OT: Dolly and the Doctor Bird 1971
Serien lesen ist eine zweischneidige Angelegenheit. Einerseits kann man sich gemütlich ins Vertraute fallen lassen, andererseits kann das Vertraute eintönig werden und die Gemütlichkeit in Langeweile umschlagen. Diese Gefahr allerdings besteht bei den Johnson-Johnson oder Dolly-Romanen nicht. Obwohl sie allesamt gleich aufgebaut sind, immer mit einem Satz über die Zweistärkenbrille des Protagonisten Johnson einsetzen, von einer weiblichen Hauptfigur erzählt werden und auch die Handlungselemente tatsächlich gleichartig sind, hat man jedesmal ein ganz neues Buch vor sich. Eines noch dazu, das sich ganz unabhängig von den anderen lesen läßt. Und als ob das nicht reichte, werden die Geschichten jedesmal komplexer. Der Dunnett-Touch eben.
In diesem nach den ursprünglichen Erscheinungsjahren gerechnet dritten Band der Reihe treffen wir auf Frau Dr. B. Douglas MacRannock. Die Bezeichnung ‚Frau’ stammt von mir und ist zunächst das einzig weibliche an Beltanno. Ja, das B steht für diesen alten schottischen Heldinnennamen.
Und schottisch ist sie, die Erzählerin, aufrecht, arbeitsam, strikt puritanisch in ihren Ansichten über das Leben und absolut blind für Worte wie ‚konziliant’, ‚Kompromiß’, oder auch nur ‚Freundlichkeit.’ Außerdem ist sie dickköpfig, grundlegend gestört in den Beziehungen zu ihren Mitmenschen, verstört in denen zu ihrer Familie, allen voran ihrem Vater, dem Chieftain des Clans der MacRannock.
Sie spricht wenig, aber wenn sie es tut, stülpt man sich am besten noch schnell einen Schutzhelm über den Kopf.
Um den Leserinnen und Lesern Beltanno in der ganzen Pracht ihres Soziopathentums vorzuführen, braucht die Autorin etwa vier Seiten. Schon die sind ein Genuß beim Lesen.
Dunnett wäre aber nicht Dunnett, wenn sie es dabei beließe. Natürlich gibt es eine andere Seite an Beltanno, ebenso wie bei Tina im Singvogel und Sarah, dem Lockvogel. Im Unterschied zu ihren Vorgängerinnen aber muß diese andere Seite nicht nur von den Leserinnen und Lesern entdeckt werden, sondern auch von der Hauptfigur selbst.
Allesamt täuschen sich in diesem Buch, werden getäuscht und täuschen ihrerseits, die fiktiven Personen wie die realen Leserinnen und Leser.
Ein schreiberischer Kniff, der seinesgleichen sucht.
Beltanno ist Ärztin in Nassau, auf den Bahamas. Zunächst aber ist sie auf dem Rückflug von New York. Am Flughafen schon muß sie Erste Hilfe leisten, weil ein Herr sich schrecklich übergibt. Verdorbenes Essen, heißt es. Nicht von Frau Dr. MacRannock. Sie sieht tiefer und findet Arsen. Der Betroffene ist ehemaliger Diplomat und lebt in Nassau. Beltanno macht seine Betreuung zu ihrer Aufgabe.
Unter den Bekannten des Diplomaten trifft sie auch auf einen berühmten Porträtmaler aus London, der in Nassau eine Ausstellung seiner Bilder eröffnen soll. Klar, daß der Maler eine Zweistärkenbrille trägt und einen komischen Doppelnamen führt. Im Handumdrehen steckt Beltanno mitten in einer bösen Geschichte über enttarnte Spione und Verrat in den eigenen Reihen.
Als ob das nicht reichen würde, hat sie noch eine Menge Familienprobleme am Hals. Ihr Vater ist äußerst exzentrisch, will zum zweitenmal heiraten, eine Begum. Diese ist nicht nur extrem reich, sondern hat einen Freundeskreis aufzuweisen, für den Wort exzentrisch fast zu mild ist. Unter ihnen ist neben einem türkischen-schottischen Ballettänzer und einem reizenden japanischen Golfspieler zum Beispiel Johnson Johnson zu finden.
Aber auch der oder die unbekannten Mörder geben nicht auf. Es gibt einen gruseligen Brandanschlag, es gibt eine unheimlich spannende Verfolgungsfahrt mit der Jacht Dolly und einem ferngelenkten, mit Sprengstoff gefüllten Boot (ah, die wilden Siebziger!) und es gibt schließlich eine Leiche. Allerdings ist das nicht Edgecombe, sondern seine Frau.
Dieser erste Höhepunkt ist der Ausgangspunkt zu einer noch viel verzwickteren Geschichte. Man erfährt zum ersten Mal in der Reihe so einiges über Johnson und seine Arbeit als Agent. Er kommt einem recht nahe beim Lesen, aber wie alle typischen Dunnet-Helden bleibt die Sympathie etwas gedämpft. Da kann man ziemlich illusionslose Kommentare übers Agentengeschäft lesen.
Auch die Gefahren werden recht realistisch geschildert. Hier geht es um den Einsatz auf Leben oder Tod, auch für Johnson. Der Protagonist wird nicht geschont, nicht körperlich, nicht seelisch.
Die Familiengeschichte Beltannos auf der anderen Seite ist auf den ersten Blick urkomisch zu lesen. Da gibt es Dialoge, die US-Screw-Ball-Komödie entstammen könnten. Auch Beltannos kompromißloser Kampf um Selbständigkeit löst nicht selten helles Lachen aus.
Beim näheren Hinschauen aber erkennt man auch die unangenehmen bis grausamen Seiten des Familienlebens. Tatsächlich ist dieser Band der dunkelste in der Reihe. Da gibt es echtes Leid. Die Erkenntnis Beltannos noch während der abschließenden Jagd auf die Mörder ‚Niemand ist jemals das, was er scheint’ ist an der Stelle geradezu tragisch.
Daß daraus auch Tröstliche und eine Möglichkeit für die Zukunft folgen kann, begreift Beltanno erst ganz zum Schluß. Von daher gesehen, ist dieses Buch mehr als nur sehr intelligent gemachter Spionage-Thriller. Es ist tatsächlich ein Roman über die seelische Entwicklung einer jungen Frau aus einer ziemlich gestörten Familie.
Es gibt einen Einwand meinerseits zur Entwicklung Beltannos. Die Autorin setzt ihre Heldin sehr stark den Eingriffen anderer in ihr Leben aus. An einer Stelle ist das meines Erachtens zu viel, nicht wirklich verzeihlich.
Es ist ein ‚hartes’ Buch, es passieren mit und in der Psyche der Figuren schlimme Dinge, es ist, bei aller Eleganz, ein grelles Buch. Auch der Schluß ist gewaltig, Dudelsack inklusive. Das alles paßt aber unfraglich.
Täuschen, getäuscht werden, sich täuschen lassen ist eben ein schlimmes Thema.
Täuschend echte leichte Spionage-Geschichte mit beträchtlichem Tiefgang.