A day on Inle Lake (In zwei Teilen) - Dank Suzann jetzt auch auf Deutsch.

  • Ja, Aquarell.


    Und was die Verweigerungshaltung anbelangt: selbst schuld. Die eine Hälfte der Welt spricht nunmal Englisch. Alternativ könnte man natürlich Mandarin-Chinesisch lernen. Dann versteht man die andere Hälfte, plus eine nicht unerhebliche Schnittmenge :-]

    Ship me somewhere's east of Suez,
    where the best is like the worst,
    where there aren't no ten commandments
    an' a man can raise a thirst


    Kipling

  • Da ist er wieder, der Moment, in dem ich meine althumanistische Schulbildung verfluche. :cry
    Ich arbeite mich jetzt erst durch den Text und wenn ich dann soweit bin, um ihn genießen zu können, melde ich mich, wie er mir gemundet hat. :wave
    @ Steffi: Wunderschön! :anbet

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Regenfisch
    Da ist er wieder, der Moment, in dem ich meine althumanistische Schulbildung verfluche. :cry
    Ich arbeite mich jetzt erst durch den Text und wenn ich dann soweit bin, um ihn genießen zu können, melde ich mich, wie er mir gemundet hat. :wave
    @ Steffi: Wunderschön! :anbet


    Du kannst harimau ja fragen, ob er dir den Text ins Altgriechische oder Latein übersetzt :schnellweg

    Ship me somewhere's east of Suez,
    where the best is like the worst,
    where there aren't no ten commandments
    an' a man can raise a thirst


    Kipling

  • Zitat

    Original von SteffiB
    Du kannst harimau ja fragen, ob er dir den Text ins Altgriechische oder Latein übersetzt :schnellweg


    Lieber nicht. Als Altsprachler der vor rd. 40 Jahren die Schule verlassen hat, sind da leider nur noch sehr, sehr wenige Sprachkenntnisse vorhanden. :-)

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire


    Lieber nicht. Als Altsprachler der vor rd. 40 Jahren die Schule verlassen hat, sind da leider nur noch sehr, sehr wenige Sprachkenntnisse vorhanden. :-)


    :nono Mach euch nicht älter als ihr seid!


    @ Steffi: Cogitatio tua bona est! [SIZE=7]O Gott, ist das lange her![/SIZE]

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Jein. Die Jungs dort sind wunderschön, auf eine beinahe ätherische Art. Nicht mein Fall, ich mag lieber kernige Mongolen. :chen

    Ship me somewhere's east of Suez,
    where the best is like the worst,
    where there aren't no ten commandments
    an' a man can raise a thirst


    Kipling

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von SteffiB ()

  • Zitat

    Original von arter
    Ja und zu deiner Frau kann ich dich nur ganz ohne Grinsen und Ironicon beglückwünschen.


    Stimmt. Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Und dass sie besser aussieht als ich, ist auch zutreffend. :wave


    Zitat

    Ich stellte mir (und nun Ironicon ieder an :grin) nur bildhaft diese Szene vor: Jan und Steffi sitzen in diesem Boot. Plötzlich erstarrt Jans Blick, nur auf diesen fixen Punkt dort am Ufer gerichtet und sein Kopf dreht sich mechanisch synchron mit der Bewegung des Bootes. Ein seliges Lächeln legt sich auf sein Antlitz. Er hebt langsam seine Hand und bewegt zwei Finger mit der Andeutung eines Winkens. Steffi stößt ihn mit dem Ellenbogen an: "He Jan, was ist? Hast Du eine Erscheinung?". Der sagt nichts, blickt immer noch wie gebannt auf jene Stelle dort am Ufer. Steffi ist leicht beunruhigt, denn Sprachlosigkeit ist sie nicht von ihm gewohnt. Aber dann lockern sich ihre Züge wieder als Jan beginnt zu reden: "Siehst du dieses wunderschöne Mädchen dort drüben? Sie winkt mir zu. ...". Und dann fährt er fort "Was würdest du davon halten, wenn ich mich jetzt in dieses Wasser stürze, rüberschwimme, und sie in meine Arme schließe. Wir führen ein einfaches Leben, indem wir uns eine Hütte aus Bambus bauen und uns von den Fischen ernähren, die wir eigenhändig aus diesem See holen. Und statt abends fern zu sehen zeugen wir 20 blauäugige kleine Dschungelprinzessinen". "Nur zu, spring", sagt Steffi. "Soll ich dir nachher was vom Büffet aufheben"?


    Warst du dabei? :yikes Von drei minimalen Fehlern - möglicherweise bewusst eingebaut, um meinen Verdacht zu zerstreuen- abgesehen, war es genau so wie von dir beschrieben, inklusive der wortgenauen Dialoge. Das nenne ich mal Überwachung in einer neuen, ungeahnten Dimension! Big arter is watching me!


    P.S.Die Fehler: erstens habe ich drei, nicht zwei Finger gehoben, zweitens müssten die Kinder nach dem Mendelschen Gesetz alle braunäugig sein, und statt eines Büffets gab es Bamar-Curry mit Salat von fermentierten Teeblättern. Aber das weißt du wahrscheinlich längst... :lache


    LG harimau :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von SteffiB
    Du kannst harimau ja fragen, ob er dir den Text ins Altgriechische oder Latein übersetzt :schnellweg


    Super Idee. Mein Latein hat das Niveau von Asterixheften, das Altgriechische dümpelt noch weit darunter auf der Null-Linie. :lache Da habt ihr nix zu befürchten...

