Eis - Ulla Lena Lundberg

  • Inhalt laut Klapptext:


    So etwas haben die windumtosten Örar-Inseln, ein Archipel abseits der Schiffsrouten zwischen Finnland und Schweden, noch nicht erlebt: Mit der Ankunft ihres neuen Pfarrers Petter Kummel Mitte der 1940er-Jahre bricht für die Inselbewohner eine ganz neue Ära an. Die Fischer und Bauern verfallen der optimistischen, aufgeklärten Ausstrahlung des jungen Pastors, seiner Frau Mona und ihrer kleinen Tochter Sanna ebenso schnell wie umgekehrt die Pfarrersfamilie dem rauen Charme der Landschaft und ihrer Gemeinde. Am liebsten möchten die Kummels für immer bleiben. Doch auf dem Meer und dem Eis, das im Winter die Kirchinsel mit den Höfen verbindet, herrschen unsichtbare, uralte Mächte, für deren Warnungen die Zugezogenen keinen Sinn zu haben scheinen...


    Mit der Meisterschaft einer großen Erzählerin lässt Ulla-Lena Lundberg ihre Leser am Eheleben von Petter und Mona teilhaben, an Versuchungen, denen der Pastor ausgesetzt ist, an schwelenden Konflikten zwischen den Ost und den Westdörfern, aber auch am Zusammenhalt einer Gemeinschaft, die für ihre Klatschlust genauso berühmt ist wie für ihren kräftigen Gesang. Der Autorin gelingt das Kunststück, hochspannend von etwas scheinbar Unspektakulärem zu erzählen: vom Glück, das im Familienleben und in den Dingen des Alltags liegen kann. Wie spektakulär dieses Glück in Wirklichkeit ist, erweist sich am Ende erst durch seine Zerbrechlichkeit.



    Autorenporträt:


    Ulla-Lena Lundberg 1947 auf den finnischen Alandinseln geboren, Ethnologin und eine der wichtigsten Schriftstellerinnen der schwedischsprachigen Literatur, wurde mehrfach mit Preisen in Finnland und Schweden ausgezeichnet.



    Meine Meinung:


    Dieses Buch kommt erst mal so völlig unspektakulär daher. Sowohl der Titel, als auch das Cover sind eher schlicht und ruhig gehalten. Und beinhalten dennoch irgendwie das Versprechen, etwas Besonderes bereit zu halten. Und so ist es dann ja auch. Wer sich als Leser auf den ganz speziellen Erzählstil der Autorin einlassen kann, bekommt ein sehr intensives und besonderes Leseerlebnis geboten.


    Das Buch ist unterteilt in drei Teile und den kompletten ersten Teil habe ich ehrlich gesagt damit zugebracht, mich mit dem Schreibstil von Frau Lundberg anzufreunden. Doch da ich bereits zu dieser Zeit spüren konnte, dass dieses Buch etwas ganz Besonderes vermitteln möchte, habe ich durchgehalten, weiter gelesen, das Buch NICHT zurück ins Regal gestellt und wurde mehr als belohnt: Die beiden folgenden Teile waren so wundervoll erzählt, dass ich als Leser mehrmals das Gefühl hatte, die Inselbewohner persönlich zu kennen.


    Überhaupt kam es mir vor, dass die Autorin mich auf eine kleine Zeitreise in die Vergangenheit mitgenommen hätte. Für die kurze, aber sehr intensive Spanne von etwas mehr als drei Jahren, zog ich mit den Protagonisten, der Pfarrersfamilie Kummel, auf besagte Inselwelt und war sozusagen hautnah bei allen Erlebnissen, Geschehnissen und geheimsten Gedankengängen und Gefühlen dabei. Das tragische Ende lies mich erschüttert und auch traurig zurück. Gar zu gerne hätte ich die Protagonisten noch etwas länger auf ihrem Lebensweg begleitet und ihnen bei ihrer ganz persönlichen Entwicklung zugesehen.


