Haruki Murakami: Die Ermordung des Commendatore. 1. Eine Idee erscheint

  • Haruki Murakami: Die Ermordung des Commendatore. 1. Eine Idee erscheint

    DuMont Buchverlag 2018. 480 Seiten

    ISBN-10: 3832198911

    ISBN-13: 978-3832198916. 26€

    Originaltitel: Kishidancho goroshi

    Übersetzerin: Ursula Gräfe


    Verlagstext

    Allein reist der namenlose Erzähler und Maler ziellos durch Japan. Schließlich zieht er sich in ein abgelegenes Haus, das einem berühmten Künstler gehört, zurück. Eines Tages erhält er ein äußerst lukratives Angebot. Er soll das Porträt eines reichen Mannes anfertigen. Nach einigem Zögern nimmt er an, und Wataru Menshiki sitzt ihm fortan Modell. Doch der Ich-Erzähler findet nicht zu seiner alten Fertigkeit zurück. Das, was Menshiki ausmacht, kann er nicht erfassen. Wer ist dieser Mann, dessen Bildnis er keine Tiefe verleihen kann?

    Durch einen Zufall entdeckt der junge Maler auf dem Dachboden ein meisterhaftes Gemälde. Es trägt den Titel ›Die Ermordung des Commendatore‹. Er ist wie besessen von dem Bild, mit dessen Auffinden zunehmend merkwürdige Dinge um ihn herum geschehen, so als würde sich eine andere Welt öffnen. Mit wem könnte er darüber reden? Da ist keiner außer Menshiki, den er kennt. Soll er sich ihm wirklich anvertrauen? Als er es tut, erkennt der Ich-Erzähler, dass Menshiki einen ungeahnten Einfluss auf sein Leben hat.


    Der Autor

    Haruki Murakami, 1949 in Kyoto geboren, lebte über längere Zeit in den USA und in Europa und ist der gefeierte und mit höchsten Literaturpreisen ausgezeichnete Autor zahlreicher Romane und Erzählungen.


    Inhalt

    Als der namenlose junge Maler von seiner Frau verlassen wird, nutzt er die Gelegenheit, um an einem neuen Ort neu zu beginnen. Zuvor hatte er seinen Lebensunterhalt relativ bequem mit Porträts verdient für Kunden, die ihm ein Vermittler verschaffte. Er erwartete von seinen Modellen nur ein Vorgespräch und ein paar treffende Fotos, sie brauchten ihm nicht Modell zu sitzen und waren stets mit dieser Regelung zufrieden. Die Stärken des Künstlers sind sein gutes visuelles Gedächtnis und seine Fähigkeit, die Persönlichkeit seiner Modelle intuitiv zu erfassen. Nachdem er jahrelang gefällig gemalt hat, um seine Auftraggeber zufrieden zu stellen, könnte er nun endlich malen, was er selbst für wesentlich hält. Weil das Elternhaus eines Kommilitonen und Künstlerkollegen leer steht (der Vater von Masahiko Amada lebt dement in einem Heim) findet Murakamis namenloser Icherzähler dort als Haussitter eine günstige Unterkunft. Er kann sogar das ehemalige Atelier des alten Herrn Amada nutzen und erhält von Masahiko den Tipp, im Ort Malkurse zu geben. Das für japanische Verhältnisse luxuriöse Haus zieht er sich an wie einen Handschuh, schlüpft damit quasi ins Leben des älteren Berufskollegen. Wenn der Maler von seiner Ex-Frau erzählt und auch von seiner früh als Kind verstorbenen Schwester, stellt er in bildhafter Weise Perspektiven und Bezüge dar, die sich deutlich von der Sichtweise anderer Menschen unterscheiden. Die überraschende Trennung von seiner Frau erklärt er sich damit, dass er die Entwicklung ihrer Beziehung und darin einen toten Winkel übersehen hat. Auf dem Dachboden des abgelegen in den Bergen gelegenen Hauses entdeckt er ein - einziges - sorgfältig verpacktes Gemälde des Hausherrn, die Duellszene „Die Ermordung des Commendatore“, das prompt seine intensive Auseinandersetzung mit der Biografie des Älteren anregt. Amada Senior hatte vor 1939 in Europa gelebt und der Grund für seine Rückkehr liegt bisher noch im Dunklen. Wer sich an „Mister Aufziehvogel“ erinnert und dessen Bezug zur japanischen Besetzung der Mandschurei, wird in diesem Buch vermutlich auf einen Bezug zu historischen Ereignissen während des Nationalsozialismus warten.


    In der Gegenwart taucht beim Porträtmaler Herr Wataru Menshiki auf, der ein Porträt in Auftrag gibt und das frei vom wirtschaftlichen Zwang für den Künstler, dem Kunden gefällig sein zu müssen. Der Mann erzählt viele und scheint wenig von sich preiszugeben. Ähnlich wie die Trennung von Yuzu, der Maler-Ehefrau, wirkt die Begegnung mit Menshiki als Katalysator für einen Neubeginn im Leben des Icherzählers. Der geheimnisvolle Nachbar verkörpert jedoch auch die größte Angst des Malers, das Wesen seines Modells nicht zu erfassen und zum beruflichen Scheitern verurteilt zu sein. Menshiki heisst im Japanischen wörtlich Bekannter, die Schriftzeichen für sich genommen bedeuten „Farbe vermeiden“. Die Möglichkeit im Chinesischen und Japanischen die Bildbedeutung der Schriftzeichen quasi auf einer zusätzlichen Tonspur für Anspielungen zu nutzen, ist europäischen Lesern schwer zu vermitteln. Am ehesten ließe sie sich mit dem Cockney-Englisch vergleichen, das beim Zuhörer voraussetzt, Doppeldeutigkeiten bereits zu kennen oder blitzschnell zu erfassen. Wenn einem Maler ein Herr „Farbe-Vermeiden“ als Gegenspieler entgegentritt im Haus eines prominenten Malers mit uns unbekannter Vergangenheit, setzt das bei mir eine Kette von Assoziationen in Gang. Was wäre, wenn dem Maler die Farbe fortgenommen würde? Was verbindet die beiden Männer, was fehlt in ihrem Leben? Frauen sind im Leben der Herren früh verstorben, treten als Schülerin oder Geliebte auf oder sie sind wie die jüngere Schwester für die Verbindung in die Welt der Magie zuständig. Warum bleibt der Name des Malers ungenannt, der als Icherzähler doch so freimütig von sich erzählt? Warum drängt sich der Nachbar rücksichtslos ins Leben des Porträtmalers? Ist der Haussitter die Achillesferse, um sich ein zweifellos wertvolles Grundstück unter den Nagel reißen? Schließlich taucht auf dem Sofa des Malerhaushalts in Kindergröße der „Commandatore“ aus dem Gemälde auf. Eine „Idee“ ist aus einer Parallelwelt getreten und könnte den Souffleur geben. Ob nicht sichtbare Dinge auf diese Weise real werden können, ist zumindest eine amüsante Frage. Als vertraute Murakami-Motive grüßen neben einem Protagonisten auf Ichsuche die Rückblende in die Geschichte, das Kochen, Jazz, unterirdische Räume und diffuse Verfolgungsgefühle.


    Fazit

    Da Murakamis Romane längst ein eigenes Genre bilden, erübrigt es sich m. A. „Die Ermordung des Commendatore“ als Künstlerroman zu bezeichnen. Die Verbindung zwischen dem opaken Buchumschlag (der nur Ausschnitte des Buchdeckels freigibt) mit dem blinden Fleck des Malers für den Zustand seiner Ehe, mit Farblosigkeit, der spirituellen Bedeutung von Bergen und Wald in Japan und schließlich dem Tod im Leben der beiden Hauptfiguren ist jedenfalls faszinierend genug, um ungeduldig auf den zweiten Band zu warten, der im April erscheint.


    Das Handwerkliche

    „Die Ermordung des Commendatore“ besteht aus einem Bucheinband frei von Text, einem opaken Schutzumschlag, der wie durch ein Bullauge den Blick auf den regenbogenfarbigen Buchdeckel freigibt, einem dunkel gefärbten Schnitt und einem Lesebändchen in edlem Dunkelrot. Neben dem Aufwand fürs Äußere finde ich den wahren Luxus im Inneren des Buches: ein harmonisch wirkender Satzspiegel, lesefreundlicher Kontrast von Papierfarbton und Schrift und eine Bindung, die das Buch aufgeschlagen liegen bleiben lässt, ohne dass die Seiten tun was sie wollen …


    9 von 10 Punkten

  • Nachdem 'Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki' eher nur Murakami Durchschnitt waren, (und das kann man wirklich nicht positiver ausdrücken, obwohl ich anfangs recht begeistert von diesem Buch war) habe ich eigentlich keine großen Meisterleistungen erwartet, als ich dieses Buch gelesen habe. Und das, obwohl mir 1Q84 (zumindest die ersten beiden Bücher) richtig gut gefallen haben.