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • harimau, jetzt wirds aber langsam unheimlich :chen


    Ich wusste, dass du mir mit den Mendelschen Gesetzen kommst. Das war eigentlich nur einTest, ob du auch aufmerksam liest. :lache Und ich fand diese Vorstellung von den blauäugigen Prinzesschen einfach zu niedlich zumal das Blauäugige ja auch ein Thema in deiner Geschichte war. Ich hatte mir aber auch schon im Voraus eine plausible Antwort überlegt, wenn du mir das unter die Nase reibst: Da gab es bestimmt schon mal vor etlichen Jahren einen Vorfahren harimaus, der braunäugige Prinzesschen zeugte, die ein rezessives Blau-Gen in sich trugen. :wave


    Ja, das Menue hab ich auch in meiner Kugel gesehen, hatte aber keine Ahnung was Bamar-Curry ist. Und stimmt es waren drei Finger, je nachdem, ob man den Daumen mitzählt. :lache

  • Zitat

    Original von arter
    harimau, jetzt wirds aber langsam unheimlich :chen


    Allerdings, weil du nämlich soeben ganz beiläufig ein altes Familiengeheimnis gelüftet hast. :yikes


    Zitat

    Da gab es bestimmt schon mal vor etlichen Jahren einen Vorfahren harimaus, der braunäugige Prinzesschen zeugte, die ein rezessives Blau-Gen in sich trugen. :wave


    Endlich ahne ich, was aus meinem Ur-Ur-Ur-Großvater wurde, der sich Anno domini 1862 an der Mecklenburgischen Küste in sein Ruderboot setzte ("Ich fahr mal eben Kippen holen, bin gleich wieder zurück") und nie mehr gesehen ward. Schon erstaunlich, wie sich mancher Kreis am Ende doch schließt. Vielen Dank für die Aufklärung! :anbet


    P.S. Kann deine Kugel auch Lottozahlen? :gruebel


    Edith räumt hinter mir auf und bereinigt Tippfehler.

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von harimau ()

  • ...kommt hier seine wunderbare Geschichte auf deutsch, damit alle Eulen sie geniesen können:


    Ein Tag auf dem Inle-See


    Die Sonne ist schon aufgegangen, als wir aufstehen, also beeilen wir uns mit dem Anziehen und gehen zum Restaurant, wo wir die reizende Thu Thu begrüßen, unsere Freundin und Besitzerin der Pension. Sie stellt Schalen mit schmackhaften Shan Nudeln auf den Tisch, die wir hastig leeren, denn Kin, unser Bootsmann, wartet draußen auf uns. Er führt uns durch die kleine Stadt Nyaung Shwe, wörtlich „Goldener Banyan-Baum“. Die Händler beobachten uns, als wir den Markt überqueren, auf dem schon Hochbetrieb herrscht. Die Burmesen sind Frühaufsteher.


    Ein Pick-Up-Laster überholt uns. Seine Ladung: jede Menge Bauern mit Strohhüten auf den Köpfen. Sie winken uns, rufen und lachen, und ohne ein Wort zu verstehen, erkennen wir ihre Freundlichkeit. Alle, Männer wie Frauen, tragen Longyis, die typische burmesische Kleidung, die wie lange Röcke aussehen, dazu farbenfrohe Hemden oder Blusen. Dennoch ist der Unterschied zwischen männlicher und weiblicher Kleidung klar ersichtlich: Der Longyi eines Mannes hat ein kariertes Muster und ist mit einem Koten an der Hüfte gebunden. Das weibliche Gegenstück hat meistens ein Blumenmuster und wird an der Taille verknotet. Man würde ohnehin niemals eine burmesische Frau für einen Mann halten, und zwar wegen ihrer gewöhnlich sehr langen Haare, der zarten Gestalt und den Gesichtern. Oh, diese Gesichter! Mindestens zwei oder drei der Bauerntöchter auf dem Lastwagen sehen wie verkleidete Prinzessinnen aus, und man kann darüber ins Grübeln geraten, wie viele Millionen königliche Schönheiten in diesem Land wohl leben.
    Wir nähern uns dem Kanal. Die glitzernde Pagode nahe der Brücke ist schon in Sichtweite. Es hat den Anschein, als wäre ein riesiger Spiegel zerbrochen, und all seine Stücke hätten sich an das hoch aufragende Bauwerk geheftet. Was muss das für ein Schaupiel sein, wenn die Sonne genug Kraft gesammelt hat, um durch den morgendlichen Nebel zu brechen und die Pagode mit ihren Strahlen zu fluten.
    Hier ist unser Boot: lang, schwarz und schmal, schlummernd auf dem ruhigen Wasser. Kin schärft uns ein, vorsichtig zu sein, als wir die Stufen zum abschüssigen Ufer des Kanals hinabsteigen: unsere Freunde Meike und Dirk aus Hamburg, Steffi und als Letzter ich.
    Der erste Schritt in ein Boot ist immer der wackligste. Bald danach fühlt man sich gewöhnlich wohl und fragt sich, warum man am Anfang so unsicher war. Kin startet den Motor, und mit Getöse brechen wir auf. Gegen eine geringere Lautstärke hätten wir nichts einzuwenden, aber wir wollen unbedingt zum See und beschweren uns nicht. Was sollten wir auch tun? Das Boot rudern, wie die zwei Frauen in dem Kanu, das wir gerade überholen? Sie werden etwas nass, als ihr schmales hölzernes Fahrzeug hilflos auf den Wellen tanzt, die wir erzeugen. Aber anstatt uns zu beschimpfen, winken sie und zeigen ihr breites Lächeln.


