Fragen an Charlotte Lyne

  • Nachdem ich eben in ungewohnter Lesehaltung das Buch mit einer Hand eine zu lange Zeit mit mir rumgetragen habe und nun den tiefen Eindruck im Mittelfinger massiere, kam die Frage auf: Wie lange schreibt man eigentlich an so einem Wälzer?

  • Also - die Frage wie lange MAN dran schreibt, ist absolut nicht zu beantworten.
    Ich kenne Kollegen, die fuenf Jahre gebraucht haben - und welche, die nach fuenf Monaten fertig waren. (Interessanterweise ohne fuer mich spuerbare Unterschiede in der Qualitaet.)


    In der Regel gehe ich fuer mich von einem Jahr pro Roman aus, sofern ein Grundwissen vorhanden, Recherchematerial leicht zugaenglich, Quellenlage gut und Schauplaetze gut erreichbar sind.
    Das war bei diesem Roman alles nicht der Fall, weshalb ich mehr als doppelt so lange gebraucht habe.
    Interessanter ist aber - da die meisten von uns ja wie ich auch nebenbei viel Zeit fuer Job und Familie brauchen - wohl die Anzahl der Stunden.
    Bei meinem juengsten habe ich aus Neugier mal Protokoll gefuehrt und kam auf eine reine Schreibzeit von 1500 Stunden.


    Alles Liebe von Charlie

  • Aufgrund der kulinarischen Beschreibungen des Hohlbraten musste ich leider an Gammelfleisch denken.


    Ist so ein Hohlbraten wirklich eklig, oder kann man ihn auch gut zubereiten? Ist er eher etwas für die ärmere Bevölkerung? Wie wird er insgesamt von der Bevölkerung gemocht?

  • Erstaunlich, der polnische Herzog heißt Boleslaw und der Herzog von Pommern Wartislaw.
    Charlie, hast du die Namen der Brüder Warti und Bole absichtlich so gewählt?


    Wie kommst du beim Schreiben überhaupt auf die Namen der Figuren, so dass sie auch passend wirken?

  • Also der Hohlbraten unterscheidet sich im Wesentlichen nicht vom Hackbraten, der in meiner Familie beispielsweise "falscher Hase" genannt wird - eben weil man ihn knetet, wenn man sich keinen Hasenbraten leisten kann (nicht, dass mir einer was Boeses unterstellt: ICH esse keine Hasen).
    Je nach Vermoegen eines Haushalts mag alles moegliche weniger Appetitliche Einzug in den Fleischteig gefunden haben ...


    Da ich sehr viele Rezepte fuer diesen Roman an meiner bedauernswerten Familie ausprobiert habe, wollte ich zumindest mal ein huebsches Karnickel aus Fleischteig liefern, bin aber klaeglich gescheitert. Das Tier hatte nach dem Braten keine Ohren mehr.


    (Auch das Mandelmilchgelee hat NICHT funktioniert.)


    Tja, die Namen.
    Ich bin froh, dass die Frage jetzt schon kommt und ich also das Gestaendnis von mir aus machen kann, ehe jemand zu Recht mit Eiern schmeisst:


    Der Name "Natalia" ist natuerlich vollkommen anachronistisch. Die Tochter heidnischer Eltern dieser Epoche kann natuerlich niemals Natalia heissen, schon gar nicht, wenn das Buch kurz vor Weihnachten erscheint.
    Ich kann ueberhaupt nicht erklaeren, warum sie Natalia heisst.
    Sie hiess immer so, ich wollt's die ganze Zeit via "Alle ersetzen" aendern - aber aus irgendwelchen Gruenden wollte sie Natalia bleiben.
    Ich hoffe, Ihr seht's mir nach.


    Ansonsten habe ich Namen gesammelt, die sich fuer Epoche und Landstrich nachweisen liessen und da die nicht ausreichten (es hatten ja Massen von Menschen dieselben Vornamen, was im Roman aber wenig leserfreundlich waere), habe ich hier und da Anleihen bei anderen slawischen Sprachen gemacht.


    Wartislaw und Boleslaw nach den beiden Herzoegen (die ich hochinteressant finde) war unwiderstehlich. Auch wenn "Warti" gewoehnungsbeduerftig ist, vor allem fuer Bewohner eines englischsprachigen Landes. Irgendwann ist es mir aber nicht mehr aufgestossen.


    Alles Liebe von Charlie

  • Im Teil Die Liebenden singt Anton in einer ostslawischen Sprache ein Lied der Waräger:


    Was bleibt uns Vertriebenen,
    Als unser Land zu verlassen
    Und in den Wogen zu hausen.
    Was bleibt uns anderes,
    Als Raub und Verrat,
    Uns, die ihr Heimatland verstoßen hat.



    Ist diese Lied von dir erfundet oder existiert dieses alte Liedgut wirklich noch?
    Wenn ja, wie bist du darauf gestoßen?

  • Ich habe zwei Zeilen dieses Liedes und einige Angaben dazu in einem Artikel ueber Waraeger gefunden (die Quellenangabe muss ich fuer den Augenblick schuldig bleiben - seither sind drei Jahre vergangen, und das Material ist archiviert, unser Haus voller Handwerker. Ich verspreche aber, sie im neuen Jahr herauszusuchen und nachzureichen). Ich habe dann versucht, den Rest des Liedes "nachzuempfinden". Leider stammt also der groesste Teil des Liedes von mir.
    Das Lied, das Warti aus der Rus mitbringt, ist aehnlich entstanden.


