'Das Geheimnis der Jaderinge' - Seiten 001 - 146

  • Ausfoliert und Prolog- weiter bin ich noch nicht, aber ich bin begeistert- bei dem Preis ein Lesebändchen, eine schöne Gestaltung, gefällt mir gut. Das Thema verfehlt zwar die Generation meiner Großeltern um dreißig Jahre also eine Generation - mein Großvater kam erst nach dem Boxeraufstand nach Peking und 1907 nach Shanghai-, aber mal sehen wie weit die Geschichte reicht. Der Klappentext verrät mal wieder etwas das im Widerspruch zum Prolog steht- von verarmt ist da mitnichten die Rede. Schade so was.

  • Ich habe bisher Kapitel 1 zu Ende gelesen. Ich muss sagen, es ist faszinierend, wie bereits in diesem einen Kapitel die ganze Zeit im Hintergrund eine dunkle Wolke über der Protagonistin schwebt und man als Leser ganz genau merkt, dass etwas Schlimmes passieren wird. Meiner Meinung nach sehr gut gemacht, weil ich dieses aufziehende Unheil wirklich die ganze Zeit über gespürt habe.
    Was mich ein bisschen stört ist, dass Viktoria bisher etwas sehr naiv wirkt (sich mit ihrem Verlobten vor der Hochzeit einlassen, nur weil sie Angst vor seiner schlechten Laune hat usw), aber ich schätze, das wird sich im Laufe des Buches noch ändern, oder? ;-)

  • Zitat

    Original von LadyTudor
    Was mich ein bisschen stört ist, dass Viktoria bisher etwas sehr naiv wirkt (sich mit ihrem Verlobten vor der Hochzeit einlassen, nur weil sie Angst vor seiner schlechten Laune hat usw), aber ich schätze, das wird sich im Laufe des Buches noch ändern, oder? ;-)


    Abwarten. :grin


    Sie hat nicht nur Angst vor seiner schlechten Laune, sondern fürchtet, er könnte das Interesse an ihr verlieren, wenn sie ihn zu sehr verärgert. Aber klug ist so ein Verhalten nicht, das stimmt.


    LG


    Tereza

  • Ich habe diesen Abschnitt schon beendet, es zieht mich einfach durch das Buch. :grin


    Ich muss ja sagen, liebe Tereza, dass ich eigentlich mit vorlauten, sich nicht ihrem Stand anpassen könnenden, dickköpfigen Protagonistinnen nicht wirklich etwas anfangen kann, weil ich mir dann denke: Mädel, ist doch klar, dass alle um dich rum über dich reden, wenn du an der Alster mit deinem Liebsten pimperst und deinen wertvollen Schmuck einfach an deine Magd verschenkst, ... Und so vorlaut und großklappig diese Protagonistinnen dann immer sind, so hiiilflos sind sie dann immer, wenn sie aus ihrem warmen Standesnestchen herausgeworfen werden.


    Trotzdem finde ich, dass sich Viktoria, als sie erstmal ihr Leben in die Hand genommen hat, sehr gut macht. Durch ihre weltoffenheit hat sie in China quasi keine Akklimatisierungsprobleme hat. Es freut mich, dass Margaret so erfrischend aufgeschlossen und für jede Schandtat zu haben ist, im Gegensatz zu ihrer Familie.


    Und ich frage mich auch, was weiter mit Dewei passiert. (Darf ich sagen, dass das eine typische Szene aus sämtlichen historischen Romanen ist: Reiches Mädchen sieht zum ersten Mal die Wirklichkeit auf den Straßen und muss sofort jemanden retten. Was ich aber gar nicht schlimm finde, denn Viktoria braucht einfach mal einen Begleiter, der ihr unvoreingenommen hilft und nicht schon durch irgendwelche Standesdünkel verdorben ist.)


    Jetzt aber weiterlesen. :chen

  • Hallo allerseits,


    zunächst einmal freut es mich, dass so schnell Rückmeldungen zu dem Buch kommen.


    Dass Viktoria gerade zu Anfang der Geschichte etliche Leser nervt, habe ich voraus gesehen. :-) Aber ich wollte die verwöhnte, dickköpfige Tochter so realistisch wie möglich schildern. Dass ein Mensch, der relativ plötzlich Geld und Privilegien verliert, erst einmal ziemlich dumm dasteht, hielt ich für naheliegend.