    Wir werden schneller, die morgendliche Brise weht immer noch kühl in unsere Gesichter, als wir den Kanal hinunter jagen. Zuerst sehen wir noch Holzhäuser auf beiden Seiten, ein wenig später machen sie Feldern Platz, die um diese Jahreszeit ziemlich karg aussehen. Aber in wenigen Tagen werden die Bauern sie aus ihrem Schlaf reißen und zurück zu ihrer Pflicht rufen. Wie eine Ameisenarmee werden die Bauern aufmarschieren, um mit ihren scharfen Werkzeugen die müde Erde zu peinigen. Die Bewässerung wird den trockenen Boden auf eine weitere Generation von jungen Trieben vorbereiten, damit Sonne, Regen und eine kleine Hilfe von Buddha die Felder erneut in grüne Weiten verwandeln können und den Bauern die nächste reiche Ernte von Asiens wahren, weißen Gold bescheren - Reis.
    Doch was kümmern uns Getreide und Pein? Wir sind unterwegs, um den See zu sehen!
    Und da ist er endlich: eine ruhige Wasserfläche, an drei Seiten von grünen Hügeln eingerahmt. Ich fühle mich gezwungen, sie in sprachloser Ehrfurcht Berge zu nennen. Für einen seltenen Augenblick bringt uns die Schönheit der Landschaft vor unseren Augen wahrlich zum Schweigen.
    Aber der Moment dauert nur kurz an, bis einer von uns die Aufmerksamkeit der anderen auf das Wasser unter uns lenkt. Ich fürchte, ich bin es mal wieder, der seinen Mund nicht halten kann, wenn es angebracht wäre. Aber ich habe Gründe, das Schweigen zu brechen: Das Wasser unter uns ist makellos, so klar, dass man davon trinken möchte. Zumindest so lange man nicht weiß, dass das Volk der Intha, das auf diesem Wasser lebt, den See als Friedhof benutzt. Doch der ist an einem anderen Ort, weit weg von hier, irgendwo versteckt. Sie würden ihn nie Fremden zeigen und sollten es auch nicht. Ich denke, man sollte andere Bräuche respektieren, die Unterschiede, und einige Plätze vor unseren langen Nasen, die wir so gerne in die Angelegenheiten anderer stecken, verborgen halten.
    Ja, das klare Wasser. Man könnte leicht bis auf den Grund sehen, da der See ziemlich seicht ist, wenn da nicht die schleimigen Pflanzen wären, die ihre Spitzen an die Oberfläche erheben wie Köpfe neugieriger, moosiger Schlangen. Zwischen ihnen verstecken sich Unmengen von Fischen. Große, schmackhafte Fische. Ich würde gerne wissen, ob diese armen Kreaturen den kleinsten Schimmer von der Bedrohung durch die einbeinigen Fischer haben, die den See Tag für Tag auf der Jagd nach ihnen durchkreuzen.
    Einbeinig? Nicht im Sinne des Wortes, aber die Fischer des Inle-Sees haben eine sonderbare Technik entwickelt, ihre möglicherweise unglückliche Beute zu jagen, die sie so aussehen lässt. Sie balancieren auf der äußersten Spitze ihre Kanus auf einem Bein und benutzen das andere zum rudern. Auf diese Weise haben sie eine bessere Sicht auf die Oberfläche des Sees, die sie nach Luftblasen absuchen, die die Fische verraten. Sobald sie welche entdecken, rudern sie hin, schneller und mit weniger Anstrengung, als jemand, der seine Arme benutzt. Sie lassen eine Art Korb zu Wasser. Zum Schluss stecken sie einen Speer durch ein Loch im Korb und versuchen den Fisch aufzuspießen – wenn da einer ist. Wir haben nie gesehen, dass es funktioniert, aber die Märkte sind voll mit Fischen, und es ist schwer vorstellbar, dass sie von alleine auftauchen und sich dem menschlichen Appetit opfern.
    Wir entspannen und machen es uns bequem. Nach der ersten Dosis Überraschung ist das Entzücken aus unserem Blut verschwunden, es ist an der Zeit, sich zurückzulehnen und die Eindrücke sacken zu lassen. Ich zünde eine Zigarette an und schließe für einen Moment meine Augen. Es bleibt das hämmernde „tuk tuk“ des Motors und die Brise, die jetzt von Minute zu Minute wärmer wird.


