'Die Landkarte der Zeit' - Seiten 001 - 101 (Kap. 01 - 05)

  • Puh,
    ich bin leider noch nicht sehr weit in dem Buch, wollte aber bescheid geben, dass ich schon angefangen habe und mich durchackere.


    Ich tue mir mit dem Stil doch schwerer als erwartet. Es gefällt mir zwar wirklich gut (der Erzählstil hat schon etwas sehr besonderes), aber es dauert viel länger dieses Buch zu lesen, als sonstige Unterhaltungsromane. Irgenadwie bin ich viel langsamer.


    Die Sprache gefällt mir ausgesprochen gut, die Art des Erzählens, also die etwas altertümliche Sprache, ich fühle mich geradezu zurückversetzt in eine andere Zeit (die des Buches natürlich ;-)). Ich frage mich schon die ganze Zeit, wer der Erzähler ist, auch wenn ich glaube, im Klappentext einige Hinweise zu finden - dennoch denke ich dass uns hier noch einige Überraschungen erwarten.

    "Show me a girl with her feet planted firmly on the ground and I'll show you a girl who can't put her pants on." (Annik Marchand)

  • Anfangs hatte ich auch leichte Konzentrationsprobleme, habe mich aber schnell an die verschnörkelten Sätze und Wendungen gewöhnt und inzwischen großen Spaß daran. Das ist auch der äußerst gelungenen Übersetzung zu verdanken. :anbet


    Schon die erste Seite weist deutlich auf den Stil hin und lässt auch vor meinem inneren Auge alte Jahrmarktbuden sichtbar werden, die auch mit dubiosen Sprüchen Schrecken und Grauen versprachen, von außen jedoch fast harmlos aussahen.


    Bisher ist es nicht schrecklich, sondern sehr unterhaltsam, wie der Erzähler den Lesern die Geschichte erzählt, Andrew langsam und ausführlich vorstellt und auch die anderen Figuren, seine Figuren "aufstellt". So bekommen die Leser viel Zeit, Andrew und die anderen Figuren kennenzulernen. Redselig und selbstbewusst spricht er mit den Lesern, schafft es, diese Ära lebendig werdene zu lassen, in der fast alles möglich schien, der technische Fortschritt das Leben ständig veränderte.


    Das Verhältnis zwischen Andrew und seinen Eltern scheint nicht besonders herzlich zu sein, wenn er davon ausgeht, dass sein Vater sich weniger an seinem Selbstmord an sich stören wurde, als an der fehlenden Ankündigung bzw. Rücksprache. :rofl


    Die Planung des Selbstmords erinnert mich ein wenig an "Harold and Maude", auch wenn da die Umstände ganz anders sind.


    Auch die Anspielung, dass es nichts echtes Englisches mehr gäbe außer Verbrechen, ließ mich schmunzeln, denn auch heute ist das noch ein Thema in England.


    Andrew ist von Beruf Sohn, naiv und schwermütig, neigt zu theatralik und sein Leben scheint sehr sehr sehr langweilig zu sein. Durch Maries Schicksal wird es nicht besser. Sein Vater enterbt ihn vor Zeugen, doch kann das wohl nicht von Dauer sein, denn am Anfang des Buches nimmt er die Pistole aus dem Waffenschrank seines Vaters. Mit dem Selbstmord wird das wohl nix, denn das würde weder zum Stil des Erzählers passen, noch zum Inhalt der Geschichte.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.

  • Den ersten Abschnitt habe ich nun so gut wie beendet. Mir fehlen zwar noch 5 Seiten, habe aber gerade Zeit zum posten gefunden.


    Sprachlich gefällt mir das Buch bisher unwahrscheinlich gut. Ich liebe diese blumige und ausschweifende Sprache, die verschachtelten Sätze, die man manchmal zwei Mal lesen muß. Der Humor des Autors ( z.B. Seite 13 "Schließlich brachte er sich zum ersten Mal um" ) bringt mich immer wieder zum Schmunzeln. Auch die Art Palmas, den Leser immer wieder direkt anzusprechen, ihn mit in die Geschichte hineinziehen zu wollen, finde ich sehr interessant.


    Zitat

    Original von Clodi
    Die Sprache fasziniert mich sehr, ich finde, dieses Buch könnte auch ein Klassiker sein. Ich weiß jetzt schon, wenn das Wochenende vorbei ist und die Arbeitswoche mich wieder hat, wird das Lesen dieser Lektüre viel langsamer von statten gehen. Aber dieses Buch allzu schnell zu lesen, würde für mich den Genuß schmälern.


