Kollektives Gedächtnis: Bücherverbrennung vor 75 Jahren

  • Heute, vor 75 Jahren, brannten Scheiterhaufen.
    Ins Feuer geworfen, wurden keine Menschen, so weit war die Zeit noch nicht, sondern deren geistiges Werk, ihre Kultur - ihre Bücher. In mehr als fünf Städten betätigten sich Nationalsozialisten, SA und die Studenten der Universitäten gleichermaßen an dem geistigen Erbe ihrer Väter, Mütter und Geschwister. Ins Feuer wanderte nicht nur Jüdisches, sondern auch politisch Verfemtes, Demokratisches, Pazifistisches.
    Dieses Ereignis hatte Symbolcharakter, es drückte aus: “Wir bestimmen, was andere lesen. Wir bestimmen, womit ihr euch bildet.” - Kontrolle, “Zucht und Ordnung” damals genannt. Und so wurden berühmte Autoren dieser Zeit systematisch aus dem literarischen und auch politischen Leben gedrängt. Erich Maria Remarque, Carl von Ossietzky, Heinrich Mann, Ernst Glaeser, Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Arthur Schnitzler, Max Brod, Anna Seghers, Egon Erwin Kisch, Franz Werfel, Yvan Goll, Sigmund Freud, Stefan Zweig, …
    Das `Who is Who´ der geistigen und wissenschaftlichen Größen aus Literatur, Kunst, Malerei, Psychologie. Man nahm ihnen die Berechtigung ihre Werke zu drucken, zu publizieren, man gab ihnen ein “Schreibverbot”. Erich Kästner, als einziger verfemter Autor dabei am 10.Mai 1933 schrieb dazu: „Es ist ein merkwürdiges Gefühl, ein verbotener Schriftsteller zu sein und seine Bücher nie mehr in den Regalen und Schaufenstern der Buchläden zusehen. … Man ist ein lebender Leichnam.“


    Ich bin sonst niemand, der an ein kollektives Gedächtnis appelliert, aber dieser Tag gehört in den Kalender eines jeden Menschen, um daran erinnert zu werden, dass es einmal Zeiten gab, in denen das Leseverhalten vom Staat kontrolliert und Autoren, mit einem politisch / religiösen / familiären Hintergrund systematisch ins Exil, in den Tod oder aber in die innere Emigration getrieben wurden von einem System, menschenverachtend und faschistoid.

    „Die Literatur greift immer dem Leben vor.
    Sie ahmt das Leben nicht nach, sondern formt es nach ihrer Absicht.”

    Oscar Wilde, irischer Schriftsteller und Aphoristiker

  • Dazu kam gerstern auch was im Fernsehen.


    Da wurde unter anderem dieses Buch vorgestellt:


    Das Buch der verbrannten Bücher - Volker Weidermann


    Inhalt:
    Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933: Wie es dazu kam, was genau geschah und welche Bücher es waren, die den Flammen übergeben wurden. Nach dem überwältigenden Erfolg der »Lichtjahre«, seiner kurzen Geschichte der deutschen Literatur nach 1945, wendet Volker Weidermann den Blick zurück auf den Tag, an dem in Deutschland die Bücher brannten. Seine Mission: diese Bücher, diese Autoren dem Vergessen entreißen! Es wurde angekündigt als »Aktion wider den undeutschen Geist«: Die akribische landesweite Vorbereitung gipfelte am 10. Mai 1933 in der Errichtung von Scheiterhaufen in vielen deutschen Städten, auf die dann Studenten, Bibliothekare, Professoren und SA-Leute in einer gespenstischen Feierstunde die Bücher warfen, die nicht mit ihrer menschenverachtenden Ideologie vereinbar waren. Unvergessen die Tonbandmitschnitte, die dokumentieren, wie Joseph Goebbels auf dem Platz neben der Berliner Staatsoper mit den Worten »Und wir übergeben den Flammen die Werke von ...« die Autoren aufrief, von denen einige sogar anwesend waren. Volker Weidermann erzählt, wie dieser Tag verlief, an dem es trotzig regnete, er erzählt von dem Bibliothekar Bermann, der die Urliste aller Listen erstellte, nach denen dann Bücher aus den Regalen entfernt wurden, und er erzählt von den Werken und ihren Autoren und davon, wie willfährige Buchhändler und Bibliothekare ihre Bibliotheken und Buchhandlungen säuberten, so gründlich, dass viele Werke und Autoren danach nicht wieder zum Vorschein kamen. Das Ergebnis sind 124 Lebens- und Werkgeschichten von Schriftstellern, darunter neben Klassikern wie Kästner, Tucholsky, Zweig, Brecht und Remarque auch völlig vergessene wie Rudolf Braune, ausländische Autoren wie Jack London, und sehr viele, wie z. B. Hermann Essig, die unbedingt wiedergelesen werden sollten. Ein Buch über Bücher, Schicksale und ein Land, in dem zuerst Bücher verbrannt wurden und dann Menschen.