    Wir nähern uns einem Pfeiler mit einem vergoldeten Pfau darauf. Kin verlangsamt das Boot und lehnt sich vor, um uns die Geschichte dahinter zu erzählen. Er flüstert, denn es ist eine Legende! Es gibt eine große Pagode in Ywama, der Hauptstadt des Sees, die fünf alte Statuen von Buddha beherbergt. Einmal im Jahr werden die Statuen in einem extra für diesen Zweck angefertigten Kahn gesetzt und eine Woche lang über den See gerudert, von Dorf zu Dorf, von Kloster zu Kloster. Diese Prozession ist das größte und heiligste Fest in der Gegend, und ich beiße mir auf die Lippen, um seine Sage nicht mit der Frage zu unterbrechen, ob der Kahn auch mit den Beinen gerudert wird.
    Eines Tages, fährt er fort, kam aus dem Nichts ein Sturm auf und ließ den Kahn inmitten seiner Anbeter, die darum kämpften, dass ihre eigenen Boote nicht untergingen, kentern. Sofort sprang jeder und auch sein Sohn in das Wasser, um nach den Statuen zu tauchen, und alle bis auf eine wurden gefunden. Sie gaben ihr Bestes, aber die fünfte Statue blieb verschwunden. So kann man sich leicht ihre Überraschung vorstellen, als sie bei der traurigen Rückkehr zur Pagode entdeckten, dass Buddha Nummer Fünf bereits selbst auf seinen Platz zurückgekehrt war. Nass, mit über seinen Körper hängenden Pflanzen und vielleicht etwas erschöpft aussehend, doch an dem Platz, an den er gehörte. Die Intha-Leute verstanden dieses Ereignis als einen Hinweis, dass Nummer Fünf auf Reisen nicht sehr erpicht ist, und seitdem bleibt er daheim, wenn seine vier abenteuerlustigeren Kameraden zu ihrer jährlichen Tour über den See aufbrechen. Die Stelle, an der dieser berüchtigte Vorfall stattgefunden hat, wurde später mit dem pfaugekrönten Pfeiler gekennzeichnet, den wir vor uns sehen.


    Wir fahren in ein Dorf, und was für ein bezauberndes Dorf es ist! Es liegt nicht am Ufer, sondern auf dem See. Häuser aus Holz, die von Pfählen getragen werden, obwohl man meinen könnte, sie wurden auf kleinen Inseln errichtet. In dieser traumhaften Welt ist es schwer zu sagen, wobei es sich um festen Untergrund handelt. Kin hat die Geschwindigkeit verringert, und wir treiben buchstäblich durch den schmalen, dem Dorf als Hauptverkehrsweg dienenden Kanal, von dem noch schmalere Seitenpfade abgehen. Aus einem der engen Wasserwege kommt eine alte Frau, vielleicht auf dem Weg zum Plausch mit einem Nachbarn, und natürlich benutzt sie ein Kanu. Es gibt hier keine Fußwege. Wenn man wohin will, muss man ein Boot benutzen, selbst für die kürzeste Strecke. Wir lassen die Dame vor, da Kin die Verkehrsregeln achtet, oder zumindest das Alter. Sie bedankt sich mit einem breiten, zahnlosen Lächeln und winkt uns zu. Tatsächlich winkt uns jeder: Hausfrauen, die auf einem Steg ihre Wäsche machen, ein alter Mann beim Gießen der Blumen auf seiner Veranda, Leute jeden Alters, die uns aus den Fenstern beobachten, ein Mädchen, das ihr Baby stillt, obwohl sie dafür eigentlich viel zu jung aussieht – alle heben ihre Hände, um uns zu grüßen. Wir dringen in ihre Welt ein, aber sie geben uns das Gefühl, willkommen zu sein.


    Die Menschen auf dem See führen ein gutes Leben. Für burmesische Verhältnisse sind sie vergleichbar reich, leben von Fischen, Gemüsen und Früchten, die ihnen der See schenkt. Und sie sind geschäftstüchtige Leute. Jede Menge Handwerksarbeiten werden in den Dörfern angefertigt. Die Umgebung ist sauber und ruhig, und das Klima angenehm mild, da der See 875 Meter über dem Meeresspiegel liegt, weit weg von den heißen, staubigen Ebenen Zentralburmas. Tatsächlich fühlt sich die Sonne wie an einem milden europäischen Sommertag an. Sie wärmt meine Haut und trägt zu meinem Wohlbefinden bei, wenn auch nicht so stark wie der Friede um mich herum, der durch alle meine Sinne sanft in mein Herz strömt.


    Diese Leute bei ihrem täglichen Leben zu beobachten, bringt mich zu der Frage, wie glücklich sie wohl sind. Was mögen ihre Hoffnungen, Träume, Ängste sein, welchen Härten müssen sie sich stellen? Liebe und Freude, Traurigkeit, Schmerzen und Tod vermute ich, wie sonst auch überall. Vielleicht hoffen sie auf ein größeres Boot, anstatt eines Mercedes Benz, und ich wette, eine Lebensversicherung interessiert sie wenig, aber am Ende sind es auch nur Menschen, wie wir alle. Solange ich niemanden mit Kiemen entdecke, weigere ich mich, sie als Halbamphibien zu sehen, aber der Tag ist ja noch nicht vorbei.

  • Wir lassen das Dorf hinter uns und kreuzen jetzt durch Felder und Gärten. Ich frage mich, wie sie hier Gemüse anbauen können, so weit von der Küste entfernt, bis ich erkenne, dass die Gärten treiben. Sie schwingen auf den Wellen, die unser Boot macht, als wir vorbeifahren. Und ich erkenne auch, dass die auf den Feldern arbeitenden Bauern nicht betrunken sind, sondern auf einer von Menschenhand gemachten Oberfläche waten. Sie sammeln die Wasserhyazinthen aus den Kanälen, wo sie sich in Fülle ausbreiten, binden sie zu dichten Matten, stark genug, um einen Mann zu tragen, verteilen etwas Erde von der Küste darauf, und schon kann es losgehen mit der Tomaten- und Gurkenzucht.