    Besser hätte ich es nicht beschreiben können. Das Buch gehört eindeutig nicht zu denen, die man eben mal schnell in einem Rutsch einfach durchliest. Es verdient, daß man sich hinreichend damit beschäftigt und ihm die Zeit gibt, die es braucht.


    Richtig Gedanken darüber, wer der Erzähler sein könnte, habe ich mir noch gar nicht gemacht. Präsent ist er mir immer nur dann, wenn er kurz auftaucht, danach bin ich wieder voll bei den Protagonisten.


    Die Charakterdarstellungen von Andrew und Charles finde ich sehr gelungen. Beide wachsen zusammen auf und haben diesselben Interessen .... sich einfach dem Nichtstun hinzugeben. :lache Während Andrew sich jedoch weiterzuentwickeln scheint, bleibt Charles seinem bisherigen Lebensstil treu. Dies scheint jedoch der Freundschaft der beiden keinen Abbruch zu tun.


    Zitat

    Original von Mulle
    Ich habe den Abschnitt jetzt beendet. Interessant fand ich ja Hauptfigur Andrew, der mir vom Typ her ganz tierisch auf die Nerven fallen würde. Unreifes, verzogenes Früchtchen und dazu ein Jammerlappen vor dem Herrn. Aber da der Autor/Erzähler ihn auch nicht ganz ernsthaft beschreibt, sondern sich mehr oder weniger subtil sogar etwas über ihn lustig macht, passt das sehr gut.


    Cousin Charles ist mir irgendwie symapthischer, ihn kann ich mir auch so richtig gut vorstellen im Victorianischen London. Cousin Charles ist für mich jetzt schon Jude Law, nichts mehr dran zu rütteln.


    Als unreif und verzogen empfinde ich eigentlich beide, aber jeden auf seine Weise. Andrew empfindet seinen bisheriges Lebensstil als langweilig, möchte sich weiterentwickeln, weiß jedoch nicht wohin die Reise gehen soll. Charles dagegen genießt sein Dasein unvermindert weiter. Aber wenn ich wählen müßte, wer mir sympathischer wäre, wäre das wohl auch Charles. :lache


    Was die Beschreibung der Atmosphäre angeht, ist diese dem Autor meiner Meinung nach nicht so gut gelungen. Wenn ich nicht immer den Film mit Michael Caine vor Augen gehabt hätte, wäre es mir sehr schwer gefallen, mich in das neblige London des 19 Jhd. hineinzuversetzen.

  • So, endlich komme ich dazu zu posten. Hab diesen Abschnitt Sonntag Abend schon beendet. Jetzt schreibe ich erstmal und lese anschließend die vorhergehenden Kommentare durch, sind ja eine ganze Menge.


    Eine Geschichte die im viktorianischen England spielt und dann auch noch mit Jack the Ripper verwoben ist, diese Richtung gefällt mir schon mal sehr gut. Schmunzeln musste ich, dass mal eben so nebenher erwähnt wird, dass der Urheber von Maries Portrait Walter Sickert ist, dessen Name ja (u.a. in dem Sachbuch "Wer war Jack the Ripper" von Patricia Cornwell) auch mit diesem Rätsel der Kriminalgeschichte in Verbindung gebracht wird.


    Im Zusammenhang Jack the Ripper / Zeitreise dachte ich aber auch an den Film "Flucht in die Zukunft" nach dem Buch "Flucht ins Heute" von Karl Alexander. Hier flüchtet "Jack" mit H.G. Wells Zeitmaschine in die Zukunft (ich glaube 1980er waren es) und Wells verfolgt ihn, um ihn zu stellen. Die Verfilmung mit Malcolm McDowell und David Warner gefiel mir recht gut, das Buch hab ich auch, aber noch nicht gelesen.


    Aber weiter bei unserem Buch. Andrew und Charles scheinen für mich zwei typische Figuren ihrer Zeit, zumindest wenn man nach der Literatur geht: Der eine der vergnügungssüchtige aber ebenso scharfäugige (und -züngige) Dandy, der andere vor Weltschmerz und Vergeistigung total durch den Wind. Ich gestehe, nach den ersten paar Seiten war mir Andrew nicht sonderlich sympathisch. Er scheint mir eher ein etwas weinerlicher Typ zu sein, der sich offenbar wohl dabei fühlt in Selbstmitleid und Vorwürfen zu suhlen, das grausame Schicksal zu Verfluchen und jetzt möglichst pathetisch den Abgang zu machen.


