Rolf Peter Sieferle - Finis Germania

  • Ich hab's nicht verstanden, xexos. Ist aber auch nicht so wichtig. Und was das "heute echt nervig" anbelangt, stimme ich dir auch nicht zu, denn eigentlich solltest du bereits bemerkt haben: Ich bin oft nervig

  • Dann mache ich es gerne noch einmal fett und rot:





    Beisswenger, dafür gibt es doch google: http://www.ndr.de/kultur/buch/…2017,sachbuchjuni130.html


    Zitat

    Zusammen mit der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlichte NDR Kultur bisher regelmäßig die "Sachbücher des Monats". Nun hat NDR Kultur die Zusammenarbeit mit der Jury bis auf Weiteres ausgesetzt. Mit der Empfehlung von "Finis Germania" von Rolf Peter Sieferle in der Juni-Liste hat die Jury eine gravierende Fehlentscheidung getroffen, die für NDR Kultur nicht tragbar ist. Nach Einschätzung von NDR Kultur und anderen Kritikern äußert der Autor in seinem Buch rechtslastige Verschwörungstheorien, von denen sich die Redaktion entschieden distanziert. Auch die Jury distanziert sich von Buch und Verlag und bedauert dessen Nominierung.

  • Möglicherweise gibt es die Unsitte, über Bücher zu urteilen, ohne sie gelesen zu haben, nicht nur bei Negativkritikern. ;-) (Sondern sogar bei Bestenlisten-Juroren.)


    Davon abgesehen kann man selbstverständlich an einer Diskussion über ein Buch oder über eine Buchrezension teilnehmen, ohne das Buch (vollständig) gelesen zu haben. Im Übrigen enthält die Besprechung, die diesen Thread eröffnet hat, nichts, das man nicht auch hätte schreiben können, ohne das Buch je in den Händen gehalten zu haben - die Besprechung nimmt, wie Dieter bereits angemerkt hat, nirgendwo inhaltlich Stellung. Und "diskussionswürdig" ist praktisch alles, sogar der absurdeste Unsinn. Im Übrigen wird "diskussionswürdig" nicht selten auch in negativer Konnotation verwendet ("Liebling, Dein Verhalten ist diskussionswürdig."). So oder so, wenn etwas "diskussionswürdig" ist, dann heißt das keineswegs, dass es gleichzeitig klug, erhellend, unbedingt lesenswert oder sonstwie positiv wäre. Auch faschistischer oder stalinistischer Scheiß ist möglicherweise diskussionswürdig.


    Da hat also wieder so einer ein Buch geschrieben. Anders ist dieses Mal, dass es posthum veröffentlicht wurde und einen lateinischen Titel hat. Ansonsten gibt es eben wieder eine temporäre Bibel für die Populisten und Hetzer und Schlagzeilennachplapperer. Es geht dem Ende entgegen! Jawoll! Damit werben die Zeugen Jehovas übrigens schon seit 1914. Nur, wenn Ihr macht, was ich sage/wir sagen, werdet Ihr das Harmagedon überleben. Ihr seid alle Geisterfahrer, nur ich kenne die richtige Richtung. Und das mit dem Holocaust war übrigens halb so schlimm. (Edit: Das bezieht sich natürlich nicht auf die Zeugen Jehovas!)


    Was ich wirklich nicht verstehe, das ist, warum halbwegs intelligente Menschen solche Bücher lesen. Sie sollten doch wissen, dass die Welt differenzierter und weniger monokausal ist, sie sollten nicht anfällig für dumpfe, lineare, menschenverachtende Hetze sein, ganz egal, ob der Autor nun im Professorengewand daherkommt oder mal Finanzsenator in Berlin war. Warum nur tut man sich das an? Warum wirft man diesen Leuten und ihren Erben auch noch schwerverdientes Geld in die gierigen Schlünder? Um mitreden zu können? Dafür braucht man diese Traktate nicht, mitreden darf immer und jederzeit jeder. Das macht offene, tolerante, fortschrittliche Gesellschaften aus. Warum also fällt man auf diesen Nepp rein? Immer und immer wieder? Warum fühlt man sich so gut dabei, sich in der vorgefertigten, simplizifzierten Meinung spiegeln zu können? Obwohl das doch irgendwie ein bisschen armselig ist, oder sogar überwiegend?
    Verstehe ich echt nicht.