    Ich drehe mich um und werfe einen letzten Blick auf das Dorf. Eine Oase des Friedens und der Freundlichkeit, wie es scheint, in einer Welt, die täglich seltsamer und unverständlicher wird. Doch wer weiß, welche Grausamkeiten und Leidenschaften sich hinter dieser idyllischen Oberfläche verbergen? Ich vertreibe diese Gedanken, weil ich mir meine Illusionen nicht zerstören will. Was ich sehe, sind beneidenswerte Menschen, die es schaffen, in einer einzigartigen Umgebung zu leben, ohne sie zu zerstören. Für sie ist die Natur ein Freund, kein Feind oder gar ein Fremder. So sollte es sein.


    Ein Verkehrsstau! Das ist so ungefähr das letzte, was ich auf dem Inle-See erwartet hätte. Boote, Boote, überall Boote. Wir mogeln uns auf dem Weg zur Anlegestelle hindurch, wo Kin unser Boot zwischen hunderten anderer vertäut, die genauso wie unseres aussehen. Ich frage mich, wie viele Stunden wir später brauchen werden, um es wieder zu finden? Kin führt uns an ein paar Andenkenbuden vorbei. „Nicht gut“, erklärt er uns. Scheinbar hatte er mal Probleme mit den Kerlen, und nun zahlt er es ihnen heim, indem er Touristen davon abhält, dort zu kaufen. Mir soll es recht sein.
    Es ist ein zwanzigminütiger Fußmarsch auf einer sonnenüberfluteten, unbefestigten Straße. Kurz bevor wird den Markt erreichen, werden wir in die Grundlagen des Stierkampfes eingeweiht: Ein Ochsenkarren versucht uns zu überrollen! Wir nehmen die Herausforderung an, lassen ihn nahe herankommen und springen im letzten Moment aus dem Weg. „Olé“, rufen wir, aber das müde Tier dreht nicht einmal den Kopf, um uns anzuschauen, während es langsam weitertrottet. Komm schon, Junge, zeige ein bisschen mehr Kampfgeist! Vielleicht liegt es einfach nicht in seiner Natur?


    Der Markt ist ziemlich klein, aber er ist ein örtliches Ereignis und deswegen ziemlich überfüllt. Menschen kommen her, um Dinge für den täglichen Bedarf zu verkaufen und zu kaufen. Das Gespräch mit alten Freunden und der Austausch von Gerüchten ist dabei der angenehmste Teil. Als ich mich durch die provisorischen Buden quetsche, an denen Kleidung, Haushaltswaren, Lebensmittel und alle möglichen Küchenutensilien ebenso wie Seife und Waschpulver verkauft werden, verstummt mehr als ein Gespräch. Kaum einer lässt mich ohne ein Lächeln oder einen schüchternen Gruß vorbeigehen. Und jeder kommentiert meinen Longyi – Daumen hoch für einen Ausländer, der unsere Kultur zu schätzen weiß. Eine junge Frau mit einem Handtuch um den Kopf stellt sich mir in den Weg und hält mich auf. Neugierig starrt sie in meine Augen, bis mir der Grund dafür aufgeht: Vermutlich hat sie noch nie zuvor blaue Augen gesehen. Ihr Gesicht verrät nicht, ob sie der ungewöhnliche Anblick erfreut oder irritiert, doch schließlich lächelt sie, dreht sich um und verschwindet in der Menge.
    Ich komme an einer Gruppe älterer Frauen vorbei, die auf einer freien Fläche hinter den Fressbuden Brennholz verkaufen. Sie tragen schwarze, lose sitzende Gewänder und leuchtend orange Schals um ihre Köpfe. Die meisten Gesichter haben Falten und sind wettergegerbt. Sie machen einen sehr scheuen Eindruck, so wie sie ihre Nasen zusammenstecken und mich aus den Augenwinkeln betrachten. Es besteht kein Zweifel, dass sie über mich sprechen, aber ich fühle mich nicht gekränkt. Schließlich hat mich selbst die Neugierde hierher geführt, oder nicht?
    Es sind Pa-O. Wie ich den Klang dieses Namens liebe! Die kurze Silbe „Pa“, gefolgt von einem langgezogenen „O“, das die Lippen zögernd verlässt und sanft verklingt. „Pa-O“, flüstere ich spielerisch. Den weiblichen Mitgliedern des Stammes ist eine unverkennbare Würde zu eigen. Ich frage mich, ob sie aus der klaren Abgrenzung erwächst, ihrem Widerwillen, sich unter andere zu mischen?
    Zwei jüngere Frauen gesellen sich dazu. Das gleiche Gewand, die gleichen Farben und die gleiche Zurückhaltung, als sie herüberschauen. Sie sind nicht hübsch, aber sie besitzen eine versteckte Schönheit, die mich gefangen nimmt. Und das gilt für alle, nicht nur für die Jungen.
    Da ich spüre, wie meine Gegenwart sie verlegen werden lässt, wende ich mich ab, um nach meinen Freunden zu sehen.


