Joachim Gauck gemeinsamer Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten

  • Zitat

    Original von Voltaire
    Einfach mal nachdenken. Mit etwas Glück und etwas investierter Gehirnzellenaktivität kommst du vielleicht sogar selbst drauf. Also - beim Nachdenken nicht entmutigen lassen.


    Entmutigt werde ich eher durch die politischen Realitäten. Dass die Bundeswehr zur Verteidigung des Volkes da ist, ist zwar streng genommen richtig, kann man dieser Tage aber allenfalls als Folklore abhaken. De facto hat die BRD gegenwärtig keine militärischen Feinde, die Zeit in denen die Armee in Europa in die Landesgrenzen bewachen muss, sind weitgehend und glücklicherweise vorbei. Die Bundeswehr wird in erster Linie zur Wahrung seiner außenpolitischen Ziele Deutschlands und seiner Verbündeten (z.B. freier Warenhandel, "Peacemaking") eingesetzt, so fragwürdig diese sicherlich sind. Dann kommen noch Amtshilfen wie Evakuierungen oder Hilfe bei Naturkatastrophen hinzu.


    Die Wahrung von Grundrechten wie die Demonstrationsfreiheit ist nicht die Aufgabe der Bundeswehr, sondern des Rechtsstaats, selbst im Kriegsfall. Alles andere wäre auch äußerst beängstigend; Militärräte sind nicht so mein Ding. Aber vielleicht habe ich meine Gehirnzellenaktivität auch etwas überschätzt. In dem Fall kannst du mich sicher darüber aufklären, wie und auf welcher Grundlage das deutsche Militär die Demonstrationsfreiheit schützt.

  • Zitat

    Original von solea


    Entmutigt werde ich eher durch die politischen Realitäten. Dass die Bundeswehr zur Verteidigung des Volkes da ist, ist zwar streng genommen richtig, kann man dieser Tage aber allenfalls als Folklore abhaken. De facto hat die BRD gegenwärtig keine militärischen Feinde, die Zeit in denen die Armee in Europa in die Landesgrenzen bewachen muss, sind weitgehend und glücklicherweise vorbei. Die Bundeswehr wird in erster Linie zur Wahrung seiner außenpolitischen Ziele Deutschlands und seiner Verbündeten (z.B. freier Warenhandel, "Peacemaking") eingesetzt, so fragwürdig diese sicherlich sind. Dann kommen noch Amtshilfen wie Evakuierungen oder Hilfe bei Naturkatastrophen hinzu.


    Die Wahrung von Grundrechten wie die Demonstrationsfreiheit ist nicht die Aufgabe der Bundeswehr, sondern des Rechtsstaats, selbst im Kriegsfall. Alles andere wäre auch äußerst beängstigend; Militärräte sind nicht so mein Ding. Aber vielleicht habe ich meine Gehirnzellenaktivität auch etwas überschätzt. In dem Fall kannst du mich sicher darüber aufklären, wie und auf welcher Grundlage das deutsche Militär die Demonstrationsfreiheit schützt.


    Die Bundeswehr hat einen klar gesetzlich umrissenden Verteidigungsauftrag. Zudem sind des weiteren die Pflichten der Bundeswehr zum einen durch den Bündnisvertrag und zum anderen durch die UN-Regularien klar geregelt.


    Hier jetzt von "Schutz des Waffenhandels" zu reden ist billigste Linken-Polemik. Offensichtlich kommst du aber aus dieser Ecke.


    Die Wahrung demokratischer Rechte durch die Bundeswehr ist zudem durch die Notstandsgesetzgebung klar geregelt - auch wenn dort Grundrechte eingeschränkt werden. Diese Gesetze wurden im übrigen mit verfassungsdurchbrechender Mehrheit beschlossen.


    Die Landesgrenzen Deutschlands mögen auf den ersten Blick sicher sein und bedürfen insofern keinen Schutz, wenn man von einem landgestützten Angriff ausgeht. Wie aber ist es mit nicht-landgestützten Angriffen? Nach wie vor gibt es ein konkretes Bedrohungsszenario.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.