  • Zitat

    Was ich wirklich nicht verstehe, das ist, warum halbwegs intelligente Menschen solche Bücher lesen.


    Gehen wir davon aus, dass Jan Voltaire, Dieter Neumann ... und ich in die Kategorie halbwegs intelligente Menschen fallen, dann wird vermutlich jeder ganz andere Gründe angeben.


    Ich kann nur für mich sprechen:


    1. Ohne das geschickte "Buch-Marketing" würde ich dieses Buch vermutlich nicht lesen, weil ich es nicht wahrgenommen hätte.


    2. Aufgrund der sehr kontroversen Diskussion Saltzwedel, Safranski, Voltaire ... auf der einen und Tom, Dieter ... auf der anderen Seite, komme ich überhaupt nicht an dem Buch vorbei. Jetzt muss ich mir meine eigene Meinung bilden.

  • beisswenger : Das ist keine Antwort auf meine Frage. Ich habe nicht gefragt, warum halbwegs intelligente Leute dieses Buch lesen oder gelesen haben, sondern solche Bücher. ;-)

  • Zitat

    Original von beisswenger


    1. Ohne das geschickte "Buch-Marketing" würde ich dieses Buch vermutlich nicht lesen, weil ich es nicht wahrgenommen hätte.


    2. Aufgrund der sehr kontroversen Diskussion Saltzwedel, Safranski, Voltaire ... auf der einen und Tom, Dieter ... auf der anderen Seite, komme ich überhaupt nicht an dem Buch vorbei. Jetzt muss ich mir meine eigene Meinung bilden.


    Womit der Verfasser sein eigentliches Ziel ja erreicht hat: sein Machwerk zu verkaufen :-(
    So funktioniert Werbung.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Zitat

    Original von Alice


    Womit der Verfasser sein eigentliches Ziel ja erreicht hat: sein Machwerk zu verkaufen :-(
    So funktioniert Werbung.


    Na ja, der Verfasser eher nicht. Der hatte sich schon lange vorher das Leben genommen. Ohne das Buch veröffentlicht zu haben. Er wird vielleicht gewusst haben, warum. Seine Erben aber haben das nun erfolgreich vermarktet - mit Hilfe eines durchgeknallten Jurymitglieds.

  • Danke für die Info. Die Biografie des Autors habe ich nicht beachtet. Schade, einen Toten kann man ja nicht zur Verantwortung ziehen.
    Aber wie kann es sein, dass ein einzelnes Jurymitglied so etwas veranlassen kann? Haben die anderen geschlafen, oder hat es sie nicht interessiert, was da auf die Liste gesetzt wurde?

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde

  • Zitat

    Na ja, der Verfasser eher nicht. Der hatte sich schon lange vorher das Leben genommen. Ohne das Buch veröffentlicht zu haben. Er wird vielleicht gewusst haben, warum. Seine Erben aber haben das nun erfolgreich vermarktet - mit Hilfe eines durchgeknallten Jurymitglieds.


    Sieferle hat sich nicht lange vorher das Leben genommen, sondern ziemlich genau vor 9 Monaten. Zudem ist er kein Noname, sondern ein bekannter Historiker, der selbst von seinem Finis-Germania-Kritiker Jan Grossarth als „poetischer Freigeist und großer Wirtschaftshistoriker" gewürdigt wurde.


    Im Übrigen hat er auch mit anderen Werken Erfolg, z. B. "Das Migrationsproblem: Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung".


    Dein "Er wird vielleicht gewusst haben, warum" zeigt wes Geistes Kind du wirklich bist und bestätigt meine Einschätzung eines Charakterzuges, den du hier nicht zum ersten Mal zeigst, werter Kollege Neumann. Auf der einen Seite wirfst du dem Kollegen Voltaire gebetsmühlenhaft Populismus und Haudraufgehabe vor, auf der anderen Seite nutzt du diese Spielarten selbst. Das passt nicht gut zusammen.