    Da sind sie – im Kasino? „Spielhölle“ wäre ein zu böses Wort für dieses unschuldige Vergnügen. Drei große Würfel mit Tiersymbolen auf jeder Seite und eine Holzplatte mit den gleichen Symbolen. Wenn man wetten will, setzt man sein Geld auf eines der Wesen, und die Würfel werden geworfen. Liegt dein Symbol oben, wird dein Geld verdoppelt, wenn nicht – nun, dann hast du Pech gehabt. Während Steffi und Meike noch zusehen, steige ich sofort mit ein. Tiger oder Schildkröte, frage ich mich? Etwas anderes kommt nicht in Frage. Ich treffe meine Wahl und setze einen 50 Kyat-Schein, ein kleines Vermögen, auf das kindliche Bild einer großen Katze. Und da kommt es, ich gewinne! Einige der Zuschauer nicken zustimmend, und ich kann ein Grinsen nicht unterdrücken, als mir der Besitzer meinen Gewinn, fast fünf Cent, überreicht. Die aufkommende Begeisterung macht mich leichtsinnig: unter dem Applaus der Einheimischen lege ich meinen Einsatz, die ganzen 100 Kyat, auf die Schildkröte – und verliere. Beschämt, mit gebeugtem Kopf, stehle ich mich davon, doch die Einheimischen haben mich schon vergessen, als sie beobachten, wie der Tiger das dritte Mal in Folge gewinnt. Wie leicht man doch Untreue bereut, wenn der Schaden erst angerichtet ist. Aber dann fällt mir ein anderer Verlust auf: Dirk ist verschwunden. Wir teilen uns in drei Gruppen zu je einer Person auf und suchen die ganze Gegend ab, können ihn aber nicht finden. Ich frage mich, ob die Pa-O-Frauen ihn entführt und als Objekt ihrer fleischlichen Begierden in die Berge verschleppt haben, aber ich behalte diese Gedanken für mich. Meike ist wirklich beunruhigt und nicht der Laune für dumme Witze.


    Doch keine Sorge, Dirk wartet beim Boot auf uns, ein bisschen verstimmt, weil er das Würfeln verpasst hat, aber unberührt von den Pa-O-Frauen. Er konnte uns nicht mehr finden und dachte, wir wären schon aufgebrochen, deswegen ist er zurückgerannt. Um ihn aufzumuntern, beschließen wir, uns in Ywama ein Mittagessen zu suchen. Mit Essen kann man bei Dirk immer punkten, und heute ist keine Ausnahme.
    Kin geht direkt zum Boot und klettert hinein, und obwohl ich nicht völlig überzeugt bin, dass es unseres ist, folgen wir alle. Es ist egal, solange es uns nach Ywama bringt, und das tut es. Mehr treibende Gärten, mehr Dörfer und mehr lächelnde Intha-Gesichter Wir kommen an einer Baustelle vorbei und sehen, wie die großen Holzhäuser auf dem See gebaut werden: zwei oder manchmal drei Handwerker von außerhalb werden angestellt, und das ganze Dorf hilft mit. Alles was die Helfer verlangen, sind Verpflegung und Getränke und natürlich die Hilfe bei ihrem nächsten Haus, wenn es so weit ist. Mit so vielen eifrigen Helfern kann es nicht lange dauern, ein großes Haus mit einfachem Grundriss zu bauen. Bevor ich es vergesse: in dem Augenblick, als wir vorbeikommen, hält jeder Mann auf dem und um das Haus bei seiner Tätigkeit inne und winkt uns zu. Ich freue mich immer noch darüber, aber es erstaunt mich nicht mehr.
    Als wir uns Ywama nähern, können wir schon das goldene Dach der Pagode sehen, das sich über die Stadt erhebt. Das grollende Geräusch von Dirks Magen lässt aber keinen Zweifel daran, dass wir erst zu Mittag essen werden. Verglichen mit den schmalen Kanälen in den Dörfern kann man den Hauptwasserweg in Ywama als eine Prachtstraße bezeichnen. Breit und gerade, mit jeder Menge Verkehr darauf. Das ist nicht einfach nur ein weiteres Dorf auf dem See, wir haben die Hauptstadt von Inle erreicht, eine Metropole mit geschätzten 1.000 Einwohnern. Es gibt Geschäfte und Restaurants hier und sogar ein großes Werbeschild mit dem Slogan: „Spirulina Bier – das Bier, das dich für immer jung hält“. Es macht mir nichts aus, älter zu werden, wenn mich das davor bewahrt, diese ominösen Flüssigkeiten zu trinken.


    Die Speisekarte ist viel länger, als ich vermutet hätte, aber ich weiß schon was ich esse: Fisch. Wir sind auf einem See, oder? Sobald meine Mahlzeit gebracht wird, unterziehe ich den Leichnam des bedauernswerten Lebewesens einem prüfenden Blick, um die Todesursache aufzudecken, wie ein Pathologe in der Leichenhalle. Ich würde gerne herausfinden, ob der Fisch einbeinigen Jägern zum Opfer gefallen ist, aber es sind überhaupt keine Spuren von tödlichen Speerwunden zu finden. Während mich die Bedienung verwirrt mustert, wende ich den Fisch und untersuche die andere Seite. In einem letzten Versuch hebe ich den Teller an meine Augen und untersuche den Bauch. Nichts. „Nicht schuldig, Euer Ehren“, brumme ich, als mich die Bedienung gerade anspricht, ob etwas mit dem Essen nicht stimme.
    „Es ist tot“, antworte ich, noch immer gefangen in der Welt von Recht und Gesetz.
    „Es ist tot?“, wiederholt der Ober perplex.
    „Absolut tot und ich frage mich wirklich wie…“
    Ich bemerke, dass mich alle anstarren, und entscheide mich, die Akte zu schließen.
    „… wie Sie ihn zubereitet haben?“, beende ich meinen Satz.
    Der Ober runzelt die Stirn und erzählt mir, dass er gedämpft und mit Sojasoße gewürzt wurde. Ich schenke ihm ein törichtes Lächeln und antworte, dass ich genau das erhofft hätte, und so geht er schließlich achselzuckend weg. Ich ignoriere beflissentlich meine Freunde und beginne mit gesenktem Kopf zu essen. Sehr schmackhaft, aber voll mit fiesen kleinen Gräten…

