'Der Turm' - Seiten 094 - 184

  • Christian ist ja sehr ehrgeizig!
    Er will "leuchten", bekannt sein und lernt auch außerschulisch.
    Sein Lernen und Lesen (nie geht er ohne Buch aus dem Haus) ist ja schon fast zwanghaft.
    Er macht sich sogar einen Plan, was ein "Großer Mensch" durchlaufen muss.


    Christian ist beeindruckt von Stefan Zweigs Buch "Die Welt von gestern":
    Dort entdeckt er viele Anspielungen, die er von Meno und von Niklas gehört hat.
    Auch begeistert es ihn, dass man in Europa von dem ersten Weltkrieg reisen konnte, ohne einen Pass zu brauchen.
    Für ihn ist da ja unbekannt - er sitzt fest in seinem Turm, diese Weite des Horizonts ist ihm nicht möglich.
    Er kann sich nur die anderen Welten erträumen - was er ja anhand der Postkarten zum Beispiel auch tut.

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Hier hat mich Richard erstaunt:



    Auch hier spielt Zeit wieder eine Rolle - Richard erinnert sich, fragt sich,wo die Zeit geblieben ist.
    War es nicht erst gestern, dass er das erste Mädchen geküsst hat? und nicht erst vor kurzem, dass er ein Vogelnest gefunden hat?


    "In der Dunkelheit geht man aus dem Haus, in der Dunkelheit kehrt man zurück"

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Die Beschaffung des Tannenbaumes finde ich schon fast komisch und dass sie sich ausgerechnet Barsanos Fichte aussuchen ebenfalls.



    Die Geschichte mit dem Rührgerät entbehrt eigentlich auch nicht der Komik(S.161)
    Erst möchte der Abschnittsbevollmächtigte, dass Anne das Rührgerät ersetzt - bis ihm einfällt, dass auch seine Frau einwandfreie Kurbelrührerzeugnisse (S.162) herstellen möchte.

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Conor ()

  • Diese ganze Einkaufsszene fand ich sehr komisch, fast ein bißchen überdreht. Da habe ich mich schon gefragt, ob die Produkte wirklich sooo schlecht waren. Lustig fand ich auch, dass die Leute sich anstellen, ohne zu wissen was es eigentlich gibt. Könnte ja was dabei sein. Diese Mangelwirtschaft wird schon gut beschrieben.

  • Dieser Abschnitt beschreibt ganz viele unterschiedliche Begebenheiten, wie es in der damaligen DDR zugegangen ist. Das macht den besonderen Reiz aus, finde ich. Und die Protagonisten lernt man auch besser kennen.


    :wave Ruhrmaus

  • Zitat

    Original von Conor
    Christian ist ja sehr ehrgeizig!
    Er will "leuchten", bekannt sein und lernt auch außerschulisch.
    Sein Lernen und Lesen (nie geht er ohne Buch aus dem Haus) ist ja schon fast zwanghaft.
    Er macht sich sogar einen Plan, was ein "Großer Mensch" durchlaufen muss.


    Ich bin noch nicht ganz durch mit diesem Abschnitt, habe aber gerade das Kapitel über Christian und seinen ehrgeizigen Willen zum Lernen gelesen. Wirklich beeindruckend, wie viel er lernt und liest. Als er versucht Robert zu überbieten und an einem Tag 716 Seiten liest, wirkt sein Ehrgeiz schon fast etwas krankhaft.


    Als sehr beeindruckend empfinde ich die Beschreibung der Welt in der die Türmer - die Musik, die Literatur, die intelligenten Gespräche.


    Ich freue mich schon, die nächsten Seiten zu lesen :-)

  • Das Richard mit Josta eine Affaire hat und sogar ein Kind mit ihr hat und sich auch um ihren Sohn kümmert, hat mich sehr überrascht, da ich nicht damit gerechnet hat.


    Sehr witzig fand ich dafür das Tannenbaumkapitel und die ganze Szene, die dort beschrieben wird. Ähnlich unterhaltsam - da stimme ich euch zu - war die Episode mit dem Rührgerät, da musste ich doch schon schmunzeln.