  • Bitte genau lesen. Zunächst einmal habe ich von "Schutz des Waffenhandels" nichts geschrieben, sondern den freien Warenhandel als ein sicherheitspolitisches (also auch militärisches) Ziel von Deutschland und seinen Verbündeten genannt. Und wenn du auch das für eine linke Verschwörungstheorie hältst, solltest du einen Blick in die Verteidigungspolitischen Richtlinien 2011 werfen, das vom Bundesverteidigungsministerium stammt. Darin steht unter anderem: "Zu den deutschen Sicherheitsinteressen gehören: (...) einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen." Das, wofür Horst Köhler einst zurücktreten musste, ist heute politischer Mainstream.


    Der Verweis auf die Notstandsgesetzgebung, die, wie du sicherlich weißt, in der Rechtswissenschaft nicht unumstritten war/ist, beschreibt lediglich den Ausnahmezustand (Verteidigungsfall), der bisher zum Glück noch nicht eingetreten ist. Das ändert nichts an meiner Kernaussage, dass es im Normalzustand (Frieden) nicht zum Aufgabenbereich der Bundeswehr gehört, die Grundrechte zu wahren. Mir fällt in der gegenwärtigen weltpolitischen Lage auch kein Szenario ein, in dem dies potentiell der Fall sein könnte, insofern halte ich meine anfängliche Skepsis gegenüber deiner Ausgangsbehauptung nach wie vor für berechtigt. Ich werde ganz gewiss keinem Bundeswehroffizier persönlich dafür danken, dass er meine Rechte schützt. Diese Ehre gebührt anderen.


    Die Bemerkung mit der linken Ecke, aus der ich angeblich komme, ist ein billiger rhetorischer Trick, um mein Argument zu diskreditieren. Warum fühlst du einem derartigen BILD-Jargon hingezogen (was auch in deiner Bezeichnung von Teilnehmern einer genehmigten Demonstration als "Gesocks" offenbar wurde)? Soll das Integrität suggerieren?

  • Ich misch mal mit, damit wir wieder zum Thema zurückkommen.


    Zitat

    Original von solea
    Das Amt des Bundespräsidenten ist vollkommen überflüssig. Es sollte abgeschafft werden. Alle Aufgaben des Bundespräsidenten könnten problemlos von anderen Verfassungsorganen übernommen werden. Das wäre billiger für den Steuerzahler und man müsste sich nicht wochenlang mit Debatten, wie die um Wulff und Gauck beschäftigen.


    Wer wäre denn geeignet für die wichtigste Aufgabe: Überwachung des Parlaments und der Regierung? Der Bundespräses ist doch bei Gründung der Republik im Vergleich zum Reichspräsidenten mit voller Absicht in seinen Rechten beschnitten worden, um eine ähnliche Situation wie vor der Machtergreifung zu verhindern. Gleichzeitig kann es aber nicht sein, daß der Regierungschef nun einfach das Staatsoberhaupt wird -> das wäre schließlich die gleiche Situation nur mit einem anderen Amt. Diese Gewaltenteilung ist aus historischen Gründen durchaus wichtig und ich sehe momentan nicht, wer dieses Amt besser ausfüllen könnte als ein Bundespräsident.


    Und das Argument, man müsse sich dann nicht wochenlang mit Debatten über Wulff oder Gauck beschäftigen, zieht auch nicht. Wulff wäre heute niedersächsischer Ministerpräsident, womöglich wäre die Affäre genauso ans Licht gekommen, wenn er nicht Bundespräsident wäre. Und Gauck ist doch als Thema schneller wieder verschwunden als er gewählt werden konnte. Aber vor allem gilt: Glaubst Du, wir hätten sinnvollere Diskussionen gehabt, wenn das Thema Wulff die Medien nicht dermaßen beherrscht hätte? Ich fürchte eher, dann hätten noch mehr Bundesbürger mitbekommen, wer diesmal im Dschungel der neue Superstar wird.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Zitat

    Original von LeSeebär
    Wer wäre denn geeignet für die wichtigste Aufgabe: Überwachung des Parlaments und der Regierung? Der Bundespräses ist doch bei Gründung der Republik im Vergleich zum Reichspräsidenten mit voller Absicht in seinen Rechten beschnitten worden, um eine ähnliche Situation wie vor der Machtergreifung zu verhindern. Gleichzeitig kann es aber nicht sein, daß der Regierungschef nun einfach das Staatsoberhaupt wird -> das wäre schließlich die gleiche Situation nur mit einem anderen Amt. Diese Gewaltenteilung ist aus historischen Gründen durchaus wichtig und ich sehe momentan nicht, wer dieses Amt besser ausfüllen könnte als ein Bundespräsident.