  • Wir schlendern zur Pagode. Ja, wir gehen! Ywama verfügt über viele schmale Stege und ermöglicht es einem, ein wenig herumzukommen, ohne auf ein Boot angewiesen zu sein. Es ist eine große Pagode, und sie ist wunderschön. Eine Treppenflucht führt vom Landesteg zum Eingang, wo wir unsere Schuhe ausziehen. Das Innere der Pagode ist lichtdurchflutet. Wir setzen uns auf dem Fußboden und lassen es auf uns wirken. Die Mauern der Pagode sind mit Wandmalereien verziert, die die Geschichte der Pagode und der fünf Statuen beschreiben. Natürlich ist der Vorfall mit dem gekenterten Kahn auch dargestellt. Und da sind sie, in einem Schrein in der Mitte des Raumes: Die Statuen. Sind die echt? Ich gehe hinüber, um sie mir genauer anzuschauen. Sie sehen nicht so aus, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Keine kunstvollen Abbildungen von Buddhas anmutigem Gesicht und Haltung, sondern fünf entstellte Klumpen aus Gold. Ich versuche meine Enttäuschung zu verbergen, als Kin erklärt, dass die Gläubigen über die Jahrhunderte Schicht um Schicht Blattgold aufgebracht haben, bis sich die ursprüngliche Gestalt in das verwandelt hat, was wir vor uns sehen. Okay, sage ich mir, beurteile das Buch nicht nach seinem Einband, und als ich die Andacht der besuchenden Buddhisten bemerke, erkenne ich, dass den Statuen mehr innewohnt, als es dem bloßen Auge erscheint. Auf jeden Fall ist die Pagode ein zauberhafter Ort, und wir bleiben eine ganze Weile, um die friedliche und ruhige Atmosphäre zu genießen.


    Wir sind wieder auf dem Boot. Wir lassen Ywama hinter uns, kommen an weiteren Dörfern vorbei, winken Leuten zu, bis wir das Ufer des Sees erreichen und flussaufwärts durch grüne Felder fahren. Obwohl wir jetzt zu beiden Seiten festen Boden haben, gleicht es doch sehr der Landschaft, die wir den ganzen Tag über gesehen haben. Das ist gut so, denn wir können nicht genug davon bekommen.
    Kin verlangsamt das Boot, da wir an Wasserbüffeln vorbeikommen, die für ein Bad in den Fluss gestiegen sind. Wir sehen nur ihre Köpfe und die mächtigen Hörner, verziert mit herabhängenden Wasserhyazinthen. Der Rest der Körper ist in kühles Wasser getaucht. Für eine Sekunde beneide ich sie. Ein Junge sitzt am Flussufer, beaufsichtigt die Tiere und kaut auf einem Strohhalm. Für eine weitere Sekunde beneide ich auch ihn. Er winkt und verschwindet aus unserem Blickfeld, als wir einer Kurve im Fluss folgen. Kurz vor Indein durchkreuzt der Fluss einen Bambuswald. Er ist kühl und schattig und erinnert mich ein wenig an China.


    Wir lassen das Boot zurück und folgen einem engen Pfad, der bald in eine weite Lichtung mündet, auf der wir verlassene Marktbuden entdecken. Jeden fünften Tag wimmelt es hier von Menschen, aber jetzt ist gerade, von ein paar streunenden Katzen abgesehen, niemand zu sehen. Wir schlendern hügelaufwärts, folgen einer langen Flucht von Stufen, die durch eine endlose Reihe von Arkaden vor der Sonne geschützt wird. Je weiter wir gehen, desto mehr Stupas wachsen zu unseren Seiten aus dem Boden. Einstmals weiß getüncht, haben die meisten jetzt ein Stadium des Verfalls erreicht, einige sind mit kleinen Pflanzen bewachsen, andere sogar von Bäumen überwuchert. Am Ende der Stufen steht ein kleiner Tempel, und wir treten ein, um uns die Buddhas anzuschauen. Dieses Mal sind es richtige Statuen, aber sie sind nicht der Grund, warum wir hierhergekommen sind. Wir wenden uns ab, verlassen den Tempel durch eine Hintertür und betreten im nächsten Moment ein Wunderland!