  • In diesem Abschnitt hänge ich jetzt seit Tagen fest und das ganze Buch ödet mich einfach nur an. Am Anfang fand ich den Schreibstil ja ganz okay, aber mittlerweile nervt er mich und ich habe überhaupt keine Lust weiter zu lesen. Ich lasse das Buch natürlich neben meinem Bett liegen und vielleicht habe ich ja zwischendurch doch mal Lust noch ein Kapitel zu lesen und vielleicht bin ich dann ja in 10 oder 20 Jahren fertig mit dem Buch. Mein Freund hat das Buch auch nicht zu ende gelesen und fand es auch nur langweilig. Er ist allerdings bis auf Seite 300 irgendwas gekommen.

    :wave Gruß Dany


    Die Wirklichkeit ist etwas für Leute, die mit Büchern nicht zurechtkommen.
    Leserweisheit

  • Ja das denke ich auch. Dieses Buch passt zur gegebenen Zeit vielleicht zu mir, aber momentan geht es mir einfach auf die Nerven. Es ist nur so interessant, dass mein Freund und ich genau gleich über dieses Buch denken und es beide dann wohl erstmal abbrechen.

    :wave Gruß Dany


    Die Wirklichkeit ist etwas für Leute, die mit Büchern nicht zurechtkommen.
    Leserweisheit

  • Wiederaufnahme der Leserunde ab 3. Januar 2013


    Was ich im vorigen Abschnitt bemängelt habe, hat sich hier ein wenig gegeben, die ständigen Anspielungen auf spezielle DDR-Besonderheiten. In diesen Kapiteln fügen sie sich besser in die Handlung und stehen nicht mehr so sperrig im Raum.


    Ich finde im Moment, dass Wehmut im Roman eine wichtige Rolle spielt: Wehmut darüber, dass das Leben vorüber geht, und man kann nichts dagegen tun. Richard ist so einer, der viel erreicht hat und viel will, wenn möglich alles; die Spitze der Leiter im Job, die perfekte Familie, Liebe, die immer jung bleibt - oder wie soll ich deuten, dass er neben seiner Familie mit Anne, die ich übrigens als tolle Frau empfinde und er wohl auch, trotzdem noch eine zweite Familie hat. Wie es mit ihm weiter geht, bin ich wirklich neugierig.

  • Wenn ich es richtig deute, geht es hier im Gegensatz zu Vorher, wo der Schwerpunkt auf der Enge, die durch Mangel und Machtstrukturen gesetzt wurde, um die Enge des Geistes, die Zwänge, denen er unterlag, um den Druck dessen, was andere über einen dachten, was oft im Gegensatz dazu stand, wie man sich eigentlich selbst sah mit all seinen unausgesprochenen Gedanken.


    Was Rohde da in Kapitel 11 schreibt, habe ich auch nicht ganz durchschaut und muss es mir wohl noch mal zu Gemüte führen. :wow

  • Zitat

    Original von xexos
    Besten Dank für den Erklärungsansatz. Ich mag solch wirren Kapitel nicht und weiß auch keinen Grund, warum ein Autor so schreiben muss. Und dann wird es auch noch veröffentlicht und ausgezeichnet nach dem Motto "Literatur ist es, wenn es keiner versteht."? ?(


    Ich muss leider sagen, dass ich mit den kursiv gedruckten Tagebucheinträgen Mennos nichts oder nicht viel anfangen kann. Was denkt er dabei? Was versteckt er für Ansichten? Viele? Gar keine? Mir fehlt vielleicht auch die Lust, sie zu entschlüsseln...

  • Seite 94: 15 Jahre Wartezeit, um einen Telefonanschluss „zugeteilt“ zu bekommen. Das gehört zu den Dingen, die ich zwar mitbekommen habe, die ich mir aber nie wirklich habe vorstellen können, zu selbstverständlich war es für mich, über ein Telefon verfügen zu können. Ich bin dankbar, die Situation einmal so genau und ausführlich beschrieben zu bekommen, denn – wie schon im Beitrag zu Teil 1 erwähnt – habe ich sehr selten Klagen gehört. Das Höchste war „wir müssen mal schauen, mit dem Telefon ist es nicht so einfach“.