    Dori: mir fällt spontan garkein historischer Roman ein, in dem ein reiches, verwöhntes Mädchen gleich jemanden rettet, wenn sie mit dem Elend der Welt konfrontiert wird. :gruebel Aber total neu ist so eine Romanszene sicher nicht, da hast du recht.


    Viele Grüße


    Tereza


  • Das mit der schlechten Laune war blöd ausgedrückt, entschuldige. Aber du hast ja trotzdem verstanden, was ich meinte. :-)
    :wave

  • So, da bin ich dann auch. Bevor ich mich zum Roman äußere, erstmal vielen Dank an Tereza, dass sie uns auch durch diese LR wieder begleitet. :knuddel1 Ich habe mich schon seit Wochen darauf gefreut.


    Der erste Eindruck des Buchs fällt, wie auch Beo schrieb, positiv aus. Ansprechendes, das Genre verratendes Cover, gut lesbares Schriftbild, sogar ein Bändchen - nicht essentiell, aber immer gern genommen.


    Der Einstieg in den Roman, sprich der in Hamburg spielende Teil, fiel mir etwas schwer. Ich muss gestehen, dass mich diese mehr oder weniger immer gleichen Schilderungen des gehobenen Bürgerlebens jener Zeit eher langweilen. Während ich die Eltern, Feundin, Bedienstete und auch den Verlobten Anton in Charakterzeichnung und Verhalten ein wenig klischeehaft fand, gefiel mir Viktoria allerdings recht gut. Nicht, dass sie mir als Person gefallen hätte, denn ihre verhätschelte, naive Oberflächlichkeit weckt nicht gerade meine Sympathien. Das macht aber gar nichts, weil ich sie - was mir wesentlich wichtiger ist - realistisch dargestellt finde und für ihre Figur jede Menge Entwicklungsspielraum sehe. Nichts ist schlimmer als das im Historienroman unserer Zeit klassisch gewordene junge, natürlich herzensgute Mädchen, das unverschuldet in die finsterste Bredouille gerät, aus der es sich dann mit Hilfe ihres Mutes, ihrer Gewitztheit und unbeugsamer Charakterstärke (Allesamt gottgegeben, nicht etwa durch Erfahrung erworben) befreit. Solche Bücher pfeffere ich kaum angelesen in die Ecke, so ich sie denn überhaupt in die Hände nehme - aber solche Bücher wird Tereza Vanek uns glücklicherweise niemals liefern. So nehme ich die nervige Viktoria also hin, wie sie ist, und verfolge gespannt ihren weiteren Weg. :-)


    Dass Vicky sich von Anton breitschlagen lässt, schon vor der Ehe mit ihm in die Büsche zu hüpfen, ist sicher nicht sehr clever von ihr, gibt aber Aufschluss über zwei ihrer bestimmenden Wesenszüge. Einerseits mangelndes Selbstbewusstsein auf emotionalem Gebiet, was ich angesichts des in ihrem Elternhaus herrschenden Klimas glaubhaft finde, anderseits ihre wagemutige, spontane Ader. Diese zu zeigen, finde ich wichtig, weil sie ihr späteres Verhalten in China, insbesondere ihre Adaptionsfähigkeit, erklärt.


    LadyTudor schrieb weiter oben, dass man als Leser eine dunkle Wolke über der Protagonistin schweben spürt. Das stimmt, leider bis zur Grenze der Vorhersehbarkeit. Deutlich interessanter wird es, als das Unheil endlich hereinbricht und Vicky gefordert ist, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen. In dieser Phase gibt es auch eine richtige Perle im Text zu bestaunen, nämlich das für mich hervorragend geschriebene Gespräch zwischen Vicky und ihre Mutter (Seite 69 -71). Hier löst sich die Mutter aus ihrer bisher starren Rolle und liefert Einsichten, Erklärungen für ihr Verhalten. Vicky liefert einen moralischen Offenbarungseid, indem sie darauf mit derselben Kälte reagiert, die sie ihrer Mutter vorhält. Großes Kino, finde ich.


    Alles in allem fand ich den Hamburg-Teil etwas zäh, aber eine gelungene Vorbereitung für die weitere Handlung. Man lernt Vicky mit ihren Stärken und Schwächen kennen, und sie wird schlüssig nach China getragen, ohne dass es dazu unglaubwürdiger Entwicklungen bedarf.


    In Schanghai angekommen, erhält die Geschichte für mich mehr Farbe und Tiefgang. Von Emily und Robert abgesehen, die vorerst recht hölzern als die Bösen darstehen, erweitert sich das Personal um einige interessante, zum Teil sehr originelle Figuren wie Margaret, Annette, Nathan, Shikai und natürlich Dewei. Mir gefällt, wie Vicky ihren Horizont langsam über die Grenzen des Huntingdon'schen Haushalts erweitert, in einem realistischen Tempo - zwei Schritte vor, einen zurück - die bunte, fremde Stadt mit ihren Verlockungen und Schrecken für sich entdeckt. An dieser Stelle ein ganz großes Lob an Tereza für ihre Schilderungen der Stadt und der in ihr herrschenden sozialen Bedingungen fernab romantisierender Verbrämung. Genau so ist es, da riecht nicht alles nach Lavendel, sondern auch mal nach Urin und rottigem Gemüse, da lächeln nicht alle "Eingeborenen" dümmlich vor sich hin, sondern die Chinesen starren Vicky in ihrer Neugier penetrant an und lachen offen über sie. So sieht es nämlich aus, und so will ich das auch lesen! Ebenso gut gefällt mir, wie Vicky die ehemals vertrauten gesellschaftlichen Zirkel aus dem Blickwinkel einer Angestellten zu sehen und beurteilen lernt. Schön, dass Tereza auch hier keinen unglaubwürdigen Knalleffekt inszeniert, sondern allen äußeren wie inneren Veränderungen die nötige Zeit lässt. Diese Herangehensweise hat mir schon an ihren anderen Büchern ausgezeichnet gefallen.


    Noch ein Wort zu Stil und Sprache. Im Vergleich zu "Schwarze Seide", das ich erst vor wenigen Wochen gelesen habe (und jedem, der das Buch nicht kennt, unbedingt ans Herz legen möchte), empfinde ich beides als etwas schnörkeliger, weniger originell, dem erwarteten Duktus des Genres angepasst. Das trifft nicht genau meinen Geschmack, ist aber vermutlich - und sei es unterbewusst - dem (Verkaufs-)Druck von außen geschuldet. Und wenn schon - auch so ragt Tereza mit ihrem Können sprachlich immer noch meilenweit über das heraus, was uns im aktuell boomenden "Love & Landscape" Genre größtenteils geboten wird. Selbstverständlich, bin ich geneigt zu sagen. :grin


    Nun bin ich gespannt, was ihr anderen dazu zu sagen habt. Und natürlich darauf, wie es Vicky weiter ergeht. Es deutet sich ja schon einiges an...


    LG harimau :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von harimau
    gefiel mir Viktoria allerdings recht gut. Nicht, dass sie mir als Person gefallen hätte, denn ihre verhätschelte, naive Oberflächlichkeit weckt nicht gerade meine Sympathien. Das macht aber gar nichts, weil ich sie - was mir wesentlich wichtiger ist - realistisch dargestellt finde und für ihre Figur jede Menge Entwicklungsspielraum sehe. Nichts ist schlimmer als das im Historienroman unserer Zeit klassisch gewordene junge, natürlich herzensgute Mädchen, das unverschuldet in die finsterste Bredouille gerät, aus der es sich dann mit Hilfe ihres Mutes, ihrer Gewitztheit und unbeugsamer Charakterstärke (Allesamt gottgegeben, nicht etwa durch Erfahrung erworben) befreit.


    Bitte harimau, schreib dich nur aus, dann muss ich das nicht mehr tun. :knuddel1
    Genau das ist mir im ersten halben Teil, den ich bisher gelesen habe, auch durch den Kopf gegangen. Ein ziemlich verzärteltes, verwöhntes Gör - wunderbar, denn wie sollte sie zu den bisher gegebenen Umständen auch zu etwas anderem geworden sein?