    Wir sind von dem Anblick überwältigt, und keiner – nicht einmal ich – ist in der Lage, auch nur ein einziges Wort zu sagen. Wir stehen inmitten hunderter von Stupas, alle weiß, die eine goldüberzogene größere Stupa umgeben. Tempelglocken baumeln von der Spitze einer jeden, ihr süßes Klingeln im Wind der einzige Laut in der gänzlich stillen Umgebung. Nachdem wir den Anblick einige Minuten bewundert haben, brechen wir auf, den Platz zu erforschen. Es macht Spaß, sich in diesem Irrgarten zu verlaufen, auf der Suche nach immer neuen Blickwinkeln, um dieses Wunder zu betrachten. Ich gehe um eine Ecke und renne in Dirk hinein. Alle fühlen den Drang, still zu sein, die Magie dieses Ortes nicht zu zerstören, deswegen wissen wir nicht, wo die anderen sind, solange wir uns nicht zufällig begegnen. Nach etwa einer Stunde treffen wir uns wieder und beschließen, einen Hügel in der Nähe zu erklimmen, um den gesamten Komplex aus der Vogelperspektive zu bestaunen. Es ist atemberaubend: hunderte und aberhunderte von Stupas um eine goldene im Zentrum, die sich aus dem Inneren des Tempels weiter nach draußen ausbreiten und sogar den Hügel hinab zum See fließen. Wir haben auch eine Aussicht über den Inle-See, zumindest über einen Teil. Ist das nicht das in der Sonne glitzernde goldene Dach der großen Pagode von Ywama, das wir in der Ferne sehen?
    Mein Gott, das Sonnenlicht! Die Sonne steht schon ziemlich tief, und es ist an der Zeit, zum Boot zurückzukehren. Ich verlasse Indein mit einem tief aus meiner Brust entspringenden Seufzen. Ich werde zurückkehren, verspreche ich mir selbst, und ich bin mir sicher, dass sich zumindest Steffi das gleiche schwört.


    Wir sind auf dem Heimweg. Das Leben auf dem See scheint für heute sein Ende zu finden. Die Felder und die Hütten, sogar die heimkehrenden Wasserbüffel sind in das sanfte rote Licht der untergehenden Sonne getaucht. So friedlich, oh so friedlich, wiederhole ich in meinem Kopf, bestimmt zum fünfzigsten Mal heute.
    Doch der romantischte Anblick des Tages steht uns noch bevor: Drei Mädchen, vielleicht 18 Jahre alt, stehen im Fluss, waschen ihre hüftlangen, dicken schwarzen Haare, bekleidet mit Longyis, die sie über die Brust gezogen haben, um sich zu bedecken. Sie bespritzen einander mit Wasser, sie lachen und genießen ihr Leben. Der ultimative Ausdruck von Jugend, so kraftvoll und doch so verletzlich. Ein anderes Mädchen im gleichen Alter beobachtet sie von einem hölzernen Steg aus. Sie steht da, ohne sich zu bewegen, in ein Gewand von blutroter Farbe gekleidet. Ihr offenes Haar fliegt im Wind. Sie sieht aus wie eine Sagengestalt und ist doch ein Mädchen aus Fleisch und Blut. Frisch und unglaublich schön.
    Eine seltsame Vorstellung taucht aus den Tiefen meiner Seele in meinen Kopf: Was, wenn ich mit ihr verheiratet wäre? Wir würden in einer Hütte auf dem See wohnen und das einfachste aller Leben führen. Fischen und Land bestellen am Tag, und anstatt Fernsehen zu schauen, würde ich sie die ganze Nacht betrachten und ihre Schönheit bewundern – und natürlich für unsere fünf Kinder sorgen, klar. Was für eine Art Leben wäre das, Welten entfernt von meiner Realität?
    Als wir an ihr vorüberkommen, schaut sie mich an, starrt in meine Augen, ohne zu blinzeln. Hat sie meine Gedanken gelesen? Ein scheues Lächeln erscheint auf ihrem Gesicht, und ich überlege, welche Gedanken wohl durch ihren Kopf gehen? Sie hebt ihre Hand, und ich winke zurück. Ich winke, bis sie nur noch eine kleine rote Figur unter der untergehenden Sonne ist. Ich versuche mir vorzustellen, wie ihr Leben sein und ob dieses Leben sie freundlich behandeln wird. Jetzt ist sie weg. Leb wohl, meine Liebe, und pass gut auf dich auf! Ich könnte dich sogar vermissen.


    Der Tag endet. Wir sind wieder auf dem See, in der Nähe des Pfeilers mit dem Pfau, und die Sonne berührt schließlich die Hügel im Westen. Ich fühle mich im Einklang mit mir selbst, als wir über das Wasser gleiten. Ist es nicht erstaunlich, wie sehr ich mich hier zu Hause fühle, verglichen mit meinem Leben in Deutschland, das meine Heimat sein sollte? Was ist dann die wahre Bedeutung von Heimat? Ich greife nach Steffi, die vor mir sitzt, berühre ihre Schulter. Wir haben unser Leben dem Reisen gewidmet, und wo immer wir glücklich sind, fühlen wir uns zu Hause.


    Kin startet den Motor. Wir fahren Richtung Norden zum Kanal und Nyaung Shwe. Die Sonne ist versunken, und hinter uns verschwindet eine Welt voller Wunder in der Dunkelheit.

  • :yikes Das gibt es doch nicht! Ich habe heute den freien Nachmittag genutzt und habe endlich die Geschichte auf englisch gelesen.
    Jetzt kann ich ja überprüfen, ob ich alles richtig verstanden habe. :-)

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin