'Und sie werden nicht vergessen sein' - Seiten 279 - 419

  • Mir geht eher Eva gegen den Strich, gerade jetzt wieder, als Hagen sie aus den Klauen der Gestapo befreit


    Zitat

    Eva schwieg.
    »Vielleicht hatte ich insgeheim erwartet, dass du dich bedankst«, sagte er. »Aber das war ja noch nie deine Art.«


    Wäre sie da nicht schon genug getreten worden, wäre ein ordentlicher Puff nötig um sie zur Besinnung zu bringen.
    Aber nicht mal der Aufenthalt in dieser Straße ? Ernst-Albrecht? bringt sie zur Besinnung, bringt sie dazu dankbar zu sein. Dankbar, dass ihr Kind in Sicherheit ist, und dass sie nun, egal wie zerschunden, frei ist.

  • Zitat

    Original von Findus
    Mir geht eher Eva gegen den Strich, gerade jetzt wieder, als Hagen sie aus den Klauen der Gestapo befreit



    Wäre sie da nicht schon genug getreten worden, wäre ein ordentlicher Puff nötig um sie zur Besinnung zu bringen.
    Aber nicht mal der Aufenthalt in dieser Straße ? Ernst-Albrecht? bringt sie zur Besinnung, bringt sie dazu dankbar zu sein. Dankbar, dass ihr Kind in Sicherheit ist, und dass sie nun, egal wie zerschunden, frei ist.



    :write

  • Zitat

    Original von jusch
    Interessant finde ich noch, dass nur die engsten Vertrauten wirklich über Armans Innenleben Bescheid wissen.


    Arman ist keiner, der damit hausieren geht. Außerdem ist es ihm peinlich, wenn man deswegen Rücksicht auf ihn nehmen würde.

  • Zitat

    Original von Findus
    Arman ist keiner, der damit hausieren geht. Außerdem ist es ihm peinlich, wenn man deswegen Rücksicht auf ihn nehmen würde.


    Unbedingt.
    Er würde furchtbar gern Tim heissen, im Tweedanzug rumlaufen und nirgendwo auffallen. Halt der nette Tim von nebenan sein.


    Nach allem, was ich weiss (und das ist eben beschränkt, da es Gott sei Dank immer Wissen aus zweiter Hand bleiben wird), fällt das Sprechen über die Erfahrung, körperlich regelrecht zerstampft zu werden, völlig entmachtet, entwürdigt, entmenscht, dem überwiegenden Teil der Betroffenen schwer.
    Es gibt ganz schwere Fälle, die das gar nicht könnten, weil es ihnen zumindest temporär (oft fuer immer) nicht möglich ist, mit diesen Gefühlen in Kontakt zu kommen. (Das sind z.B. die, die die Ermordung ihres Bruders erwähnen und zu lachen anfangen.) Für andere fühlt es sich an, als machten sie, indem sie davon erzählen, ihre Entwürdigung erst perfekt. Sie schämen sich dafür, die Erinnerung, das Bild von sich selbst als hilfloses, wimmerndes Häufchen Elend scheint ihnen fuer ihr Gegenüber nicht zumutbar - sie sind sicher, würde der andere davon wissen, würde er sich von ihnen abwenden.
    Wieder andere haben keine Worte dafür, weil es ja keine gibt.
    Und wiederum viele haben entsetzliche Angst vor den Triggern und möchten am liebsten alles hinter sich lassen und verdrängen.


    Menschen, die wie Jean Amery sowohl die Kraft als auch die Eloquenz aufbringen, in präzisen, klaren Worten darüber zu schreiben, sind die Ausnahme.

  • Eva in Paris hat es sicher nicht leicht aber Hunderttausend andere auch nicht. Fragt sie da je danach?


    London kurz vor dem Krieg.


    Amarna macht sich Sorgen um Chaja und trotzdem ist eine Stimmung der Liebe und Zusammengehörigkeit zwischen den Nachbarn und allen die je die Schwelle über Armans Haus setzen spürbar, so dass die spontane Party zu Jordans Abschluss
    wieder was zum Schmunzeln hergibt


    Zitat

    »Tanz mit Jordan«, sagte Arman zu Seb.
    »Ich kann nicht tanzen.«
    »Warum soll es dir besser ergehen als uns?«, fragte Arman. »Nur keine Sorge. Frauen sind Kummer gewohnt.«

    Der Brüller

  • Zitat

    Original von Findus
    Eva in Paris hat es sicher nicht leicht aber Hunderttausend andere auch nicht. Fragt sie da je danach?


    Ich denke, dazu hat sie keine Kraft mehr, und die von ihr zu erwarten, ist eindeutig zu viel verlangt.


    Trotzdem ging's mir wie dir. Dass sie sich nicht gefragt hat, was die Manouchians, Michel und Lucien auf sich nehmen, konnte ich ihr so richtig nicht verzeihen. (Auch wenn mir klar ist, dass das mehr als unfair ist.)

  • Vor allem weiß man nicht, wie es einem selbst gehen würde. Obwohl ich wäre wahrscheinlich eh dort gestorben.


