Jayne Anne Phillips - Glasmondmann

  • Jayne Anne Phillips
    Glassmondmann
    Originaltitel: Lark and Termite
    Berlinverlag
    gebunden 19,90 Euro
    ISBN 789-3-8270-0281-5



    Die Autorin
    Informationen über die Autorin finden sich auf ihrer sehr interessanten Homepage: http://www.jayneannephillips.com/



    Das Buch
    Amerika in den 50er Jahren: Termite und Lark leben in Verhältnissen, die man wahrscheinlich eine disfunktionale Familie nennen würde. Die Halbgeschwister, die ihre Mutter nicht kennen, wachsen bei ihrer hart arbeitenden Tante auf. Larks Vater ist unbekannt, der Vater des körperlich behinderten Termite ist im Korea-Krieg verschollen. Trotzdem ist dieser ungewöhnliche Familienroman keine deprimierende Geschichte, sondern so etwas wie eine Lobpreisung der Patchwork-Familie. Denn neben ihrer liebevollen Tante Nonnie gibt es in dem Roman eine ganze Reihe von Personen, die den Geschwistern zur Seite stehen. Ein gewisser nostalgischer Touch einer vermeidlich solidarischeren Welt ist nicht zu leugnen. Dennoch bleibt die Hauptverantwortung für den behinderten Termite bei seiner Schwester, die sich aufopferungsvoll um ihn kümmert. Der Roman wird aus der Perspektive der verschiedenen Familienmitglieder erzählt. Besonders anrührendend ist dabei die Beziehung zwischen Termite und Lark. Auch aus Termites Perspektive wird ei Teil der Handlung erzählt und diese fast lyrischen Passagen gehören zu dem Feinsten, was dieser wunderbare Roman zu bieten hat. Daneben gibt es eine zweite Handlungsebene, die die Erlebnisse Robert Leavitts - Termites Vater - in Korea schildert. Diese Abschnitte lesen sich etwas zäher, als der sehr flüssige Rest des Romans, sind aber ausgesprochen interessant, da sie einen Eindruck vom "vergessenen" Korea-Krieg und dessen Einfluss auf die amerikanische Gesellschaft geben. Dadurch ist es Jayne Anne Phillips nicht nur gelungen eine wirklich berührende Familiengeschichte zu erzählen, sondern auch Porträit der amerikanischen Gesellschaft der 50er Jahre zu liefern.
    Großartige Erzählkunst!
    9 von 10 Punkten!

  • Vielen Dank für die schöne Rezi, Clio.
    Nun kommt es endlich auf die WL. :wave

    Herzlichst, FrauWilli
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    Ich habe mich entschieden glücklich zu sein, das ist besser für die Gesundheit. - Voltaire

  • Der Koreakrieg, in dem der Unteroffizier Robert Leavitt beim „Massaker von No Gun Ri“ schwer verletzt wird, bildet die Rahmenhandlung dieses Romans. Eingebettet darin ist die Erzählgegenwart um Lark, Termite und Nonie.
    Die Handlungen spielen an vier Tagen jeweils Ende Juli 1950 und 1959 aus der wechselnden Perspektive der vier Hauptprotagonisten. Durch diese Zeitgleichheit wird die Verbindung der beiden Ebenen verstärkt.


    Der 23-jährige Robert Leavitt liegt im Sterben, als sein Sohn Termite geboren wird. Die Passagen um Robert sind durchzogen von Gedanken- und Erinnerungsfetzen an sein Leben vor dem Krieg, besonders an seine kurze Ehe mit der Sängerin Lola, Termites Mutter.
    Im Alter von einem Jahr kommt der behinderte Termite in die Obhut seiner Tante Nonie nach Winfield, West Virginia. Dort lebt auch seine Halbschwester Lark. Im Juli 1959 ist Termite 9, Lark 17 Jahre alt. Termite, stark sprach- und gehbehindert, wird aufopferungsvoll von Lark umsorgt, während Nonie hart arbeitet, um die kleine Familie zu versorgen.


