – zufällig oder nicht – dann begonnen hätte, als die Römer gegen Marbod ziehen wollten? Ach ja, wenn ich schon dabei bin, was wäre gewesen, wenn jene Wölfin sich nicht der beiden Knaben angenommen hätte? Was wäre gewesen, wenn der berühmt-berüchtigte Schmetterling zuerst mit dem rechten statt mit dem linken Flügel geschlagen hätte? Wäre die Geschichte wirklich anders verlaufen? Die Namen der Könige und Heerführer wären andere gewesen, die der Länder und die Grenzen, die Geschichte der Menschheit hätte es wohl nicht berührt.


    „Ist doch nur ein Buch.“
    Ein Buch, das ist erst einmal eine mehr oder weniger große Anzahl von bedruckten Blättern Papier, manchmal mit Drucken, Stichen oder anderem versehen, eingebunden in einen mehr oder weniger festen Einband. So gesehen, ja, es war nur ein Buch. Andererseits: „Nur“, was für ein verheerendes Wort in diesem Fall, schlimmer gar als jenes „immer noch“, das man mancher älter werdenden schönen Frau gönnt, blind für das, was sie gewinnt. Es hat mich wütend gemacht, hat mich verstört, hat wieder Träume geweckt, die ich langsam glaubte vergessen zu können, hat mich zutiefst berührt, und ja, es hat mir – wie seine Vorgänger – Freude bereitet. Es ist mit zehn Punkten noch viel zu gering bewertet, mehr darf ich hier aber nicht vergeben. Es wird in mir nachwirken, es wird mich – wieder wie seine Vorgänger – nicht loslassen, auch und gerade weil ich in manchem anderer Meinung bin. Ich werde mich weiter mit ihnen zu beschäftigen haben, mit Arminius, mit Tiberius und all den anderen, mit den Germanen und zwangsläufig auch den Römern, denn die einen kann man schlechterdings von den anderen trennen.


    „Ist doch nur ein Buch.“
    Ein letztes möchte ich noch anfügen: Dankbar bin ich für die kurze Zeit, die ich mit ihnen leben durfte und dankbar lasse ich sie ziehen: Saldir auf ihre große Reise, Cinna und Sunja, Hraban und die Seinen auf ihre kleine; einen jeden weitergehen auf dem Weg ihres Lebens. Wie er aussehen mag? Es bleibt mir überlassen, mir das vorzustellen – und auch dafür danke ich Iris Kammerer: für das Erzählte, aber auch für das Verschwiegene.



    Edit: Wer sie besuchen will, jene Figur, die man Thusnelda nennt, muss entweder nach Florenz, in die Loggia dei Lanzi (dort steht das Original), oder nach Detmold, ins Lippische Landesmuseum.

  • Liebe Lipperin,


    ehe ich anfange, mich zu wiederholen: Ich finde es gerade sprachlich schön, wie du deine Leseeindrücke wiedergibst. :anbet


    Vielen lieben Dank für deine Worte! Ich werde mich bemühen, den gesetzten Ansprüchen auch in Zukunft standzuhalten. :-) Das wird hart, aber ich bin schließlich selbst schuld!


    Und einen ganz besonderen Dank dafür, dass du meine Lieblinge ziehen lässt. Auch Romanfiguren haben nach dem Ende einer Handlung ein Recht auf ihr eigenes Leben -- z.B. in den Köpfen der Leserinnen und Leser. :-)