Onno Viets und der Irre vom Kiez - Frank Schulz

  • Onno Viets, langzeitarbeitsloser und mehrfachgescheiterter, ansonsten aber glücklicher Hamburger, hat, angeregt durch einen Fernsehbericht, die entscheidende Geschäftsidee, die ihm nach über fünfzig Jahren des Prekariats eine solide finanzielle Basis liefern soll: Onno will Detektiv werden, denn auch wenn er nichts kann, mit dem man Geld verdienen kann, so besitzt er drei Eigenschaften, die ihm in diesem Berufsfeld durchaus zum Vorteil gereichen könnte:
    Da ist sein „Charme für Arme“, seine so uneingeschränkt gutmütige, gar gütige Ausstrahlung, dass selbst die härtesten Jungs ihm innerhalb kurzer Zeit ihre Lebensgeschichte erzählen. Dann Reaktionsschnelligkeit, die ihm, dem technisch miserablen Tischtennisspieler, dennoch den Spitzenplatz in seiner Hobby-Pingpong-Clique sichert. Und nicht zuletzt seine Fähigkeit zu sitzen, stundenlang ungerührt dazusitzen und nichts zu tun.
    All diese Eigenschaften sind also durchaus brauchbar, wenn einer Privatdetektiv werden will. Und so schustert ihm sein Tischtenniskumpel seinen ersten Auftrag zu: Dick Nolan (Nick Dolan?) ist mit anzüglichen Schlagern berühmt geworden, Jurymitglied einer Porno-Casting-Show und hat den Verdacht, dass seine Ische Fiona, letztjährige Gewinnerin des Pornocastings, einen Liebhaber haben könnte. Hat sie, wie Onno recht schnell herausfindet, ausgerechnet den Irren vom Kiez, rechte Hand eines Kiezoligarchen und, gelinde gesagt, brutal, unberechenbar und psychopathologisch auffällig (Falls, Sie das lesen sollten, Herr Schulz, wie auch ihr Gesprächspartner von der taz auf der Leipziger Buchmesse halte ich Händchen aber auch für durchaus sensibel).
    Da Onno jedoch den Auftrag hat, ein Foto der beiden Verliebten abzuliefern, ist der Auftrag mit dieser Erkenntnis noch lange nicht erledigt und Onno verfolgt Händchen und und seine Geliebte bis nach Mallorca, wo er die zwei durch eine Verkettung unglücklicher Umstände näher kennenlernt. Das Drama nimmt nun erst so richtig seinen Lauf.


    Obwohl es sich bei diesem Buch vordergründig um einen Krimi handelt, ist es alles, nur das nicht. Denn das Thema ist nicht ein Verbrechen, wer es getan hat oder warum, sondern eigentlich geht es immer um das große Thema Freundschaft. Da sind Onnos Tischtenniskumpels, erfolgreiche Männer, die dennoch unerschütterlich zu ihrem Looser-Kumpel stehen. Da ist aber auch die Beziehung zwischen Onno, Händchen und Fiona, die alles andere als alltäglich ist. Ohne Rücksicht auf Gewohnheiten und Konventionen lotet Schulz das Thema aus, lässt menschlichen Stärken und menschlichen Schwächen völlig wertungsfrei ihren Lauf, bis zur Eskalation


    Die Geschichte, wortgewaltig oder auch sprachverliebt, detailversessen aber trotzdem extrem unterhaltsam, beginnt kurzweilig, fast harmlos und wandelt sich mehr und mehr zur Groteske. Sie zog mich derartig in ihren Bann, dass ich breitwillig jeder noch so absurden Wendung folgte und selbst Szenen, bei denen ich im Kino Augen und Ohren geschlossen hätte, fasziniert durchstand. Ich weiß nicht, ob das jetzt die großartige Literatur ist, als die sie im Feuilleton angepriesen wird, doch mir hat diese Lektüre, obwohl sie es einem nicht einfach macht, großartig gefallen.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Sehr schöne Rezi. Das Buch werde ich wohl auch in nächster Zeit lesen. Schulz hat einen ganz besonderen, einen ziemlich eigenwilligen Schreibstil - ein Stil der den Leser auch fordert, der aber durchaus auch begeistern kann. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • auweia, da habe ich aber viele Rechtschreibfehler drinne :wow, egal.