    Fantastisch und fast magisch sind die Einblicke, die Jayne Anne Phillips dem Leser in Termites Welt gewährt, dessen einziger Berührungspunkt zur Außenwelt Lark ist. Termite hat ein außergewöhnliches Gehör, Worte sind für ihn Laute, die er nachbildet. Seine Welt scheint aus Tönen, Musik, Formen, Bildern und Farben zu bestehen, die sich ineinander verschieben und verschwimmen.
    Lark ist eine starke, offene und ehrliche junge Frau, die auf der Suche ist – auf der Suche nach Termites und ihrer Mutter und ihrer beider Väter.
    Als eines Tages ein schweres Unwetter über Winfield aufzieht, reißt die folgende Flut nicht nur Menschen in den Tod und zerstört Häuser, die Flut bringt auch eine Neuorientierung für Lark und Termite.


    Jayne Anne Phillips erzählt mit solch einer poetischen Wucht diese Geschichte einer zerrissenen Familie, dass sie den Leser damit immer wieder in Staunen versetzt.
    Nicht nur sind die Charaktere aufs feinste ausgearbeitet mit unerhörter Tiefe, auch vom Erzählstil her verleiht die Autorin jeder Figur eine eigene „Stimme“.
    Ist die Sichtweise Nonies realistisch-nüchtern, kippt der Erzählstil bei Termite in eine magisch-fantastische, fast übersinnliche Welt, in der die normalen Alltäglichkeiten unwichtig sind.


    „Glasmondmann“ ist ein Roman über Leben und Sterben, Liebe und Hass, Sitte und Moral, Träume und Scheitern und die Solidarität über Generationen.
    Jayne Anne Phillips fängt die Nachkriegsrealität ein, die Wunden, die der Krieg über Orte und Zeiten hinaus riss, lebenslang traumatisierte Menschen zurücklassend.


    9,5/10 Punkten.

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Zitat

    Original von Sigrid2110
    Bei mir liegt das Buch schon zum Lesen bereit :-).


    Bei mir ebenfalls. Allerdings wird das mit dem Lesen nicht so schnell gehen wie bei dir. Aber dank eurer positiven Rezis kann ich mich immerhin schon mal drauf freuen :wave

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Saz, das kannst du. Es ist wirklich ein besonderes Buch!


    Sigrid, danke für deine schöne Rezenion, die das Buch wirklich gut trifft. Hat mich nochmal zum Nachdenken gebracht!!

  • Ich hab's soeben fertig gelesen. Die ersten zwei Drittel des Buches haben mir eigentlich gut gefallen, auch wenn man sich bei den Berichten aus Korea (wie Clio schon schrieb) etwas mehr Zeit nehmen muss. Aber diese ganzen Ereignisse, als die Flut kommt, fand ich irgendwie übertrieben und unpassend



    Nunja, mir hätte das Buch vllt. besser gefallen, wenn ich die letzten 100 Seiten nicht gelesen hätte.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Ich schließe mich saz an, der erste Teil des Buches hat mir auch sehr gut gefallen. Die Sprache des Buches ist wirklich etwas ganz besonderes und man sollte sich Zeit dafür nehmen, sie auch wirklich zu genießen.
    Im letzten Teil des Buches wird es dann rasant und für mein Gefühl, übertreibt es die Autorin an manchen Stellen dann doch ... mir hätte das Buch auch so genügt und ich hätte dieses Ende und die Entwicklungen während der Flut nicht noch gebraucht.


    Ansonsten aber ein schönes Leseerlebnis; von der Autorin würde ich in Zukunft gerne noch mehr lesen.
    8 Punkte.

  • Ich kann mich euch, buzzaldrin und saz, nur anschließen. Ich habe dieses Buch im Januar gelesen und die ersten Seiten fand ich unglaublich gut. Allein die Beschreibung wie Robert den blinden Jungen trägt und dann die Flugzeuge kommen, wie das beschrieben wird, das hat mich ungemein begeistert. Aber auf den letzten 100 bis 150 Seiten habe ich irgendwie die Verbindung zu dem Buch verloren. Vieles, was da dann kam, war mir einfach zu konstruiert und auch ein bisschen zu vorhersehbar.


    Trotzdem werde ich auf jeden Fall noch weitere Bücher der Autorin lesen.


    Liebe Grüße
    Lille


    Edit: Rechtschreibfehler

  • Zitat

    Original von Lille
    Trotzdem werde ich auf jeden Fall noch weitere Bücher der Autorin lesen.


    Bei mir ist gleich "Maschinenträume" auf die Wunschliste gewandert, da es mich vom Inhalt sehr angesprochen hat. Sprachlich hat mich "Glasmondmann" überzeugt, aber es hat für mich am Ende einfach nicht gepasst ... ich hoffe, dass ist hier anders.