    Der Bundespräsident "überwacht" doch nicht die Regierung und das Parlament! Wo hast du das her? Aus dem politischen Tagesgeschäft hat er sich traditionell herauszuhalten. Im Sinne der Gewaltenteilung kann er so auch gar nicht wirken, da er verfassungsgemäß selbst ein Organ der Exekutive ist.


    Die Hauptaufgaben des Präsidenten sind andere: Ausfertigung von Bundesgesetzen, Ernennung und Entlassung von Ministern, Staatsrepräsentation im Ausland - nur um die wichtigsten zu nennen. Die ersten zwei Funktionen könnten problemlos vom Bundestagspräsidenten übernommen werden und die Repräsentation in anderen Ländern übernehmen nicht nur Botschafter und Konsule, sondern zwangsläufig auch die Bundesregierung. Die meisten Menschen im Ausland werden, wenn man sie heute auf die BRD anspricht, eher an Frau Merkel als an Wulff oder Gauck denken.


    Wie du schon sagtest ist der Bundespräsident ein quasi-Nachfolger des Reichspräsidenten mit weniger Befugnissen. Das belegt doch aber einmal mehr, dass indirekt auch der BPräs ein Relikt der Monarchie ist, das wir bedenkenlos auf den Müllhaufen der Geschichte entsorgen könnten. Staaten mit genuin republikanischer Tradition wie die USA oder die Schweiz haben kein ähnliches Amt. Selbst wir in Betracht ziehen, dass es auch in diesen Ländern Demokratiedefizite geben mag, so ist dies garantiert nicht auf das Fehlen eines Ersatzmonarchen zurückzuführen.


    Überhaupt kann ich die Sehnsucht nach einem überparteilichen Staatsoberhaupt nicht nachvollziehen. Wir leben (zum Glück!) in einer pluralistischen Gesellschaft, die den offenen Wettstreit von Ideen und Interessen würdigen sollte. Sonntagsredner und Leitartikelschreiber die die Lage der Nation beschreiben, gibt es schon mehr als genug.


    Zitat

    Und das Argument, man müsse sich dann nicht wochenlang mit Debatten über Wulff oder Gauck beschäftigen, zieht auch nicht. Wulff wäre heute niedersächsischer Ministerpräsident, womöglich wäre die Affäre genauso ans Licht gekommen, wenn er nicht Bundespräsident wäre. Und Gauck ist doch als Thema schneller wieder verschwunden als er gewählt werden konnte. Aber vor allem gilt: Glaubst Du, wir hätten sinnvollere Diskussionen gehabt, wenn das Thema Wulff die Medien nicht dermaßen beherrscht hätte? Ich fürchte eher, dann hätten noch mehr Bundesbürger mitbekommen, wer diesmal im Dschungel der neue Superstar wird.


    Gut, das habe ich beim Verfassen meines ersten Posts wohl etwas überschätzt. Wertvollere Debatten wären in derselben Zeit wohl nicht zustandegekommen, richtig. Aber es wäre immerhin eine überflüssige weniger gewesen.


    Off-topic: Machtergreifung ist ein hässliches Wort.

  • Zitat

    Original von solea
    Wie du schon sagtest ist der Bundespräsident ein quasi-Nachfolger des Reichspräsidenten mit weniger Befugnissen. Das belegt doch aber einmal mehr, dass indirekt auch der BPräs ein Relikt der Monarchie ist, das wir bedenkenlos auf den Müllhaufen der Geschichte entsorgen könnten. Staaten mit genuin republikanischer Tradition wie die USA oder die Schweiz haben kein ähnliches Amt. Selbst wir in Betracht ziehen, dass es auch in diesen Ländern Demokratiedefizite geben mag, so ist dies garantiert nicht auf das Fehlen eines Ersatzmonarchen zurückzuführen.


    klugscheissmodus an: Das fett markierte ist so falsch, der Reichspräsident wurde 1919 nach dem Ende der Monarchie eingeführt. Er ist also ein Relikt der ersten deutschen Republik.....


    klugscheissmodus wieder aus....


    und :schnellweg

  • Zitat

    Original von streifi
    klugscheissmodus an: Das fett markierte ist so falsch, der Reichspräsident wurde 1919 nach dem Ende der Monarchie eingeführt. Er ist also ein Relikt der ersten deutschen Republik.....


    klugscheissmodus wieder aus....


    und :schnellweg


    Der Reichspräsident galt damals schon als Ersatzkaiser. Und der Bundespräsident ist dann eben der Ersatz-Ersatzkaiser - bloß eben mit weniger Befugnissen. Insofern finde ich die Aussage schon vertretbar.

  • Zitat

    Original von solea
    Der Bundespräsident "überwacht" doch nicht die Regierung und das Parlament! Wo hast du das her? Aus dem politischen Tagesgeschäft hat er sich traditionell herauszuhalten.


    Ich meinte mit Überwachung nicht, daß er der Regierung ins Tagesgeschäft reinreden kann, wenn Merkel und Rösler sich mal wieder prügeln, sondern, daß Ernennungen und Entlassungen nur über ihn gehen. Damit soll eine Situation vermieden werden wie in der Weimarer Republik, als es mehr Kanzler als Regierungsjahre gab. Sicher könnte man diese Aufgaben im Amt des Bundestagspräsidenten zusammenfassen, aber erstens ist dieser imho viel zu nah am Tagesgeschäft (von dem der Präsident ja bewußt ferngehalten wird) und zweitens wird dieser wie der Kanzler vom Bundestag gewählt, da ist die Nähe zum Kanzler dementsprechend bedeutend dichter.


    Zitat

    Wie du schon sagtest ist der Bundespräsident ein quasi-Nachfolger des Reichspräsidenten mit weniger Befugnissen. Das belegt doch aber einmal mehr, dass indirekt auch der BPräs ein Relikt der Monarchie ist, das wir bedenkenlos auf den Müllhaufen der Geschichte entsorgen könnten.


    Und dann ist die Kanzlerin als Staatsoberhaupt Nachfolgerin des Kaisers? Der Begriff des Ersatzkaisers wurde doch hauptsächlich wegen der großen Machtfülle im Amt geprägt und steht damit eben genau in diesem Punkt dem Bundespräsidenten entgegen, daher ist der Bundespräsident eben gerade kein Relikt der Monarchie.


    Außerdem: Auch wenn man den Reichspräsidenten als "Ersatzkaiser" tituliert hat, gibt es einen entscheidenden Unterschied: Hindenburg wurde vom Volk gewählt, der Kaiser nicht. Oder willst Du mir erzählen, daß jeder Regierende ja ein Relikt der Monarchie ist und wir dementsprechend in Anarchie leben sollten?


    Zitat

    Staaten mit genuin republikanischer Tradition wie die USA oder die Schweiz haben kein ähnliches Amt.


    Mal abgesehen davon, daß ich nicht dafür bin, hier die Systeme der schweizer oder gar amerikanische Demokratien einführen zu wollen, muß ich der eigentlichen Aussage widersprechen: Auch in der Schweiz gibt es einen Bundespräsidenten und einen Bundeskanzler. In den USA hingegen ist Obama Staatsoberhaupt und Regierungschef in einem, das ist deutlich näher an der deutschen Monarchie als der deutsche Bundespräsident. Ich kann nicht nachvollziehen, wieso das jetzt ein Beispiel für uns sein sollte?


    Zitat

    Überhaupt kann ich die Sehnsucht nach einem überparteilichen Staatsoberhaupt nicht nachvollziehen. Wir leben (zum Glück!) in einer pluralistischen Gesellschaft, die den offenen Wettstreit von Ideen und Interessen würdigen sollte. Sonntagsredner und Leitartikelschreiber die die Lage der Nation beschreiben, gibt es schon mehr als genug.


    Das ist doch imho gerade ein Punkt pro überparteilichem Staatsoberhaupt: die Sonntagsredner und Leitartikelschreiber, die sich in Politik und Journalismus tummeln, sind gerade eines in aller Regel wenig: Überparteilich.


    Zitat

    Off-topic: Machtergreifung ist ein hässliches Wort.


    Es war ja auch ein hässliches Ereignis...

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Zitat

    Original von LeSeebär
    Ich meinte mit Überwachung nicht, daß er der Regierung ins Tagesgeschäft reinreden kann, wenn Merkel und Rösler sich mal wieder prügeln, sondern, daß Ernennungen und Entlassungen nur über ihn gehen. Damit soll eine Situation vermieden werden wie in der Weimarer Republik, als es mehr Kanzler als Regierungsjahre gab. Sicher könnte man diese Aufgaben im Amt des Bundestagspräsidenten zusammenfassen, aber erstens ist dieser imho viel zu nah am Tagesgeschäft (von dem der Präsident ja bewußt ferngehalten wird) und zweitens wird dieser wie der Kanzler vom Bundestag gewählt, da ist die Nähe zum Kanzler dementsprechend bedeutend dichter.


    Ernennungen und Entlassungen waren zu Weimarer Zeiten auch die Aufgabe des Reichspräsidenten. Die häufigen Regierungswechsel zwischen 1919 und 1933 hatten eher andere Gründe.


    Überdies ist das kein überzeugender Grund, warum ausgerechnet der Bundespräsident diesen Job übernehmen muss. Das Ernennen und Entlassen schließt nicht mit ein, dass der Bundespräsident auch die fachliche Geeignetheit des Kandidaten überprüft. Es ist ein rein formaler Akt für den es kein eigenes Amt braucht. Ein Bundestagspräsident, der seine Arbeit ernst nimmt wie Norbert Lammert, könnte das genauso gut tun. Im Gegensatz zu den meisten anderen Fällen halte ich die institutionelle Nähe zum Kanzler in diesem Punkt für unproblematisch.


    Zitat

    Und dann ist die Kanzlerin als Staatsoberhaupt Nachfolgerin des Kaisers? Der Begriff des Ersatzkaisers wurde doch hauptsächlich wegen der großen Machtfülle im Amt geprägt und steht damit eben genau in diesem Punkt dem Bundespräsidenten entgegen, daher ist der Bundespräsident eben gerade kein Relikt der Monarchie.


    Wenn ein Kanzler von einem demokratischen Parlament gewählt wird, hat das keinerlei monarchischen Charakter mehr. Ein Bundespräsident, der als "moralische Instanz" und mahnende Lichtgestalt über dem Parlament und der Tagespolitik schweben soll und dessen demokratische Legitimation zweifelhaft ist, erinnert mich da eher an einen Kaiser oder König.


    Zitat

    Oder willst Du mir erzählen, daß jeder Regierende ja ein Relikt der Monarchie ist und wir dementsprechend in Anarchie leben sollten?


    Merkwürdige Schlussfolgerung. Würde ich mich (wie noch vor ein paar Jahren) dem Anarchismus verschreiben, würde ich jetzt bestimmt nicht so systemkonform argumentieren wie ich es nun mal tue.


    Zitat

    Mal abgesehen davon, daß ich nicht dafür bin, hier die Systeme der schweizer oder gar amerikanische Demokratien einführen zu wollen, muß ich der eigentlichen Aussage widersprechen: Auch in der Schweiz gibt es einen Bundespräsidenten und einen Bundeskanzler. In den USA hingegen ist Obama Staatsoberhaupt und Regierungschef in einem, das ist deutlich näher an der deutschen Monarchie als der deutsche Bundespräsident. Ich kann nicht nachvollziehen, wieso das jetzt ein Beispiel für uns sein sollte?


    Die USA oder die Schweiz nachzuahmen, habe ich mit keinem Wort gefordert, sondern nur darauf hingewiesen, dass Demokratien auch ohne ein Amt wie das des Bundespräsidenten funktionieren können. Der Schweizer Bundespräsident lässt sich mit seinem deutschen Pendant übrigens nicht vergleichen, da er nicht das Staatsoberhaupt darstellt (die Schweiz hat kein formelles Staatsoberhaupt) und lediglich die Sitzungen der Schweizer Regierung leitet. Außerdem wird er jedes Jahr neu gewählt.


    Den amerikanischen Präsidenten in die Nähe der deutschen Monarchie zu rücken, ist ganz schön kühn. Zum einen gab es im Deutschen Reich neben dem Kaiser einen durchaus einflussreichen Kanzler (Bismarck? Schon vergessen?), der die Regierung formal leitet. Zweitens sorgt die viel konsequentere Gewaltenteilung des förderalen US-Systems dafür, dass der Präsident vor allem innenpolitisch weit schwächer ist als gemeinhin angenommen wird. Die Machtfülle eines Kaisers (nicht mal den eines Bundeskanzlers) hat der US-Präsident schlichtweg nicht. Daher hinkt der Vergleich gewaltig.


    Zitat

    Das ist doch imho gerade ein Punkt pro überparteilichem Staatsoberhaupt: die Sonntagsredner und Leitartikelschreiber, die sich in Politik und Journalismus tummeln, sind gerade eines in aller Regel wenig: Überparteilich.


    Nochmal: Wozu brauchen einen überparteilichen Seppel, der uns die Lage der Nation erklärt? Die Meinung eines Herrn Gauck sollte nicht höher gestellt werden als die eines aufgeklärten citoyens. Harmonie und Eintracht wird schon zu vielen gepredigt und produzieren auf Dauer nur Stagnation und Mittelmaß.


    Zitat

    Es war ja auch ein hässliches Ereignis...


    Das ist schmeichelhaft formuliert. Das Wort "Machtergreifung" verzerrt die historischen Tatsachen, da die Nazis nicht gegen den Willen, sondern mit breiter Unterstützung der Bevölkerung und der politischen Elite die Herrschaft übernahmen.

  • Ich gebs auf, Du willst oder kannst mich nicht verstehen. Deine Ansicht vom Kaiser als Grüßaugustlichtgesstalt, der über den Dingen schwebte und einem starken Kanzler das politische Feld überläßt und dem Bundespräses als seiner legitimen Nachfolge kann ich weder folgen noch nachvollziehen. :wow

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Mir scheint, die Diskussion ist an einem Punkt angelangt, an der eine Weiterführung nicht sinnvoll erscheint. Bitte nicht falsch verstehen, ich möchte sie nicht abrechen sondern darum bitten, dass jeder für sich einmal seine Argumentation und vor allem die Argumentation der anderen in Ruhe überdenkt. Wo glaube ich im Recht zu sein, wo könnte ich einem Irrtum unterliegen, welches Ziel verfolge ich eigentlich, wo will ich wirklich überzeugen und wo nur überreden, wo habe ich mich dazu hinreißen lassen, nur die Argumente meines Gegenübers aushebeln zu wollen und wo denke ich erst gar nicht darüber nach, dass der andere ja vielleicht doch recht haben könnte.


    Eine Diskussion unter Vernünftigen funktioniert nur, wenn auch die Meinung des oder der Anderen Geltung hat. Oder anders ausgedrückt: Wer einmal seinen eigenen Standpunkt verlässt und ihn von außen betrachtet, der kann vielleicht eine ganz neue Welt entdecken.


    Vielen Dank.

    Es kann nur glücklich werden, wen auch der Ernst des Lebens glücklich macht. (Reinhard Mey)

  • Zitat

    Wer einmal seinen eigenen Standpunkt verlässt und ihn von außen betrachtet, der kann vielleicht eine ganz neue Welt entdecken.