    Auch die Vorstellung von Menos Arbeit beeindruckt mich, nicht unbedingt im Positiven. Den Satz „... zur Demütigung, dass man die Texte nicht druckte, wie sie waren, kam die Demütigung, dass man es auch noch dem Autor überließ, sie schrittweise abzutöten.“ (Seite 97) habe ich wieder und wieder lesen müssen, er hat mich festgehalten, fast umklammert in seiner deprimierenden Konsequenz … doch wanderte der Gedanke dann weiter und flüsterte mir zu: Selbstzensur, die gibt es doch nicht nur in Diktaturen, Pardon, in demokratischen Republiken, sondern, wenn auch aus ganz anderen Gründen, in Demokratien westlicher Couleur.
    Der letzte Absatz Seite 97, der sich weit auf Seite 98 fortsetzt, hat mich nachdenklich gemacht; laut Wikipedia-Artikel zum „Turm“ sei Dieter Noll als Lührer identifiziert – ich musste allerding immer an Bruno Apitz und sein „Nackt unter Wölfen“ denken, ich musste an das denken, was ich bisher über den sozialistischen Realismus gelesen habe, an die Anforderungen der Anpassung an die jeweils herrschende „Richtung“, an das, was mit dem jeweiligen Werk bezweckt werden sollte … reichlich desillusionierend das alles und zum Heulen finde ich es auch.


    Meno bemerkt (Seiten 107, 110) kleine, feine Unterschiede zu früheren Besuchen in Ostrom. Interessante Beobachtungen, zu denen ich gar zu gerne wissen würde, ob diese Details nur für diesen Dresdener Bezirk galten oder generell. Haben wohl andere Menschen ähnliches wahrgenommen? Schade, dass es keine Anmerkungen zu dem Roman gibt.


    Christian geht also in die EOS „Maxim Gorki“ - was mich natürlich zu der Frage bringt, was las man eigentlich damals im Schulunterricht, was wurde an literarischem Stoff durchgenommen. Und im Russischunterricht. Gorki - wieso kann ich das kaum glauben? Sein – Christians - gedanklicher Ausbruch Seite 116 ist aber doch herrlich; er mag sich auch nicht aus seinem Gedanken-“Turm“ verabschieden. Als Gegenmittel zum allzu grauen Schulalltag braucht es halt eben Rückzugsorte.


    Kapitel 10 hat es mir angetan. Der Alte vom Berge schreibt und spricht, mir gefällt dieser Wechsel zwischen Geschriebenen und Szenischem. Einige – bittere – Wahrheiten gibt er von sich, der Herr Autor.


    Kapitel 11: Hermann Hesse und dann nichts mehr? Na ja. Armes Fräulein Leukroth, was würde sie leiden müssen, würde sie den heutigen Buch-Betrieb näher ins Auge fassen müssen. Aber Perlen, die finden sich immer noch und – wie mir scheint – wieder verstärkt.
    Fast möchte ich ja an Herrn Tellkamp appellieren, das Tagebuch Menos herauszugeben, es scheint mir äußerst lesenswert. (Pardon Clare und xexos - aber mir gefällt es wirklich :knuddel1)


    Christian: Mir scheint es, als lebe er in zwei Welten. Einerseits die Schule mit ihren so anderen Anforderungen, dann die Idylle des Zuhauses mit Rosenkavalier (Seite 142), Tonio Kröger (Seite 1943) und der „Welt von gestern“ von Stefan Zweig (Seite 152). Nun wird er also genannt, der Name, der mir schon im ersten Teil immer wieder in den Sinn kam. Ideal, das man festhalten will, bildungsbürgerlich und –hungrig, und doch immer sich an der Realität messen und stoßen müssen. Ich frage mich unwillkürlich: War für die „Türmer“ die Wirklichkeit leichter oder schwerer zu "ertragen", da sie sich gewissermaßen doch in ihre „andere Welt“ flüchten konnten?
    Und mit seinen Träumen vom Nobelpreis etc.: Will Christian unbedingt dort bleiben, im Turm, lernt er dafür „bis zur Verbitterung“ (Seite 153), liest er dafür „zwei oder drei Bücher am Tag“ (Seite 154) oder auch mal „716 Seiten“ (Seite 155) am Stück – mir scheint, er will nicht nur die Anerkennung seiner Familie; er sucht einen Platz im „Turm“, nicht gerade ganz unten. Mir scheint aber auch, dass sein Lebensplan eine ziemlich traurige Angelegenheit ist.
    Eine Freundin meinte, das Kapitel 12 sei satirisch oder ironisch gemeint. Mag sein, dass man das so auffassen kann, aber ich glaube es eher nicht. Mir scheint es die Gedankenwelt eines 17-Jährigen, der väterlicherseits (und vielleicht auch von Seiten der Onkel) immensem Druck ausgesetzt ist, gut wiederzuspiegeln. Die Alternative, die er hat: Ausbrechen. Hätte er dafür die Energie?