    Aber das sind wirklich Spekulationen, was wäre wenn usw.
    Eine Heldin ist Eva jedenfalls nicht und es gab welche, relativ viele sogar.

  • Ich fürchte, Helden kann ich nicht, Findus. Nur bewundern, nicht schreiben.


    Edit: Ach doch. Kann ich. Bülent ist ja mein Held.

  • Es ist Krieg. Und nicht nur in Europa.


    Auch Amarna scheint fast Krieg gegen Arman zu führen. Sie verrät seine tiefsten Verletzungen um ihn zu schützen und merkt dabei kaum, was sie ihrem Mann damit antut. Und Arman? Der ist schon fast eklig geduldig. Ein Traumpaar auf der einen Seite, aber auch verstörend auf der anderen.


    Mit Chaja scheint nun ein schweigender Sonnenschein eingezogen. Und wieder findet Arman eher den Draht zu ihr als Amarna. Ich glaube, dass ist für sie ein größerer Schlag als sie zugeben mag.


    Martin findet seinen Mut und rettet damit Eva aus den Fängen der Gestapo. Dass sie dabei nicht mal sowas wie Dankbarkeit verspürt, nicht nach Chaja fragt und sich nur Gedanken um ihren Körper macht....nun ja, das ist Eva. Zu ihr passt es, auch wenn ich da den Kopf schüttel.

  • Zitat

    Original von logan-lady


    Mit Chaja scheint nun ein schweigender Sonnenschein eingezogen. Und wieder findet Arman eher den Draht zu ihr als Amarna. Ich glaube, dass ist für sie ein größerer Schlag als sie zugeben mag.
    .


    Das ist ein interessanter Gedanke, auf den ich gar nicht gekommen bin. Dass sowohl Arman als auch Rehan auf andere Weise Kontakt mit Chaja aufnehmen können, weil sie vergleichbare Erfahrungen haben, ist ja zu erwarten, während Amarna erst einen solchen Zugang finden muss (den findet sie dann beim Radfahren und Schwimmen). Dass sie das verletzen könnte, habe ich gar nicht bedacht.


    Schoen, dass du noch dabei bist, logan-lady. Freu mich!

  • Dass ein Mensch, der gefoltert worden ist, sich ganz und gar auf seinen Körper reduziert fühlt, halte ich nach allem, was ich weiss, übrigens fuer geradezu unvermeidlich.


    Ich zitiere Jean Amery aus "Die Tortur":
    "Die Grenzen meines Körpers sind die Grenzen meines Ichs. Die Hautoberfläche schliesst mich ab gegen die fremde Welt. Auf ihr darf ich, wenn ich Vertrauen haben will, nur zu spüren bekommen, was ich spüren will.
    Mit dem ersten Schlag aber bricht dieses Weltvertrauen zusammen."


    "Wer nämlich in der Folter vor Schmerz überwältigt wird, erfährt seinen Körper wie nie zuvor. Sein Fleisch realisiert sich total in der Selbstnegation. (...) Das populäre Wort, nach welchem es uns gut geht, solange wir unseren Körper nicht spüren, spricht in der Tat eine unbestreitbare Wahrheit aus. Aber nur in der Tortur wird die Verfleischlichung des Menschen vollständig. Aufheulend vor Schmerz ist der gewalthinfällige, auf keine Hilfe hoffende, zu keiner Notwehr befähigte Gefolterte nur noch Körper, sonst nichts."


    "Wer gefoltert wurde, bleibt gefoltert. Unauslöschlich ist die Folter in ihn eingebrannt, auch dann, wenn keine klinisch objektiven Spuren nachzuweisen sind."


    (Vielen Dank.)

  • Nicht umsonst wird in der Schmerztherapie versucht, was aber nicht immer gelingt, das Schmerzgedächtnis auszulöschen.


    Denn auch wenn man den Schmerz nicht mehr spürt, ist er unauslöschlich in diesem Teil des Gehirns abgespeichert und es braucht nur ganz wenig Schmerz um es zu aktivieren.


    Ich empfinde Schmerz oft als Folter, denn man kann ihm nicht entgehen. Ich kann die Worte Amerys gut nachfühlen.

  • Danke, dass du das mit uns teilst, Findus.
    Es tut mir so leid, dass du das erleben musst, und ich weiss von meinen chronisch kranken Familienmitgliedern, dass es ebenfalls diese Unentrinnbarkeit ist, die sie manchmal gegen Wände rennen lässt.


    Amery greift diesen Vergleich ja durchaus auch auf, zeigt daran aber eben auch den Unterschied: Als Menschen lernen wir (hoffentlich!) von klein auf, sooft wir Schmerzen haben, dass andere Menschen versuchen, uns zu helfen, sie zu lindern. Wenn wir als Kinder stürzen, uns die Knie aufschlagen, schreien wir um Hilfe, werden aufgehoben und versorgt. Wenn wir krank werden, suchen wir Ärzte auf und bekommen (soweit da, wo wir leben, vorhanden) Medikamente. Und Trost.


    Das Entsetzen des Gefolterten beruht auch darauf: Schreien nützt nichts. Verhallt ungehört. Niemand kommt, niemand hilft, niemand lindert. Das Gegenteil ist der Fall. Der Schmerz wird von Artgenossen zugefügt. Die Unantastbarkeit zerbricht.