    Und dann passiert es tatsächlich wieder. Murakami haut ein paar der besten Passagen heraus, die er je geschrieben hat! Innerhalb einer Woche war das Buch dann auch schon ausgelesen und ich will unbedingt den Nachfolger lesen!


    Auf der Gegenseite ist Murakamis typischer Schreibstil zu nennen. Ein durchschnittlicher, zurückgezogener Erzähler, viele farbenfrohe Nebenprotagonisten und eine Menge mysteriöser Ereignisse, die am Ende wahrscheinlich nie aufgeklärt und den Leser ohne ein befriedigendes Ende zurücklassen werden, sind nun mal Markenzeichen des Autors, die routinierte Leser schon kennen werden.


    Ich kann Band 2 jetzt kaum noch abwarten. Leider weiß ich ganz genau, dass das Ende wohl nicht meine hohen Erwartungen erfüllen wird...


    Band 1 kriegt 8/10 Punkten von mir.

  • Die Ermordung des Commendatore Band 1: Eine Idee erscheint



    Mit großer Spannung dürfte die treue Fangemeinde Murakamis im letzten Jahr auf das Erscheinen seines neuen Buches gewartet haben und es ist kein Geheimnis,

    dass ich mich lange zu diesen Fans zählte. Nach dem überragenden Epos "1Q84" ließ meine Begeisterung nach, zu flach erschienen mir der Roman

    "Die Pilgerjahre des farblosen Herrn Tazaki" und der Kurzgeschichtenband "Von Männern, die keine Frauen haben".

    Auslaufen lassen wollte ich unsere Autor-Leserin-Beziehung wie man das in der heutigen Zeit so macht. Einfach keinen Murakami mehr kaufen.

    Einen Strich durch die Rechnung machte eine Freundin, die mir "Die Ermordung des Commendatore" als Verlegenheitsgeschenk zum Geburtstag überreichte.

    Einen Handschmeichler hielt ich in den Händen, okay der Plastikschutzhülle hätte es nicht bedurft, aber das dunkle Cover, der schwarze Buchschnitt und

    das feine Papier überzeugten mich.


    Bereits nach den ersten Seiten ließ Murakami keinen Zweifel daran, dass er auf Altbewährtes setzt.

    Im Mittelpunkt der Geschichte steht ein Porträtmaler, der sich von seiner Frau getrennt hat und nach einer Odyssee durch das nördliche Japan vorübergehend in

    ein Haus in den Bergen zieht. Das Haus gehört dem berühmten Maler Tomohiko Amada.

    Der Protagonist, der sich nach der Trennung in einer künstlerischen Krise befindet, findet im Atelier dank eines Bildes und der Plattensammlung des Altmeisters sowie einem Kunstgriff Murakamis mit Einführung einer neuen und mysteriösen Figur auf seinen Karriereweg zurück.

    Wataru Menshiki, ein entfernter Nachbar mit außergewöhnlich weißem Haar, der sich als zur Ruhe gesetzter Geschäftsmann ausgibt, beauftragt den namenlosen Porträtmaler von ihm ein Bild anzufertigen.

    In diesem grob geschilderten Szenario passiert nicht viel. In Rückblenden erzählt der Porträtmaler von seiner Ehe, denkt an seine in jungen Jahren verstorbene Schwester, die er immer wieder mit den Frauen vergleicht, die ihm später begegnen.

    Zum einen mit seiner Ehefrau, dann mit seiner Geliebten, die ihn den Bergen besucht. Spannung kommt erst gegen Ende des ersten Bandes mit Einführung

    einer Zeichenschülerin auf, die ebenfalls die Erinnerung an seine Schwester hervorruft.


    Alles in allem ist "Die Ermordung des Commendatore" kein schlechter Roman, allerdings auch kein überzeugender.

    Murakami erfindet sich nicht neu, die Geschichte entwickelt sich langsam, die ein oder andere Kürzung hätte nicht geschadet; er spielt auf alte Romane an

    und wer wie ich bis zum Ende durchgehalten hat, den hat der japanische Großmeister, der in diesem Monat 70 Jahre alt wurde, an der Angel.

    Ob ich den zweiten Band lesen werde? Ich weiß es nicht, aber man soll ja niemals nie sagen.