    Die Atmosphäre von Whitechapel wurde für mein Empfinden recht gut getroffen. Natürlich sieht man die ganze Geschichte stark gefärbt aus Andrews Perspektive. Ob Marie all das ebenso empfunden hat? Oder sah sie in Andrew nur ihre große Chance das Elend hinter sich zu lassen? Vielleicht gibt es ja später noch einen Perspektivenwechsel.


    Sehr gut gefällt mir der Sprachstil, auch wenn er gelegentlich sehr ausufert und sich in Schachtelsätzen ergeht, aber so wirkt das ganze auf mich irgendwie authentischer und ich mag es gerne vom Autor und / oder dem Erzähler persönlich angesprochen zu werden. Auch der unterschwellige Humor des Erzählers hat es mir angetan. Ich bin gespannt ob er noch als Figur in Erscheinung treten wird (vielleicht der mysteriöse Bibliothekar vom Klappentext?) oder ob er einfach nur die Stimme des Autors ist.


    Tja... von der Zeitreise hat man noch nicht viel gehört, aber ich denke, nun da Andrew schon den Finger am Abzug hat, kann es wohl nicht mehr lange dauern, ich lese gespannt weiter.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Zitat

    Original von Tilia Salix
    angefangen beim "Staunen und Schrecken garantiert!"-Aufdruck auf der ersten Seite, der von einigen schon bemängelt wurde, für mich allerdings ganz hervorragend zur Atmosphäre passt. Da enstehen Bilder von Varieté oder Circus, Freakshow und diverse "viktorianische Gruselliteratur", die mir ganz stimmig scheinen.


    :write Das ging mir auch so. Ich musste auch speziell an das Buch "Das Löwenmädchen" denken, das mit einer ähnlichen Einleitung beginnt. Und wer außer einem Jahrmarktsscharlatan würde den Leuten schon weismachen wollen, man könne durch die Zeit reisen? ;-) :grin

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Die Sprache ist schon gewöhnungsbedürftig für mich aber dennoch kam ich verhältnismäßig gut ins Buch.
    Besondere Sympathien konnten sich noch nicht entwickeln.
    Charles und Andrew kam mir sehr snobmäßig vor. Sie nehmen sich das was sie wollen ohne zu fragen.
    Kein Gedanke z. B. bei Andrew an Maries Mann. Die Dienstleistungen des Personals sind für ihn so selbstverständlich, dass er die Menschen dahinter nicht sieht.


    War zwar wohl zu damaliger Zeit normal aber stören tut es mich trotzdem.

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    Spannend, die unterschiedlich die Auffassungen sind :-)


    Für mich ist er nie präsent, nur dann, wenn er seinen kurzen Auftritt hat, danach richtet sich mein Fokus wieder auf die Protagonisten und der Erzähler verschwindet aus meinem Kopf.


    So geht es mir auch. :write

  • Zitat

    Original von Paradise Lost
    Die Atmosphäre von Whitechapel wurde für mein Empfinden recht gut getroffen. Natürlich sieht man die ganze Geschichte stark gefärbt aus Andrews Perspektive. Ob Marie all das ebenso empfunden hat? Oder sah sie in Andrew nur ihre große Chance das Elend hinter sich zu lassen? Vielleicht gibt es ja später noch einen Perspektivenwechsel.


    Ob Marie sich auch in Andrew verliebt hat, habe ich mich auch gefragt. Anfangs hat sie ihn wie jeden ihrer anderen Kunden behandelt, aber nach der ersten gemeinsamen Nacht doch zumindest körperlich auf ihn reagiert. Allerdings ist dies natürlich nur Andrews Erzählungen zu entnehmen. :grin

  • Zitat

    Original von Sabine_D
    Ich denke schon, dass sie später Gefühle für ihn hatte. Stand nicht irgendwo sinngemäß geschrieben, dass ihr Mann deshalb seltener daheim war?


    Ihr Mann mußte immer dann aus dem Zimmer, wenn sie sich da mit Andrew traf. Ich nehme an, dass sie Andrew nur als Geldquelle gesehen hat, mehr nicht. Sie hat sich ja auch nicht bemüht, ihr Leben in irgendeiner Weise zu ändern, ist z.B. weiter in die Kneipe zum Trinken gegangen.