    Möchte nicht mit Durchhalteparolen um mich schmeissen, die mich in deiner Situation, glaube ich, auch nerven würden, aber ich wünsch dir trotzdem, dass der bloede Schmerz dir so viel Ruhe wie irgend möglich lässt.

  • Schwere Worte von Jean Amery , die ich erstmal sacken lassen muss


    Ich kann, zum Glück, nicht nachvollziehen wovon er spricht ...
    ich kann mir nicht vorstellen wie man das aushalten kann
    Oder wie jemand es aushält so etwas einem anderen Menschen anzutun


    Zitat

    Vor allem weiß man nicht, wie es einem selbst gehen würde. Obwohl ich wäre wahrscheinlich eh dort gestorben.


    Diese "was wäre wenn" Frage stelle ich mir auch jedes Mal
    und ich hoffe sehr dass ich mutig gewesen wäre
    Aber ich weiß es nicht, ich wäre wahrscheinlich auch erstmal egoistisch gewesen und würde mich und meine Lieben schützen
    Aber natürlich will man auch ein Held gewesen sein
    Wie schwer dies allerdings sehen wir aktuell ja leider auch ... diese Hilflosigkeit

    LG Inge


    Ryle hira - Life is what it is


    Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore


  • Zitat

    Original von Inge78
    Schwere Worte von Jean Amery , die ich erstmal sacken lassen muss


    Ich kann, zum Glück, nicht nachvollziehen wovon er spricht ...
    ich kann mir nicht vorstellen wie man das aushalten kann
    Oder wie jemand es aushält so etwas einem anderen Menschen anzutun


    Ich auch nicht. Zum Glück nicht.
    In mir ist eine grosse Hemmung, davon zu schreiben, obwohl ich so viele Menschen dazu gesprochen habe, weil ich mit Schmerz - von Kindsgeburt, die nur schoen ist, und so Allerweltssachen wie Beinbruch, Migräne, Gastritis abgesehen - keinerlei Erfahrung habe. Ich habe immer Angst, Betroffene fühlen sich zu leicht verkauft, falls verständlich ist, was ich damit sagen will.


    Ich kann die Frage auch nicht beantworten. Keiner kann, glaub ich. Ich möcht', dass wir die nie beantworten müssen. Das ist das Recht von Menschen. Über solche Fragen nicht nachdenken zu müssen.
    Mein Vater, der irgendwie kein Mensch ist, der sich aufhalten lässt ... hat mit Mitte siebzig einen Haufen grölender Rechtsradikaler, die einen polnischen Jugendlichen zwischen sich hin und her schubsten, angesprochen ("sagt mal, schämt ihr euch nicht"), ist dazwischen gegangen und hat den Jungen zu sich gezogen. Bei ihm waren nur ich und meine drei Kinder (zwei junge Teenager und ein Kleinkind), und die Leute auf der Strasse interessierte die Szene nicht weiter. Die Typen waren vermutlich zu perplex und nicht interessiert genug, um etwas zu tun, die haben noch ein bisschen rumgegroelt und uns abziehen lassen, aber ich habe das Bild von meinem zierlichen Vater zwischen diesen bulligen Typen nie vergessen. Ich dachte, mir bleibt das Herz stehen. Ich habe ihm hinterher gesagt, dass ich ihn unglaublich mutig und grossartig fand, dass ich in dem Moment aber einfach nur rufen wollte: Komm zurück, dieser Impuls war so stark, dass ich ihn kaum beherrschen konnte.
    Wir haben darueber oft gesprochen.
    Er hat so etwas ähnliches gesagt wie Bülent, er fand sich gar nicht mutig, es war etwas, das er machen musste und basta.

  • Ich glaube auch, dass man nur aus der Situation heraus handeln kann. Man weiß dann einfach was man tun muss, so wie Dein Vater.



    Charlie, mit durch die Decke gehn kenn ich mich aus. Danke DIR.


    Zitat

    Das Entsetzen des Gefolterten beruht auch darauf: Schreien nützt nichts. Verhallt ungehört. Niemand kommt, niemand hilft, niemand lindert. Das Gegenteil ist der Fall. Der Schmerz wird von Artgenossen zugefügt. Die Unantastbarkeit zerbricht.


    Gerade dieses Ausgeliefert sein, sich auch nicht verteidigen können, ich habe das auch aus Erzählungen der DDR-häftlinge erlebt, ist was zermürbt und man sich aufgibt.


    Der Körper trennt sich vom Geist damit man außer sich ist, im wahren Sinne des Wortes.

    "Leute die Bücher lesen, sind einfach unberechenbar." Spruch aus "Wilsberg "
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  • vielleicht ist es genau das, in einer Situation einfach etwas tun müssen, nicht drüber nachdenken , genau das sind die wahren "Helden"


    Respekt für Alle die das können

    LG Inge


    Ryle hira - Life is what it is


    Words are, in my not-so-humble opinion, our most inexhaustible source of magic. Capable of both inflicting injury, and remedying it - Albus Dumbledore


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