    Zitat

    beisswenger : Das ist keine Antwort auf meine Frage. Ich habe nicht gefragt, warum halbwegs intelligente Leute dieses Buch lesen oder gelesen haben, sondern solche Bücher.


    Was sind "solche" Bücher?
    Ich muss es doch erstmal selbst lesen, bevor ich es kategorisiere. Und ich werde immer neugieriger auf dieses Buch, um die Verallgemeinerung "solche Bücher" kennenzulernen.

  • Zitat

    Original von beisswenger
    Dein "Er wird vielleicht gewusst haben, warum" zeigt wes Geistes Kind du wirklich bist und bestätigt meine Einschätzung eines Charakterzuges, den du hier nicht zum ersten Mal zeigst


    Ich verbitte mir deine persönlichen Beleidigungen, beisswenger. Ebenso bin ich nicht dein "Kollege". Ganz sicher nicht.

  • Zitat

    Ich verbitte mir deine persönlichen Beleidigungen, beisswenger. Ebenso bin ich nicht dein "Kollege". Ganz sicher nicht.


    Von einer persönlichen Beleidigung bin ich sehr weit entfernt, lieber Dieter.
    Es handelt sich um eine subjektive Einschätzung meinerseits, die ebenso wie das Buch, durchaus unterschiedlich betrachtet werden kann.
    Normalerweise behalte ich solcherlei Einschätzungen für mich, aber dein m. E. despektierlicher Umgang mit einem Toten hat mich geradezu herausgefordert.
    :wave

  • beisswenger : Dieter bezog sich mit dem "er wird schon gewusst haben, warum" nicht auf den Tod des Autors, sondern auf die Tatsache, dass dieser den hier diskutierten Text nicht vor seinem Ableben hat veröffentlichen lassen.

  • Zitat

    beisswenger : Dieter bezog sich mit dem "er wird schon gewusst haben, warum" nicht auf den Tod des Autors, sondern auf die Tatsache, dass dieser den hier diskutierten Text nicht vor seinem Ableben hat veröffentlichen lassen.


    Nehmen wir an, das stimmt, dann ist meine Einschätzung in diesem konkreten Fall falsch und ich entschuldige mich in diesem konkreten Fall beim Kollegen (oh, sorry) Dieter.


    Davon abgesehen wissen wir nicht, ob Sieferle seine Kurztexte überhaupt veröffentlichen wollte. Schließlich wurden 30 Kurztexte aus seinem Nachlass ausgewählt und veröffentlicht.

  • Die beiden ersten Kapitel sind eine harsche Analyse des Ist-Zustandes in Deutschland. Es habe sich eine Herrschaftskultur etabliert, die Züge kleinbürgerlicher Unsicherheit trage und dafür sorge, dass das Leben in sämtlichen Teilen des Landes grundsätzlich gleichartig sei. Dieser „Sozialdemokratismus“ ruhe auf dem Fundament eines Fortschrittglaubens, dessen Basis der Glaube an ein ewiges Wirtschaftswachstum bilde. Absolute Werte haben sich längst aufgelöst zugunsten eines Relativismus, der bereits alle Lebensbereich beherrsche. Individualität sei zur Ausnahme geworden und der Deutsche mache nur noch Erfahrungen, die so beliebig seien und in Massen produziert werden, wie die Waren mit denen er sich umgebe. Die isolierte Beschäftigung mit diesem Massenmenschen sei so aufregend wie eine TV-Serie und so überraschend wie der Geschmack eines EU-Apfels. Wir Deutschen seien zu einem von Furcht, Angst und Panik neigendes Hühner-Volk verkommen, das bis ins Letzte sozial-, kranken-, hausrats-, unfall- und feuerversichert sei, und dennoch meine, in einer Risikogesellschaft zu leben.