  • Ich glaube, wenn man wirklich unter solch schrecklichen Bedingungen lebt, dann ist die Aussicht, von jemandem da rausgeholt zu werden, so überwältigend, dass dieser "Drang" nach einem besseren Leben vermutlich stärker ist als alles andere, auch stärker als echte Gefühle.
    Vermutlich redet man sich in einer solchen Situation alles schön und aus einer gewissen Sympathie plus der Hoffnung auf bessere Lebensumstände wird etwas, dass sich noch viel stärker als Liebe anfühlt.
    Dass sie ihn liebt, habe ich persönlich an keiner Stelle wahrgenommen, so hat sie ihren Mann ja auch nicht verlassen, sondern nur weggeschickt wenn Andrew kam. Dass sie glaubte, ihn zu lieben, kann ich mir aber gut vorstellen.
    Wenn sie ihn "benutzen" wollte, um ihre Situation zu verbessern, dann sicher nicht mit böser Absicht, sondern aus der Not heraus, die ich einfach als sehr groß einschätze.

  • Zitat

    Original von JaneDoe


    Ihr Mann mußte immer dann aus dem Zimmer, wenn sie sich da mit Andrew traf. Ich nehme an, dass sie Andrew nur als Geldquelle gesehen hat, mehr nicht. Sie hat sich ja auch nicht bemüht, ihr Leben in irgendeiner Weise zu ändern, ist z.B. weiter in die Kneipe zum Trinken gegangen.


    Vielleicht hatte sie schon gewisse Gefühle für Andrew, aber aufgrund ihrer Erfahrungen hat Marie sich vermutlich keine Illusionen über eine gemeinsame Zukunft gemacht. :gruebel

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")


    "An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die Schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern."

    Erich Kästner.

  • Zitat

    Original von ottifanta
    Vielleicht hatte sie schon gewisse Gefühle für Andrew, aber aufgrund ihrer Erfahrungen hat Marie sich vermutlich keine Illusionen über eine gemeinsame Zukunft gemacht. :gruebel


    Das denke ich auch. Obwohl ja, glaube ich, auch irgenwo stand, dass sie gefrustet war von ihrem feigen Liebhaber und u.a. deshalb so oft in der Kneipe war. Ich habe mich auch gefragt, wie Andrew sich das vorstellt, Marie zu heiraten. Die hatte ja schließlich einen Mann...

    Liebe Grüße :wave


    Waldmeisterin


    Every day I give my family two choices for dinner: take it or leave it!


    Nulla unda tam profunda quam vis amoris furibunda

  • Zitat

    Original von Waldmeisterin:
    Ich habe mich auch gefragt, wie Andrew sich das vorstellt, Marie zu heiraten. Die hatte ja schließlich einen Mann...


    Das habe ich mich beim Lesen auch gefragt.


    Auch die Vorstellung, daß er vor der Tür wartet, während sie Andrew "bedient", finde ich befremdlich. Aber vielleicht führt einen existentielle Not dazu, das Ganze wirklich als Dienstleistung zu sehen, deren Vergütung ja letztlich beiden zu Gute kommt. Da kann man sich wohl keine Eifersucht leisten.


    Und ich denke nicht, daß Andrew der erste und einzige war, den sie mit nach Hause genommen hat, sondern daß sie das für alle entsprechend zahlenden Kunden angeboten hat.

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Bouquineur :


    ah, danke für die Info. Dann hat Palma das Ganze ja noch etwas mehr verkompliziert als es eigentlich war. Obwohl natürlich auch ein Lebensabschnittspartner eifersüchtig hätte werden können... :grin

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Da ich sowieso nicht die schnellste Leserin bin und die Landkarte der Zeit für mich kein Buch ist, dass ich so "weglesen" kann und will, werde ich wohl das Schlußlicht in dieser Leserunde bilden. Aber was solls :-)


    Mittlerweile habe ich die ersten drei Kapitel gelesen, oder besser genossen. Sprachlich spricht mich das Buch bereits jetzt sehr an und ich merke, dass ich doch immer wieder verlockt bin, den einen oder anderen Absatz ein zweites Mal zu lesen.


    Am besten gefallen mir bisher der Erzähler (das hat mir schon bei der Bücherdiebin so gut gefallen) und Cousin Charles.


    :wave