    Und Richard – tja, was sag man dazu? Eine fordernde Geliebte, eine zauberhafte Tochter, einen Nenn-Sohn, der ihn verteidigt. Und dann seine „legale“ Familie. Da wirken Kräfte in seinem Herzen und seinem Sinn! Aber tut er mir leid?: Nicht die Spur, er wusste doch, was er tat … und was er anderen antut.


    Kapitel 15: Wie schön, einfach nur schön. Nach den Bedrückungen der vorigen Kapitel war das für mich zum Aufatmen. Einmal zurücklehnen und schmunzeln. Obwohl natürlich auch hier nicht nur Gemütlichkeit vorherrscht, nein, nein, die Realität, wie Tellkamp sie seine Protagonisten sehen lässt und von der ich annehmen darf, dass sie gut wiedergegeben ist, bricht sich immer wieder Bahn, manchmal nur ganz kurz, schaut quasi vorbei und ist wieder weg, aber nur bis hinter dem Vorhang, sie wartet auf den nächsten Auftritt. Der ja kommt. Zwangsläufig.

  • Zitat

    Original von Lipperin
    ...
    Der letzte Absatz Seite 97, der sich weit auf Seite 98 fortsetzt, hat mich nachdenklich gemacht; laut Wikipedia-Artikel zum „Turm“ sei Dieter Noll als Lührer identifiziert – ich musste allerding immer an Bruno Apitz und sein „Nackt unter Wölfen“ denken, ich musste an das denken, was ich bisher über den sozialistischen Realismus gelesen habe, an die Anforderungen der Anpassung an die jeweils herrschende „Richtung“, an das, was mit dem jeweiligen Werk bezweckt werden sollte … reichlich desillusionierend das alles und zum Heulen finde ich es auch.


    Ich schaue nicht nach, was alles an Parallelen zu lesen ist und wer hinter den Figuren, den Schriftstellern im Roman, steckt. Aber ich finde interessant, was du darüber schreibst. :wave


    Zitat

    Meno bemerkt (Seiten 107, 110) kleine, feine Unterschiede zu früheren Besuchen in Ostrom. Interessante Beobachtungen, zu denen ich gar zu gerne wissen würde, ob diese Details nur für diesen Dresdener Bezirk galten oder generell. Haben wohl andere Menschen ähnliches wahrgenommen? Schade, dass es keine Anmerkungen zu dem Roman gibt.


    Veränderungen gab es überall, je nachdem, wie der politische Wind wehte. Das weiß ich allerdings hauptsächlich aus Erzählungen und dem zuhören bei Gesprächen der Erwachsenen, denn ich ich war zur Wende 18 Jahre.


    Zitat

    Christian geht also in die EOS „Maxim Gorki“ - was mich natürlich zu der Frage bringt, was las man eigentlich damals im Schulunterricht, was wurde an literarischem Stoff durchgenommen. Und im Russischunterricht. Gorki - wieso kann ich das kaum glauben?


    Was mussten wir lesen? Unterschiedliche Bücher in unterschiedlichem Alter:
    Salvi Fünf oder Der zerrissene Faden - Willy Meinck
    Feuertaufe - Arkadi Gaidar
    Die große Reise der Agathe Schweigert - Anna Seghers
    Nackt unter Wölfen - Bruno Apitz
    Antigone - Sophokles
    Romeo und Julia - Shakespeare
    Die Reise nach Sundevit - Benno Pludra
    Wie der Stahl gehärtet wurde - Nikolai Ostrowski
    Die Abenteuer des Werner Holt - Dieter Noll
    Der Untertan - Heirich Mann
    Professor Unrat - Heinrich Mann
    Faust 1 - Goethe
    Effi Briest - Fontane
    Professor Mamlock - Konrad Wolf
    Neuland unterm Pflug Teil 1 - Scholochow
    Die Mutter - Gorki
    Hamlet - Shakespeare
    Der Streit um den Sergeanten Grischa - Arnold Zweig
    Macbeth - Shakespeare
    Das Siebte Kreuz - Anna Seghers
    ...
    Das ist mir auf die Schnelle eingefallen :grin


    Zitat

    Fast möchte ich ja an Herrn Tellkamp appellieren, das Tagebuch Menos herauszugeben, es scheint mir äußerst lesenswert. (Pardon Clare und xexos - aber mir gefällt es wirklich :knuddel1)


    Vielleicht verstehe ich die Einträge nur nicht. :rolleyes


  • Danke!
    Und doch Gorki, und dann noch "Die Mutter" - oje, was habe ich gelitten bei dem Buch. :-(