    Eine Geschichte, wie sie sich … so, oder ganz ähnlich … durchaus ereignet haben könnte, in einer wundervollen, völlig unspektakulären und ruhigen Erzählweise sehr lebendig und gefühlvoll in Worte gebracht. Lesegenuss vom Allerfeinsten !

  • In diesem Jahr ist Finnland das Gastland der Frankfurter Buchmesse – Anlass genug, gezielt die finnische Literatur näher ins Auge zu fassen. Den Anfang macht „Eis“ in meiner kleinen Auswahl und dieses Buch ist gleichzeitig auch das erste Werk Ulla-Lena Lundbergs, das ins Deutsche übersetzt und hier veröffentlich wurde.


    Alle Zeichen stehen auf Neuanfang an einem sehr kalten, sehr frühen Morgen im Mai, im Schärengürtel zwischen Schweden und Finnland. Der neue Pastor Petter Kummel, seine Frau Mona und die gemeinsame Tochter Sanna werden von einem Empfangskomitee herzlich begrüßt, als sie am Steg der Pfarrinsel mit dem Boot anlegen.


    Was folgt, ist die Geschichte eines Pfarrers, der hochmotiviert seiner Berufung nachgeht und für den das Arbeiten auf dieser abgelegenen Schäreninsel nicht Strafe, sondern Geschenk ist. Er ist den Inselbewohnern absolut unvoreingenommen, trägt sein Herz auf der Zunge und erobert die ihm zugeteilte Schärengemeinde mit seiner offenen, manchmal schon fast etwas naiven Art, im Sturm. Auch, als sich abzeichnet, dass auf den Inselgruppen doch nicht alles so idyllisch ist, wie es anfangs schien, hält er unbeirrt an seiner Haltung fest und verlässt sich darauf, dass alles schon gut werden wird, wenn man es nur entsprechend gut anfängt. Seine pragmatische, rührige und sehr bodenständige Frau hält ihm derweil den Rücken frei, kümmert sich um Haus, Hof und Kind und sorgt zwischendurch dafür, dass der Herr Pfarrer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt wird, wenn er sich vor lauter Enthusiasmus zu viel aufbürdet oder sich in seinen hohen Erwartungen verstrickt. Ganz irdische Probleme also auch für einen Mann mit himmlischem Auftrag…


    Das Erzählen hat in Skandinavien eine lange Tradition. Dieser Gewohnheit folgend, werden die Personen entsprechend ausführlich mit ihren Sorgen, Nöten und Hintergründlichkeiten beschrieben. Wir erfahren von Verstrickungen und alten, gepflegten Feindschaften; bekommen einen Eindruck, welche seelischen Schmerzen manche Menschen ihr Leben lang aushalten müssen, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren oder vor langer Zeit eine Entscheidung treffen mussten, die für sie zu diesem Zeitpunkt die einzig richtige zu sein schien. Wir sehen, wie groß das Glück im Kleinen sein kann, wie greifbar und gleichzeitig so unglaublich fragil. In „Eis“ wird gelebt und geliebt, gehadert und gezweifelt, bereut, gelitten und gehofft. Wir erleben mit, wie stark die Wechsel der Jahreszeiten das Leben dort auf den Schären beeinflussen, wie sehr der Rhythmus des Jahres den Alltag prägt. Und dass es Dinge und Wesen gibt, die die Menschen begleiten und leiten, manchmal auch warnen, obwohl man sie nicht sehen kann. Wohl aber erkennen, wenn man bereit dazu ist.


    Dieses sehr ausführliche Erzählen, diese Betulichkeit und das weite Ausholen war es, das mich zwischendurch etwas mürbe gemacht hat. Mir waren die Schilderungen des allwissenden Erzählers oft zu lang, zu detailverliebt und zu sehr hielt er sich an und in Gedankenverkettungen und Erklärungen auf. Die Sprache, die Ulla-Lena Lundberg in ihrem Roman verwendet, ist an sich flüssig, manchmal hätte sie sich gerne kürzer fassen können und zwischendurch erinnerten mich ihre kleinen Pointen ein wenig an den Erzählstil Astrid Lindgrens.