    Edit: ISBN ergänzt

  • Das ist für mich immer furchtbar erschreckend, wenn das Denken und die Meinungsfreiheit von Menschen zensurirrt werden.


    Deswegen bin ich absolut dafür, dass jeder alles lesen darf. Was er daraus macht, liegt allein in der Entscheidungfreiheit des mündigen Bürgers.


    Natürlich gibt es schwache Charaktere, die sich durch ihre Lektüre zu stark negativ beeinflussen lassen, aber ich denke, solche Menschen sind immer leicht zu verführen.


    Gerade für junge Leute gehört das alles-lesen-dürfen meiner Meinung nach zum Erwachsenwerden und zur unverzichtbaren Bildung einer eigenen Meinung, die aber immer auch mit Argumenten unterlegt werden muss (nicht nach dem Motto: "Das Buch hat mir nicht gefallen, weil es mir nicht gefallen hat").


    Wirklich ein wichtiger Tag der Erinnerung nicht nur für alle Bücherliebhaber.

  • Die Bücherverbrennung war der Anfang vom Ende, Heinrich Heine hatte verflixt recht als er sagte:"Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen"


    Nur leider waren die Menschen damals zu stark von der Propaganda und von der Person Hitlers selbst geblendet, um das zu erkennen.
    Vielleicht hätte man zu diesem Zeitpunkt noch die schlimmen Taten der Nazis verhindern können, wenn mehr Menschen so gedacht hätten (und sich getraut hätten, dies laut zu äußern) wie Heinrich Heine.

  • So wichtig kann es den Menschen mit ihrer Betroffenheit ja nicht sein, wenn sie lediglich an irgendwelchen "runden" Daten ihre Betroffenheit zur Schau stellen. Ein permanenter Kampf dagegen wäre glaubwürdiger, als diese Pseudo-Betroffenheit an irgendwelchen Jahrestagen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire
    So wichtig kann es den Menschen mit ihrer Betroffenheit ja nicht sein, wenn sie lediglich an irgendwelchen "runden" Daten ihre Betroffenheit zur Schau stellen. Ein permanenter Kampf dagegen wäre glaubwürdiger, als diese Pseudo-Betroffenheit an irgendwelchen Jahrestagen.


    Ich bin normalerweise auch kein Mensch für Gedenktage oder für Gedenkjahre, wo man kollektiv Tischchen bei Thalia aufbaut, damit für zwei, drei Monate ein klassischer Autor im Vordergrund steht, dessen Bücher nach Ablauf dieses Jahres in die hintersten Regalfächer geräumt werden. Lesen sollte um des Lesens Willen geschehen.
    Nur, denke ich, sollte man auch diesen Tag zum Anlass nehmen, um ein einmal darüber nachzudenken, dass diese "Informationsvernichtung" und Auslöschung einer Kultur nach wie vor Thema ist, auch in der s.g. "westlichen Welt".


    @Syll: Nur eine Interessensfrage - Würdest du wollen, dass ein Jugendlicher Marquis de Sade z.B. liest?

    „Die Literatur greift immer dem Leben vor.
    Sie ahmt das Leben nicht nach, sondern formt es nach ihrer Absicht.”

    Oscar Wilde, irischer Schriftsteller und Aphoristiker

  • Jahrestage sind wichtig. Wichtig dehalb, weil es es essenziell ist, sich zu erinnern ...


    @ Voltaire:
    Wie sollte es denn bitteschön eine permanente Erinnerung aussehen?
    Deine Aussage ist für mich absoluter Quatsch!
    Wenn Dir danach ist, kannst Du ja jeden Tag an die Bücherverbrennung erinnern, ändere Deine Signatur, schreib Rezis zu den "verbrannten Büchern", stell jeden Tag ein Foto eines verbrannten Buches online ...
    Unternimm was gegen die "Pseudo-Betroffenheit", anstatt sie lediglich anzuprangern ... :rolleyes


  • Dummtüch! Tüddelkram! :-)
    Von dir, liebe Seestern hätte ich einen solchen Dummfug wirklich nicht erwartet.


    75 Jahre Bücherverbrennung. Ein herrlicher Anlaß für unsere Betroffenheitsromantiker mal wieder aus ihren Löchern herauszukommen. Da sind sie wieder die Gedenktagetouristen auf ihrer Reise von einem Gedenktag zum nächsten.


    Die ganze Betroffenheit wirkt doch nur aufgesetzt. Da werden dicke Krokodilstränen geweint, da wird eine richtige Betroffenheitssoße angerührt.


    Diese "runden" Gedenktage haben doch eines gemein: Kaum jemand gedenkt an ihnen wirklich. Da soll etwas in den Fokus der Menschen gerückt werden, worauf diese absolut keinen Bock haben.


    Wer weiß denn wirklich welche Autoren von der Bücherverbrennung betroffen waren? Diese Gedenktage sind doch lediglich ein Anlaß dafür irgendwelche Phrasen nachzuplappern. Vielleicht sollte man statt dessen immer mal wieder ein Buch dieser "verbrannten" Autorinnen und Autoren lesen; denn so bleiben sie wirklich in unserer Erinnerung. Und nur das ist wichtig!


    Das Gute an der ganzen Sache aber ist, dass uns erst in fünf Jahren wieder in Bezug auf Bücherverbrennungen dieser Betroffenheitshype droht.


    Übrigens eine sehr gute Idee, wenn auch nicht jeden Tag, an die Bücher dieser "verbrannten" Autorinnen und Autoren zu erinnern; sich an sie zu erinnern indem man ihre Bücher liest. Und wenn man wirklich an diesen Menschen und ihren Werken interessiert ist, dann ehrt man ihr Andenken und nutzt ihrem Anliegen weitaus mehr, wenn man ihre Bücher nicht in Vergessenheit geraten lässt, wenn man eben diese Bücher liest und auch darüber redet.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • "schreib Rezis zu den "verbrannten Büchern"


    :write


    war denn nun kästner der einzige, der der verbrennung sener geistigen kinder bewohnte? ich dachte immer: ja, aber in hasals auszug klingt es anders...

    "Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Leute ohne Laster auch sehr wenige Tugenden haben." (A. Lincoln)

  • Hallo nightfall!
    Wenn man sich so ansieht, was nicht Jugendliche, sondern Kinder sich im Fernsehen oder auf DVD (mit oder ohne Wissen der Eltern) so anschauen, scheint mir ein Marquise de Sade noch nicht das Grausigste zu sein.


    Außerdem bin ich der Ansicht, dass genannter Herr Marquise auch für so manchen Erwachsenen nicht die geeignete Lektüre ist, sollte er Instabilitäten in seinem Seelenleben aufweisen.


    Genau diese Einstellung (die oder jene Gruppe soll das nicht lesen) führt ja zur Zensur.
    Natürlich müssen Kinder und Jugendliche geleitet werden. Man liest ja auch mit einem Volksschulkind keinen Goethe oder Nietzsche.