    Ich mag das sehr und mir bleiben Figuren, an denen ich mich etwas reiben kann, sehr viel eher im Kopf als die flachen, braven Gutmenschen, denen das ach so garstige Schicksal so übel mitspielt, obwohl so so viel besseres verdient hätten. Blah.
    Mal davon ab klappt auch das Identifizieren besser als mit einer rosafarbenen, unbefleckten und unfehlbaren Mary-Sue.


    Ich bin gut ins Buch reingekommen und fühl mich schon wohl. Freue mich sher aufs Weiterlesen :wave

  • Ich moecht' das auch anmerken: Dass ich die Sprache bei diesem Roman im Vergleich zu allen anderen Love and Landscape Romanen, die ich gelesen habe, bei diesem am schoensten fand. Ich fand sie im Genrevergleich klar und praezise und mochte sie.
    Dass das mit der Rettung eine Standardszene ist, ist mir gar nicht aufgefallen. Ich fand die Szene spannend und unmittelbar, mich hat sie mitgenommen. Und die Schilderungen von Hamburg haben mir auch gefallen. Aber vielleicht habe ich auch so etwas einfach noch nicht so oft gelesen.
    Victoria nervt mich nicht. Ich finde, sie hat viele Facetten, sie ist nicht dumm und sie hat Farbe.


    Ich weiss noch, dass das Buch fuer mich von der ersten Seite an eine sehr angenehme Ueberraschung war.


    Alles Liebe von Charlie

  • Ich meinte das mit der Standart-Szene eher folgendermaßen: Zum ersten Mal entdeckt Vi Ki (*kichert albern*) die Realität außerhalb des Europäischen Viertels, wo es mitunter auch ziemlich brutal zugehen kann. Ein Kind wird verprügelt (wie es ja normalerweise nunmal ist), und Vicki muss es dann natürlich retten. (Das ist keineswegs negativ gemeint, es ist mir nur aufgefallen. Gab es nicht - Achtung, flapsiger Vergleich! Das ist der einzige, der mir gerade auf die Schnelle eingefallen ist. - auch in der "Heidi"-Kinderserie eine Szene, in der sie eine kranke Ziege rettet, die der Großvater sonst hätte töten müssen oder so?)
    Ich glaube, die Szene ist für mich wichtig, weil sie zeigt, dass in Viktoria trotzdem noch einige Standesdünkel vorhanden sind in Bezug auf die normalen Bürger Shanghais. Dass sie (die Europäerin in China, keineswegs bereits assimiliert, sondern abgeschirmt) einen völlig anderen Lebensstandard gewöhnt ist und deswegen wenigstens eine Person aus diesen Elendsvierteln retten muss


    Ich bin im Übrigen gespannt, ob es nochmal ein Wiedersehen mit Viktorias Mutter oder Anton gibt. Das würde mich interessieren...

    Sorry, I can't hear you over the sound of my awesomeness. :putzen

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  • Liebe Leute,


    da ist ja nun schon allerhand geschrieben worden. Zunächst einmal wundert es mich garnicht, dass Harimau den Anfang vom Buch nicht so toll fand, denn ich glaube, Geschichten über höhere Töchter anno 1870 dürften generell nicht so sein Ding sein. Erst, wenn diese Töchter anfangen, Asien unsicher zu machen, dann wird's interessant. :-)


    Zu der Sprache kann ich nichts sagen. Ich habe das so geschrieben, wie ich eben schreibe. Eine bewusste Genre-Anpassung habe ich nicht vorgenommen.


    Ansonsten finde ich es sehr interessant, Eure Eindrücke zu hören. Ich hoffe, Vicki wird euch noch etwas mehr ans Herz wachsen. :-]


    Viele Grüße


    Tereza

  • Zitat

    Original von Charlie
    Dass das mit der Rettung eine Standardszene ist, ist mir gar nicht aufgefallen. Ich fand die Szene spannend und unmittelbar, mich hat sie mitgenommen.


