Brigitte Bjarnason ist Hamburgerin, seit 1992 lebt sie auf Island. Ihre neue Heimat fasziniert sie, der Alltag, ihr vielfältiges Berufsleben, ihre Familie ebenso wie die Märchen - und Sagenwelt. Sie schreibt darüber.
‚Dorsche haben traurige Augen’ ist der Titel einer von sechzehn Erzählungen dieses kleinen Bands und zugleich die Erkenntnis von Astá, Arbeiterin in einer Fischfabrik, die an diesem Abend, von dem die Geschichte erzählt, eher unzufrieden auf ihr Leben und ihr Land mit seinen seltsamen Gepflogenheiten blickt. Die Gepflogenheiten stehen immer wieder im Mittelpunkt der Texte, das exzessive Trinken, die seltsamen Gerichte vom gekochten Schafskopf bis zum fermentierten Haifisch. Die schweigsamen Männer, die eher still leidenden Frauen, Fischgestank, überall lästige Schafe. Dazu die Natur, die nur auf den ersten Blick berauschend, auf den zweiten aber gefährlich und oft tödlich ist.
Gleich aber, ob Geschichten oder Reportagen - das Büchlein enthält auch das - , sie haben alle ein gemeinsames Problem. Das ist der fehlende Blick der Autorin für das, was es wert ist, erzählt zu werden, damit eine richtige Geschichte daraus wird.
Formuliert wird banal, die Berge sind majestätisch, Cliquen halten zusammen wie Pech und Schwefel, Bekannte tauchen immer mit Verwandten auf, schlechte Vorahnungen lösen schmerzliche Stiche in der Brust aus und wenn mal zwei Sex haben, ‚schlafen sie miteinander’. Gute Nacht, kann man da nur wünschen.
Was immer auch geschieht, die Erwartungen wie die Gefühle der Leserinnen werden geleitet, da ist kein Raum eigenständig zu erfassen, Gefühle selbst zu entwickeln, frei zu reagieren. Überall stehen Schilder: ‚Hier weinen’, ‚Hier erschauern’, ‚Hier gerührt sein’, ‚Hier staunen’. ‚Nach einiger Zeit schlug die Stimmung um.’ Nun weiß man es.
Hier wird behauptet, vorweggenommen,. Hier schreibt jemand, die kein Vertrauen in das Wort hat, das doch so dringend aus ihr heraus aufs Papier will. Hier wird dick Klebstoff auf die Worte gekippt, damit sich nur ja keins regt. Kaum geboren, trifft es, klatsch, ein schwerer Leimtropfen und es ist bewegungsunfähig für alle Zeit.
Das eigentlich Schlimme daran ist, daß die Autorin durchaus versucht, eigenständig zu konstruieren und zu gestalten. Die Geschichte einer jungen Anhalterin, die von einem älteren Lastwagenfahrer mitgenommen wird, sie kann kein Isländisch, er keine Fremdsprache, ist ein Dialog im Schweigen, voller Mißverständnisse, die über die aktuellen Schwierigkeiten der beiden Figuren tatsächlich auf das große Thema dahinter, nämlich die schwierige Kommunikation unter Menschen hinweisen. Eine Reportage über eine Frau, die gleich nach dem 2. Weltkrieg aus Deutschland nach Island kam, stellt im Grund die Frage nach den Spielräumen von Frauen, die Geschichte über eine Lawine, die eine Fischfabrik ins Meer reißt, reißt damit das brüchige Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Natur auf. 'Der Berg war ihr Feind geworden’, schreibt die Autorin und eben hier steckt der Anfang zu einer echten Geschichte. Der attraktive Satz versickert im den Belanglosigkeiten, die folgen.
Ehegeschichten, Freundschaftsgeschichten, die Sehnsucht eines Briefträgers nach fernen Ländern, eine Reflexion über Kafka gar - alles findet sich in den sechszehn Texten. Das, was erzählte werden sollte, blitzt überall heraus, es ist sind da. Die Autorin schreibt zielsicher daran vorbei.
Erzählt das Buch über Island? Möglicherweise, aber das, was da steht, findet sich in Reiseprospekten und Sonntagsbeilagen. Neu ist nichts hier.
Wichtig ist diese kleine Zusammenstellung unter dem Blickpunkt all dessen, was eben man nicht macht, wenn man gut schreiben will. Die Geschichten sind regelrechte und ausführliche Lehrmaterialien dafür, was Schreibende unter keinen Umständen tun sollen.
Allen, die den Lehrgang schon hinter sich haben, geht es am Ende wie den Dorschen. Sie haben traurige Augen.