    Meine 16jährige Nichte will z. B. unbedingt "Feuchtgebiete" lesen, weil es in der Presse eben so hochgeschaukelt wird. Wenn sie unbedingt will, kommt sie an das Buch, wozu es also verbieten? Ich glaube nicht, dass ihr ästhetisches Empfinden durch diese Lektüre großen Schaden nehmen wird, oder dass sich ihr eigenes hygienisches Verhalten auf Grund eines einzigen Buches zum Negativen verändern wird.
    So viel psychische Stabilität trau ich einer 16jährigen, die sich normal entwickelt hat, schon zu.


    Jahrestage oder Gedenktage darf es meiner Meinung nach durchaus geben. Ich denke aber auch sonst des öfteren daran, wie gut wir es haben, in einem Land zu leben, wo Meinungs- und Pressefreiheit herrscht.


    Liebe Grüße, Sylli.

  • @ Voltaire: Ich glaube nicht, dass ich mich von Dir in diesem oberlehrerhaften Ton belehren lassen muss ...


    Hier: zweiter Beitrag von oben.
    Auch für derlei sind Gedenktage da. Und sinnigerweise mache ich einen Büchertisch zu dem Thema in der Woche, in der auch der Gedenktag liegt und nicht an Weihnachten, Ostern oder Neujahr ... :rolleyes


    Beste Grüße von einer "Betroffenheitsromantikerin"

  • Zitat

    Original von Eskalina
    :-( Ich habe gestern einen Film darüber gesehen, der mir ziemlich nahe ging - Es war einfach nur erschreckend. Es gibt eine Eulenrezi über das Buch.


    Der Link geht nicht - und leider hast Du auch nicht dazu geschrieben, welches Buch Du meinst.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Natürlich sollte man sich solcher Dinge nicht nur an den typischen Gedenktagen erinnern.


    Aber ich finde diese Gedenktage trotzdem eine gute Sache, wie Seestern (glaube ich) schon schrieb: sie sind ein guter Aufhänger, sich einer Sache einmal wieder besonders bewußt zu werden.


    Viele Dinge, derer man durch solche Tage gedenkt, liegen ja schon solange zurück, daß sie teilweise nicht einmal mehr unsere Eltern selbst erlebt haben. Aber gerade an solchen Tagen, werden sie einem bewußt gemacht: Unseren Eltern, uns und vor allem auch den nächsten Generationen. Sei es durch Rückblicke in den Medien, einen Büchertisch im Laden, einen Sonderartikel in der Zeitung etc.


    Ich finde es wichtig, solcher Tage zu gedenken - der guten wie der schlechten. Sei es zur Ehrung oder aber zur Abschreckung.


    Mit Betroffenheitsromantik hat das in den meisten Fällen nichts tun - wobei ich die Existenz von Betroffenheitsromantikern nicht generell abstreiten möchte.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Es ist doch völlig normal, dass an solchen Gedenktagen "Betroffenheitsromantiker", oder von "Berufs wegen Betroffene", wie die Politiker etwas zu den entsprechenden Themen sagen. Auch, wenn sicherlich an manchen Stellen Heuchelei am Werk ist, wer will darüber urteilen, wer es ernst meint und wer nicht? Ich höre darüber hinweg, wenn nur der eigentliche Zweck, nämlich die Erinnerung, erfüllt ist.


    Wichtig ist doch tatsächlich, dass solche Tage nicht vergessen werden. Zum Glück haben wir die Freiheit, etwas gegen das Vergessen zu tun, z.B. in dem man die Schriftsteller liest, um deren Bücher es sich handelt, oder aber auch nur, in dem man seinen Kindern und Enkeln davon erzählt, damit auch kommende Generationen davon erfahren, wie gesagt, diese Freiheit haben wir, deshalb meine ich, sollten wir uns aber nicht dazu hinreißen lassen, anderen vorschreiben zu wollen, wie ein aktiver Kampf gegen das Vergessen aussehen sollte.