    Da dir die Hagener Trilogie gefallen hat und dir der Stil zusagt, wird Onno sicher auch gut ankommen. Ich hab beim Lesen an dich als alten Hamburger öfter mal gedacht, und wer Schulz-gestählt ist, sollte an diesem Buch seine helle Freude haben.
    Bei Salonlöwin bin ich mir nicht sicher, ob das Buch gut ankommt :gruebel

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Ich habe vor einiger Zeit mal "Mehr Liebe" angelesen und diese "Trilogie der Gewalt" war so gar nicht mein Ding, die ist mir noch ZU gut in Erinnerung. Die hat mich irgendwie geschockt. :gruebel


    Schöne Rezi, Draper. Ich glaube, ich komme mit Herrn Schulz nicht klar.

    Ailton nicht dick, Ailton schießt Tor. Wenn Ailton Tor, dann dick egal.



    Grüße, Das Rienchen ;-)

  • Hallo DraperDoyle,


    Zitat

    Bei Salonlöwin bin ich mir nicht sicher, ob das Buch gut ankommt Grübeln


    danke für die Rezension, die Lust auf den Roman macht. Ich habe da noch eine Überraschung in Sachen John Burdett für Dich ;-).
    Morgen werde ich Deinen Beitrag erneut und in Ruhe lesen, da ich heute ein völlig übermüdetes Streikopfer geworden bin, das nicht mehr aufnahmefähig ist.

  • Nur Schulz.


    Sollte man ein Organigramm der "jüngeren" deutschsprachigen Literatur (jünger = Autor ist unter achtzig) anfertigen, gäbe es irgendwo ganz unten die ChickLit- und Comedyautoren, gefolgt von den Fantasy-Epigonen, darüber dann jene, die sich redlich bemühen, Themen auch - wenigstens marginal - intellektuell zu besetzen (Haas, Steinfest), ein, zwei Stufen höher energische und wortgewandte Rebellen wie Duve, Zeh und Özdogan, schließlich die Bauchmenschen mit viel Kopf, als da wären: Glavinic, Stavaric, Herrndorf, Berger und so weiter. All dem folgte eine Weile nichts, und während man sich noch umschaute, begegnete man plötzlich und nahezu unerwartet: Frank Schulz. Der Mann mit dem simpelsten Echt- und zugleich Künstlernamen markiert einen Punkt auf der Literaturlandkarte, von und zu dem es keine Verbindung gibt, denn nur Schulz schreibt wie Schulz. Er stellt eine eigene Qualität dar, eine Kategorie. Deshalb ist es natürlich äußerst subjektiv, ihn über alle anderen zu stellen, und ich bin für Argumente hiergegen jederzeit offen. Allein, gehört habe ich bisher noch keines. Ob die überbordende "Hagener Trilogie" rund um den Verweigerer Bodo "Mufti" Morten oder zuletzt die hinreißende Anthologie "Mehr Liebe" - es gibt deutsche Autoren und es gibt Frank Schulz. Punkt.