    Und trotz dieser Eigenarten kann ich sagen, dass ich das Buch gerne gelesen habe. Die Bilder, die die Autorin heraufbeschwor, setzten sich in meinem Kopf fest und begleiten mich teilweise immer noch. Obwohl ich das Buch bei sommerlichen dreißig Grad gelesen habe, sah ich die Schären sich durch das Eis verbinden, hörte ich das Eis knacken und knirschen, fühlte die Kälte und teilte die Freude der Bewohner, endlich ohne Boot von Insel zu Insel laufen oder fahren zu können, um Besuche zu machen. Genauso erleichtert begrüßte ich den Frühling und begleitete die Menschen durch den kurzen, arbeitsreichen, luftigen Sommer. Und ein bisschen mitgeschnieft habe ich am Ende auch.


    Was bleibt, ist das Gefühl, von einem netten Menschen eine schöne Geschichte erzählt bekommen zu haben.

    :lesend Die Sonnenposition - Marion Poschmann


    "Unsere Wünsche sind Vorgefühle der Fähigkeiten, die in uns liegen; Vorboten dessen, was wir zu leisten imstande sein werden." (Goethe)

  • Anna-Lena Lundberg Lundberg: Eis
    Goldmann Verlag 2016. 528 Seiten
    ISBN-13: 978-3442483174. 9,99€
    Originaltitel: Is
    Übersetzer: Karl-Ludwig Wetzig


    Verlagstext
    Auf den windumtosten Örar-Inseln, einem Archipel abseits der Schiffsrouten zwischen Finnland und Schweden, bricht Mitte der 1940er-Jahre eine neue Ära an: Mit der Ankunft des Pfarrers Petter Kummel geht ein Ruck durch die Gemeinde. Die Fischer und Bauern verfallen der optimistischen, aufgeklärten Ausstrahlung des jungen Pastors, seiner Frau Mona und ihrer kleinen Tochter Sanna ebenso schnell wie umgekehrt die Pfarrersfamilie dem rauen Charme der Landschaft und ihrer Bewohner. Doch auf dem Meer und dem Eis, das im Winter die Kirchinsel mit den Höfen verbindet, herrschen unsichtbare, uralte Mächte, für deren Warnungen die Zugezogenen keinen Sinn zu haben scheinen ...


    Die Autorin
    Ulla-Lena Lundberg, geboren 1947 auf den Åland-Inseln, zählt zu den bedeutendsten finnlandschwedischen Autoren. Seit ihrem Debüt im Alter von 15 Jahren veröffentlichte sie zahlreiche Romane, Hörspiele und Sachbücher und wurde mit einer Reihe von Preisen geehrt. Die Übersetzungsrechte von "Eis" wurden in viele Länder verkauft; es ist der erste Roman der Autorin, der auf Deutsch erscheint.


    Die Insel
    Ulla-Lena Lundberg setzt mit diesem Buch ihrer Heimatinsel Kökar/Åland-Inseln ein Denkmal. --> Hier gibt es dazu einen umfangreichen Artikel.


    Inhalt
    Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg, als Lebensmittel noch rationiert sind und erst allmählich wieder Normalität einkehrt, wird Petter Kummel als Vikar auf die fiktiven Örar-Inseln geschickt. Der junge Pfarrer ist begeistert, weil seine Gemeinde einen so intensiven Kontakt zu ihm sucht. Alle außer Petter sind sich im Klaren darüber, dass die Pastorenstelle bisher stets nur mit Vikaren besetzt war, weil kein Pastor freiwillig auf den Inseln leben will. Petters junge Frau ist weniger begeistert, dass ihr Mann von der Gemeinde so mit Beschlag belegt wird; denn das Pastorenpaar muss sich auf der Insel selbst versorgen, Heu machen, die Kühe melken und einen Gemüsegarten anlegen. Außerdem sollte Petter für seine Prüfung lernen, um sich anschließend auf eine „richtige“ Pfarrerstelle bewerben zu können. Zum Glück stammen beide Ehepartner von einem Bauernhof. Petter kann mähen, die Sense dengeln und fischen; Mona hat ein Händchen für die Milchkühe, sie kann Brot und Zimtschnecken in für ein Pfarrhaus passenden Mengen backen und sie erkennt sofort, dass man für das Überleben auf der Insel um jeden Grashalm kämpfen muss, damit die Kühe genug zu fressen haben.