    Das dritte Kapitel „Mythos VB“, das sich mit dem letzten Absoluten beschäftigt, was in unserer relativistischen Epoche übriggeblieben sei, habe ich dreimal gelesen. Zunächst musste ich schwer schlucken, waren doch einige Begriffe semantisch verschmutzt und der Autor wäre besser beraten gewesen, sie tunlichst zu vermeiden. So erinnert die Überschrift „Mythos VB“ an Rosenbergs „Der Mythus im 20. Jahrhundert“ und darunter „Der ewige Nazi“ an einen antisemitischen Propagandafilm. Das sind zwei unnötige Provokationen und vermutlich hätte der Autor und/oder ein anderer Verlag andere Überschriften gewählt. Wir müssen Sieferle zugutehalten, dass er nach seinem Selbstmord keine Änderungen seiner Fragmente mehr vornehmen konnte, was er bestimmt getan hätte, schließlich schreibt man am Ende ja doch nicht alles so auf, wie man es schreiben würde, um zu provozieren.


    Der Nationalsozialismus, genauer Auschwitz, sei zum letzten Mythos einer rationalisierten Welt geworden. Da ist was dran, allerdings bewegt Sieferle sich hier auf dünnem Eis, auf dem man schnell einbrechen kann. Ohne diese letzte Bastion des Absoluten gäbe man Auschwitz selbst der Relativierung preis. Angesichts des Antisemitismus, der hierzulande unter rechten und linken Extremisten sowie zugewanderten Muslimen eine Renaissance erlebt, sollte man zwar kritisch im Sinne Sieferles bleiben, dennoch den „Mythos“ aufrechterhalten, bevor Israel tatsächlich im Meer versinkt, worüber sich nicht nur in Deutschland viele Menschen freuen würden.


    Die quasireligiös mit dem „Mythos Auschwitz“ aufgeladene Kollektivschuld einschließlich dem Gebot permanenter Buße versetze dem Hühner-Volk den entscheidenden Tritt, um endlich aus der Geschichte zu verschwinden.


    Das ist starker Tobak. Selten hat jemand uns Deutschen so ungeschminkt den Spiegel vorgehalten. Zweifellos legt man diesen Spiegel nicht schnell zur Seite, was gut ist, denn mit der Fratze, die wir erkennen, sollten wir uns eingehend beschäftigen.


    Ich war erstaunt, wie viele Kritiker das Buch so schnell lesen konnten und wie rasch sie sich eine Meinung gebildet haben. Vielleicht habe ich den Kritikern, die jedes Wort sezieren, weil sich dahinter rechtes Gedankengut verstecken könnte, Unrecht getan. Möglicherweise seien sie doch viel weitsichtiger und tiefsinniger als ich dachte, sagte ich mir eingangs in Gedanken.


    Doch nachdem ich mindestens zwanzig Begriffe nachgeschlagen hatte, um die Wörter zu verstehen, die ich dann in das philosophisch-historische Gerüst des Verfassers einsortiert habe, kam ich zu einem anderen Urteil. Zunächst hätte ich nicht gedacht, dass die Kritiker sich so viel Mühe gemacht haben. Kompliment, da hatte ich sie unterschätzt. Allerdings haben sie wohl nicht jeden Gedanken richtig verstanden, denn Rechtsradikalismus konnte ich beim besten Willen nicht herauslesen.


    Und ich hatte ein Déjà-vu. Auf Seite 74 f. knöpft Sieferle sich die Empörten der Jenninger-Komödie vor:


    „Die Zuhörer (Kritiker), die aus Unbildung oder demagogischer Berechnung den Text tatsächlich missverstanden. Die Kommentatoren …, die in dem Text etwas Gefährliches oder Unbewältigtes erblicken wollten – die ganze eingespielte Maschinerie von Verdächtigung, Anschuldigung, Denunziation, Besserwisserei und Heuchelei setzte sich in Gang. Ein bis in die letzten Verästelungen des öffentlichen Bewusstseins reichender Konformitätsdruck wurde aufgebaut, der jede Abweichung zum riskanten Geschäft werden ließ.“


    Das lässt sich eins zu eins auf die Sieferle-Komödie übertragen.