    Ich hoffe, das ist nicht zu enttaeuschend.
    Alles Liebe von Charlie

  • Liebe Aeria,
    zwar wuerde ich mich sehr freuen, wenn Du Lust hast, den Roman zu lesen - die Waraeger (ohne Zweifel einen Roman wert) finden aber leider nur sehr kurz Erwaehnung.


    Alles Liebe von Charlie

  • Das erleichtert mich.


    So ein winziges Fragment in Haenden zu halten und etwas hinzuzusetzen, fuehlt sich im Gewissen durchaus nicht ganz rein an. Eher als hielte man eine Scherbe minoischer Keramik in klobigen Fingern und versuche, die Raender mit Knete zu glaetten.


    Alles Liebe von Charlie

  • Charlie


    Wieviel Einfluss hattest du auf die Gestaltung des Covers. Die Optik, dass unter dem Einband noch eine farbige Landkarte sei, gefällt mir gut. Noch besser wäre es, wenn es tatsächlich so wäre.


    Über die erhabenen Schriftzeichen schließe ich mich der allgemeinen Begeisterung an. Auch die glatten, glänzenden Bernsteine sind eine gute Idee.

  • Gar keinen, liebe Buechersally.


    Eines Tages kam eine Mail von meiner Lektorin, an die der Coverentwurf angehaengt war. Ich sass dann zehn Minuten lang davor und habe mich nicht getraut, den Anhang zu oeffnen, weil ich fuerchtete, das Cover koennte eine Farbe haben, die ich nicht mag, oder es koennte eine abgeschnittene Gestalt aus einer unpassenden Epoche darauf sein. Als ich's dann endlich aufmachte, musste ich spontan meine Lektorin anrufen, weil es mir so gut gefiel. Ich liebe Bernstein, er passt mir so gut zu meiner Zeit an der Ostsee, als ich fuer dieses Buch recherchiert habe. Mein einziger Einwand - die Schrift des Titels gefaellt mir nicht - wurde nicht beruecksichtigt, aber das finde ich nicht tragisch. Ich bin graphisch voellig unbegabt und muss mich durchaus nicht in allem durchsetzen ...
    Der Titel ist mein eigener Arbeitstitel. Im Nachhinein haette ich lieber einen anderen gehabt, der mir aber zu spaet einfiel. Ich bin jedenfalls dem Verlag sehr dankbar, dass mein Buch den Titel, der immerhin passt, behalten durfte.


    Alles Liebe von Charlie

  • Mich würde mehr interessieren wie du es geschafft hast ein Buch mit so einem schönen Titel veröffentlichen zu können, eine starke weibliche Hauptfigur (na ja zumindest in der Entwicklung) at das Buch ja aber keinen dieser "beliebten" "Die ...in" -Titel. Hätte ja auch Die Rusalka oder so heißen können- tuts glücklicherweise nicht- aber wie hast du das hingekriegt?

  • Zitat

    Original von Charlie
    Im Nachhinein haette ich lieber einen anderen gehabt, der mir aber zu spaet einfiel.


    Verrätst du ihn?


    Der Schriftzug ist in der Tat das einzige, worüber man stolpern kann. Die Buchstaben sind nicht so richtig auf Anhieb lesbar, und ein bisschen erinnerts auch an einen Heimatroman. Die Glocken von St. Kathrein, oder so.


    Aber das wäre schon am Detail genörgelt ...

  • Beowulf, ich habe keine Ahnung - habe einfach Glueck gehabt.
    Der Titel war mein Arbeitstitel, und er blieb erhalten. Auch beim zweiten Buch.
    Ich war darueber sehr erleichtert, denn ich hatte durchaus Angst, das Buch wuerde als "Die Bernsteinprinzessin" enden. Vielen Buechern, die es ueberhaupt nicht verdient haben, wird ja ein solcher Titel verpasst (das schlimmste daran finde ich, dass diese Titel Buecher, die einzig sind, total verwechselbar machen) - und soweit ich weiss, kann sich der Autor dagegen nur in sehr begrenztem Masse wehren.


    Mich hat die Wahl meines eigenen Titels sehr ueberrascht - ich bin eigentlich eine beruechtigte Titel-Null.
    Bin Uebersetzer mit mittlerweise mehr als fuenfzig uebersetzen Buechern, wobei ich fuer jedes drei bis fuenf Titelvorschlaege machen muss ... NOCH NIE ist einer meiner Titel gewaehlt worden!


    Dieser ist der erste.
    Ich freu mich, dass er gefaellt.


    Alles Liebe von Charlie

  • Klingt vielleicht doof, aber ich dachte erst, Vineta wäre eine Frau und "Die Glocken von Vineta" ... äh ja... das überlass ich der Fantasie jedes Einzelnen. Ich muss aber noch dazu sagen, es war seeeeehr früh am morgen als ich das dachte (also nicht wirklich zurechnungsfähig). :rofl
    Finde diesen Titel aber wirklich sehr schön. Eigentlich hört man irgendwie ständig beim Lesen im Kopf leise das Läuten dieser Glocken, weil man ja weiß, dass Unheil naht.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

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  • Darueber habe ich jetzt sehr lachen muessen, Paradise.
    Auf die Idee waere ich nicht gekommen.
    Waere mein letztgeborenes Kind ein Maedchen geworden, haette ich "Vineta" aber gern als zweiten Namen angehaengt.


    Waehrend ich den Roman geschrieben habe, hab ich ihn kurz Vin genannt. Weshalb mehrere Kollegen dachten, ich schriebe ueber Vincent van Gogh.


    Deine Idee ist aber durchaus origineller - ich fuerchte, einer, der sich's in dieser Erwartung kauft, ist zwangslaeufig maechtig enttaeuscht ...


    Alles Liebe von Charlie