    Schöne Worte, Herr Kollege. Es klingt so nah und liegt doch so fern, denn wer ist schon in der Lage, über seinen begrenzten Horizont hinwegzudenken? Wäre das scheinbar Nahe, das leider in weiter Ferne liegt, wirklich menschlich, dann gäbe es weder Konflikte noch Kriege. Wir müssen uns damit abfinden, dass wir von uns nichts Übermenschliches erwarten können.

  • Zitat

    Original von LeSeebär
    Ich gebs auf, Du willst oder kannst mich nicht verstehen. Deine Ansicht vom Kaiser als Grüßaugustlichtgesstalt, der über den Dingen schwebte und einem starken Kanzler das politische Feld überläßt und dem Bundespräses als seiner legitimen Nachfolge kann ich weder folgen noch nachvollziehen. :wow


    Ich bemühe mich stets darum, die von meinen beiden Vorrednern genannten Diskussionsgrundsätzen zu beherzigen, auch wenn mir das zugegebenermaßen nicht in jeder Situation gelingen mag. Wenn ich dich also in einigen Punkten missverstanden habe oder mich selbst missverständlich ausgedrückt habe, dann teile mir dies doch mit.


    Ich kann allerdings nur auf das reagieren, was du tatsächlich schreibst. Wenn es sich dabei um Beiträge handelt, die in der Sache nicht korrekt sind (wie z.B. die verfassungsrechtlichen Aufgaben des Bundespräsidenten), dann möchte ich das nur ungern so stehen lassen. Ebenso verhält sich mit Posts, in denen du mir Aussagen unterstellst (ich sei für Anarchie; ich sei dafür, das politische System der USA und der Schweiz in Deutschland einzuführen; der deutsche Kaiser würde dem Kanzler das politische Feld überlassen), die ich gar nicht gemacht habe.


    Das alles verzerrt die Diskussion unnötig. Außerdem habe auch ich mich zu sehr dazu hinreißen lassen, vom Hundertstel ins Tausendstel zu gehen, indem zuletzt mehr über die deutsche Monarchie diskutiert wurde, als über den Bundespräsidenten - und warum ich dafür bin, dieses Amt abzuschaffen. Meine Argumente kennst du ja jetzt.

  • In der Sache werden wir uns nicht annähern, aber auf die genannten Punkte möchte ich dennoch noch einmal kurz eingehen:


    Zitat

    Original von solea
    (wie z.B. die verfassungsrechtlichen Aufgaben des Bundespräsidenten)


    Ich habe mich vermutlich einfach unverständlich ausgedrückt, weil ich zu viel historisches Grundwissen vorausgesetzt habe. Natürlich konnte der alte Reichspräsident ebenfalls den Kanzler ernennen und wieder absetzen, sogar deutlich leichter als der Bundespräsident und genau das ist der Punkt: Um nicht totales Chaos oder eine neue Diktatur durch einen Kanzlerpräsidenten zu schaffen, benötigen wir neben einem starken Kanzler als Gegengewicht einen Bundespräsidenten. Ich weiß, daß Du dazu keine Veranlssung siehst, möchte diesen Punkt aber nicht als "unkorrekt" stehen lassen.


    Zitat

    ich sei für Anarchie


    Das ist völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe nicht unterstellt, daß Du für Anarchie bist, sondern lediglich, daß wir keinen Herrscher jedweder Art haben dürften, weil ja immer eine gewisse Vergleichbarkeit zur Monarchie möglich ist.


    Zitat

    ich sei dafür, das politische System der USA und der Schweiz in Deutschland einzuführen


    An der Stelle fühle ich mich völlig mißverstanden. Keine Ahnung, wie Du das aus meinen Posts rausgelesen hast, war auf jeden Fall nicht so gemeint. Ich wollte mit meinem Satz, daß ich die amerikanische und die Schweizer Demokratie nicht als geeignet für Deutschland sehe, andeuten, daß ich hier keinerlei Vorbildfunktion erkennen kann und nur die Worte "genuin republikanischer Tradition" nicht für eine besonders gelungene Form der Demokratie stehen.


    Zitat

    der deutsche Kaiser würde dem Kanzler das politische Feld überlassen


    Hier habe ich wohl tatsächlich Dein Bismarck-Argument eindeutig mißverstanden.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)