    Erzählt wird die Geschichte von einem allwissenden Erzähler und direkten Einschüben des Post-Antons, die wie persönlich für den naiv- idealistisch wirkenden Petter verfasst wirken. Anton transportiert mit seinem Boot Menschen, Waren und die Post. Er hat einen sicheren Instinkt für das Meer, im Winter auch für das Eis, auf dem dann Menschen und Waren per Schlitten transportiert werden. Anton fühlt sich eins mit den dunklen Mächten, die über Wasser und Eis wachen und bereits älter sind als Jesus. Er nimmt die Rolle eines gutmütigen älteren Bruders gegenüber Petter ein, der vieles bereits ahnt, das einem jungen Mann wie dem Vikar erst noch bevorsteht.


    Die Erzählerstimme zeigt die eigenwillige Tonlage einer geduldigen, fürsorglichen, humorvollen wie bissigen Person, die einem bei aller Fürsorglichkeit auch auf die Nerven gehen kann. Die Konflikte, die auf dem Archipel winziger Inseln auf die Familie Kummel warten, sind voraussehbar und könnten weniger ausführlich ausgebreitet werden, um sie zu begreifen. Stichworte würden genügen, dass der Vikar sich mal wieder festgeratscht hat, während zuhause Arbeit auf ihn wartet oder dass ein Besuch von Monas Schwiegereltern bevorsteht, um sich gerade die Situation der jungen Frau vorstellen zu können. Insgesamt kommt Mona in den Schilderungen schlechter weg als ihr charismatischer Mann, was für die Zeit direkt nach 1945 nicht ungewöhnlich ist.


    Fazit
    Qualitäten des Buches sind zweifellos die starke Atmosphäre einer (realen) Insel, die man als Leser mitsamt ihren Bewohnern auch von ihren Schattenseiten erlebt und die detailreiche Beschreibung des Jahreslaufs. Epische Schilderungen des Alltäglichen mag ich sehr; dennoch hat das Buch einige Anforderungen an meine Geduld gestellt.


    7 von 10 Punkten

  • Sowohl der Titel, als auch das Cover oder die Aufmachung des Buches lassen nicht ahnen, welches Schätzchen sich dahinter verbirgt.


    Pfarrers Familie auf einer der abgelegensten Inseln zwischen Finnland und Schweden. Meist nichtmal auf der Landkarte zu finden.


    Und doch fühlen sich Petter und Mona, kaum angekommen, sehr gut aufgenommen, wirtschaften und werkeln bis zum umfallen. Sie leben sich gut in die verstreute Inselgemeinde ein, werden wert geschätzt ja geliebt.


    Die vermeintliche Idylle birgt aber auch Gefahren. Gefahren, von denen der Postbote Anton immer mal wieder eingestreut, erzählt.


    Die Geschichte wird erzählt in einer ruhigen unaufgeregten Weise und trotzdem so intensiv, dass man meint, den Sturm, der durch die Fensterritzen pfeift, das Tosen der Wellen und das Brechen des Eises während des Lesens, zu hören.
    Man lebt intensiv mit auf diesen kleinen Inseln, lacht leidet und schmaust, wenn es mal wieder im Pfarrhof was zu feiern gibt.


    Da es dann doch manchmal, wenn auch selten, etwas langatmig wird


    9 von 10 Punkten