    Das ging mir - beides - ebenso. :write

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von Tereza
    Zunächst einmal wundert es mich garnicht, dass Harimau den Anfang vom Buch nicht so toll fand, denn ich glaube, Geschichten über höhere Töchter anno 1870 dürften generell nicht so sein Ding sein. Erst, wenn diese Töchter anfangen, Asien unsicher zu machen, dann wird's interessant. :-)


    :lache Es wäre auch schon interessant, wenn sie Florenz, Berlin oder wenigstens Altona aufmischte, aber Asien gibt mir natürlich den besonderen Kick.


    Zitat

    Ich hoffe, Vicki wird euch noch etwas mehr ans Herz wachsen. :-]


    Sie arbeitet bereits daran. :-)

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Ich mag Vicki, ich finde sie sehr lebensecht, gerade weil sie zum Beispiel wider alle Vernunft mit ihrem Verlobten in die Kiste hüpft. Mal ganz ehrlich, wer hat denn nicht schon unvernünftig gehandelt, wenn es um die Liebe geht? Da gibt es bestimmt irgend so ein Glückshormon, dass allen Verstand ausschaltet.
    Die Schilderungen von Shanghai gefallen mir außerordentlich gut, weil ich es sehen, riechen und fühlen kann.

    :lesendCharlotte Roth - Grandhotel Odessa


    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)

  • Ich muss gestehen, dass ich, als ich heute morgen mit den Jaderingen angefangen habe, das Buch nicht mehr weglegen konnte und erst bei Seite 371 den "Notausschalter gedrückt " habe. Schließlich wollten die Jungs nach der Schule gerne ein Mittagessen. Dank Steffi und Harimau bin ich zum Asienfan mutiert und so ist es mir richtig schwer gefallen, mich von dem Buch zu lösen. Da ich jetzt schon so weit über das Ende dieses Abschnitts hinausgeschossen bin, tue ich mich ein bisschen schwer, mich an meine Eindrücke aus diesem Teil zu erinnern.


    Fräulein Virchow, Viktoria, empfinde ich als ein intelligentes, verwöhntes, naives Mädchen ihrer Zeit mit einem guten Herzen und guten Charakteranlagen. Sie geniest ihr Leben, aber ihre Diener sind ihr nicht egal. Sie leidet unter der Kälte ihrer Mutter und hat so gar kein Verständnis für deren Verhalten. Wie soll sie auch? Sie liebt ihren Vater und hat eine innige Beziehung zu ihm und ist in den gutaussehenden, unterhaltsamen, aber leider verarmten Aristokraten Anton verliebt. Für mich ist die Beziehung der reichen Geschäftsmanntochter zu einem verarmten Adligen eher das oft bemühte Klischee, als ihre Rettungsaktion im Chinesenviertel von Shanghai. Ich fand es toll, wie authentisch ich Viktioria von Anfang an empfunden habe und deswegen war sie mir auch nicht unsympathisch. Ich habe sie begleitet, als sie sich von Anton im Gebüsch hat nehmen lassen, als sie felsenfest zu ihrem Vater gehalten und ihre Mutter hat abblitzen lassen, als sie sich hat gehenlassen, als ihre Welt zerbrochen ist und dachte immer "Du schaffst das, Mädchen! Lass dich nicht unterkriegen!


    Das sie bei dem von harimau erwähnten Gespräch mit ihrer Mutter ihr moralisches "Coming out" hatte, finde ich keineswegs. Viktoria ist 21 Jahre alt und zum ersten Mal macht sich ihre Mutter die Mühe, ihr etwas zu erklären. Viel zu spät. Dieses Tischtuch ist schon vor vielen Jahren zerschnitten worden und Viktoria hat sich aus reinen Selbstschutz in diese Kälte gerettet, die sie ihrer Mutter gegenüber jetzt zeigt. Aber in meinen Augen lässt das keine Rückschlüsse auf ihren moralischen Status zu.


    Sehr beeindruckend fand ich Margaret Huntingdon. Wie die alte Dame ihr schweres Schicksal angenommen hat und für Viktoria sogar zu eine Art Mutterersatz geworden ist, war sehr berührend. Ich bin so neugierig auf ihr Schicksal, warum ihr Sohn Robert ihr verboten hat über seinen Bruder zu reden und was es mit dem Ring auf sich hat. Margaret hilft Viktoria wo sie kann, auch als sie mit einem chinesischen Jungen im Schlepptau heimkommt. Vermutlich erinnert Viktoria sie an ihre eigene Abenteuerlust. So naiv Viktoria manchmal ist (ich sag nur Alibi für verbotene Treffen), so geistesgegenwärtig ist sie wieder in anderen, als sie Dewei schützt, als Margaret ihren Anfall hat.

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Ich bin auch gut in das Buch hineingekommen. Wie die meisten schon geschrieben haben, ist Viktoria nicht total unsympatisch. Naiv und verliebt. Wenn man als Kind verletzt wird, macht man "zu". Der Konflikt mit der Mutter besteht ja schon länger.


    Das Viktoria Deiwei rettet, finde ich auch völlig in Ordnung und glaubhaft. Sie ist halt für Gerechtigkeit und Spontan. Ich kann auch nicht zusehen wenn jemand verprügelt und wird und schreite "spontan" ein.


    China finde ich gut beschrieben. Nicht verkitscht, sondern glaubhaft und trotzdem "schön".


    Zitat von harimau
    Noch ein Wort zu Stil und Sprache. Im Vergleich zu "Schwarze Seide", das ich erst vor wenigen Wochen gelesen habe (und jedem, der das Buch nicht kennt, unbedingt ans Herz legen möchte), empfinde ich beides als etwas schnörkeliger, weniger originell, dem erwarteten Duktus des Genres angepasst. Das trifft nicht genau meinen Geschmack, ist aber vermutlich - und sei es unterbewusst - dem (Verkaufs-)Druck von außen geschuldet. Und wenn schon - auch so ragt Tereza mit ihrem Können sprachlich immer noch meilenweit über das heraus, was uns im aktuell boomenden "Love & Landscape" Genre größtenteils geboten wird. Selbstverständlich, bin ich geneigt zu sagen. Grinsen


    Also ich finde den Schreibstil überhaupt nicht verschnörkelt. Sondern direkt und klar. Grundsätzlich magst Du recht haben, dass in diesem Genre Love & Landscape viel "flaches" angeboten wird. Ich habe in letzter Zeit allerdings etliche "nicht flache" Romane dieses Genres gelesen.


    Gruß tweedy :wave

  • Ich bin trotzdem nicht der Ansicht, dass das "verarmte" auf den Buchrücken gehört. Viktoria ist ein typisches junges Mädchen aus reichem Hause aus einer Zeit wo ein Pleitier nicht aufdie nächste Million Sparte, sondern sich eine Kugel in den Kopf schoß. Man darf nicht übersehen, dass das Buch mit Zeitsprüngen arbeitet, mit erschien die Entwicklung die Viktoria machte oft ziemlich groß, aber wenn sie sich in Monaten Vollzug ist das glaubwürdig. Ich mag ihre spontane Art. Mit der Arbeit bei Huntingtons hat sie prinzipiell Glück gehabt, aber da kommt sicher noch was.

  • Ich muss ehrlich sagen, dass ich diesen Roman in das Genre Love and Landscape nicht eingeordnet haette. Vielleicht weil ich die Autorin sprachlich so gut finde. Vielleicht aber auch weil ich die Geschichte so interessant finde und die Figuren mehrdimensional. Mir ging das auch mit Julia Kroehns Chile-Romanen so. Ich bringe das mit dem Begriff "Love and Landscape" nicht zusammen, auch wenn Leute darin andere Leute lieben (in welchen Romanen tun die das nicht?) und es Beschreibungen von Landschaften gibt (in welchen Romanen usw.).
    Ich habe die Geschichte mit so vielen Aha-Erlebnissen, so viel Staunen und so viel Faszination gelesen wie jeden anderen von Terezas Romanen, und bin einfach nur beeindruckt von der Breite ihrer thematischen Palette. Tereza laesst sich auf die Figuren - und damit auf ihre Hintergruende, in China wie in Frankreich oder Boehmen - tief ein, je laenger man liesst, desto mehr Fuehlung nimmt man mit der Figur auf, und das lese ich gern, das macht mir beim Lesen grosses Vergnuegen - umso mehr, wenn ich vor einer Romanwelt so unbeleckt stehe wie vor dieser.


    Herzlich,
    Charlie