Die Knochenuhren - David Mitchell

  • Die Knochenuhren
    David Mitchell
    Rowohlt
    ISBN: 349804530X
    816 Seiten, 24,95 Euro


    Amazon über den Autor: David Mitchell, geboren 1969 in Southport, Lancaster, studierte Literatur an der University of Kent, lebte danach in Sizilien und Japan. Er gehört zu jenen polyglotten britischen Autoren, deren Thema nichts weniger als die ganze Welt ist. Für sein Werk wurde er u.a. mit dem John-Llewellyn-Rhys-Preis ausgezeichnet, zweimal stand er auf der Booker-Shortlist. Sein Weltbestseller Wolkenatlas wurde von Tom Tykwer und den Wachowski-Geschwistern verfilmt. David Mitchell lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in Clonakilty, Irland.


    Handlung: 1984 – die junge Holly Sykes hat Stress mit ihren Eltern, packt ihre Sachen und haut von zu Hause ab. Auf ihrem Weg trifft sie eine alte Frau, die ihr ein Getränk anbietet und als Gegenleistung dafür „Asyl“ erbittet. Ohne zu wissen, auf was und auf wen sie sich einlässt, sagt Holly zu und vergisst die Begegnung wieder. Es dauert Jahrzehnte, bis Holly wieder mit dieser Begebenheit konfrontiert wird und feststellen muss, dass sie in einem Krieg von unsterblichen Wesen eine wichtige Rolle eingenommen hat…


    Meine Meinung: Von David Mitchell habe ich bereits einige Bücher gelesen, doch was er hier abgeliefert hat, übertrifft meiner Meinung nach alles, was er bisher geschrieben hat. Bereits der Aufbau der Handlung ist einfach genial. Den Beginn macht die Geschichte um Holly, die 1984 nach Stress mit ihren Eltern und aus Liebeskummer von zu Hause ausreißt. Am selben Tag verschwindet ihr kleiner Bruder spurlos.


    Danach werden in längeren Abschnitten mehrere Personen detailliert beschrieben, bei denen erst nicht klar ist, was sie mit Holly zu tun haben und welche Rolle sie in der Story spielen. Immer wieder gibt es rätselhafte Begegnungen, Andeutungen auf Hollys Bruder und die Menschen, die mit seinem Verschwinden zu tun haben könnten. Menschen, die durch die Zeit zu reisen scheinen, tauchen auf und verschwinden wieder und nebenbei begegnen wir Holly in verschiedenen Phasen ihres Lebens.


    Das geht bis in das Jahr 2043 in dem wir Holly in einer dystopischen Welt wiederfinden. Mitchell zeichnet dieses pessimistische Zukunftsbild so nachvollziehbar auf, dass man den Wunsch nach Unsterblichkeit, mit dem man möglicherweise zuvor beim Lesen geliebäugelt hat, mit Grauen fallen lässt.


    Dieses Buch zu beschreiben ist eine Aufgabe, der ich nicht gerecht werden kann. Es ist meisterhaft geschrieben, furios, üppig, grandios; bietet eine so große Fülle an Themen und strotzt nur so vor Einfällen, dass man es selbst lesen sollte, um sich einen Eindruck zu verschaffen. 10 begeisterte Eulenpünktchen von mir dafür.

  • Mir geht es wie Eska, ich kann einfach keine vernünftigen Leseeindruck formulieren, der der Geschichte aus meiner Sicht gerecht werden könnte. Dieses Buch behandelt eine Fülle von Themen, die auf der einen Seite phantastische Züge annehmen, auf der anderen Seite, so authentisch und alltäglich sind und dann eine Zukunft beschreiben, die fast beängstigend realistisch wirkt. Dazu ist es sprachlich einfach herausragend und nie langweilig.


    Dann ist da noch Holly Sykes, die Protagonistin, deren Leben wir begleiten und die ich einfach fest in mein Leser-Herz geschlossen habe. Die anderen Figuren, die alle mit Holly in Verbindung stehen und in diesem Buch zu Wort kommen, sind ebenfalls wunderbar herausgearbeitet. Für mich ist sowieso eine Stärke des Buches, dass es sich hier um Menschen handelt, an denen ich mich als Leser reiben kann, die nicht fehlerlos sind, die man am Ende aber trotzdem oder gerade deswegen vermisst.


    Ich habe das von Johannes Steck großartig gelesene Hörbuch gehört. Die Kapitel werden hier mit Uhrenschlägen eingeleitet und zu jedem neuen Abschnitt hört man eine Uhr, die aufgezogen wird.
    Das ist mit Abstand mein Hörbuch-Highlight diesen Jahres und ich werde mir auch das Buch kaufen. Ich möchte diese Geschichte auch nochmal lesen.
    10 Punkte für diese grandiose Geschichte!

    "There is beauty in imperfections. They made you who you are. An inseparable piece of everything…" Arcane

  • Ich habe "Die Knochenuhren" gerade beendet; sie waren mein vierter Mitchell-Roman ("Utopia Avenue", "Der Wolkenatlas", "Der dreizehnte Monat"), und da sie alle so verschieden und doch wieder ähnlich sind, kann ich kein vergleichendes Urteil fällen. Sprachlich und erzählerisch ist das allerfeinste, packende, beeindruckende, faszinierende Kunst, detailreich, plastisch, voller Andeutungen und Rätsel, aber dann auch wieder direkt und mitreißend, verblüffend, tragisch, clever, beunruhigend, nicht selten beängstigend, etwa am Ende, im verfallenden Irland nach der Katastrophe, aber oft auch zwischendrin, wenn Abschnitte im Irak spielen. Es geht um Sterblichkeit und Unsterblichkeit, wie so oft bei Mitchell, um Reinkarnation und die Wirkung unseres Tuns, um die Begrenztheit und Kurzfristigkeit unseres Denkens und die unvermeidliche Langfristigkeit seiner Folgen. Tatsächlich sind die Reinkarnationselemente in diesem Roman (allerdings erst vergleichsweise spät) unmittelbarer und faktischer als in den anderen, was "Die Knochenuhren" häufig eine stark esoterische Richtung einschlagen lässt, wenn man dies direkt einordnet, also nicht metaphorisch. Ich bin tatsächlich unentschlossen, wie all das gemeint ist oder sein könnte (etwa der harrypottermäßige "Endkampf" zwischen "Horologen" und "Anachoreten"), aber das ist mir letztlich fast egal, weil, wie so oft bei Mitchell, der Weg sprichwörtlich das Ziel ist. Selbst wenn sich nicht alle Elemente für jeden erschließen oder ein ablesbares Muster ergeben (viele Rezensenten und -innen meinen, am Ende würden alle Fäden zusammengeführt werden, was auch bei "Der Wolkenatlas" häufig angemerkt wurde, aber ich kann das nicht bestätigen, eher sogar im Gegenteil), ist die Lektüre selbst doch ein reines Vergnügen für jeden Menschen, der Spaß an so hoher, nahezu perfekter Erzählkunst hat. Mitchell ist wirklich eine Klasse für sich.