    Onno Viets ist Anfang fünfzig und besitzt Superkräfte. Er kann beispielsweise endlos sitzen, ohne dabei zu ermüden, und er verfügt über jene Form von Charme, die vor allem nicht so blitzgescheite Gestalten schnell für ihn einnimmt - beides gestählt im "Plemplem", der Kneipe, die eines von Viets' Pleite-Projekten war. Onno ist nämlich meistens arbeitslos und das Faktotum der montäglichen Ältere-Herren-Tischtennisrunde, die er mit seinem originellen Spielstil und den irgendwie auch mit Superkräften spät errungenen Gewinnen beherrscht, ohne das je zu thematisieren - denn derlei ist Onnos Sache nicht. Durchaus aber Edda, die hinreißende, ihm seit Jahren zugewandte Ehefrau, die er oft notbelügt, wohl wissend, dass sie ihn immer durchschaut. Viets hat eine Hühnerkopfphobie und eine bemerkenswerte Beobachtungsgabe - kurzum, er ist ein netter Verlierer, weshalb ihn ein Kumpel aus der TT-Runde, seines Zeichens Rechtsanwalt, nämlich Dr. jur. Christopher Dannewitz, Ich-Erzähler des Romans, auch seit Jahren über Wasser hält, und ihm, als Onno jetzt auf die Idee kommt, Privatdetektiv zu werden, einen Job zuschanzt. Der prollige Musiktitan Nick Dolan a.k.a. Harald Herbert Queckenborn meint, von der temporären Geliebten, einer mental schallgedämpften, aber äußerst sehenswerten "Burlesque-Tänzerin" namens Fiona Popo betrogen zu werden, und engagiert Viets indirekt, diese zu beschatten. Das macht Onno auch. Der Auftrag führt ihn zunächst nach St. Pauli und kurz darauf nach Mallorca. Viets trifft Fiona Popo und tatsächlich auch ihren Geliebten, aber dann kommt alles ganz anders. Onno fliegt zwar nicht auf, wird aber von "Wie süß ist das denn"-Fiona und ihrem bulligen Lover, Tibor "Händchen" Tetropov, kurzerhand vereinnahmt, in die Residenz Dolans, die als Liebesnest dient, eingeladen und - den Superkräften sei Dank - zum Vertrauten, gar Freund auserkoren. "Händchen" Tetropov, schlagkräftige, bauernschlaue und ghettogestählte rechte Hand des Hamburger Kiez-Oligarchen, schließt Viets ins Herz und weiht diesen in intimste Geheimnisse ein. Aber Onno sitzt das Finanzamt im Nacken, also schießt er doch noch, obwohl er das Zusammensein mit dem merkwürdigen Paar genießt, das entscheidende Beweisfoto und händigt es später dem Auftraggeber aus. Vom daraus entstehenden, schmerzhaft amüsanten Gewaltchaos erzählt Schulz zeitversetzt in einer Parallelhandlung.


    Mit leichter Hand wechselt der Autor von saukomischen Dialogen in - wie immer - perfekter, authentischer, zugleich äußerst origineller Diktion zu bitteren Erzählungen aus der Vergangenheit seiner Helden, zeichnet jede Figur in kristallklarer Schärfe, packt mit seinem unnachahmlichen Stil und einer fast schon überpräzisen Beobachtungsgabe. Die Handlung, zwar keineswegs nebensächlich, aber auch nicht zentrales Element der Erzählung, sackt zwar hin und wieder etwas durch, mündet dennoch schließlich in ein furioses Ende. Den eigentlichen Genuss macht jedoch, und so sollte es schließlich sein, das Wie aus.


    Da sind die anderen, dann ist da eine Weile nichts, und schließlich: Schulz. Nur Schulz.

  • Zitat

    Original von Tom
    Nur Schulz.


    Sollte man ein Organigramm der "jüngeren" deutschsprachigen Literatur (jünger = Autor ist unter achtzig) anfertigen, gäbe es irgendwo ganz unten die ChickLit- und Comedyautoren, gefolgt von den Fantasy-Epigonen, darüber dann jene, die sich redlich bemühen, Themen auch - wenigstens marginal - intellektuell zu besetzen (Haas, Steinfest), ein, zwei Stufen höher energische und wortgewandte Rebellen wie Duve, Zeh und Özdogan, schließlich die Bauchmenschen mit viel Kopf, als da wären: Glavinic, Stavaric, Herrndorf, Berger und so weiter. All dem folgte eine Weile nichts.........


    Ein wirklich beeindruckende Rezi.
    Allerdings hast du bei deiner Aufzählung einen meiner Lieblingsautoren vergessen, ein Autor der auch sehr wortgewandt ist und der einfach nur gute Geschichten schreibt. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • "Onno Viets..." war mein erster, aber ganz sicher nicht letzter Roman von Frank Schulz. Was soll ich sagen? Ich bin restlos begeistert von seinem Stil, seiner präzisen Beobachtungsgabe und nicht zuletzt von der haarsträubenden, nach harmlos erscheinendem Beginn wüst ausartenden Geschichte. Das Lesen hat mir von der ersten bis zur letzten Seite ungeheueren Spaß gemacht, selbst an den - nicht wenigen - ans Alberne grenzenden Passagen habe ich mich kein bisschen gestört. Schulz macht das so gut, der darf das. Ach ja, und er kennt Hamburg so intim, dass er die handelnden Gestalten genau in die richtigen sozialen Strukturen, Stammlokale und Stadtteile verortet - es gibt sie, die Onnos, Raimunds und Händchens, und den Queckenborn sowieso, aber das weiß ja jeder. ;-)


    10 Punkte und vielen Dank für die grandiose Unterhaltung


    LG harimau :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann